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66/01 Allgemeines SozialversicherungsgesetzNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags betreffend eine Bestimmung des ASVG mangels Präjudizialität; denkunmögliche Anwendung der pensionsrechtlichen Bestimmung durch die – fälschlicherweise – meritorische Entscheidung des Arbeits- und SozialgerichtsSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Einschreiter, der Verfassungsgerichtshof möge "wegen Verfassungswidrigkeit durch Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus der Bestimmung des §223 Abs2 ASVG [… d]en Wortlaut 'und in welchem Ausmaß' aufheben".
II. Rechtslage
§223 ASVG, BGBl 189/1955, idF BGBl I 122/2011 lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Eintritt des Versicherungsfalles; Stichtag
§223. (1) Der Versicherungsfall gilt als eingetreten:
1. bei Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters;
2. bei Leistungen aus den Versicherungsfällen geminderter Arbeitsfähigkeit, und zwar
a) im Falle der Invalidität, Berufsunfähigkeit oder Dienstunfähigkeit mit deren Eintritt, wenn aber dieser Zeitpunkt nicht feststellbar ist, mit der Antragstellung;
3. bei Leistungen aus dem Versicherungsfall des Todes mit dem Tod.
(2) Der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, ist bei Anträgen auf eine Leistung nach Abs1 Z1 oder 2 der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Bei Anträgen auf eine Leistung nach Abs1 Z3 ist der Stichtag der Todestag, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Todestag folgende Monatserste."
III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Einschreiter stellt den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag aus Anlass seiner Berufung gegen ein Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Juli 2020, mit dem – nach der auf §68 AVG gestützten Zurückweisung des Antrages des Einschreiters auf vorzeitige Alterspension durch Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Oberösterreich, (in der Folge: PVA) vom 5. März 2020 wegen entschiedener Sache (rechtskräftiger Bescheid vom 14. Mai 2018; weder Änderungen in der Sach- noch in der Rechtslage) – die in diesem Verfahren beklagte PVA schuldig erkannt wurde, dem klagenden Einschreiter ab 1. Jänner 2020 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer iHv € 3.341,36 brutto monatlich zu bezahlen und das darüber hinausgehende Mehrbegehren (die Beklagte sei schuldig, der klagenden Partei ab 1. Jänner 2020 eine den Betrag von € 3.341,36 brutto monatlich übersteigende vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer zu bezahlen) abgewiesen wird (sowie der Kläger zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet wird).
2. Zur Begründung seines Antrages führt der Einschreiter Folgendes aus:
2.1. Dem Antragsteller sei mit Bescheid vom 14. Mai 2018 von der PVA der Anspruch auf vorzeitige Alterspension ab 1. Mai 2018 iHv (damals) € 3.282,28 monatlich zuerkannt worden. Bei der Berechnung der Höhe der monatlichen Pension sei von der PVA auf Grund der vormaligen Gesetzeslage wegen der früheren Inanspruchnahme der Alterspension ein Abschlag von 12,6 % vorgenommen worden (ohne diesen Abschlag hätte die Pension demnach € 3.755,47 betragen).
2.2. Mit Nationalratsbeschluss vom 19. September 2019, kundgemacht am 22. Oktober 2019 in BGBl I 98/2019, sei ua eine Änderung des ASVG beschlossen worden, mit der in §236 leg cit ein Absatz 4b eingefügt worden sei, nach dem eine Verminderung der Leistung nach diesem Bundesgesetz sowie nach dem APG unzulässig sei, wenn die versicherte Person mindestens 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben habe; diese Bestimmung sei mit 1. Jänner 2020 in Kraft getreten.
2.3. Nachdem der Einschreiter bereits zum Zeitpunkt seines Pensionsantrittes 540 Beitragsmonate verzeichnet gehabt habe, habe er bei der PVA die Erhöhung seiner Pension insoweit beantragt, als diese ab 1. Jänner 2020 ohne Abschlag auszubezahlen sei. Dieser Antrag sei von der PVA mit Bescheid zurückgewiesen worden. Gegen diesen zurückweisenden Bescheid habe der Antragsteller Klage erhoben. Aus Anlass dieser Klage sei vom Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht letztendlich mit Urteil vom 6. Juli 2020 die PVA lediglich für schuldig erkannt worden, an den Einschreiter ab 1. Jänner 2020 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer iHv € 3.341,36 brutto monatlich zu bezahlen. Das Mehrbegehren sei abgewiesen worden. Inhaltlich bedeute dies, dass aus Sicht des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht an den Einschreiter weiterhin die Alterspension gekürzt um 12,6 % auszuzahlen sei und die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG nicht zur Anwendung komme.
2.4. Das Erstgericht führe zusammengefasst aus, dass für alle Personen, die ab 1. Jänner 1955 geboren seien, Pensionsleistungen ab dem Stichtag 1. Jänner 2014 ausschließlich nach dem APG zu berechnen gewesen seien. Die Berechnung der vorzeitigen Alterspension des Antragstellers erfolge zu seinem Stichtag 1. Mai 2018. Eine Neuberechnung der Pensionshöhe habe grundsätzlich nicht zu erfolgen. Letztendlich komme das Erstgericht daher zum Ergebnis, dass die Neuregelung des §236 Abs4b ASVG, nach der ab 1. Jänner 2020 eine Verminderung der Pensionsleistungen nach dem ASVG und dem APG bei Erreichen der erforderlichen 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung unzulässig sei, auf den Einschreiter keine Anwendung finde.
2.5. Aus Sicht des Antragstellers sei diese rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes falsch, sodass auch gegen diese Entscheidung Berufung erhoben worden sei.
2.6. Würde man jedoch unterstellen, aus den gesetzlichen Bestimmungen des ASVG und APG ergebe sich, dass dem Einschreiter ab 1. Jänner 2020 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht im ungekürzten Ausmaß zustehe, so wäre dies wohl nur deswegen der Fall, weil sich aus den gesetzlichen Bestimmungen des ASVG und APG ergeben würde, dass für die Bemessung der Höhe der vorzeitigen Alterspension als Stichtag nur jener Tag infrage komme, der bei Erstantragstellung gegeben gewesen sei. Eine derartige Bestimmung könnte allenfalls in §223 Abs2 ASVG zu finden sein. Nach dieser Bestimmung sei der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten sei und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebühre, bei Anträgen auf eine Leistung nach §223 Abs1 Z1 oder 2 leg cit der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten falle, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste.
2.7. Auch wenn von Seiten des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht nicht explizit angeführt worden sei, dass aus dessen Sicht die Bestimmung des §223 Abs2 ASVG einer Neubemessung der vorzeitigen Alterspension gemäß der neuen Rechtslage entgegenstehe, so stelle aus Sicht des Antragstellers diese Bestimmung die einzige Möglichkeit dar, die die Annahme zulasse, dass für die Höhe der vorzeitigen Alterspension ausschließlich auf die rechtlichen Grundlagen zum Zeitpunkt der Erstantragstellung abzustellen sei. Demnach müsse die Bestimmung des §223 Abs2 leg cit ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass letztendlich die Klage des Einschreiters abgewiesen worden sei. Würde diese Bestimmung nicht auch hinsichtlich des Ausmaßes einer Leistung auf den sich aus der Erstantragstellung ergebenden Stichtag verweisen, so wäre es jedenfalls zulässig gewesen, dem Antragsteller auf Grund der geänderten Gesetzeslage nach dem neuerlichen Antrag auf Neubemessung der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nunmehr eine vorzeitige Alterspension im ungekürzten Ausmaß zuzuerkennen, zumal auch auf seine Ansprüche die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG anzuwenden wäre.
2.8. Demnach ergebe sich zwangsläufig, dass sowohl von der Verwaltungsbehörde als auch vom Erstgericht als Begründung, weshalb eine Neubemessung der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer unter Berücksichtigung des §236 Abs4b ASVG nicht vorzunehmen sei, die Bestimmung des §223 Abs2 leg cit herangezogen worden sei, wenngleich dies nicht explizit angeführt worden sei. Ohne diese Bestimmung wäre aus Sicht des Einschreiters diesem ab 1. Jänner 2020 die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer im ungekürzten Ausmaß zuzusprechen gewesen, zumal gemäß §236 Abs4b ASVG ab dem genannten Zeitpunkt eine Kürzung nicht mehr zulässig gewesen sei.
2.9. Zusammenfassend ergebe sich daher, dass die Bestimmung des §223 Abs2 ASVG für das Ergebnis der Beurteilung der dem Kläger zustehenden Höhe an vorzeitiger Alterspension wegen langer Versicherungsdauer präjudiziell gewesen sei. Ohne den Wortlaut, nach dem auch für die Höhe des Anspruchs auf den Stichtag (Erstantrag) abzustellen sei, wäre jedenfalls auch zugunsten des Antragstellers ab 1. Jänner 2020 gemäß §236 Abs4b leg cit davon auszugehen gewesen, dass ab diesem Zeitpunkt die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nicht mehr gekürzt werden dürfe. Die Aufhebung eines Teils der Bestimmung des §223 Abs2 ASVG habe daher jedenfalls zur Folge, dass der Kläger mit solchen Personen gleichgestellt werde, die nach dem 1. Jänner 2020 einen Antrag auf Auszahlung einer vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer stellten.
2.10. Konkret auf den Antragsteller bezogen sei es völlig unstrittig, dass er 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben habe. Wie auch die PVA darstelle, sei es bis zum 1. Jänner 2020 zu einer Kürzung seiner ihm zustehenden vorzeitigen Alterspension auf Grund der Bestimmung des §5 APG gekommen. Diese Kürzung der Alterspension gemäß §5 leg cit wäre im Hinblick auf den ab dem genannten Zeitpunkt in Kraft getretenen §236 Abs4b ASVG nicht mehr zulässig, sodass der Einschreiter bei der PVA völlig zu Recht die ungekürzte Auszahlung seiner Alterspension beantragt habe.
2.11. Soweit die PVA und nunmehr auch das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht als Erstgericht dem Gesetzgeber unterstellten, dass die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG nur für neu zu gewährende Pensionsansprüche zu gelten habe, werde dem Gesetzgeber aus Sicht des Antragstellers ein dem Gleichheitsgrundsatz widersprechender Gesetzeszweck unterstellt.
2.12. Es sei sachlich in keiner Weise zu rechtfertigen, weshalb die Pension des Einschreiters ab 1. Jänner 2020 weiterhin iSd §5 APG gekürzt werden sollte, wenn eine versicherte Person mit mindestens 540 Beitragsmonaten ab dem genannten Zeitpunkt im Falle einer neu zu gewährenden vorzeitigen Alterspension keine Kürzungen in Kauf zu nehmen hätte.
2.13. Eine versicherte Person, die am 1. Jänner 2020 das 62. Lebensjahr gerade vollendet und 540 Beitragsmonate der Pflichtversicherung auf Grund einer Erwerbstätigkeit erworben gehabt habe, sei am 1. Mai 2018 (Stichtag für die Gewährung der vorzeitigen Alterspension des Antragstellers) 60 Jahre und vier Monate alt gewesen und habe zu diesem Zeitpunkt 520 Beitragsmonate erworben gehabt. Warum der Einschreiter auf Grund des Umstandes, dass er ein Jahr und acht Monate älter gewesen sei als er seinen Anspruch auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension bewilligt erhalten habe, deutliche Abstriche gegenüber einer versicherten Person, die praktisch im selben Zeitraum und sohin unter den völlig identen sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten ihre Versicherungszeiten gesammelt habe, in Kauf nehmen solle, lasse sich unter dem verfassungsrechtlich normierten Gleichheitsgrundsatz in keiner Weise rechtfertigen. Würde man unterstellen, dass der Gesetzgeber eine derartige Ungleichbehandlung beabsichtigt habe, so liege hier eine willkürliche, unsachliche Differenzierung vor, die der in Art7 B-VG normierte Gleichheitsgrundsatz verbiete.
2.14. Dass die mit 1. Jänner 2020 in Kraft getretene Bestimmung des §236 Abs4b ASVG auf zuvor bereits zuerkannte Pensionen nicht mehr anwendbar sei und demnach Kürzungen der Pension, die grundsätzlich nach der genannten Bestimmung nicht mehr zulässig wären, trotzdem aufrecht blieben, könnte nur mit der Bestimmung des §223 Abs2 leg cit begründet werden. Wenn sich sohin aus dieser Bestimmung ergebe, dass für Pensionsansprüche, die zum 1. Jänner 2020 bereits zuerkannt worden seien, die Bestimmung des §236 Abs4b ASVG nicht zur Anwendung komme, führe dies zu einer Ungleichbehandlung, die in keiner Weise dem verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitsgrundsatz entspreche. Vielmehr komme es dabei zu einer Ungleichbehandlung, die weder durch soziale noch durch wirtschaftliche Gegebenheiten der Republik Österreich zu rechtfertigen sei. Zwischen 1. Mai 2018 und 1. Jänner 2020 habe es keinerlei Änderungen in der Republik Österreich im Hinblick auf die sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten gegeben. Werde daher eine Person, die am 1. Mai 2018 eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer in Anspruch genommen habe, anders behandelt als eine Person, die am 1. Jänner 2020 eine vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer in Anspruch nehme, so stelle dies jedenfalls eine Verletzung des verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsgrundsatzes dar.
3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie primär die Zurückweisung des Antrages begehrt und zu dessen Zulässigkeit Folgendes ausführt:
"[…] Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Zurückweisung eines Leistungsantrages durch den Versicherungsträger wegen entschiedener Sache gemäß §68 AVG mangels einer meritorischen Entscheidung über den Leistungsanspruch um eine Verwaltungssache iSd. §355 ASVG, welche nicht der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen der sukzessiven Kompetenz unterliegt (vgl ua OGH 28.4.2015, 10ObS17/15w; VwGH 30.6.2009, 2006/08/0267; 20.4.1993, 91/08/0092). Eine dennoch erhobene Klage ist wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen (§73 des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes – ASGG, BGBl Nr 104/1985). Dem jeweiligen Versicherten steht die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht offen (§414 Abs1 ASVG).
Mit Bescheid vom 5. März 2020 hat die PVA den Antrag des nunmehrigen Antragstellers auf Neuberechnung seiner Alterspension wegen geänderter Rechtslage wegen entschiedener Sache gemäß §68 AVG zurückgewiesen. Der Antragsteller hat dagegen (wohl auf Grund der auf Klage an das Arbeits- und Sozialgericht lautenden Rechtsmittelbelehrung) anstelle einer Beschwerde beim (eigentlich zuständigen) Bundesverwaltungsgericht Klage beim Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht erhoben, welches über diese meritorisch entschieden hat. Richtigerweise hätte es die Klage allerdings gemäß §73 ASGG wegen Unzuständigkeit zurückweisen müssen. Dem Antragsteller wäre es sodann offen gestanden, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für den Fall der zwischenzeitigen Versäumung der Beschwerdefrist auf Grund der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung gemäß §33 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes – VwGVG, BGBl I Nr 33/2013, zu stellen sowie (gemeinsam mit dem Wiedereinsetzungsantrag) Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zu erheben.
Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das angefochtene Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Der Antrag hat darzulegen, inwiefern das Gericht das Gesetz anzuwenden und welche Auswirkungen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes auf die beim Gericht anhängige Rechtssache hätte. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; 19.11.2015, G498/2015 ua; 13.10.2016, G33/2016 ua; 30.11.2016, G286/2016; 14.6.2017, G26/2017).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes fehlt es an der gemäß §62 Abs2 VfGG erforderlichen Präjudizialität, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtene Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl VfSlg 17.670/2005, 17.790/2006, 17.983/2006; VfGH 23.2.2017, G369/2016; 14.6.2017, G26/2017).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung und vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das erkennende Gericht im gegenständlichen Fall unzuständig gewesen ist, über die Klage des Antragstellers inhaltlich abzusprechen (was dessen Entscheidung zur Gänze mit Rechtswidrigkeit belastet, welche vom Berufungsgericht wahrzunehmen sein wird) vertritt die Bundesregierung die Auffassung, dass es offenkundig unrichtig ist, dass die angefochtene Stichtagsregelung des §223 Abs2 ASVG eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet, weshalb es dem Antrag sohin an der erforderlichen Präjudizialität mangelt.
[…] Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sind die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl ua VfSlg 20.064/2016). Ein untrennbarer Zusammenhang zwischen mehreren Bestimmungen ist ua dann anzunehmen, wenn sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vom Verfassungsgerichtshof anzuwendenden Bestimmungen nicht ohne Mitberücksichtigung weiterer Bestimmungen beantworten lässt, insbesondere deshalb, weil sich ihr (gegebenenfalls verfassungsrechtlich bedenklicher) Inhalt erst mit Blick auf diese weiteren Bestimmungen erschließt (vgl ua VfSlg 20.155/2017).
Der Antragsteller bringt vor, aus dem angefochtenen §223 Abs2 ASVG würde sich ergeben, dass §236 Abs4b ASVG auf bereits zuerkannte Pensionen nicht anzuwenden sei. Dies stelle eine dem Gleichheitssatz widersprechende Ungleichbehandlung dar, da es keine Unterschiede im Tatsächlichen gebe, die eine Schlechterstellung von Pensionsbeziehern, die ihren Pensionsantrag vor dem 1. Jänner 2020 gestellt hätten, rechtfertigen würden.
Vor dem Hintergrund dieses Vorbringens hätte der Antragsteller nach Auffassung der Bundesregierung auch §236 Abs4b ASVG anfechten müssen, um den Verfassungsgerichtshof in die Lage zu versetzen, die behauptete Verfassungswidrigkeit beurteilen zu können. Der Anfechtungsumfang erweist sich sohin als zu eng gefasst.
"
IV. Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.
Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden.
1.1. Mit der Berufung, aus deren Anlass der vorliegende Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erhoben wurde, wendet sich der Antragsteller gegen ein Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Juli 2020, mit dem – nach der auf §68 AVG gestützten Zurückweisung des Antrages des Einschreiters auf vorzeitige Alterspension durch Bescheid der PVA vom 5. März 2020 wegen entschiedener Sache (rechtskräftiger Bescheid vom 14. Mai 2018; weder Änderungen in der Sach- noch in der Rechtslage) – die in diesem Verfahren beklagte PVA schuldig erkannt wurde, dem klagenden Einschreiter ab 1. Jänner 2020 eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer iHv € 3.341,36 brutto monatlich zu bezahlen und das darüber hinausgehende Mehrbegehren (die Beklagte sei schuldig, der klagenden Partei ab 1. Jänner 2020 eine den Betrag von € 3.341,36 brutto monatlich übersteigende vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer zu bezahlen) abgewiesen wird (sowie der Kläger zur Tragung der Kosten des Verfahrens verpflichtet wird).
1.2. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Parteiantrag und die Berufung gegen das erwähnte Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.152/2017 mwN).
Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Linz vom 16. September 2020 zur Innehaltung mit dem Berufungsverfahren davon aus, dass das Rechtsmittel des Einschreiters rechtzeitig und zulässig ist.
2. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl zB VfSlg 20.010/2015; VfGH 19.11.2015, G498/2015 ua; 13.10.2016, G33/2016 ua; VfSlg 20.108/2016).
3. Gemäß §223 Abs2 erster Satz ASVG ist bei Anträgen ua auf Leistungen aus den Versicherungsfällen des Alters mit der Erreichung des Anfallsalters (vgl §223 Abs1 Z1 leg cit) der Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste.
3.1. Da die PVA den Antrag des Einschreiters auf vorzeitige Alterspension mit Bescheid vom 5. März 2020 wegen entschiedener Sache gemäß §68 AVG zurückgewiesen hat, handelt es sich um eine Entscheidung einer Verwaltungssache iSd §355 ASVG (vgl VwGH 30.6.2009, 2006/08/0267 mwN), die – entgegen der in diesem Bescheid enthaltenen Belehrung über das Klagerecht – nicht der gerichtlichen Überprüfung im Rahmen der sukzessiven Kompetenz unterliegt, sondern mittels Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht hätte bekämpft werden können (vgl §414 Abs1 ASVG). Das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht hätte die dennoch erhobene Klage des Antragstellers gemäß §73 ASGG wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückweisen müssen (vgl OGH 28.4.2015, 10 ObS 17/15w mwN).
3.2. Da das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht stattdessen eine meritorische Entscheidung getroffen hat, hat es §223 Abs2 ASVG – wenn überhaupt – geradezu denkunmöglich angewendet, sodass es der angefochtenen Wortfolge an der Präjudizialität mangelt (vgl VfGH 1.10.2019, G207/2018 mwN).
4. Der Antrag erweist sich somit als unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Sozialversicherung, Arbeits- u Sozialgerichtsbarkeit, Kompetenz sukzessive, Bundesverwaltungsgericht, VfGH / Parteiantrag, VfGH / Präjudizialität, res iudicata, FrühpensionEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:G333.2020Zuletzt aktualisiert am
15.12.2021