Entscheidungsdatum
24.11.2021Norm
BEinstG §14Spruch
W216 2247504-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Marion STEINER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Benedikta TAURER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , bevollmächtigt vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 04.06.2021, nach Beschwerdevorentscheidung vom 28.09.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 und § 14 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG), beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 11.12.2020 (einlangend) beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge: belangte Behörde) unter Vorlage medizinischer Unterlagen einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten.
1.1. Zur Überprüfung des Antrages wurden seitens der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für HNO, basierend auf der Aktenlage, sowie eines Arztes für Allgemeinmedizin, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 26.02.2021, sowie eine Zusammenfassung der Sachverständigengutachten (Gesamtbeurteilung) durch den Arzt für Allgemeinmedizin mit dem Ergebnis eingeholt, dass der Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 30 vom Hundert (v.H.) bewertet wurde.
Die Funktionseinschränkungen wurden folgendermaßen beurteilt:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Abnützungen der Wirbelsäule bei Osteoporose
Heranziehung dieser Position, da Wirbelkörpereinbruch bei mittelgradigen Funktionseinschränkungen.
Unterer Rahmensatz, da ohne radikuläre Symptomatik.
02.01.02
30 v.H.
02
Hörstörung rechts
Tabelle Z5/K1 15 = 20 % GdB fixer Rahmensatz
12.02.01
20 v.H.
03
Depressio
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da therapeutisch stabilisierter Verlauf ohne Interventionsbedarf bei erhaltener sozialer Integration
03.06.01
20 v.H.
04
Abnützung beider Kniegelenke
Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da nur leichtgradige Funktionseinschränkung.
02.05.19
20 v.H.
05
Hypertonie
fixer Richtsatz
05.01.01
10 v.H.
Gesamtgrad der Behinderung
30 v.H.
1.2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 09.03.2021 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs zum Ergebnis der Beweisaufnahme erhob der Beschwerdeführer – unter Vorlage medizinischer Befunde – Einwendungen und führte aus, dass die Aortenklappeninsuffizienz nicht berücksichtigt worden sei. Außerdem bestünden weitergehende Beschwerden im Bereich des Knies, die Osteoporose sei weit fortgeschritten und liege darüber hinaus eine COPD vor. Darüber hinaus sei die Schwere der vorliegenden Depression zu gering eingeschätzt worden.
1.3. Zur Überprüfung der Einwendungen des Beschwerdeführers sowie der von ihm vorgelegten Befunde wurde seitens der belangten Behörde ein Sachverständigengutachten – basierend auf der Aktenlage – von dem bereits zuvor befassten Arzt für Allgemeinmedizin mit folgendem Ergebnis eingeholt:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Abnützungen der Wirbelsäule bei Osteoporose Heranziehung dieser Position, da Wirbelkörpereinbruch bei mittelgradigen Funktionseinschränkungen.
Unterer Rahmensatz, da ohne radikuläre Symptomatik.
02.01.02
30 v.H.
02
Hörstörung rechts
Tabelle Z5/K1 15 = 20 % GdB fixer Rahmensatz
12.02.01
20 v.H.
03
Depressio
Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz, da therapeutisch stabilisierter Verlauf ohne Interventionsbedarf bei erhaltener sozialer Integration
03.06.01
20 v.H.
04
Abnützung beider Kniegelenke
Heranziehung dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da nur leichtgradige Funktionseinschränkung.
02.05.19
20 v.H.
05
Herzklappeninsuffizienz bei arterieller Hypertonie
Unterer Rahmensatz dieser Position, da Grad 1
05.07.01
10 v.H.
Gesamtgrad der Behinderung
30 v.H.
1.4. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde mit Schreiben vom 04.05.2021 gemäß § 45 Abs. 3 AVG erteilten Parteiengehörs zum Ergebnis der erneuten Beweisaufnahme erhob der Beschwerdeführer keine Einwendungen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.06.2021 wies die belangte Behörde aufgrund des in Höhe von 30 v.H. festgestellten Grades der Behinderung den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß § 2 sowie § 14 Abs. 1 und 2 BEinstG ab.
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung mit Schreiben vom 14.07.2021 – fristgerecht und unter Vorlage medizinischer Befunde – das Rechtsmittel der Beschwerde, in der er im Wesentlichen vorbringt, dass in den eingeholten Sachverständigengutachten seine bestehenden Einschränkungen nicht dem tatsächlichen Ausmaß entsprechend eingeschätzt worden seien. Zur korrekten Beurteilung seines tatsächlich bestehenden Zustandes- und Beschwerdebildes erscheine zudem die Einholung von neurologisch-psychiatrischen, orthopädischen und internistischen Fachgutachten unentbehrlich. Zu Leiden 1 sei auszuführen, dass bei ihm eine ausgeprägte Osteoporose vorliege und bereits mehrmals Wirbelkörpereinbrüche aufgetreten seien. Zudem bestünden eine Vertebrostenose im Segment C4/C5, Arthrosen sowie Spondylarthrosen im mittleren HWS-Bereich, deutliche Spondylarthrose im lumbosacralen Übergang sowie SIG-Arthrosen bds., im Bereich der Hüften sowie des Beckens lägen außerdem ein diskreter Beckenschiefstand, eine Coxarthrose bds. sowie auch hier SIG-Arthrosen bds. vor. Diesem komplexen orthopädischen Beschwerdebild sei nicht ausreichend Rechnung getragen worden.
Zu Leiden 3 führt der Beschwerdeführer aus, dass er seit vielen Jahren unter rezidivierenden depressiven Episoden leide, in deren Verlauf sich auch Panikattacken entwickelt und eine Vielzahl an symptomatischen Beschwerden eingestellte hätten. Trotz aller Therapieversuche mit diversen Antidepressiva teilweise aber auch mit neuroleptischer Therapie bestünden weiterhin Angstzustände, eine verminderte Belastbarkeit und Angst vor weiteren symptomatischen Erkrankungen. Auch diese Leiden hätten mit einem höheren Grad der Behinderung eingeschätzt werden müssen.
Aus den vorgelegten Befunden ergebe sich eine Sigmadivertikulose sowie eine Atrumgastritis und eine Pulpitis, die bislang nicht eingeschätzt worden seien. Zusammen mit der bestehenden Herzklappeninsuffizienz bei arterieller Hypertonie sowie COPD wäre damit die Einholung eines internistischen Gutachtens zur gesamtheitlichen und korrekten Beurteilung der internistischen Leiden erforderlich gewesen.
4. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Beschwerdevorprüfungsverfahrens ersuchte die belangte Behörde eine Fachärztin für Unfallchirurgie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin um Erstellung eines Sachverständigengutachtens basierend auf der persönlichen Begutachtung des Beschwerdeführers am 23.09.2021. In diesem Sachverständigengutachten vom 28.09.2021 kam die Fachärztin zu folgendem Ergebnis:
Lfd. Nr.
Funktionseinschränkung
Position
GdB
01
Degenerative und posttraumatische Veränderungen der Wirbelsäule, Osteoporose
Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da bei Zustand nach Wirbelkörpereinbrüchen der BWS mäßige bis mittelgradige Funktionseinschränkungen ohne radikuläre Symptomatik.
02.01.02
30 v.H.
02
Hörstörung rechts
Tabelle Z5/K1 15 = 20 % GdB fixer Rahmensatz
12.02.01
20 v.H.
03
Depressio
1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da therapeutisch stabilisierter Verlauf ohne Interventionsbedarf bei erhaltener sozialer Integration. Rezidivierende Panikattacken und Angstzustände sind in der Position erfasst.
03.06.01
20 v.H.
04
Abnützung beider Kniegelenke
Wahl dieser Position mit dem unteren Rahmensatz, da nur leichtgradige Funktionseinschränkung bei nachgewiesenen beginnenden bis mäßigen degenerativen Veränderungen.
02.05.19
20 v.H.
05
Herzklappeninsuffizienz bei arterieller Hypertonie
Unterer Rahmensatz dieser Position, da Grad 1
05.07.01
10 v.H.
Gesamtgrad der Behinderung
30 v.H.
5. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 28.09.2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde – unter Zugrundelegung der Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens – ab.
5.1. Mit Schreiben vom 18.10.2021 beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht. Begründend wies er erneut darauf hin, dass seine Leiden zu niedrig eingestuft worden seien und er hielt den Antrag auf Einholung von Fachgutachten aufrecht.
5.2. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 20.10.2021 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 19b Abs. 1 BEinstG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Verfahren über Beschwerden in Rechtssachen in den Angelegenheiten des § 14 Abs. 2 durch den Senat. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gemäß § 29 Abs. 1 zweiter Satz VwGVG sind die Erkenntnisse zu begründen. Für Beschlüsse ergibt sich aus § 31 Abs. 3 VwGVG eine sinngemäße Anwendung.
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte aus (vgl. u.a. 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zur ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten (§ 3 BEinstG).
Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. (§ 4 Abs. 1 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010 auszugsweise)
Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten. (§ 4 Abs. 2 Einschätzungsverordnung BGBl. II Nr. 261/2010)
Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt die letzte rechtskräftige Entscheidung über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 v.H.
a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. I Nr. 150/2002, oder des Bundesverwaltungsgerichtes;
b) eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. eines nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, zuständigen Gerichtes;
c) eines Landeshauptmannes (des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz) oder des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen in Verbindung mit der Amtsbescheinigung gemäß § 4 des Opferfürsorgegesetzes;
d) in Vollziehung der landesgesetzlichen Unfallfürsorge (§ 3 Z 2 Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, BGBl. Nr. 200/1967).
Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des Grades der Behinderung. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten (§ 2) auf Grund der in lit. a bis d genannten Nachweise erlischt mit Ablauf des dritten Monates, der dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung folgt, sofern nicht der begünstigte Behinderte innerhalb dieser Frist gegenüber dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen erklärt, weiterhin dem Personenkreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Personen angehören zu wollen. (§ 14 Abs. 1 BEinstG)
Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Menschen mit Behinderung das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung nach den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung der Entscheidung folgt, mit der der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird. (§ 14 Abs. 2 BEinstG)
Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der beim Beschwerdeführer vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.
Der Beschwerdeführer hat bereits mit dem Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten medizinische Beweismittel in Vorlage gebracht, welche auch dem neurologischen/psychiatrischen Formenkreis betreffen und zudem in seinem Antrag sowie in weiterer Folge in seiner im Rahmen des ihm eingeräumten Parteiengehörs erstatteten Stellungnahme und seiner Beschwerdeschrift – begründend – angeführt, an dementsprechenden Einschränkungen zu leiden.
Die belangte Behörde hat zur Überprüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers jedoch lediglich allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten sowie jenes eines Facharztes für HNO und einer Fachärztin für Unfallchirurgie eingeholt. Zwar besteht kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes, jedoch sind im vorliegenden Fall die von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten zur Beurteilung des beim Beschwerdeführer vorliegenden psychologischen Beschwerdebildes nicht geeignet. Aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass zusätzlich zur erfolgten Einholung von Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Unfallchirurgie und HNO-Erkrankungen auch die Einholung zumindest eines Gutachtens der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie unbedingt erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers (auch im Hinblick auf eine mögliche wechselseitige Leidensbeeinflussung der festgestellten Gesundheitsschädigungen) zu gewährleisten. Insbesondere, da der Beschwerdeführer mehrfach konkrete Vorbringen zu seinen psychiatrischen Leiden erstattet hat und aus dem von ihm vorgelegten Arztbrief einer Fachärztin für Neurologie hervorgeht, dass der Beschwerdeführer bereits diesbezüglich seit April 2012 in Behandlung steht und ihm psychiatrische Leiden diagnostiziert wurden. Die alleinige Heranziehung von Sachverständigen der Fachrichtungen Allgemeinmedizin, Unfallchirurgie und HNO-Erkrankungen durch die belangte Behörde ist somit offensichtlich sachwidrig erfolgt.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Gutachten der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie einzuholen.
Darüber hinaus sind die durch die belangte Behörde eingeholten Sachverständigengutachten hinsichtlich der Beurteilung der beim Beschwerdeführer vorliegenden psychiatrischen Leidenszustände und somit auch bezüglich der Beurteilung des Gesamtleidenszustandes nicht ausreichend begründet. Die eingeholten Sachverständigengutachten enthalten zwar Zusammenfassungen relevanter vom Beschwerdeführer vorgelegter medizinischer Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte, die Sachverständigen haben sich jedoch mit den Inhalten nicht umfassend auseinandergesetzt. So ist dem zuletzt eingeholten Gutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie sowie Ärztin für Allgemeinmedizin lediglich zu entnehmen, dass rezidivierende depressive Episoden und das Überlastungssyndrom in korrekter Höhe eingestuft würden und unter der bestehenden medikamentösen und niederfrequenten fachärztlichen Therapie eine Stabilisierung erreicht werden habe können.
Die eingeholten medizinischen Sachverständigenbeweise vermögen daher die verwaltungsbehördliche Entscheidung nicht zu tragen. Ein Gutachten bzw. eine medizinische Stellungnahme, welche Ausführungen darüber vermissen lässt, aus welchen Gründen der ärztliche Sachverständige zu einer Beurteilung gelangt ist, stellt keine taugliche Grundlage für die von der belangten Behörde zu treffende Entscheidung dar (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes erforderliche Überprüfung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist auf dieser Grundlage daher nicht möglich.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat. (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015)
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde sohin unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens und der vorgelegten Beweismittel unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen zusätzlich zu den bereits eingeholten Sachverständigengutachten ein fachärztliches Sachverständigengutachten der Fachrichtung Neurologie/Psychiatrie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, einzuholen und dieses mit den bereits eingeholten Gutachten zusammenzufassen haben, wobei die Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann – im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG – nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist – angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen – nicht ersichtlich.
Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 19 Abs. 1 BEinstG zweckmäßig.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rascher und kostengünstiger festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W216.2247504.1.00Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021