Entscheidungsdatum
01.12.2021Norm
BBG §40Spruch
W265 2247559-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den gemäß § 45 Abs. 2 in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 08.09.2021, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin stellte am 06.05.2021 einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als belangte Behörde bezeichnet), mittels dem entsprechend von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und von der Beschwerdeführerin ausgefüllten Antragsformular.
Die belangte Behörde gab in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für physikalische Medizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung in Auftrag.
In dem auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 09.08.2021 basierenden Gutachten vom 16.08.2021 wurde Folgendes – hier in den wesentlichen Teilen wiedergegeben – ausgeführt:
„Anamnese:
Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses.
Zustand nach Explosionsverletzung rechter Unterschenkel 2014, operative Unterschenkelabnahme rechts (Amputation), Unterschenkelprothesenversorgung rechts.
Zustand nach Gebärmutterhalskrebs auf das Gewebe des Ursprungs begrenzt (Adenocarcinom der Cervix in situ), Zustand nach Gebärmutterentfernung und Entfernung beider Eileiter 09/2020.
Hautnarben nach Explosionsverletzung an den Händen, Rumpf und am Oberschenkel sowie Ober- und Unterschenkel links.
Derzeitige Beschwerden:
Die Patientin klagt über Belastungsschmerzen beim Gehen mit der Unterschenkelprothese. Sie verwendet nach ihren Angaben Unterarmstützkrücken oder hält sich am Kinderwagen fest. Schmerzmittel werden bei Bedarf benötigt.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Behandlungen:
Kein Behandlungsnachweis vorliegend.
Medikamente, keine ärztlich bestätigte Liste, laut Patientin:
Brufen bei Bedarf.
Hilfsmittel:
Unterschenkelprothese rechts.
Sozialanamnese:
Die Patientin ist Hausfrau, derzeit in Karenz, hat drei Kinder im Alter von 12, 10 und einem Jahr, ist geschieden, wohnt in einer Wohnung im zweiten Stock mit Lift.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Alle elektronisch vorliegenden Befunde, inklusive allfällig vorhandener Vorgutachten, wurden eingesehen und berücksichtigt. Maßgebliche Auszüge daraus werden nachstehend aufgelistet.
Klinikum XXXX , Unfallchirurgie, 11.05.2021: Zustand nach Explosionsverletzung rechte untere Extremität mit multiplen Metallfremdkörpern. Therapie: Von unserer Sicht aus derzeit keine Fremdkörperentfernung indiziert, da bei fehlenden Infektzeichen weitgehende Beschwerdefreiheit. Wiedervorstellung bei Bedarf.
Klinikum XXXX , Gynäkologie, 08. bis 13.09.2020: Zustand nach Adenocarcinom in situ der Cervix, fokal randbildend, histologisch bei Zustand nach Konisation kein Tumor mehr nachweisbar, Zustand nach Unterschenkelamputation rechts. OP: TLH und Tubektomie beidseits 09.09.2020. Diagnose: Exsipierter Uterus ohne Reste des Adenocarcinoms in situ des Cervix bei Zustand nach Konisation.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Gut.
Ernährungszustand:
Normal.
Größe: 159,00 cm Gewicht: 68,00 kg Blutdruck: 180/110 mmHg
Klinischer Status – Fachstatus:
Sensorik:
Visus:
ausreichend
Hörvermögen:
ausreichend
Somatischer Status: Caput:
unauffällig
Hals/Weichteile:
keine Einflussstauung, keine Lymphknoten palpabel
Wirbelsäule:
nicht klopfdolent
HWS, BWS und LWS in allen Ebenen frei beweglich, Lasegue beidseits negativ
Herz:
normofrequente, rhythmische, reine Herztöne
Lunge:
Vesikuläratmen beidseits
Abdomen:
weich, im Thoraxniveau, kein Druckschmerz, keine Resistenzen
obere Extremitäten:
freie Beweglichkeit in sämtlichen Gelenken
untere Extremitäten:
freie Beweglichkeit der Hüftgelenke,
Kniegelenk links 0/0/130°, rechts 0/0/120°, blander reizloser Unterschenkelstumpf rechts, gering berührungsempfindlich,
OSG links frei,
keine Ödeme an den unteren Extremitäten
Haut:
multiple dunkelverfärbte Narben am rechten Oberschenkel, linken Ober- und
Unterschenkel, etwas keloidhaltig im Rumpfbereich und an den Händen ohne funktionelle Einschränkung
Gesamtmobilität – Gangbild:
Die Patientin kommt ohne Gehhilfe zur Untersuchung.
Das Gangbild weitgehend flüssig mit geringem Hinken durch die Unterschenkelprothese, anfänglich diskrete Anlaufsymptomatik.
Keine Standunsicherheit.
Einbeinstand in Kraft und Koordination ausreichend.
Der rechte Oberschenkel kann im Einbeinstand links 90° angehoben werden.
Die Transfers gelingen selbstständig.
Status Psychicus:
Der Patient ist allseits orientiert, indifferente Stimmungslage.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Zustand nach Unterschenkelabtrennung rechts (Amputation) nach Explosionsverletzung 2014.
Unauffälliger Unterschenkelstumpf, keine Reizzeichen, funktionierende Unterschenkelprothesenversorgung rechts, keine wesentliche Stand- oder Gangunsicherheit.
02.05.44
50
2
Mehrfache Narben am Oberschenkel rechts, Ober- und Unterschenkel links, Rumpf und Händen.
Keine funktionelle Einschränkung.
01.01.02
20
3
Zustand nach Gebärmutterentfernung bei lokal begrenzter Entartung der Schleimhaut (Adenocarcinom der Cervix in situ).
Zustand nach Eileiterentfernung beidseits ohne weiterführende Behandlungsnotwendigkeit, Patientin gilt als geheilt.
08.03.01
10
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Führendes Leiden ist Position 1 und bestimmt den Gesamtgrad der Behinderung von 50 %. Die übrigen Leiden sind aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter stufenerhöhend.
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung: Keine.
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Erstgutachten.
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten: Erstgutachten.
?
Dauerzustand
?
Nachuntersuchung -
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Eine wesentliche Mobilitätseinschränkung liegt nicht vor. Die Gehleistung ist durch die funktionierende Unterschenkelprothese nicht erheblich eingeschränkt. Eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 m) kann selbstständig und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Weder die Gelenksbeweglichkeit an Armen und Beinen, noch die Standsicherheit sind wesentlich beeinträchtigt. Es können daher übliche
Niveauunterschiede überwunden werden, auch die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist möglich.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?
Nein.“
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 03.09.2021 wurde der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages vom 06.05.2021 mitgeteilt, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt worden sei. Der Behindertenpass im Scheckkartenformat werde ihr in den nächsten Tagen übermittelt werden. Mit diesem Schreiben wurde der Beschwerdeführerin das Sachverständigengutachten vom 16.08.2021 übermittelt.
Mit Begleitschreiben vom 07.09.2021 wurde der Beschwerdeführerin der Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v. H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.
Mit E-Mail vom 14.10.2021 erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Vertretung gegen die Ausstellung des Behindertenpasses fristgerecht die gegenständliche Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sie mit dieser E-Mail Beschwerde gegen die Festlegung des Grades der Behinderung von „nur“ 50 % einlegen wolle, da sie sich als weit höher behindert sehe. Sie lege der Beschwerde ein Schreiben von XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, bei, welches die ständigen Schmerzen und die Immobilität bestätige. Sie ersuche um Kenntnisnahme und höhere Festlegung des Behindertengrades.
Mit Schreiben vom 21.10.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese am selben Tag einlangten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführerin wurde am 08.09.2021 der gegenständliche, unbefristete Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v. H. ausgestellt.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.
Bei der Beschwerdeführerin bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird:
- Zustand nach Unterschenkelabtrennung rechts (Amputation) nach Explosionsverletzung 2014.
- Mehrfache Narben am Oberschenkel rechts, Ober- und Unterschenkel links, Rumpf und Händen.
- Zustand nach Gebärmutterentfernung bei lokal begrenzter Entartung der Schleimhaut (Adenocarcinom der Cervix in situ).
Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen, deren Ausmaß und medizinischer Einschätzung sowie der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussung werden die diesbezüglichen Beurteilungen im seitens der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für physikalische Medizin vom 16.08.2021 zu Grunde gelegt.
Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt aktuell 50 v. H.
2. Beweiswürdigung:
Das Datum der Ausstellung des gegenständlichen Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Inland ergibt sich aus dem Akt und einer am 29.10.2021 durchgeführten Abfrage im Zentralen Melderegister.
Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für physikalische Medizin vom 16.08.2021, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund sowie den von der Beschwerdeführerin in Vorlage gebrachten medizinischen Unterlagen.
Darin wird auf die Art der Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Einschätzungen entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen, die Gesundheitsschädigungen wurden nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Das erste Leiden, der Zustand nach Unterschenkelabtrennung rechts (Amputation) nach Explosionsverletzung 2014, wurde am allgemeinmedizinischen Gutachten korrekt der Position 02.05.44 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet und mit einem Grad der Behinderung von 50 v.H. eingestuft. Die Wahl des unteren Rahmensatzes begründete die Sachverständige nachvollziehbar mit dem Vorliegen eines unauffälligen Unterschenkelstumpfes, keinen Reizzeichen, einer funktionierenden Unterschenkelprothesenversorgung rechts und mit keiner wesentlichen Stand- oder Gangunsicherheit.
Das zweite Leiden, die mehrfachen Narben am Oberschenkel rechts, Ober- und Unterschenkel links, Rumpf und Händen, wurden im allgemeinmedizinischen Gutachten korrekt der Position 01.01.02 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet und mit einem Grad der Behinderung von 20 v.H. eingestuft. Die Wahl des Grades der Behinderung begründete die Sachverständige nachvollziehbar damit, dass keine funktionelle Einschränkung vorliegt.
Das dritte Leiden, der Zustand nach Gebärmutterentfernung bei lokal begrenzter Entartung der Schleimhaut (Adenocarcinom der Cervix in situ) wurde im allgemeinmedizinischen Gutachten korrekt der Position 08.03.01 der Anlage zur Einschätzungsverordnung zugeordnet und mit einem Grad der Behinderung von 10 v. H. eingestuft. Die Wahl des Grades der Behinderung begründete die Sachverständige nachvollziehbar damit, dass ein Zustand nach Eileiterentfernung beidseits ohne weiterführende Behandlungsnotwendigkeit vorliegt und dass die Patientin als geheilt gilt.
Den Gesamtgrad der Behinderung begründete die allgemeinmedizinische Sachverständige nachvollziehbar damit, dass das führende Leiden Position 1 ist und den Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. bestimmt. Die übrigen Leiden sind aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter stufenerhöhend.
In ihrer Beschwerde trat die Beschwerdeführerin keiner dieser Einschätzungen konkret entgegen, sondern führte lediglich aus, dass sie mit dem festgestellten Gesamtgrad der Behinderung nicht einverstanden sei, da sie sich als weit höher behindert sehe. Sie ersuche um Kenntnisnahme und einer höheren Festlegung des Behindertengrades. Für das Bundesverwaltungsgericht ist jedoch kein Grund ersichtlich, von den schlüssigen Einschätzungen der Sachverständigen abzugehen.
Neben bereits im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten medizinischen Befunden legte die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde ein Schreiben eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 11.10.2021 vor, worin bestätigt wird, dass der Beschwerdeführerin durch eine Bombe der re. Unterschenkel amputiert worden sei und eine Prothese trage. Ebenfalls sei der li. Unterschenkel voll mit Granatsplitter. Aufgrund dessen habe sie starke Schmerzen und könne keine langen Strecken gehend zurücklegen (AS 44). Dieser Befund war jedoch nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen mit einem höheren Grad der Behinderung herbeizuführen bzw. eine zwischenzeitig eingetretene Verschlechterung der Leidenszustände zu belegen und allenfalls zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen, alle angeführten Diagnosen waren bereits berücksichtigt.
Insoweit sich das Beschwerdevorbringen darüber hinaus auf die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass seitens der Beschwerdeführerin eine Antragstellung für die Vornahme der entsprechenden Zusatzeintragung (in den Behindertenpass) nicht erfolgte. Der Vollständigkeit wegen ist aber in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass die Sachverständige nachvollziehbar ausführe, dass bei der Beschwerdeführerin eine wesentliche Mobilitätseinschränkung nicht vorliegt. Die Gehleistung ist durch die funktionierende Unterschenkelprothese nicht erheblich eingeschränkt. Eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 m) kann selbständig und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme einer einfachen Gehilfe zurückgelegt werden. Weder die Gelenksbeweglichkeit an Armen und Beinen, noch die Standsicherheit sind wesentlich beeinträchtigt. Es können daher übliche Niveauunterschiede überwunden werden, auch die sichere Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich (vgl. AS 27).
Die Beschwerdeführerin ist dem vorliegenden Sachverständigengutachten im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 16.08.2021. Dieses wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes lauten auszugsweise:
„§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
…
§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
…
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
Wie oben unter Punkt II.2. ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Physikalische Medizin vom 16.08.2021 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung des Beschwerdeführers aktuell 50 v. H. beträgt. Die Funktionseinschränkung wurde im Gutachten entsprechend den Bestimmungen der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.
Die Beschwerdeführerin ist diesem medizinischen Sachverständigengutachten, wie bereits erwähnt, nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).
Die Beschwerdeführerin legte im Rahmen der Beschwerde, wie in der Beweiswürdigung bereits ausgeführt, keine Befunde vor, die geeignet wären, die durch die medizinische Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung ihres Zustandes zu belegen.
Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v. H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v. H. ein Behindertenpass auszustellen ist, erfüllt.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die strittigen Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen, Notwendigkeit einer Nachuntersuchung) gehören dem Bereich zu, der von den Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund der vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen Sachverständigengutachten geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Im vorliegenden Fall waren ausschließlich Rechtsfragen zu klären. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Grad der Behinderung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W265.2247559.1.00Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021