TE OGH 2021/10/22 8Ob83/21w

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Veröffentlicht am 22.10.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** P*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** B*****, vertreten durch Höhne, In der Maur Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Einräumung der Liftbenützung und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Februar 2021, GZ 40 R 240/20w-16, womit das Urteil des Bezirksgerichts Meidling vom 19. Juli 2020, GZ 28 C 168/20f-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Die Klägerin ist aufgrund eines am 5. 6. 1975 abgeschlossenen Mietvertrags Hauptmieterin einer im dritten Stock eines Altbaus gelegenen Wohnung. Der Mietvertrag wurde unter Verwendung eines Standardformulars erstellt, in dessen Punkt 6. eine Regelung über die Benützung „des Aufzugs – der Zentralheizung“ gegen Entrichtung eines Anteils an den „Kosten der Erhaltung und des Betriebs, der gegenwärtig ... Prozent beträgt“ vorgedruckt war. Dieser Formularpunkt wurde von den Vertragsparteien nicht ausgefüllt, weil damals im Haus kein Lift vorhanden war.

[2]            Der Beklagte ist ein Sohn des früheren Hauseigentümers und Vermieters. Seit 2017 ist er Wohnungseigentümer des Mietobjekts.

[3]            Im Jahr 2009 wurde im Zuge eines Dachbodenausbaus im Haus ein Lift aus Eigenmitteln der damaligen Hauseigentümer errichtet. Für die Benützung ist ein Schlüsselchip erforderlich. Die Hauseigentümer teilten den Mietern per Aushang mit, dass „die meisten von ihnen“ den Lift kostenlos mit dem Chip benützen könnten. Für den Fall einer missbräuchlichen Verwendung, etwa für Lastentransporte, bleibe ein Widerruf der Berechtigung vorbehalten.

[4]            Der Klägerin wurde kein Schlüsselchip ausgefolgt. Das Motiv dafür war, dass sie sich 2005 oder 2006 einem Versuch der Hauseigentümer, die zuvor über rund 15 Jahre verabsäumten Indexerhöhungen des Mietzinses „nachzuholen“, erfolgreich widersetzt hatte. Dies hatte zur Folge, dass ihr Nettomietzins für die 96 m² große Wohnung relativ niedrig geblieben ist. Aufgrund dieser Vorgeschichte ist der Beklagte nicht einmal gegen eine angebotene Mietzinserhöhung um 100 EUR bereit, der Klägerin eine Liftbenützung einzuräumen.

[5]            Neben der Klägerin gab es zunächst zwei weitere Mieter, die keinen Schlüsselchip erhielten. Seit 2012 ist sie die einzige Hausbewohnerin, die von der Liftbenützung ausgeschlossen ist.

[6]             Im März 2020 musste der schwerkranke Ehegatte der Klägerin mit einem Rettungstransport abgeholt werden, wofür der Lift verwendet wurde. Der Beklagte teilte daraufhin schriftlich mit, dass das Verbot der Liftbenützung aufrecht sei und auch für betreuende Rettungs- und Santiätsdienste gelte.

[7]       Der Ehegatte der Klägerin ist im April 2020 verstorben. Sie selbst hat keine gesundheitlichen Einschränkungen.

[8]            Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr die Liftbenützung im Haus einzuräumen, insbesondere durch Ausfolgung eines Schlüsselchips, außerdem wird ein Feststellungsbegehren erhoben. Sie habe aufgrund des Mietvertrags das Recht erworben, einen bestehenden Lift gegen Betriebskostenersatz zu benützen und benötige ihn wegen ihres mittlerweile fortgeschrittenen Alters. Nach § 4 MRG hätte sie, wäre er nicht mittlerweile vorhanden, einen Anspruch auf Errichtung eines Lifts gehabt. Die Weigerung des Beklagten sei bösartig und schikanös.

[9]            Der Beklagte wandte ein, die Klägerin habe eine Wohnung ohne Lift gemietet. Eine Benützungsvereinbarung über den neu errichteten Aufzug sei nie getroffen worden.

[10]           Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

[11]           Der Vermieter, der auf seine alleinigen Kosten erstmalig eine Aufzugsanlage errichtet habe, könne aufgrund seines Eigentumsrechts entscheiden, ob er einem Mieter das Recht auf Mitbenützung der Anlage einräumen wolle. Mangels einer Vereinbarung sei der Mieter von der Benützung ausgeschlossen. Aus dem Mietvertrag könne die Klägerin kein Benützungsrecht ableiten, weil damals kein Lift existiert habe und der im Formular enthaltene Vertragspunkt dementsprechend nicht ausgefüllt worden sei. Eine Leistung, auf die kein Rechtsanspruch bestehe, könne nicht mit der Behauptung begehrt werden, dass ihre Verweigerung schikanös sei. Sittenwidrigkeit sei ebenfalls zu verneinen, zumal die Klägerin eine Wohnung ohne Lift angemietet habe.

[12]           Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, erklärte aber die ordentliche Revision bei einem 5.000 EUR übersteigenden Wert des Entscheidungsgegenstands für zulässig, weil zur Frage, ob den Beklagten allenfalls bezüglich der Liftbenützung ein Kontrahierungszwang gegenüber der Klägerin treffe, aufgrund der neueren Judikatur eine Klarstellung durch das Höchstgericht geboten erscheine.

[13]           Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[14]           1. Die richtige Auslegung eines Vertrags ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042936; RS0042776 ua). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte.

[15]           Das Ergebnis der Vorinstanzen, dass die Parteien des Mietvertrags unter den festgestellten Umständen keinen Willen hatten, die Benützung eines nicht vorhandenen und damals auch nicht geplanten Aufzugs zu regeln, bewegt sich jedenfalls im Rahmen des den Gerichten bei der Vertragsauslegung zukommenden Ermessensspielraums und ist nicht korrekturbedürftig.

[16]           2. Bei dem im Jahre 2009 an alle Mieter gerichteten Aushang, in dem sie über die Bedingungen für die künftige Nutzung des Aufzugs informiert wurden, handelt es sich mangels Annahme (§ 861 ABGB) um keinen Vertrag, sondern allenfalls um ein Anbot, von dem einzelne Mieter – darunter unstrittig die Klägerin – ausdrücklich ausgenommen waren. Die auf einen Vertrag zu Gunsten Dritter abzielenden Revisionsausführungen gehen daher ins Leere.

[17]           3. Die Klägerin macht keinen Erhaltungsanspruch nach § 3 MRG geltend. Für die Vorinstanzen bestand demzufolge auch keine Veranlassung, die Klage in das außerstreitige Verfahren zu überweisen.

[18]           4. Inwiefern sich aus den im Wiener Rettungs- und Krankentransportgesetz geregelten Befugnissen der „für Rettungs- und Krankentranspote tätigen Personen“ ein persönliches Recht der Klägerin ergeben sollte, ist nicht nachvollziehbar. Mit den Revisionsausführungen wird vielmehr zugestanden, dass einem allfälligen Rettungstransport der Klägerin kein rechtliches Hindernis entgegenstünde. Dass die Klägerin selbst in einer Rettungsorganisation tätig wäre, hat sie im Verfahren nicht behauptet.

[19]           5. Nach dem Sachverhalt stellt sich auch die im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts dargelegte Rechtsfrage der Voraussetzungen und Grenzen eines Kontrahierungszwangs nicht.

[20]           Der Beklagte ist nach dem Akteninhalt nicht alleiniger Liegenschaftseigentümer, sondern nur einer von mehreren Wohnungseigentümern. Inwieweit die Einräumung von noch nicht bestehenden Benützungsrechten an allgemeinen Teilen der Liegenschaft, auf der Wohnungseigentum begründet wurde, zugunsten von Personen, die nicht Wohnungseigentümer sind, nicht zu den Angelegenheiten der allgemeinen Verwaltung gemäß § 28 WEG gehört, wird nicht dargestellt.

[21]           Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO würde sich aber auch unter der Voraussetzung, dass der Beklagte rechtlich und tatsächlich in der Lage wäre, der Klägerin die begehrte Benützungsmöglichkeit einzuräumen, nicht stellen.

[22]           Der private Vermieter von Wohnungen eines einzigen Hauses hat keine den Wohnungsmarkt beherrschende monopolähnliche Stellung. Der bloße Umstand, dass ein konkreter geäußerter Vertragswunsch nur von einer bestimmten Person erfüllt werden könnte, begründet noch keine Monopolstellung mit der Folge einer Abschlussverpflichtung (vgl RS0026711).

[23]           Liegt weder ein gesetzlich angeordneter Kontrahierungszwang vor, noch lässt er sich aus einer marktbeherrschenden Stellung des Anbieters ableiten, kann sich im privaten Bereich die Pflicht zum Abschluss eines Vertrags nur aus dem Verbot des Rechtsmissbrauchs ergeben.

[24]           Die Judikatur nimmt Rechtsmissbrauch nicht schon dann an, wenn ein Vertragsabschluss unbegründet, aus einer Laune oder aus persönlicher Abneigung verweigert wird. Als Ausdruck des allgemeinen Gedankens der Privatautonomie gilt im Schuldrecht das Prinzip der Vertragsfreiheit, also auch der Entscheidungsfreiheit, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wird (RS0013940).

[25]           Eine Einschränkung des Grundsatzes der Privatautonomie wird nur bei Vorliegen besonderer Umstände zur Lösung schwerwiegender Interessenkollisionen in Kauf genommen (6 Ob 211/17y; vgl RS0113652). Wenn sich zum Vorwurf der Schikane ein Verstoß gegen besondere Treuepflichten gesellt, ist auch ein Zwang zum Vertragsabschluss in Erwägung zu ziehen (RS0118131; 6 Ob 211/17y; 5 Ob 82/03z = wobl 2005/87 [Schauer]). Ein Zwang ist selbst in einer Wohnungseigentumsgemeinschaft nur dann anzunehmen, wenn ein konkret drohender Schaden vom anderen Teil abgewendet wird und die Nachteile für den Betroffenen gleichzeitig so gering sind, dass seine Verweigerungshaltung nur noch mit Schikane erklärt werden kann (6 Ob 211/17y = RS0118131 [T3]).

[26]           Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine Frage des Einzelfalls. Hier ist dies schon mangels eines der Klägerin konkret drohenden Schadens nicht der Fall. Die Beurteilung des Berufungsgerichts liegt daher im Rahmen des ihm zukommenden Ermessensspielraums.

[27]           6. Der Versuch, die vom Berufungsgericht übernommenen Sachverhaltsfeststellungen des Erstgerichts als unrichtig darzustellen, stellt sich als eine im Revisionsverfahren unzulässige Anfechtung der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen dar. Diese Rechtsmittelbeschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert wird (RS0043371 [T24, T28]).

[28]           7. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO war die Revision zurückzuweisen.

[29]     Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen (RS0112296).

Textnummer

E133287

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00083.21W.1022.000

Im RIS seit

15.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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