Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 16. November 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Strafsache gegen ***** P***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 19. Mai 2021, GZ 17 Hv 110/20y-123, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** P***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 2 Z 1 (iVm Abs 1 Z 1), 130 Abs 3 (iVm Abs 1 erster Fall) StGB schuldig erkannt.
[2] Danach hat er gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 1 und Z 3 zweiter Fall StGB) und mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz anderen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 5.000 Euro übersteigenden Wert durch Einbruch in Wohnstätten weggenommen, und zwar
I/ am 13. Jänner 2020 in S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit zumindest einem Mittäter ***** U*****, indem er oder ein Mittäter ein WC-Fenster mit einem Flachwerkzeug aufzwängte, zumindest ein Mittäter das Wohnhaus durch dieses Fenster bestieg und zahlreiche Schmuckgegenstände und Bargeld im Wert von 3.000 Euro an sich nahm, wobei P***** sich im Außenbereich des Hauses bereit hielt, um beim Abtransport des Diebsgutes behilflich zu sein;
II/ am 20. Februar 2020 in V***** allein oder im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem oder mehreren Mittätern B***** J***** und V***** J*****, indem er oder ein Mittäter ein ebenerdig gelegenes Schlafzimmerfenster mit einem Flachwerkzeug aufzwängte, durch diese Öffnung in das Wohnhaus einstieg und zahlreiche Schmuckgegenstände, Goldmünzen und Bargeld im Gesamtwert von mindestens 50.000 Euro wegnahm.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 8 und 11 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.
[4] Die Tatsachenrüge (Z 5a) bezieht sich mit ihrem Vorbringen gegen die Feststellungen zu Anzahl und Wert der zu Punkt II weggenommenen Goldmünzen (US 5) nicht auf eine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidende Tatsache, die allein den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS-Justiz RS0118780). Denn schon aus der konstatierten (und vom Beschwerdeführer zugestandenen) Menge an weggenommenem Bargeld resultiert (mit Blick auf den Zusammenrechnungsgrundsatz des § 29 StGB) eine Überschreitung der Qualifikationsgrenze des § 128 Abs 1 Z 5 StGB. Im Übrigen ergeben sich aus den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Unsicherheiten der Zeugen B***** J***** und V***** J***** bei der Angabe zu Herkunft und genauer Stückzahl der erbeuteten Goldmünzen keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der mit Blick auf diese Qualifikationsgrenze relevanten Feststellungen.
[5] Indem der Beschwerdeführer dieses Vorbringen undifferenziert (nominell) auch auf Z 5 stützt, vernachlässigt er den wesensmäßigen Unterschied der Nichtigkeitsgründe und das daraus folgende Gebot zu deren gesonderter Ausführung (RIS-Justiz RS0115902).
[6] Keine entscheidende Tatsache betrifft auch die (nominell auf Z 5 dritter Fall gestützte [vgl aber RIS-Justiz RS0099602]) Kritik, der zu II weggenommene Bargeldbetrag sei im Vergleich zu Verfahrensergebnissen um 300 Euro zu hoch konstatiert worden.
[7] Entgegen dem aus Z 8 erstatteten Einwand betrifft der vom Gericht angewendete (nach § 39 Abs 1 StGB erweiterte) Strafrahmen nicht die – ausschließlich anhand des prozessualen Tatbegriffs zu beurteilende (vgl RIS-Justiz RS0102147) – Frage nach der Identität der von Anklage und Urteil umfassten Taten. Dass im Anklagetenor (§ 211 Abs 1 Z 3 StPO) auf § 39 Abs 1 StGB nicht hingewiesen wurde, ist daher unter diesem Aspekt ohne Bedeutung. Im Übrigen wurden die Vorstrafen des Beschwerdeführers in der Anklage erwähnt (ON 67 S 2) und anhand der Auskunft aus dem Europäischen Strafregisterinformationssystem (ECRIS [ON 14]) in der Hauptverhandlung erörtert (ON 122 S 7 f), sodass von einer – allenfalls aus Z 5a relevanten – Überraschung des Beschwerdeführers durch Annahme der Voraussetzungen des erweiterten Strafrahmens keine Rede sein kann (vgl RIS-Justiz RS0120025).
[8] Entgegen der Sanktionsrüge (nominell Z 11 erster Fall) hat das Spezialitätsprinzip (§ 31 EU-JZG) keine Auswirkung auf die Frage des anzuwendenden Strafrahmens (hier § 39 Abs 1 StGB). Dass der Beschwerdeführer wegen einer vor seiner Übergabe begangenen Handlung (vgl zur maßgeblichen Begrifflichkeit RIS-Justiz RS0087147; Hinterhofer in WK2 EU-JZG § 31 Rz 13 f) verurteilt worden sei, auf die sich der gegen ihn erlassene Europäische Haftbefehl (ON 26) nicht erstreckt habe, behauptet die Rüge (zu Recht) nicht.
[9] Das weitere Vorbringen kritisiert – grundsätzlich zulässig (zum Gegenstand einer Rüge nach Z 11 zweiter Fall und deren Abgrenzung von der Berufung vgl RIS-Justiz RS0116641; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 685, 694, 698 und 706 f) – die ausdrückliche Verneinung der Voraussetzungen des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB durch das Erstgericht (US 12 f). Dabei stützt sich der Beschwerdeführer insbesondere auf die vom Oberlandesgericht Wien in der Haftbeschwerdeentscheidung vom 27. April 2021, AZ 20 Bs 98/21i, festgestellte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§ 9 Abs 2, § 177 Abs 1 StPO) durch vom Vorsitzenden des Schöffengerichts zu verantwortende Verzögerungen bei der Einholung zweier Sachverständigengutachten, der Ausschreibung der (fortgesetzten) Hauptverhandlung am 17. März 2021 für den 19. Mai 2021 und bei der Vorlage der Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht (ON 117 S 1 ff und 21 ff). Die daraus resultierende Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art 5 MRK) wurde indes durch diese Feststellung des Beschwerdegerichts anerkannt und durch den Auftrag an das Erstgericht, das weitere Verfahren zügig und verzögerungsfrei durchzuführen, ausgeglichen (vgl 14 Os 108/08a; RIS-Justiz RS0061078 [T2], RS0124006 [T8]; Kier, WK-StPO § 9 Rz 53), sodass eine Strafmilderung zur Beseitigung der Opferstellung im Sinn des Art 34 MRK insoweit nicht erforderlich ist. Darüber hinaus vermag der Beschwerdeführer eine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer nicht aufzuzeigen. Da die Verfahrensdauer hier insgesamt verhältnismäßig war, wäre Strafmilderung nur bei längeren Phasen behördlicher Inaktivität geboten (vgl RIS-Justiz RS0124901 [T3]; Kier, WK-StPO § 9 Rz 10 und 26). Aus einer Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen resultiert nämlich keineswegs per se eine Verletzung auch der in Art 6 Abs 1 MRK verankerten Garantie auf Entscheidung „innerhalb einer angemessenen Frist“ oder der durch § 34 Abs 2 StGB abgesicherten Verhältnismäßigkeit der Verfahrensdauer (zum unterschiedlichen Maßstab von Art 5 Abs 3 zweiter Satz und Art 6 Abs 1 MRK vgl Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 5 Rz 80; Renzikowski in Pabel/Schmahl, IntKomm EMRK Art 5 Rz 291). Im von der Beschwerde angesprochenen Verfahrensabschnitt bestellte der Vorsitzende nach Vertagung der Hauptverhandlung am 2. Dezember 2020 (ON 86 S 20 f) zwei Sachverständige zur Erstattung schriftlicher Gutachten (ON 89 und 94), wobei er jeweils auf die Dringlichkeit in der „Haftsache“ hinwies. Weiters erteilte er – in Entsprechung eines Beweisantrags der Verteidigung (ON 93) – der Kriminalpolizei einen Ermittlungsauftrag (ON 1 S 39 verso f), dessen Ergebnis (ON 97) am 26. Jänner 2021 einlangte. Nachdem das zweite Sachverständigengutachten dem Gericht am 5. März 2021 übermittelt worden war (ON 101 S 7), schrieb der Vorsitzende mit Verfügung vom 17. März 2021 die (fortgesetzte) Hauptverhandlung für den 19. Mai 2021 aus (ON 1 S 47), an welchem Tag auch das Urteil verkündet wurde. Dieser (späte) Hauptverhandlungstermin war unter anderem durch Terminkollisionen eines der beiden Sachverständigen bedingt (vgl ON 106). Insgesamt kann darin eine längere Phase behördlicher Inaktivität (unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK) nicht erblickt werden.
[10] Schließlich rekurriert der Beschwerdeführer auf eine Passage in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über seine Grundrechtsbeschwerde vom 22. Juni 2021, AZ 14 Os 65/21x, in welcher auf verzögerte Vorlage derselben verwiesen wird (ON 136 S 3). Die Frage nach einer aus diesem Verstoß gegen haftrelevante Vorschriften (§ 4 Abs 2 GRBG, § 9 Abs 2 letzter Satz StPO) resultierenden Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit (vgl RIS-Justiz RS0061078 [T2]) kann hier jedoch dahinstehen, weil die Verzögerung erst nach der Urteilsverkündung eintrat, ab welchem Zeitpunkt die Garantie des Art 5 Abs 3 zweiter Satz MRK nicht mehr zum Tragen kommt (Grabenwarter/Pabel, EMRK7 § 21 Rz 28 und 58; Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 5 Rz 73 und 81; Renzikowski in Pabel/Schmahl, IntKomm EMRK Art 5 Rz 138 und 298; vgl auch 14 Os 139/04; 14 Os 43/07s). Ebenso wenig hatte sie auf die Verfahrensdauer unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 MRK – mit Blick auf die hier relevante Frage allfälliger Nichtigkeit (nach Z 11 zweiter Fall) wegen Verneinung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB – Einfluss.
[11] Die erschwerende Annahme mehrfacher „Deliktsqualifikation“ (US 12) verstößt nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB), weil der Erschwerungsgrund des § 33 Abs 1 Z 1 StGB schon durch die Tatwiederholung erfüllt ist und überdies die Qualifikation nach § 128 Abs 1 Z 5 StGB die Strafdrohung nicht (mit-)bestimmt (RIS-Justiz RS0116020).
[12] Die aggravierende Wertung der mehrfachen Verurteilung wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender Taten (US 12) bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen einer Strafschärfung nach § 39 Abs 1 StGB verstößt ebenso wenig gegen das Doppelverwertungsverbot, weil sich dieses nur auf subsumtionsrelevante Umstände bezieht, während § 39 StGB eine reine – den Strafsatz nicht bestimmende – Strafrahmenvorschrift darstellt (jüngst 14 Os 53/21g; allgemein RIS-Justiz RS0130193; eingehend Ratz, WK-StPO § 281 Rz 668/4 und 711; kritisch Ebner in WK2 StGB § 32 Rz 59 ff; vgl auch RIS-Justiz RS0133690 [zur Rechtsnatur des § 39 StGB]).
[13] Soweit die Sanktionsrüge schließlich reklamiert, das Erstgericht habe es (ohne inhaltliche Stellungnahme hiezu) unterlassen, mehrere Umstände („untergeordneter Tatbeitrag, Vorliegen einer verlockenden Situation“) mildernd zu werten, erstattet sie bloß ein Berufungsvorbringen (RIS-Justiz RS0099920; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 709).
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
[15] Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung.
[16] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E133276European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00082.21X.1116.000Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021