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82/03 Ärzte, sonstiges SanitätspersonalNorm
B-VG Art83 Abs2, Art102 Abs4Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Entscheidung eines Landesverwaltungsgerichts; Tätigkeit der Ärztekammer als Bundesbehörde in einer Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches in unmittelbarer Bundesverwaltung nach dem ÄrzteG 1998; Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts trotz Novellierung des ÄrzteG 1998Spruch
I. Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid vom 29. Juli 2020 wies die Österreichische Ärztekammer ua den Antrag der beschwerdeführenden Partei vom 13. Juni 2019 auf Anerkennung als Ausbildungsstätte für die Ausbildung im Sonderfach Klinische Pathologie und Molekularpathologie (Sonderfach-Grundausbildung in 36 Monaten und Sonderfach-Schwerpunktausbildung in sieben Modulen) mit drei Ausbildungsstellen ab 1. Juli 2019 ab.
2. Hinsichtlich der Abweisung des Antrages erhob die beschwerdeführende Partei gegen den Bescheid vom 29. Juli 2020 Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol. Mit Erkenntnis vom 22. Jänner 2021 wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Beschwerde als unbegründet ab. Begründend führte es auf das Wesentliche zusammengefasst aus, dass der Antrag der beschwerdeführenden Partei ein solcher auf Anerkennung als Ausbildungsstätte gemäß §10 ÄrzteG 1998 gewesen sei; eine Anerkennung als Ausbildungsstätte für die Ausbildung im Sonderfach Klinische Pathologie und Molekularpathologie sei aber für Krankenanstalten in der Rechtsform selbstständiger Ambulatorien gemäß §13 ÄrzteG 1998 – wie im Fall der beschwerdeführenden Partei – nicht möglich.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
4. Die Bundesregierung und die Landesregierungen haben auf Anfrage des Verfassungsgerichtshofes mitgeteilt, dass vor Kundmachung der Bestimmungen des ÄrzteG 1998, die im vorliegenden Fall – allenfalls denkmöglich – angewendet wurden bzw anzuwenden gewesen wären, die gemäß Art102 Abs4 B-VG erforderliche Zustimmung der beteiligten Länder nicht eingeholt worden sei.
5. Die Österreichische Ärztekammer und das Landesverwaltungsgericht Tirol haben die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§10 Abs1, 117c Abs1 Z1 und 195f des Bundesgesetzes über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl I 169, idF BGBl I 82/2014 (§10 Abs1 und §117c Abs1 Z1) bzw idF BGBl I 144/2009 (§195f) lauten:
"Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Facharzt
§10. (1) Ausbildungsstätten für die Ausbildung gemäß §8 sind Abteilungen und sonstige Organisationseinheiten von Krankenanstalten, einschließlich Universitätskliniken, sonstige Organisationseinheiten von Medizinischen Universitäten oder Universitäten, an denen eine Medizinische Fakultät eingerichtet ist, Sonderkrankenanstalten, Untersuchungsanstalten der Gesundheitsverwaltung, arbeitsmedizinische Zentren gemäß §80 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG), BGBl Nr 450/1994, Anstalten, die für die Unterbringung geistig abnormer oder entwöhnungsbedürftiger Rechtsbrecher bestimmt sind, sowie Krankenabteilungen in Justizanstalten, die von der Österreichischen Ärztekammer als Ausbildungsstätten für die Ausbildung zum Facharzt eines Sonderfaches anerkannt worden sind.
(2)-(13) […]
[…]
Übertragener Wirkungsbereich
§117c. (1) Die Österreichische Ärztekammer hat im übertragenen Wirkungsbereich folgende Aufgaben wahrzunehmen:
1. Durchführung von Verfahren betreffend ärztliche Ausbildungsstätten und Lehrambulatorien gemäß §§6a Abs3 Z2, 9, 10, 13 und 13a,
[…]
(2) […]
[…]
Weisungsrecht gegenüber der Österreichischen Ärztekammer
§195f. (1) Die Österreichische Ärztekammer sowie Dritte, derer sich die Österreichische Ärztekammer zur Aufgabenerfüllung bedient, sind im übertragenen Wirkungsbereich bei der Vollziehung der Angelegenheiten einschließlich der Erlassung von Verordnungen an die Weisungen des Bundesministers für Gesundheit gebunden.
(2) Die Aufhebung weisungswidriger Beschlüsse obliegt dem Bundesminister für Gesundheit."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002).
3. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Tirol unterlaufen:
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass in Verfahren nach §10 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 25/2017 die Österreichische Ärztekammer als Bundesbehörde iSd Art102 Abs4 B-VG gemäß §117c Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 82/2014 tätig wurde (vgl VfSlg 20.375/2020).
In dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof zwar ua die Zeichenfolge "10," in §117c Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 82/2014 als verfassungswidrig aufgehoben, da zur Übertragung der Aufgabe der Durchführung von Verfahren betreffend ärztliche Ausbildungsstätten an die Österreichische Ärztekammer eine Zustimmung der Länder gemäß Art102 Abs4 B-VG nicht erfolgte; dies jedoch unter dem Ausspruch, dass die Aufhebung (erst) mit Ablauf des 31. März 2021 in Kraft tritt.
Da die Österreichische Ärztekammer den Antrag der beschwerdeführenden Partei bereits mit Bescheid vom 29. Juli 2020 (der beschwerdeführenden Partei zugestellt am 10. August 2020) abgewiesen hat, wurde sie auf Grund der – anzuwendenden und bis zum Ablauf des 31. März 2021 unangreifbaren – Bestimmung des §117c Abs1 Z1 ÄrzteG 1998 idF BGBl I 82/2014 in einer Angelegenheit des übertragenen Wirkungsbereiches in unmittelbarer Bundesverwaltung tätig. Ungeachtet der danach erfolgten Novellierungen (von Teilen) des §117c Abs1 ÄrzteG 1998 war daher im vorliegenden Verfahren das Bundesverwaltungsgericht zuständig.
IV. Ergebnis
1. Die beschwerdeführende Partei ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Ärztekammer, Wirkungsbereich übertragener, Bundesverwaltung unmittelbare, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E827.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021