Entscheidungsdatum
01.12.2021Norm
BBG §40Spruch
W261 2245495-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Maga Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 03.08.2021, betreffend die Einziehung des Behinderenpasses zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer war seit 01.08.2016 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (v.H.).
2. Am 29.01.2021 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) auf Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung und legte eine Reihe von medizinischen Unterlagen vor.
3. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 26.04.2021 erstatteten Gutachten vom 29.04.2021 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen „Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates“, Position 02.02.02, GdB 40 %, „Karpaltunnelsyndrom“, Position 04.05.06, GdB 10 % und „Chronisches Cervikalsyndrom, degenerative Veränderung der Halswirbelsäule ohne Vertebrostenosen, ED 04/2016“, Position 02.01.01, GdB 10 % und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 v.H.
4. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 29.04.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
5. Mit Stellungnahme vom 17.05.2021 (Datum des Einlangens) führte der Beschwerdeführer aus, dass er mit diesem Gutachten nicht einverstanden sei. Er leide an einer Reihe von Leiden, welche er im Detail ausführte. Er könne nicht verstehen, ob er erst tot sein müsse, um mehr Prozente und einen Parkausweis zu erhalten. Er sehe viele Personen mit einem Parkausweis, welche jünger seien als er und welche nicht gehbehindert seien. Er leide immer an Schmerzen und so mache es ihm keinen Spaß zu leben. Er wache auch nachts auf. Zu diesem Arzt brauche man ihn nicht mehr zu schicken. Der Beschwerdeführer schloss seiner Stellungnahme einen Blutbefund und eine Auswertung seiner Herzfrequenzdaten (EKG Kurven ohne Befund) an.
6. Die belangte Behörde nahm die Stellungnahme zum Anlass, um den befassten medizinischen Sachverständigen um die Erstellung eines Sachverständigengutachtens auf Grund der Aktenlage zu ersuchen. In dessen Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage vom 09.06.2021 stellte der medizinische Sachverständige unter Einbeziehung der neu übermittelten medizinischen Befunde fest, dass der Beschwerdeführer an den Funktionseinschränkungen „Generalisierte Erkrankung des Bewegungsapparates“, Position 02.02.02, GdB 40 %, „Karpaltunnelsyndrom“, Position 04.05.06, GdB 10 %, „Chronisches Cervikalsyndrom, degenerative Veränderung der Halswirbelsäule ohne Vertebrostenosen, ED 04/2016“, Position 02.01.01, GdB 10 % und einer Steatosis hepatis (Fettleber), Position 07.05.01, GdB 10 % mit einem Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 40 v.H. leide. Die vom Beschwerdeführer beschriebenen Schmerzen und Bewegungseinschränkungen am Bewegungsapparat seien in aktueller Position 1 beinhaltet. Neu werde das Leiden 4, die Fettleber, aufgenommen.
7. Mit Bescheid vom 10.06.2021 setzte die belangte Behörde den Grad der Behinderung mit 40 % neu fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten vom 09.06.2021 in Kopie bei.
8. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel, weswegen dieser Bescheid in Rechtskraft erwuchs.
9. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 03.08.2021 stellt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 40 % nicht mehr der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfülle, weswegen der Behindertenpass nach §§ 14, 43 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF einzuziehen und unverzüglich dem Sozialministeriumservice vorzulegen sei.
10. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er gegen die Einziehung des Behindertenpasses Beschwerde erhebe. Er verstehe nicht, dass es weniger Prozente werden hätten können. Er habe alle Befunde vorgelegt, sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert und nicht verbessert. Er verstehe nicht, wie andere zu einem Parkausweis kommen würden. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde bei.
11. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 17.08.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.08.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
13. Das Bundesverwaltungsgericht holte ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Orthopädie ein. Das aufgrund der einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 11.10.2021 erstattete Gutachten vom 18.10.2021 kam zum Ergebnis, dass sich keine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung ergebe. Der medizinische Sachverständige definierte die Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers neu und stellte insgesamt sechs Leiden fest, und zwar „degenerative Veränderungen der Wirbelsäule“, Position 02.01.02, GdB 30 %, „Schulterengesyndrom beidseits, links Zustand nach Eingriff“, Position 02.06.02, GdB 20 %, „Abnützung beider Hände, Fingerarthrosen, Knieschmerz beidseits“, Position 02.02.01, GdB 20 %, „Hallus rigidus rechts“, Position 02.05.38, GdB 10 %, „Abnützung des Großzehengrundgelenkes links“, Position 02.05.38, GdB 10%, „Carpaltunnelsyndrom links“, Position 04.05.06, GdB 10 % und „Reflux“, Position 07.03.05, GdB 10 %. Das führende Leiden 1 werde durch die Leiden 2 und 3 wegen wechselseitiger Leidensbeeinflussung um eine Stufe erhöhen, die anderen Leiden würden wegen zu geringer funktioneller Relevanz nicht weiter erhöhen.
Der medizinische Sachverständige führte aus, dass die ursprünglichen medizinischen Sachverständigengutachten aus den Jahren 2015 und 2017 deutlich zu „nett“ gewesen seien. Es sei nachvollziehbar schwer verständlich, dass sich trotz zunehmenden Alters und auch mancher Beschwerden der GdB verändern solle.
14. Das Bundesverwaltungsgericht brachte den Parteien des Verfahrens das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 20.10.2021 zur Kenntnis und räumte ihnen eine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Dabei führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass offensichtlich in den Jahren 2015 und 2017 eine Fehleinschätzung des Gesamtgrades der Behinderung zugunsten des Beschwerdeführers erfolgt sei, welche nur durch eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens von der belangten Behörde und nicht durch die Einziehung des Behindertenpasses abgeändert werden könne. Keine der Parteien gab dazu eine Stellungnahme ab.
15. Mit Schreiben vom 11.11.2021 informierte die belangte Behörde die Parteien des Verfahrens darüber, dass sich bei Aktenstudium zur Erarbeitung des Erkenntnisses herausgestellt habe, dass die belangte Behörde bereits mit Bescheid vom 10.06.2021 die Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung mit 40 % festgestellt habe. Nachdem der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid kein Rechtsmittel erhob, sei dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen, an welche auch das Bundesverwaltungsgericht gebunden sei. In Anbetracht dieses rechtskräftigen Bescheides sei die verfahrensgegenständliche Einziehung des Behindertenpasses rechtskonform erfolgt. Das Bundesverwaltungsgericht räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
16. In seiner Stellungnahme vom 18.11.2021 führte der Beschwerdeführer aus, dass er eine Beschwerde eingereicht habe, weswegen er noch einmal untersucht worden sei. Er verstehe nicht, weswegen sein Gesamtgrad der Behinderung nur 40 v.H. sei, weil er unter einer Reihe von aufgelisteten Beschwerden leide. Er habe Schmerzen beim Gehen. Es hätten sehr viele Menschen einen Parkausweis und man merke nicht, dass diese Gehproblome hätten. Er fragte, wie das gehe. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.
Der Beschwerdeführer war seit 08.01.2016 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H.
Er stellte am 29.01.2021 einen Antrag auf Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung.
Mit rechtskräftigen Bescheid vom 10.06.2021 stellte die belangte Behörde nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens fest, dass der Grad der Behinderung mit 40 % neu festgesetzt wird.
Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist des Bescheides vom 10.06.2021 stellte die belangte Behörde mit Bescheid vom 03.08.2021 fest, dass der Beschwerdeführer nicht mehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt und der Behindertenpass einzuziehen und unverzüglich dem Sozialministeriumservice vorzulegen ist.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.
Die Feststellungen hinsichtlich der von der belangten Behörde erlassenen Bescheide basieren auf dem Akteninhalt und sind unbestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
„§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
…
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41 (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
…
§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.
…
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“
Gegenständlich beantragte der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 29.01.2021 (einlangend) die Neufestsetzung des Grades der Behinderung in seinen unbefristet ausgestellten Behindertenpass.
Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigenbeweises wurde mit Bescheid von Amts wegen der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 % neu festgelegt.
In seinem Erkenntnis vom 13.12.2018, Ra 2018/11/0204, sprach der Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit einem ähnlich gelagerten Fall aus, dass ein Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung, wie sich aus § 41 Abs. 2 BBG ergibt, – innerhalb zeitlicher Schranken – zulässig ist. Im Falle einer solchen Neufestsetzung des Grades der Behinderung ist, solange der Grad der Behinderung weiterhin wenigstens 50 v.H. beträgt, gemäß § 43 Abs. 1 erster Satz BBG der Behindertenpass zu korrigieren (bzw. erforderlichenfalls ein neuer mit geänderten Eintragungen auszustellen). Demgegenüber regelt § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG, wie vorzugehen ist, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses weggefallen sind. In einem solchen Fall „ist der Behindertenpass einzuziehen“ (vgl. etwa VwGH 29.03.2011, 2008/11/0191). Die Einziehung hat gemäß § 45 Abs. 2 BBG durch Bescheid zu erfolgen. § 43 Abs. 1 zweiter Satz BBG enthält hingegen keine Ermächtigung für einen gesonderten Ausspruch der Behörde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr vorliegen (anders als etwa § 14 Abs. 2 BEinstG) oder dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50 v.H. besteht. Der Wegfall der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses ist vielmehr als Vorfrage im Einziehungsverfahren zu klären. Da mithin ein eigenes Verfahren vorgesehen ist, in dem die Frage, ob weiterhin ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 v.H. vorliegt, zu beantworten ist, fehlt es grundsätzlich auch an einer Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheides über das Nichtbestehen dieser Voraussetzung.
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung erweist sich die amtswegige Festsetzung des Gesamtgrades der Behinderung in Höhe von 40 vH durch den Bescheid vom 10.06.2021 als rechtswidrig.
Hinzu kommt, dass sich die belangte Behörde bei der Beurteilung des neuen Grades der Behinderung auch zu berücksichtigen gehabt hätte, dass die beiden Gutachten aus dem Jahr 2015 und 2017 fälschlich von einem Grad der Behinderung von 50 v.H. ausgegangen sind, und keine tatsächliche Verbesserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers seit den Jahren 2015 und 2017 eingetreen ist, sondern dass vielmehr im Jahr 2021 – aufgrund des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung durch den Beschwerdeführer am 29.01.2021 eine neue - richtige - Bewertung des Gesamtgrades der Behinderung erfolgte.
Eine in den Jahren 2015 und 2017 allenfalls unterlaufene Fehleischätzung des Grades der Behinderung hätte – wie im vorliegenden Fall – ohne entsprechende Sachverhaltsänderung (d.h. Besserung der Leidenszustände) nur unter den Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 und 3 AVG bzw. § 32 VwGVG, nicht aber im Wege einer Neufestsetzung des Grades der Behinderung korrigiert werden können.
Nachdem der Beschwerdeführer gegen diesen - an sich rechtswidrigen - Bescheid der belangten Behörde vom 10.06.2021 kein Rechtsmittel ergriffen hat, ist dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen und ist auch das Bundesverwaltungsgericht an die an sich rechtswidrige Feststellung des neuen Grades der Behinderung von 40 v. H. gebunden. Dies entspricht auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach auch rechtswidrige Bescheide, welche in Rechtskraft erwachsen sind, verbindlich sind (Hinweis E 24.3.1993, 92/12/0149, uvm).
Dies bedeutet im gegenständlichen Beschwerdeverfahren gegen den Bescheid vom 03.08.2021, dass die belangte Behörde die Einziehung des Behindertenpasses im Sinne des § 43 Abs. 1 letzter Satz BBG zu recht verfügte, weil mit einem rechtskräftig festgestellten Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht vorliegen.
Das Beschwerdevorbringen des Beschwerdeführers geht sohin ins Leere, vielmehr hätte er diese Beschwerde gegen den Bescheid vom 10.06.2021 erhoben müssen, was unterblieb.
Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.
Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde. Es waren im gegenständlichen Verfahren keine Tatsachenfragen, sondern reine Rechtsfragen zu lösen. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Einziehung Grad der Behinderung Neufestsetzung Rechtskraft der Entscheidung Rechtswidrigkeit SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2245495.1.00Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021