Entscheidungsdatum
26.11.2021Norm
BBG §40Spruch
W218 2244825-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Marion STEINER sowie die fachkundige Laienrichterin Mag. Bettina PINTER als Beisitzerinnen über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , gegen den am 09.07.2021 ausgestellten Behindertenpass des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, betreffend die Höhe des Grades der Behinderung, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Datum vom 09.07.2021 wurde der Beschwerdeführerin ein unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50 vH ausgestellt. Dem Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
2. Gegen diesen Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Unter Vorlage von Beweismitteln wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sie ursprünglich einen Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60 vH gehabt habe und sich ihr Zustand verschlechtert habe. Ihr Herzmuskel sei verdickt, ihre Herzklappe öffne sich schwer, die Inkontinenz und die Depression hätten sich verschlechtert, ihr Darm sei schlecht und benötige sie einen Rollstuhl.
3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten langten am 29.07.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 50 vH.
Die Beschwerdeführerin leidet an folgenden Funktionseinschränkungen:
1. Allergisches Asthma bronchiale, Fixierung bei chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung II, Pos.Nr.: 06.05.02, Grad der Behinderung 30%
2. Degenerative und posttraumatische Veränderungen an Gelenken der oberen und unteren Extremitäten, Pos.Nr.: 02.02.02, Grad der Behinderung 30%
3. Degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Pos.Nr.: 02.01.01, Grad der Behinderung 20%
4. Hypertonie, Pos.Nr.: 05.01.02, Grad der Behinderung 20%
5. Angst und Depression gemischt, chronisches Schmerzsyndrom, Pos.Nr.: 03.06.01, Grad der Behinderung 20%
6. Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom, Pos.Nr.: 06.11.02, Grad der Behinderung 20%
7. Fettleber, Pos.Nr.: 07.05.03, Grad der Behinderung 10%
2. Beweiswürdigung:
Das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der Beschwerdeführerin erhobenen klinischen Befund, entsprechen den festgestellten Funktionseinschränkungen.
Im medizinischen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin, wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, am 18.05.2021, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Vorweg ist festzuhalten, dass die Einstufung der bei der Beschwerdeführerin objektivierbaren Funktionseinschränkungen erstmals nach der nunmehr geltenden Einschätzungsverordnung erfolgte.
Der medizinische Sachverständige stufte das Leiden 1 „Allergisches Asthma bronchiale, Fixierung bei chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung II“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 06.05.02 mit dem unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 30 vH ein, da sich dieses Leiden weitgehend stabilisiert hat. Aus dem Lungenfachärztlichen Befund vom 02.11.2020 geht hervor, dass die Sauerstoffsättigung bei 98 % liegt und die Lungenfunktion knapp am Sollwert liegt, die Lungenerkrankung hat sich bei einer COPD II fixiert. Es ist sowohl im Lungenfachärztlichen Befund vom 07.11.2019 als auch im Lungenfachärztlichen Befund vom 02.11.2020 eine geringe Besserung zum jeweiligen Vorbefund objektivierbar, woraus sich eine kontinuierliche Besserung des Zustandes ableiten lässt, welche in Folge zur Fixierung bei der COPD II führte. Eine Besserung des unter laufenden Nummer 1 angeführten Leidens ist sohin objektivierbar und erfolgte die Einstufung mit 30 vH zu Recht.
Der medizinische Sachverständige stufte das Leiden 2 „Degenerative und posttraumatische Veränderungen an Gelenken der oberen und unteren Extremitäten“ unter der Positionsnummer 02.02.02 „Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades“ mit dem unteren Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 30 vH ein, da im Zuge der persönlichen Untersuchung mäßiggradige Funktionseinschränkungen objektivierbar waren. Der Sachverständige fasste dabei die im Vorgutachten unter laufender Nummer 5 bis 8 (Bewegungseinschränkung des linken Ellbogengelenks nach operierter Radiusköpfchenfraktur [Gegenarm], Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks [Gegenarm], Fersensporn beidseits und Beginnende Kniegelenksabnützung rechts) angeführten und jeweils mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuften Leiden nunmehr zusammen. Im Zuge der persönlichen Untersuchung konnte die Beschwerdeführerin die oberen Extremitäten zielgerichtet und aktiv bewegen, es zeigte sich jedoch intermittierend eine hochgradige Einschränkung im linken Ellbogengelenk, im Zuge des An- und Auskleidens war ihr das Strecken und Beugen jedoch gut möglich. Die Beine konnten von der Beschwerdeführerin aktiv bewegt werden und in die Horizontale gestreckt werden. Die Beschwerdeführerin lehnte ein Erheben aus dem Rollstuhl ab, daher konnte die Funktionsfähigkeit ihrer Hüftgelenke nicht untersucht werden. Bei einer notwendigen Haltungsverlagerung im Rollstuhl konnte die Beschwerdeführerin aber alle vier Extremitäten einsetzen. Die Beschwerdeführerin gab im Zuge der Beschwerde an, sie sei auf einen Rollstuhl angewiesen und erschien sie auch im Rollstuhl zur Untersuchung, doch konnte der medizinische Sachverständige bei ihr kein behinderungsrelevantes Erfordernis für dessen Benützung objektivieren. In den vorliegenden medizinischen Befunden geht ausschließlich aus dem Entlassungsbericht vom 27.05.2020 hervor, dass die Beschwerdeführerin derzeit einen Rollstuhl zur Entlastung benötige, doch konnte in der persönlichen Untersuchung kein Hinweis auf eine immer noch bestehende Notwendigkeit erkannt werden.
Das Leiden 3 „Degenerative Wirbelsäulenveränderungen“ wurde vom medizinischen Sachverständigen schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 02.01.01 „Funktionseinschränkungen geringen Grades“ mit dem oberen Rahmensatz mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingestuft, da Abnützungen objektivierbar sind, aber keine relevanten Wurzelreizzeichen vorliegen. Aus dem ärztlichen Entlassungsbrief vom 02.06.2020 geht hervor, dass im Röntgen eine mäßiggradige degenerative Veränderung an der Lendenwirbelsäule vorliegt sowie eine geringe Fehlhaltung. Das Leiden 3 wurde mangels Nachweisbarkeit einer Verschlechterung gleichbleibend zum Vorgutachten eingestuft.
Das Leiden 4 „Hypertonie“ wurde vom medizinischen Sachverständigen gleichbleibend zum Vorgutachten mit einem Grad der Behinderung von 20 vH eingestuft, der Blutdruck betrug in der persönlichen Untersuchung 135/75.
Der medizinische Sachverständige stufte das Leiden 5 „Angst und Depression gemischt, chronisches Schmerzsyndrom“ schlüssig und nachvollziehbar nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung unter der Positionsnummer 03.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 vH ein, da die Beschwerdeführerin zwar noch in Dauermedikation steht, aber keine Hinweise auf einen instabilen Verlauf vorliegen. Die Beschwerdeführerin führte im Zuge der persönlichen Untersuchung selbst an, dass sie derzeit in keiner fachärztlichen Behandlung stehe und begründet dies mit ihren vorliegenden Krankheiten. Es liegen keine medizinischen Befunde vor, welche eine therapeutische Behandlung erforderlich machen. Der einzig vorliegende Befund vom 03.11.2020 stellt eine Diagnose dar sowie die verordnete medikamentöse Behandlung. Da die Beschwerdeführerin nun nicht mehr in therapeutischer Behandlung steht, erfolgte die Herabstufung des Grades der Behinderung zu Recht. Die Beschwerdeführerin führte in der Beschwerde zwar aus, dass sich ihr Zustand verschlechtert habe, doch ist dies dem vorliegenden Befund nicht zu entnehmen.
Der medizinische Sachverständige stufte das Leiden 6 „Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom“ neu ein und wurde es erstmalig in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen, da es nunmehr objektivierbar ist. Die Einstufung des Leidens unter der Positionsnummer 06.11.02 „Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom mittelschwere Form“ mit dem unteren Rahmensatz erfolgte aufgrund der Indikation zur nächtlichen Maskenbeatmungstherapie. Dies wird durch den Lungenfachärztlichen Befund vom 02.11.2020 bestätigt.
Ebenfalls neu in die Liste der Funktionseinschränkungen aufgenommen wurde das Leiden 7 „Fettleber“, welches unter der Positionsnummer 07.05.03 mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft wurde, da keine relevanten Einschränkungen der Syntheseleistung vorliegen. Aus dem MR Befund vom 04.08.2020 geht hervor, dass sich in der Leber ein hoher Fettgehalt zeigt, darüber hinaus aber keine Auffälligkeiten erkennbar waren.
Der medizinische Sachverständige stufte den Gesamtgrad der Behinderung mit 50 vH ein, da das führende Leiden 1 „Allergisches Asthma bronchiale, Fixierung bei chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung II“ durch die Leiden 2 „Degenerative und posttraumatische Veränderungen an Gelenken der oberen und unteren Extremitäten“ und 3 „Degenerative Wirbelsäulenveränderungen“ um eine Stufe erhöht wird, da ein ungünstiges Zusammenwirken besteht. Darüber hinaus wird der Gesamtgrad der Behinderung durch die Leiden 4 „Hypertonie“, 5 „Angst und Depression gemischt, chronisches Schmerzsyndrom“ und 6 „Obstruktives Schlafapnoe-Syndrom“ um eine weitere Stufe erhöht, da ebenfalls ein ungünstiges Zusammenwirken besteht. Das Leiden 7 „Fettleber“ erhöht aufgrund geringer funktioneller Relevanz den Gesamtgrad der Behinderung nicht weiter.
Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde angeführte Inkontinenz ist mangels Vorliegen fachärztlicher Befunde nicht objektivierbar. Ein Diabetes mellitus ist ebenfalls nicht befundmäßig dokumentiert und kann daher nicht eingestuft werden.
Die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Cardiomyopathie erreicht bei normaler Pumpfunktion keinen Grad der Behinderung und kann daher nicht eingestuft werden. Die Beschwerdeführerin führte in der Beschwerde lediglich aus, dass ihr Herzmuskel verdickt ist und ihre Herzklappe schlecht aufmache, Befunde welche eine einstufungsrelevante Funktionseinschränkung belegen, konnte sie keine vorlegen.
Die Behörde (bzw. das Gericht) hat ein Gutachten auf seine Vollständigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Weitere Gutachten hat die Behörde nur dann einzuholen, wenn sich die vorliegenden Gutachten als nicht vollständig oder nicht schlüssig und damit als nicht ausreichend erweisen; will eine Partei außer dem vorliegenden schlüssigen und vollständigen Gutachten noch ein weiteres in das Verfahren einbezogen wissen, steht es ihr frei, selbst ein Gutachten eines privaten Sachverständigen zu beschaffen und vorzulegen.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das eingeholte Sachverständigengutachten daher als schlüssig, vollständig und nachvollziehbar. In einer Zusammenschau der vorliegenden Befunde und des Gutachtens, geht der erkennende Senat davon aus, dass das Sachverständigengutachten bzw. der darin festgelegte Grad der Behinderung von 50 v.H. der Entscheidung zugrunde zu legen ist.
Das eingeholte Sachverständigengutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch. Auch war dem Vorbringen sowie den eingeholten und vorgelegten Beweismitteln kein Anhaltspunkt zu entnehmen, die Tauglichkeit des befassten Sachverständigen oder dessen Beurteilung beziehungsweise Feststellungen in Zweifel zu ziehen.
Das Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderten-einstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist. (§ 40 Abs. 2 BBG)
Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Auszug aus der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) idgF:
„Grad der Behinderung
§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.
(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.
(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.
Gesamtgrad der Behinderung
§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.
(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.
(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn
- sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,
- zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.
(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.
Grundlage der Einschätzung
§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.“
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Eine Verbesserung des Zustandes konnte insofern objektiviert werden, dass sich das Leiden 1 „Allergisches Asthma bronchiale, Fixierung bei chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung II“ weitgehend stabilisiert hat und das Leiden 5 „Angst und Depression gemischt, chronisches Schmerzsyndrom“ mangels bestehender psychiatrischer bzw. neurologischer Therapie um eine Stufe geringer einzustufen ist.
Da die Einstufung des Grades der Behinderung zu Recht erfolgte, war die Beschwerde abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In diesem Sinne ist eine Verhandlung als erforderlich anzusehen, wenn es nach Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 Abs. 2 GRC geboten ist, wobei gemäß Rechtsprechung des VfGH der Umfang der Garantien und des Schutzes der Bestimmungen ident sind.
Der Rechtsprechung des EGMR kann entnommen werden, dass er das Sozialrecht auf Grund seiner technischen Natur und der oftmaligen Notwendigkeit, Sachverständige beizuziehen, als gerade dazu geneigt ansieht, nicht in allen Fällen eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. Eriksson v. Sweden, EGMR 12.4.2012; Schuler-Zgraggen v. Switzerland, EGMR 24.6.1993).
Im Erkenntnis vom 18.01.2005, GZ. 2002/05/1519, nimmt auch der Verwaltungsgerichtshof auf die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR (Hinweis Hofbauer v. Österreich, EGMR 2.9.2004) Bezug, wonach ein mündliches Verfahren verzichtbar erscheint, wenn ein Sachverhalt in erster Linie durch seine technische Natur gekennzeichnet ist. Darüber hinaus erkennt er bei Vorliegen eines ausreichend geklärten Sachverhalts das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise an, welches das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gestatte (vgl. VwGH vom 4.3.2008, 2005/05/0304).
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde auf gutachterlicher Basis ermittelt. Zudem wurde von der beschwerdeführenden Partei in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet, welches eine weitere Erörterung notwendig erschienen ließ.
Im Hinblick auf obige Überlegungen sah der erkennende Senat daher unter Beachtung der Wahrung der Verfahrensökonomie und -effizienz von einer mündlichen Verhandlung ab, zumal auch eine weitere Klärung der Rechtssache hierdurch nicht erwartbar war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W218.2244825.1.00Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021