Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 24. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen J***** P***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 18. März 2021, GZ 13 Hv 91/20z-32, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde J***** P***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (B) und mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 (zu ergänzen) Z 1 und 15 StGB (C) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in S***** und andernorts
(A) in der Nacht zum 8. Februar 2020 seine damalige Ehefrau T***** P***** mit Gewalt, und zwar indem er sie würgte, ihr Faustschläge versetzte, sie durch einen Stoß zu Boden brachte und ihr die Beine auseinander drückte, zur Duldung einer Vaginalpenetration mit zumindest einem Finger, somit einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, genötigt,
(B) zumindest ab dem Jahr 2014 bis zum 28. Februar 2020, somit eine längere Zeit hindurch, gegen T***** P***** fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie durch im Urteil beschriebene Handlungen am Körper misshandelte sowie vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 StGB beging, weiters
(C) T***** P***** wiederholt durch gefährliche Drohungen „mit dem Tod und/oder mit der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz“ zu einer Handlung oder Unterlassung genötigt oder zu nötigen versucht, und zwar
1) am 8. Februar 2020 nach dem zu A beschriebenen Vorfall zur Unterlassung wahrheitsgemäßer Angaben im Zuge einer ambulanten Behandlung im Universitätsklinikum T***** und zur Abstandnahme von einer polizeilichen Anzeigenerstattung durch die Äußerung, sie werde sonst ihre finanzielle Existenz und die gemeinsamen Kinder verlieren,
2) am 24. Februar 2020 zur Abstandnahme von einer Anzeigenerstattung durch die Äußerung, er werde sie sonst umbringen, und
3) vom 29. Februar 2020 bis zum 3. März 2020 in täglichen Angriffen zur Zurücknahme der Anschuldigungen gegen ihn durch die fernmündliche Äußerungen, er werde sie sonst umbringen und ihre Existenz zerstören, wobei es jeweils beim Versuch blieb.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richtet sich die aus Z 5, 5a, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Feststellungen zur objektiven Tatseite leitete das Erstgericht aus den für glaubwürdig befundenen Angaben der Zeugin T***** P***** ab (US 10 und 13). Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) ist diese Ableitung nicht zu beanstanden.
[5] Indem die Mängelrüge (Z 5) die Überzeugung der Tatrichter von der Unglaubwürdigkeit der Aussage des Angeklagten (US 14) als offenbar unzureichend begründet bezeichnet, verlässt sie den aus Z 5 eröffneten Anfechtungsrahmen (vgl RIS-Justiz RS0106588 [insbesondere T6 und T12]). Dieser kritisch-psychologische Vorgang ist nämlich einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (vgl RIS-Justiz RS0099419 [insbesondere T2]).
[6] Soweit die Rüge angeblich aggressives und ehewidriges Verhalten der T***** P***** nachzuweisen trachtet, ins Treffen führt, dass der Angeklagte die gemeinsamen Kinder beaufsichtigt habe, während die Genannte an mehreren Tagen im Jänner und Februar mit seiner Zustimmung „ausgehen durfte“, vorbringt, T***** P***** habe betreffend eine Erkrankung ihres Blutes und ihrer Nieren der Zeugin M***** P***** gegenüber die Unwahrheit gesagt, auf den kirchlichen Ehebund im Jahr 2017 verweist und kritisiert, dass das Erstgericht angebliche Eifersucht des Angeklagten nicht näher hinterfragt habe, stellt sie keinen Bezug zum Ausspruch über eine entscheidende Tatsache her (siehe aber RIS-Justiz RS0106268) .
[7] Da die Angaben der M***** P*****, sie habe am Körper ihrer Schwiegertochter T***** P***** weder Verletzungen wahrgenommen noch sei sie von Misshandlungen oder Drohungen des Angeklagten informiert worden, den von der Beschwerde insoweit angesprochenen Feststellungen zur objektiven Tatseite nicht entgegen stehen, musste sich das Gericht damit zur Vermeidung von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) keineswegs auseinandersetzen.
[8] Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet. Soweit die Beschwerde die Tatsachenrüge (Z 5a) „in eventu“ auch zur Mängelrüge (Z 5) erklärt, wird sie diesen Anforderungen nicht gerecht (RIS-Justiz RS0115902).
[9] Erhebliche Bedenken im Sinn der Z 5a können
– soweit hier relevant (Fehler in der Sachverhaltsaufklärung werden nicht behauptet) – nur aus in der Hauptverhandlung Vorgekommenem (§ 258 Abs 1 StPO), nicht – wie vorgebracht – aus dem (angeblichen) Fehlen von Beweisen abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0128874).
[10] Im Übrigen erschöpft sich das aus Z 5a Vorgebrachte in einem unzulässigen Angriff auf die tatrichterliche Annahme von der Glaubwürdigkeit der Zeugin T***** P***** (RIS-Justiz RS0106588 [T9]).
[11] Nach den Feststellungen zum Schuldspruch B versetzte der Angeklagte T***** P***** mit auf fortgesetzte Gewaltausübung gerichtetem Vorsatz ab dem Jahr 2014 zirka dreimal pro Monat Stöße, wodurch sie teilweise zu Sturz kam und Abschürfungen erlitt, darüber hinaus würgte sie der Angeklagte wiederholt und verlangte von ihr zu „spuren, so wie er es gerne hätte“, ab Oktober 2019 versetzte er ihr zumindest einmal pro Woche Faustschläge, wodurch die Genannte mehrfach Blutergüsse und Prellungen am Körper erlitt, ab Sommer 2019 bedrohte er sie mehrmals pro Woche mit dem Umbringen, wenn er sie mit einem anderen erwischen würde, wobei er die Genannte dadurch in Furcht und Unruhe versetzen und ihr zumindest eine Verletzung am Körper in Aussicht stellen wollte, am 28. Februar 2020 endeten die Tathandlungen (US 4 bis 6).
[12] Weshalb das Erstgericht davon ausgehend Gewaltausübung über einen längeren Tatzeitraum in objektiver und subjektiver Hinsicht zu Unrecht bejaht haben sollte, legt die Rüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (siehe aber RIS-Justiz RS0116569).
[13] Die Behauptung, es habe auch gewaltfreie Perioden gegeben, lässt keinen Bezug zum Urteilssachverhalt erkennen (siehe aber RIS-Justiz RS0099810). Die Ausführungen zum Qualifikationstatbestand des § 107b Abs 3 StGB sind mangels eines diesbezüglichen Schuldspruchs (US 2) unverständlich.
[14] Soweit die Rüge aus Z 10 zum Schuldspruch C die Subsumtion nach der Qualifikationsnorm des § 106 Abs 1 (Z 1) StGB bekämpft, übergeht sie die Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerungen (US 8) und verfehlt solcherart einmal mehr den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit.
[15] Indem die Eignung der telefonischen Drohung, Besorgnis in Richtung eines ernst gemeinten Anschlags auf das Leben der T***** P***** einzuflößen, in Frage gestellt wird, legt die Rüge nicht aus dem Gesetz abgeleitet dar (RIS-Justiz RS0116565), weshalb eine solche bei gebotener Anlegung eines objektiv-individuellen Maßstabs unter Berücksichtigung der Feststellungen zu massiven körperlichen Attacken des Angeklagten im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (vgl etwa US 7) nicht vorliegen sollte.
[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[17] Zu dem von der Generalprokuratur angeregten Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO hinsichtlich des Schuldspruchs „C./1./“ sah sich der Oberste Gerichtshof mangels Vorliegens eines Rechtsfehlers nicht veranlasst:
[18] Unter dem Aspekt der Z 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ist zu prüfen, ob der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) C wegen mehrerer (in der Anzahl unbestimmt gebliebener) Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 (zu ergänzen) Z 1 und 15 StGB trägt (vgl zuletzt insbesondere 13 Os 61/21a). Die Begehungsformen des § 106 Abs 1 Z 1 StGB sind rechtlich gleichwertig (RIS-Justiz RS0092959 [T5]). Mit Blick auf die Feststellungen zum Einsatz von Todesdrohungen an zwei Tagen im Februar 2020 und an mehreren Tagen im März 2020, um die Bedrohte jeweils zu den im Urteil beschriebenen Unterlassungen zu nötigen (US 8), ist die Subsumtion als mehrere (in der Anzahl unbestimmt gebliebene) Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 (Z 1) StGB nicht zu beanstanden.
[19] Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).
[20] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Textnummer
E133286European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0130OS00077.21D.1124.000Im RIS seit
15.12.2021Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021