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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §34 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Puck und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. Juni 1991, Zl. SD 87/91, betreffend Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. In der Anzeige vom 5. November 1989 hat der Meldungsleger Polizeiinspektor A auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung festgehalten, am 5. November 1989, um 16.40 Uhr, hätten er und Revierinspektor M mehrere Personskontrollen in Wien 2, Perspektivstraße (Parkplatz) bei Ausländern durchgeführt. Die Beschwerdeführerin, eine in Istanbul im Jahr 1958 geborene Studentin, habe die Polizeibeamten während der Amtshandlung durch Aussagen wie "Die brutale Wiener Polizei geht wie immer auf die Ausländer los; Ihr Trottel, laßt die unschuldigen Leute in Ruhe" gestört. Die Beschwerdeführerin sei vom Meldungsleger abgemahnt worden, ihr Verhalten einzustellen; trotzdem habe sie weiter mit den Polizeibeamten geschimpft. Trotz wiederholter "Aufmerksammachung", daß sie die Polizeibeamten bei der Amtshandlung nicht stören solle, und wiederholter Abmahnung, ihr Verhalten einzustellen, habe sie die Beamten mit "Trottel" und "eingebildete Affen" beschimpft. Der Beschwerdeführerin sei vom Meldungsleger die Festnahme in Aussicht gestellt worden, falls sie ihr Verhalten nicht einstelle. Nach Fortsetzung des strafbaren Verhaltens sei die Beschwerdeführerin um ca. 16.45 Uhr festgenommen worden. Durch ihr Verhalten sei die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört worden. Das Verhalten habe bei ca. 100 Personen Ärgernis erregt. Bemerkt werde, daß die Beschwerdeführerin die Polizeibeamten während ihrer Amtshandlung fotografiert habe.
Die Beschwerdeführerin gab in der Beschuldigtenvernehmung vom 5. November 1989 an, sie sei im Prater unterwegs gewesen und habe dort fotografieren wollen. Da sie sich auf Aufforderung der Polizeibeamten nicht habe ausweisen können, sei sie von den Beamten aufgefordert worden, ins Polizeiauto einzusteigen. Sie habe keine Amtshandlung gestört und auch nicht über die Polizei geschimpft. Nur hinsichtlich der ihr zur Last gelegten Übertretung nach dem Meldegesetz bekenne sie sich schuldig.
Der am 17. November 1989 als Zeuge vernommene Meldungsleger sagte aus:
"Ich halte die Anzeige vom 5.11.1989 voll inhaltlich aufrecht. Ich führte mit meinem Kollegen RevI M gerade Personskontrollen bei polnischen Staatsbürgern durch. Während dieser Amtshandlung fiel uns die Angezeigte auf, da sie ständig während der Amtshandlung fotografiert und anfing, auf die Polizei zu schimpfen. Zu diesem Zeitpunkt stand auch eine andere Dame bei der Angezeigten, ich vermute, daß dies eine Freundin war.
Es konnte die Amtshandlung gegenüber den Polen gerade noch durchgeführt werden, B schimpfte jedoch immer mehr, an den genauen Wortlaut kann ich mich nicht mehr erinnern, ich weiß nur, daß von "brutaler Polizei und Trottel" die Rede war.
Mein Kollege forderte sie höflich auf, wegzugehen und ihr Verhalten einzustellen. Daraufhin hat die Dame neben ihr den Ort der Amtshandlung verlassen. B schimpfte jedoch weiter und mußte von mir nach mehrmaliger Abmahnung festgenommen werden, da sie ihr Verhalten nicht einstellte.
Auf Befragen gebe ich an, daß B schon während der Amtshandlung ständig mit den Händen heftig gestikulierte und mir direkt vor dem Gesicht herumfuchtelte, ich hatte den Eindruck, daß sie uns an der Amtshandlung gegenüber den Polen behindern wollte. Deswegen wurde auch die Anzeige nach Art. IX/1/3 EGVG 1950 gelegt.
Auf Befragen gebe ich an, daß ich mit den Effekten der B nicht näher zu tun hatte, als daß diese am Kommissariat abgegeben worden sind. Bezüglich des Fotoapparates gebe ich an, daß ich diesen niemals in der Hand hatte. Von dem angeblich abhandengekommenen Film weiß ich nichts, jedoch möchte ich feststellen, daß die Angezeigte selbst zwischen dem Zeitpunkt des Fotografierens und den ersten Abmahnungen genug Zeit hatte, den Film verschwinden zu lassen, oder der Dame, welche neben ihr stand, zu übergeben."
Der zweite an der Amtshandlung beteiligte Polizeibeamte, Revierinspektor M, sagte am 17. November 1989 als Zeuge aus:
"Zum Tatzeitpunkt führten mein Kollege Insp. A und ich Kontrollen in der Perspektivstr. bezüglich Schwarzhandels durch poln. Staatsbürger durch.
Als wir gerade mit einer Amtshandlung bezüglich zweier Polen beschäftigt waren, bemerkte ich, daß die Angezeigte ständig herumfotografierte und lautstark die Polizei beschimpfte. Auch kam sie näher und fuchtelte wild gestikulierend vor dem Gesicht meines Kollegen herum, schimpfte laut über die brutale Vorgangsweise der Wiener Polizei, auch konnte ich deutlich die Worte "Trotteln und Affen" wahrnehmen.
Um die Amtshandlung nicht eskalieren zu lassen, wurde die Frau von mir vorerst höflich aufgefordert, wegzugehen und ihr Verhalten einzustellen.
Ich schätze ca. 100 Leute hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits angesammelt und taten durch Kopfschütteln ihren Unmut über das Verhalten der Angezeigten dar.
Als sie schließlich trotz mehrmaliger Ermahnungen und Androhung der Festnahme ihr Verhalten nicht einstellte, wurde sie festgenommen.
Bezüglich des Fotoapparates befragt gebe ich an, daß ich diesen nur einen kurzen Augenblick, nämlich bei der Effektenübergabe am Kommissariat in der Hand hatte.
Auf Befragen gebe ich an, daß ich keinen Film aus der Kamera genommen habe. Ich wüßte auch gar nicht, was ich damit anfangen sollte.
Ich möchte bemerken, daß B selbst aber durchaus die Möglichkeit hatte, noch vor ihrer Festnahme den Film weiterzugeben oder wegzuwerfen."
Die am 2. Februar 1990 als Zeugin vernommene E sagte aus, sie sei eine Freundin der Beschwerdeführerin und habe mit dieser Ausländer fotografiert. Zur Anzeige, wonach ihre Freundin die Polizeibeamten beschimpft und trotz Abmahnung immer weitergeschimpft sowie die Amtshandlung mit den Polen gestört habe, könne sie nur sagen, daß diese Angaben nicht richtig seien. Ihre Freundin habe die Beamten nicht beschimpft, insbesondere habe sie die Worte "Trottel" und "eingebildete Affen" nicht gebraucht.
1.2. Mit Straferkenntnis vom 27. Dezember 1990 legte die Bundespolizeidirektion Wien der Beschwerdeführerin zur Last, sie habe am 5. November 1989 um 16.40 Uhr in Wien 2, Bereich Perspektivstraße, 1.) dadurch, daß sie sich in eine polizeiliche Amtshandlung eingemischt und die Beamten mit Worten, wie "Trotteln, Affen, brutale Polizei" beschimpft habe, ein Verhalten gesetzt, welches Ärgernis zu erregen geeignet sei und auch tatsächlich bei zahlreichen Personen erregt habe, somit die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört habe,
2.) ... Sie habe dadurch zu 1.) den Art. IX Abs. 1 Z. 1
EGVG ... verletzt. Über die Beschwerdeführerin wurde zu
1.) eine Geldstrafe von S 800,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Stunden verhängt. Nach der Begründung dieses Bescheides gründe sich der im Spruch festgestellte Sachverhalt auf die Anzeige vom 5. November 1989, gelegt auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung des Meldungslegers, sowie auf das durchgeführte Ermittlungsverfahren. Es habe keine Veranlassung bestanden, die Aussagen der als Zeugen vernommenen Sicherheitswachebeamten zu bezweifeln. Diesen Aussagen sei höhere Glaubwürdigkeit zuzubilligen, als den Angaben der Beschuldigten und der von ihr angebotenen Zeugen.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Zum Nachweis, daß die Aussagen der Sicherheitswachebeamten zum Nachteil der Beschwerdeführerin abgesprochen gewesen seien, werde die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der forensischen Aussagepsychologie beantragt. Daß die Beschwerdeführerin geschimpft habe, sei die freie Erfindung dieser Zeugen, um ihr eigenes Fehlverhalten zu verschleiern. Beantragt werde auch die Einvernahme der Zeugin E zu diesem Thema und auch dazu, daß sich die Beschwerdeführerin nie einer Ausdrucksweise, wie sie ihr zur Last gelegt werde, befleißigt habe. Es würden eine vollständige Beweiswiederholung und eine mündliche Verhandlung beantragt.
1.3. Mit Bescheid vom 25. Juni 1991 gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien der Berufung zu Punkt 1 des erstinstanzlichen Straferkenntnisses keine Folge. Nach der Begründung dieses Bescheides erscheine der Berufungsbehörde der Tatbestand der Ordnungsstörung in ausreichendem Maße erwiesen. Beide Beamten hätten klar und ausdrücklich geschildert, daß die Beschwerdeführerin laut und deutlich die auch in der Anzeige deponierten Schimpfworte gebraucht habe. Dadurch sei, wie auch Revierinspektor M bezeugt habe, bei den zahlreichen umstehenden Personen Ärgernis erregt worden.
Die Berufungsbehörde sei entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht der Ansicht, die Aussagen der beiden Beamten ließen darauf schließen, sie wären vorher abgesprochen worden, um wahrheitswidrige Aussagen zu machen. Vielmehr seien die Aussagen, aus der Sicht der jeweiligen Beamten, deutlich unterschiedlich geschildert, wobei auffalle, daß sich z.B. der eine der Beamten an das Wort "Affen" nicht mehr habe erinnern können. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Beamten sei jedenfalls abzulehnen.
Die Berufungsbehörde habe den Aussagen der beiden Beamten mehr Glauben als der Zeugin E, die sich offenbar mit der Beschwerdeführerin solidarisiert habe, geschenkt. In diesem Zusammenhang sei bemerkenswert, daß die Beamten zunächst keineswegs der Beschwerdeführerin hätten habhaft werden wollen, um das inkriminierte Filmmaterial zu erlangen, sondern daß der eine Beamte den Fotoapparat zurückgegeben hatte. Eine neuerliche Vernehmung der Zeugin E zum Beweis dafür, daß der Vorwurf, geschimpft und gestikuliert zu haben, eine freie Erfindung der Beamten sei und daß die Beschwerdeführerin sich nie einer solchen Ausdrucksweise befleißige, sei abzulehnen. Abzulehnen sei auch die Durchführung einer Berufungsverhandlung, weil der Gebrauch der Schimpfworte ausreichend erwiesen sei.
1.4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
1.5. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
1.6. Mit Beschluß vom 11. Juni 1990, B 1539/89, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung einer von der Beschwerdeführerin erhobenen Beschwerde gegen die Bundespolizeidirektion Wien wegen Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Entfernung eines im Eigentum der Beschwerdeführerin stehenden Filmes aus ihrem Fotoapparat ab. Diese Beschwerde wurde dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten. Dieser wies mit Erkenntnis vom 15. November 1993, Zl. 92/10/0037, diese Beschwerde in Ermangelung eines Aktes unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und damit in Ermangelung eines tauglichen Beschwerdegegenstandes gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurück.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen:
2.1. Absatz 2 des Übergangsrechts zum VStG 1950 (VStG-Übergangsrecht 1991, Anlage 2 der Wiederverlautbarungskundmachung BGBl. Nr. 52/1991) lautet:
"(2) Am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren sind nach der bis zum Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 358/1990 (1. Jänner 1991) geltenden Rechtslage zu Ende zu führen."
Das Verwaltungsstrafverfahren war am 1. Jänner 1991 anhängig. Zutreffend ist daher die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (und nicht der Unabhängige Verwaltungssenat Wien) tätig geworden.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese verfahrensrechtliche Regelung sind aus Anlaß des Beschwerdefalles nicht entstanden. Im besonderen ergeben sich solche Bedenken auch nicht vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Gradinger gegen Österreich (ÖJZ 1995, 954), weil die hier anzuwendenden materiell-rechtlichen Verwaltungsstrafbestimmungen bereits in den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, auf die der österreichische Vorbehalt zu Art. 5 MRK Bezug nimmt, enthalten waren und daher die entsprechende Formulierung dieses österreichischen Vorbehaltes zu Art. 5 MRK den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 64 MRK Rechnung trägt. Auch bestehen keine Bedenken, den österreichischen Vorbehalt einerseits auf Geldstrafen und andererseits auch auf die Organisations- und Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 MRK zu beziehen. Die hier (noch) anzuwendende Regelung des Verwaltungsstrafverfahrens findet somit im österreichischen Vorbehalt zu Art. 5 MRK ihre rechtliche Deckung.
2.2. Art. IX Abs. 1 EGVG lautet auszugsweise:
"(1) Wer
1. durch ein Verhalten, das Ärgernis zu erregen geeignet ist, die Ordnung an öffentlichen Orten stört,
2. sich ungeachtet vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einer Militärwache, während sich diese Personen in rechtmäßiger Ausübung des Amtes oder Dienstes befinden, ungestüm benimmt,
3. ...
...
begeht, ... eine Verwaltungsübertretung und ist von der
Bezirksverwaltungsbehörde, im Wirkungsbereich einer
Bundespolizeibehörde in den Fällen der Z. 1, 2, ... von dieser,
mit Geldstrafe bis zu 3.000 S, ..., zu bestrafen. ..."
2.3. In der Beschwerde wird geltend gemacht, Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG regle als Spezialtatbestand gegenüber Art. IX Abs. 1 Z. 1 leg. cit. Verhaltensweisen, welche gegen die in Z. 2 genannten Organe gerichtet seien. Die der Beschwerdeführerin zur Last gelegte Verhaltensweise anläßlich einer polizeilichen Amtshandlung hätte unter den Tatbestand des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG subsumiert werden müssen.
Diese Rechtsauffassung ist unzutreffend. Bei den Tatbeständen nach Art. IX Abs. 1 Z. 1 und 2 EGVG handelt es sich nach der Rechtsprechung ihrem normativen Inhalt nach um zwei voneinander unabhängige Tatbilder, nämlich die Ordnungsstörung und das ungestüme Benehmen, wobei die Strafdrohungen einander nicht ausschließen; ein Fall der Scheinkonkurrenz liegt hier nicht vor (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1980, Zl. 3359/79 = ZfVB 1981/3/906). Es kommt nach der Rechtsprechung daher auch § 22 Abs. 1 zweiter Fall VStG zur Anwendung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 1982, Zl. 10/2843/80 = ZfVB 1983/4/1752).
2.4. In der Beschwerde wird weiters geltend gemacht, nach dem Spruch des Strafbescheides habe die Beschwerdeführerin anläßlich einer polizeilichen Amtshandlung Schimpfwörter gebraucht. Sie habe sich in eine Amtshandlung "eingemischt". Aktenkundig sei nun, daß es sich um eine Beweisaufnahme im Zusammenhang mit Verwaltungsstraftaten gehandelt habe, die von den am Tatort anwesenden Ausländern offenbar verübt worden seien. Der Gebrauch von Schimpfwörtern anläßlich der polizeilichen Amtshandlung sei nun nicht nach Art. IX EGVG, sondern nach § 34 Abs. 2 AVG zu beurteilen. Dafür spreche auch, daß die Entfernung der Beschwerdeführerin von den amtshandelnden Beamten gemäß § 34 Abs. 2 AVG verfügt worden sei. Es wäre daher die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach § 34 Abs. 2 AVG in Betracht zu ziehen gewesen.
Auch mit diesen Ausführungen wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides dargetan.
§ 34 Abs. 1 und 2 AVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 357/1990 lauteten:
"(1) Das Verwaltungsorgan, das eine Verhandlung, Vernehmung, einen Augenschein oder eine Beweisaufnahme leitet, hat für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Wahrung des Anstandes zu sorgen.
(2) Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, sind zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen werden oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 1000 S und, falls diese nicht einbringlich ist, Haft bis zu drei Tagen verhängt werden. Bei erschwerenden Umständen ist die selbständige oder gleichzeitige Verhängung einer Haftstrafe bis zur angegebenen Dauer zulässig."
Die belangte Behörde hat in ihrer Gegenschrift ausgeführt:
"Auch die Ansicht der Beschwerdeführerin, das ihr angelastete Verhalten sei nicht nach Art IX (Abs 1 Z 1) EGVG, sondern nach § 34 Abs 2 AVG zu beurteilen, ist nicht zutreffend. Abgesehen davon, daß Ordnungsstrafen gemäß § 34 AVG nur von Verwaltungsorganen im Rahmen eines behördlichen Verfahrens, nicht aber von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder von Organen der öffentlichen Aufsicht verhängt werden dürfen, schließt das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung einer Ordnungsstrafe nach Ansicht der belangten Behörde eine Bestrafung wegen Ordnungsstörung gemäß Art IX Abs 1 Z 1 EGVG bei Vorliegen der für dieses Delikt vorgesehenen Voraussetzungen nicht aus. Die Ansicht Ringhofers, wonach die Verhängung einer Verwaltungsstrafe dann nicht zulässig ist, wenn tatsächlich eine Ordnungsstrafe wegen derselben Handlung ausgesprochen wurde, ist für den vorliegenden Fall jedenfalls nicht von Bedeutung."
Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß im Beschwerdefall sowohl die Frage nach den Voraussetzungen einer Amtshandlung im Sinn des § 34 Abs. 2 AVG, das ist einer Verhandlung, einer Vernehmung, eines Augenscheines oder einer Beweisaufnahme im Sinne des § 34 Abs. 1 AVG, als auch die Frage nach der Tatbildidentität von Ordnungsstörung und Anstandsverletzung nach § 34 Abs. 2 AVG einerseits und nach dem EGVG andererseits im Beschwerdefall dahingestellt bleiben kann, weil eine Ordnungsstrafe im Sinn des § 34 Abs. 2 AVG nur gegen Personen verhängt werden kann, die zur Teilnahme an der Amtshandlung berechtigt sind. In diesem Sinn führen Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, RdZ 244, aus, daß gegen Personen, die nicht zur Teilnahme an der Amtshandlung berechtigt seien, die Verhängung einer Ordnungsstrafe unzulässig sei; der Leiter der Amtshandlung habe die Entfernung solcher Personen zu veranlassen. Diese Rechtsauffassung wird dem Charakter der Ordnungsstrafe als sitzungspolizeiliches Disziplinarmittel eigener Art gerecht. Das Verhalten der an einer Amtshandlung nicht teilnahmeberechtigten Personen ist verwaltungsstrafrechtlich an Hand der jeweiligen Verwaltungsstraftatbestände der Ordnungsstörung und der Lärmerregung zu beurteilen. Dies trifft umso mehr für jene nicht teilnahmeberechtigten Personen zu, die - wie hier zu Recht - aufgefordert wurden, sich zu entfernen. Davon, daß die amtshandelnden Beamten die Entfernung der Beschwerdeführerin gemäß § 34 Abs. 2 AVG verfügt haben, geht die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde selbst aus. Das Rechtsinstitut der ORDNUNGSstrafe im Sinn des § 34 Abs. 2 AVG stand daher der Verhängung der bekämpften VERWALTUNGSstrafe wegen Übertretung des Art. IX Abs. 1 Z. 1 EGVG über die Beschwerdeführerin nicht entgegen.
2.5. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bewirkt die hier vorgenommene Umschreibung des Tatortes in der Verfolgungshandlung und im Spruch des Straferkenntnisses nicht, daß Verjährung eingetreten wäre oder die Umschreibung der Straftat gegen § 44a lit. a VStG verstieße. Die Tathandlung wird hinsichtlich des Tatortes in der Anzeige mit "Wien 2., Perspektivstr. (Parkpl.)" in Ansehung der dort bewirkten Ordnungsstörung in angemessener Weise bezeichnet, wobei der Beschwerdeführerin der Akteninhalt, also auch die Anzeige, bei der niederschriftlichen Vernehmung vom selben Tag zur Kenntnis gebracht und ihr Gelegenheit gegeben worden war, dazu Stellung zu nehmen. Die erwähnte Bezeichnung des Tatortes ist im Zusammenhalt mit der angegebenen Tatzeit "um 16.40 Uhr" ausreichend konkretisiert, um die Beschwerdeführerin in die Lage zu versetzen, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise zur Widerlegung des Tatvorwurfes anzubieten, und um sie rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden. Zum Erfordernis der Umschreibung des Tatortes im Sinne des § 44a lit. a VStG, das unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes von Delikt zu Delikt ein verschiedenes sein wird, wird unter Bezugnahme auf § 43 Abs. 2 VwGG auf die hg. Erkenntnisse verstärkter Senate vom 13. Juni 1984, Slg. N.F. Nr. 11.466/A = ZfVB 1985/2/203, und vom 30. Oktober 1985, Slg. N.F. Nr. 11.894/A
= ZfVB 1986/3/1344, hingewiesen.
2.6. Die von der Beschwerdeführerin vermißten Feststellungen über das Verschulden der Beschwerdeführerin stellen keinen Verfahrensmangel dar, der zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führt.
Der Verwaltungsgerichtshof hält die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift ins Treffen geführten Argumente für die mangelnde Relevanz des behaupteten Mangels für zutreffend, wenn es dort heißt, zur Strafbarkeit genüge gemäß § 5 Abs. 1 VStG auch bei Erfolgsdelikten fahrlässiges Verhalten; die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin habe auch im Berufungsverfahren nie Zweifel daran geäußert, daß bei einem objektiven Verhalten, wie es ihr zur Last gelegt werde, das heißt bei einer durch Schimpfwörter herbeigeführten Ordnungsstörung, auch Fahrlässigkeit vorliege. Ein Mangel an Fahrlässigkeit wäre etwa nur bei der Annahme gegeben, daß die Beschwerdeführerin nicht damit hätte rechnen können, ihr Verhalten errege Ärgernis, etwa deswegen, weil sie die Personen, bei denen es tatsächlich Ärgernis erregte, nicht habe sehen können. Aus diesem Grund habe die belangte Behörde auch keine Veranlassung gesehen, besondere Ermittlungen hinsichtlich der Fahrlässigkeit in bezug auf das herbeigeführte Ärgernis zu führen und die subjektive Tatseite ausführlich zu begründen. Auch bei Vermeidung eines allfälligen Begründungsmangels dieser Art wäre sie zu keinem anderen Bescheid gekommen.
2.7. In der Beschwerde wird schließlich geltend gemacht, die Strafbehörden hätten sich mit den Beweismitteln nicht hinreichend und vollständig auseinandergesetzt. Die belangte Behörde habe nicht dargelegt, worin die ihrer Meinung nach unterschiedliche Schilderung des Sachverhaltes durch die vernommenen Polizeibeamten liege. Daß sich der eine der Beamten an das Schimpfwort "Affen" nicht erinnern könne, stütze die Argumentation der Behörde nicht, sondern spreche für die Unglaubwürdigkeit der ansonsten beinahe unisono ausgefallenen Angaben. Eine begründende Abwägung der Aussagen dieser beiden Belastungszeugen mit der Aussage der Zeugin E sei nicht erfolgt. Hier liege eine Mangelhaftigkeit der Begründung vor. Auch die Aussage des Zeugen F und die Aussagen der Beschwerdeführerin wären einer Stichhaltigkeitsprüfung zu unterziehen gewesen. Die Zeugin E wäre dazu ergänzend zu vernehmen gewesen, daß die Schimpfwörter nicht den von der Beschwerdeführerin gepflogenen Ausdrucksformen entsprächen. Auch hätte zu diesem Thema sowie zum Thema der Absprache der beiden Belastungszeugen über den Inhalt ihrer Aussagen ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Aussagepsychologie gehört werden müssen. Die persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin und eine allfällige Gegenüberstellung mit den Belastungszeugen in einer mündlichen Verhandlung wären geeignet gewesen, die Behörde zu einem anderen Ergebnis zu führen.
Damit bekämpft die Beschwerdeführerin die Beweiswürdigung der belangten Behörde.
Nach der Rechtsprechung schließt zwar § 45 Abs. 2 AVG eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, das heißt ob sie unter anderem den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen, weshalb wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung zur Aufhebung des Bescheides führen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. N.F. Nr. 8619/A). Ob aber der Akt einer Beweiswürdigung richtig in dem Sinne ist, daß z. B. eine den Beschwerdeführer belastende Darstellung und nicht dessen Verantwortung den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner (dargestellten eingeschränkten) Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, in dem weder in der Amtlichen Sammlung noch in der ZfVB veröffentlichten Teil).
Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß die oben unter Punkt 1.1. wiedergegebenen Zeugenaussagen der beiden an der Amtshandlung beteiligten Polizeibeamten wegen ihres übereinstimmenden relevanten Inhaltes zu Bedenken in der Richtung Anlaß geben, dieser Inhalt wäre in wahrheitswidrigerweise zu Lasten der Beschwerdeführerin zwischen ihnen abgesprochen worden. Der Ablauf des Geschehens wird aus der Sicht der in verschiedenen Funktionen an der Amtshandlung beteiligten Polizeibeamten durchaus eigenständig und mit eigenen Worten dargestellt; zu Recht wurde im angefochtenen Bescheid auch herausgestellt, daß eines der Schimpfwörter nur einem der beiden Zeugen erinnerlich gewesen sei. Dies kann durchaus eine lebensnahe Erklärung darin finden, daß die Beamten mit einer Amtshandlung beschäftigt waren, sich die Beschwerdeführerin zum Teil etwas entfernt hatte und auch nicht gesagt ist, daß sie fortlaufend dieselben Schimpfwörter verwendet hätte. Daß der Inhalt der Aussagen der Polizeibeamten in dem für die Beurteilung des Sachverhaltes maßgebenden Detail übereinstimmt, erscheint auch im Hinblick auf die kurze Zeitspanne zwischen dem Vorfall am 5. November und der Vernehmung am 17. November 1989 durchaus erklärlich. Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung der belangten Behörde, daß die Aussagen der Polizeibeamten als solche schlüssig sind und mit der Lebenserfahrung nicht im Widerspruch stehen. Das vom Beschwerdeführer gerügte Unterbleiben der Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Aussagepsychologie zum Beweis dafür, daß die Aussagen der beiden Polizeibeamten abgesprochen gewesen seien, und damit zur Frage deren Glaubwürdigkeit, stellt keinen Mangel des Verfahrens dar. Entscheidend ist somit die abwägende Würdigung der einander widersprechenden Depositionen der Zeugin E einerseits und der beiden Belastungszeugen andererseits. Der angefochtene Bescheid gibt eine - gewiß knappe - Begründung dafür, warum die belangte Behörde der Darstellung der Polizeibeamten mehr Glauben geschenkt hat als jener der Zeugin, nämlich daß sich die letztere mit der Beschwerdeführerin offenbar (also nach dem Inhalt ihrer Aussage) solidarisiert und nach dem Ablauf des gesamten Geschehens kein vernünftiger Grund dafür bestanden habe, warum die Aussagen der unter Diensteid aussagenden Polizeibeamten zu Lasten der Beschwerdeführerin als freie Erfindung anzusehen wären. Angesichts der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der freien Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof kann der Gerichtshof nicht finden, daß der belangten Behörde damit ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wahrzunehmender Verfahrensfehler unterlaufen wäre.
Zutreffend hat die belangte Behörde auch den möglichen Beweiswert eines Gutachtens über Gebrauch und Nichtgebrauch von Schimpfwörten durch die Beschwerdeführerin als unbedeutend erachtet; gleiches gilt auch für die Aussage des Zeugen F, welcher kein Tatzeuge war, zum Thema der Ausdrucksformen der Beschwerdeführerin.
Dadurch, daß die belangte Behörde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, einer neuerlichen Vernehmung der Beschwerdeführerin als Beschuldigte und einer Gegenüberstellung der Zeugen, die nach der hier anzuwendenden Gesetzeslage nicht geboten waren, vor dem Hintergrund der von ihr aufgenommenen Beweise nicht für erforderlich erachtet hat, wurden Verfahrensrechte der Beschwerdeführerin nicht verletzt.
2.8. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.
Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
2.9. Da die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten läßt, konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG von der beantragten Verhandlung abgesehen werden.
Für diesen Gebrauch des dem Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Bestimmung eingeräumten Ermessens war auch maßgebend, daß dem Beschwerdefall ein Verwaltungsstraftatbestand zugrundeliegt, der unter den Anwendungsbereich des österreichischen Vorbehaltes zu Art. 5 MRK und - darin eingeschlossen und bezogen auf diese Verfahren - zu den Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 MRK fällt (siehe auch oben Punkt 2.1).
2.10. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff Tatbild Beschreibung (siehe auch Umfang der Konkretisierung)Beweismittel Sachverständigenbeweis Besonderes FachgebietBeweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von Amtspersonenfreie BeweiswürdigungBeweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte ZeugenaussagenAblehnung eines BeweismittelsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1991100248.X00Im RIS seit
30.03.2001Zuletzt aktualisiert am
22.08.2011