Entscheidungsdatum
20.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2243617-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch seinen Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.05.2021, IFA XXXX , Verfahren: XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2021 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein volljähriger Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 18.08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.
Im Zuge der niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, gab der BF zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, er sei Mitglied der politischen Partei „BNP“ (Jubo Dal) gewesen und habe deshalb Probleme mit der Oppositionspartei „Amlik“ gehabt, weil er sich ihnen nicht habe anschließen wollen. Daraufhin hätten sie sein Geschäft demoliert und ihn zweimal angriffen und habe er auch Narben von diesem Angriff. Die Oppositionspartei wolle ihn umbringen und sei er von deren Parteiangehörigen auch als Mörder angezeigt worden, obwohl er niemanden umgebracht habe. Er sei geflohen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei und er Angst vor der Polizei und den Angehörigen der Oppositionspartei habe. In Bangladesch würde es auch einen Festnahmeauftrag gegen ihn geben.
I.2. Am 08.09.2020 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen und über seine persönlichen Daten befragt. Er gab zunächst an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage die Fragen zu beantworten. Er habe sein Herkunftsland im Juni 2019 verlassen und sei zunächst mit dem Bus nach Kalkutta gereist. Dort sei er acht Monate in einer Schlepperunterkunft eingesperrt gewesen. Im Februar 2020 sei er schlepperunterstützt in die Türkei geflogen und schließlich via LKW am 18.08.2021 in Österreich eingereist. In Österreich oder in einem anderen EU-Land habe er keine Verwandten oder Bekannte.
I.3. Am 20.10.2020 langte ein, als „Beschwerde“ bezeichneter, Schriftsatz beim BFA ein, der in der Folge in die deutsche Sprache übersetzt wurde. Inhaltlich führte der BF darin zusammengefasst aus, dass die Dolmetscherin in der Erstbefragung die bengalische Sprache weder habe verstehen noch sprechen können und es deshalb zu Fehlern gekommen sei. Er habe im Zuge der Erstbefragung auch aus Scham nicht erwähnt, dass er in der indischen Schlepperunterkunft in unmenschlicher Art und Weise physisch misshandelt und sogar vergewaltigt worden sei. Man habe ihm gesagt, dass in Indien die Homosexualität legal sei. Aufgrund seiner Fluchterfahrungen sei er mental zusammengebrochen und leide an einer psychischen Krankheit, weshalb er darum bitte, dass ihm ein Arzt und eine psychische Behandlung zur Verfügung gestellt werde.
I.4. Am 13.01.2021 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA statt. Der BF gab zunächst an, er sei psychisch und physisch krank und habe bereits zwei Röntgenuntersuchungen in Österreich gehabt. Im Herkunftsland habe er eine eigene Apotheke geführt und damit seinen Lebensunterhalt bestritten. Außerdem habe er Einkünfte von Grundstücken und Mieteinnahmen von Wohnungen gehabt. Seine wirtschaftliche Situation im Herkunftsstaat sei durchschnittlich gewesen. Er habe mit seinen Eltern, seiner Ehefrau und den Töchtern in einer Eigentumswohnung gelebt und würden seine Eltern dort nach wie vor leben. Seine Apotheke gebe es, seit er geflohen sei, nicht mehr.
Der BF gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, er habe sich im Jahr 2002 der Partei Chattro Shivir als Mitarbeiter angeschlossen. Nachdem er dort nicht ins Parteikomitee aufgenommen worden sei, habe er sich 2006 der Gruppierung Chattro Dal angeschlossen. Als dann die Awami League (im Folgenden: AL) unrechtmäßig an die Macht gekommen sei, habe er sich 2009 der Gruppierung Jubo Dal angeschlossen und von 2010 bis 2012 im Wahlsprengel Nr. 22 in XXXX gearbeitet. 2013 sei er im selben Sprengel zum Werbesekretär geworden und habe die Tätigkeiten der Jubo Dal durchgeführt. Anfang 2014 sei die AL erneut unrechtmäßig an die Macht gekommen und habe er deshalb im Februar, April und am 05.08.2014 Demonstrationen veranstaltet, woraufhin er und seine Anhänger von der Polizei unrechtmäßig festgenommen und einen Tag auf der Polizeistation festgehalten worden seien. Dagegen habe er rechtlich vorgehen wollen, aber die Polizei meinte, dass die Demonstrationen nicht registriert gewesen seien, was nicht stimme. Die Polizei habe aber auch dem Richter gesagt, dass keine Anmeldung vorgelegen habe und den Akt dafür verschwinden lassen. Manche Mitglieder der Chattro Shivir hätten ihm vorgeworfen ein unmoralischer Parteispion zu sein, obwohl er sie auch nach seinem Beitritt zur Jubo Dal weiter unterstützt und beide Parteien zusammen Widerstand gegen die AL geleistet hätten.
Im Jahr 2015 sei er von vier Personen der Chattro League angegriffen und mit dem Messer zweimal am Hals verletzt worden. Am 14.12.2016 sei ihm von er Polizei vorgeworfen worden, er plane mit seinen Parteianhängern am 16.12.2016 einen Anschlag. Auf der Polizeistation habe man ihm sein Handy und die Geldtasche weggenommen, ihn unter anderem als „Staatsverräter“ beschimpft, dann mit Stöcken zusammengeschlagen und mit Stiefeln überall am Körper getreten. Nach einem Schlag auf die Brust sei er bewusstlos geworden. Am nächsten Tag sei er freigelassen worden, habe aber nicht ordentlich atmen können und auch bemerkt, dass in seiner Geldtasche kein Geld mehr gewesen sei. Nach mehreren medizinischen Untersuchungen und Spitalsaufenthalten sei er schließlich im Jänner 2017 an der Brust operiert worden. Nach der Operation sei er sehr lange krank gewesen und habe ohne Hilfe nicht gehen können. Seiner Tätigkeit als Werbesekretär bei der Jubo Dal sei er aber weiterhin nachgegangen und habe er im Januar 2019 erneut eine Demonstration gegen die AL-Regierung organisiert. Am 11.11.2018 sei er von AL-Mitgliedern bedroht worden, er solle sich deren Partei anschließen oder er werde ermordet oder im Kreuzfeuer erschossen werden. Ebenso sei ihm mit Festnahmen durch die Polizei gedroht worden und dass ihm Strafverfahren angehängt werden würden. Eine weitere Demonstration gegen die Regierung habe er am 09.01.2019 abgehalten und sei am nächsten Tag ein Anschlag auf sein Geschäft verübt worden, im Zuge dessen auch die Kasse geleert worden sei. Als er dies bei der Polizei melden wollte, sei er aufgrund seiner Teilnahme bei der Demonstration am Tag davor erneut festgenommen und wieder mit einem Stock geschlagen worden. Er habe während dieser Festnahme auch erkannt, dass die Polizei sein Geschäft zerstört habe. Am nächsten Tag sei er wieder freigelassen worden. Er habe sich dann an den Parteianwalt gewandt, dieser habe ihm aber gesagt, dass eine Anzeige gegen die Polizei nichts bringen würde, denn die Richter wären alle AL-Aktivisten. Am 05.03.2019 sei er im Bazar von drei Personen der AL-Partei zusammengeschlagen worden.
Als letzten Vorfall nannte der BF den 26.05.2019. An diesem Tag seien Mitglieder der Chattro Shivir zu ihm gekommen, um ihm zu bitten in einem politisch motivierten Strafverfahren aufgrund des Todes des CL-Generalsekretärs nach einem Angriff, eine Zeugenaussage zugunsten eines beschuldigten Chattro Shivir Mitarbeiters zu machen. Eine Stunde später habe ihn die Polizei aufgesucht und ihm gedroht, dem BF werde ein Strafverfahren angehängt werden, sollte er gegen die Chattro Shivir Mitarbeiter keine Anzeige erstatten. Würde er dies tun, würde ihn die Partei aber erledigen wollen. Der Vorsitzende seiner Partei, der Juba Dal, habe ihm jedoch nahegelegt die gewünschte Zeugenaussage zu tätigen und Anzeige gegen die Polizeibeamten zu erstatten, da diese ihm mit einer Mordanzeige gedroht hätten. Er habe dann Angst bekommen. Die Polizeiverwaltung und die Partei AL würden ihn wegen einer Anzeigenerstattung und die Chattro Shivir und Jubo Dal wegen einer Zeugenaussage verfolgen. Er sei dann von einem Schlepper zunächst nach Indien gebracht und dort psychisch und physisch misshandelt worden.
In Bangladesch laufe derzeit ein Strafverfahren gegen ihn, welches am 02.09.2020 eingeleitet worden sei und werde er beschuldigt ein Geschäft beschädigt, Schutzgeld in Höhe von 700.000 Taka gefordert und 200.000 Taka weggenommen zu haben. Zu diesem Zeitpunkt sei er aber schon hier gewesen. Das Strafverfahren sei eingeleitet worden, damit er nicht mehr zurückkehren könne. Die Polizei suche nach ihm und habe man seinen Vater gefragt, wo er sich aufhalte. Es seien auch Erträge seiner Grundstücke abgeschnitten und Gift in den Teich vor seiner Wohnung geleert worden, um die Fische darin zu töten. Es gebe noch ein laufendes Strafverfahren wegen Mordes und sei ihm gedroht worden, ihn dort als einen der unbekannten Täter hinzuzufügen. Im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch würde er sofort festgenommen und in Untersuchungshaft gebracht werden. Auch würde ihn dort kein faires Verfahren erwarten.
Er habe sich politisch engagiert, um Bangladesch korruptionsfrei zu machen. Er habe auch dafür gesorgt, dass arme Menschen Grundnahrungsmittel und Decken zur Verfügung haben. Der AL habe er sich nicht anschließen wollen, denn dort gebe es keinen Hauch von Demokratie und herrsche nur Korruption.
Befragt, wie er seine Freizeit in Österreich verbringe, erklärte der BF, er stehe in der Früh auf, verrichte Kleinigkeiten in der Unterkunft, lerne Deutsch über Youtube und mache politische Einträge über Bangladesch auf Facebook. Er würde gerne eine Freiwilligentätigkeit machen.
I.5. Der BF legte ein Konvolut an Beweismitteln vor, die in der Folge in die deutsche Sprache übersetzt wurden, nämlich 13 Fotos mit Beschreibungen, Gerichtsakten zu einer Anzeige vom 19.12.2018 und der Anzeige gegen den BF vom 02.09.2020, Kopien der Personalausweise des BF, seiner Ehefrau, seiner Eltern und seines Bruders, Kopien der Geburtsurkunden seiner beiden Töchter, Gewerbescheine der Apotheke des BF für die Jahre 2010 bis 2018, Parteibestätigungen für seine Mitgliedschaft in der Chattro Dal und der Jubo Dal, ein Bestätigungsschreiben seines Rechtsanwalts über das anhängige Gerichtsverfahren und Eintragungen zivilrechtlicher Verträge.
Er gab auch eine Stellungnahme zu den Länderinformationen zu Bangladesch ab, in der der BF ausführte, es gebe kein Zeugenschutzprogramm in Bangladesch und würden deshalb viele unschuldige Zeugen bei politisch motivierten Strafverfahren der Politik zum Opfer fallen. Als politisch Verfolgter Angeklagter könne er sich nirgends verstecken, weil die Bürger vorsichtiger geworden seien und beim Bezug einer Mietunterkunft, Unterlagen von der Arbeitsstelle, ein polizeiliches Leumundszeugnis, Geburtsurkunde und Personalausweis sehen wollen. Die derzeitige Regierung habe in der Justizverwaltung nur AL-Aktivisten eingesetzt und seien die Gefängnisse in einem menschenunwürdigen Zustand.
I.6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.05.2021, IFA: XXXX , wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dem Sachverhalt sei keine glaubhafte aktuelle Verfolgungsgefahr in Bangladesch im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu entnehmen gewesen. Es seien im gesamten Verfahren keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der BF im Falle seiner Rückkehr erhebliche Beeinträchtigungen seiner körperlichen bzw. seelischen Unversehrtheit bzw. Freiheit und/oder seines Lebens ausgesetzt wäre, und könne nicht erkannt werden, dass dem BF, einer erwerbsfähigen Person die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre und dadurch die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interesse an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.7. Mit Schriftsatz vom 09.06.2021 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des - von der BBU GmbH vertretenen - BF wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften vollinhaltlich angefochten.
Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges und des behaupteten Sachverhaltes wurde inhaltlich ausgeführt, dass die belangte Behörde zwar aktuelle Länderberichte zitiert habe, aber in den beweiswürdigen Überlegungen erkennen lasse, dass sie die zitierten Berichte nur unzureichend in die Entscheidung einbezogen habe. Die belangte Behörde habe sich darüber hinaus nicht mit der Covid-19-Pandemie und deren sozioökonomischen Folgen auseinandergesetzt, was jedoch, insbesondere zur Beurteilung der Frage, ob der BF im Falle einer Rückkehr in eine ausweglose Lebenssituation geraten würde, geboten gewesen. Der BF habe sein Vorbringen ausführlich, detailreich, völlig widerspruchsfrei und konsistent mit der Situation im Herkunftsland geschildert und dieses Vorbringen mit zahlreichen Beweismitteln untermauert. Der Bescheidbegründung der belangten Behörde könne nicht entnommen werden, aus welchen konkreten Gründen vermeint werde, das Vorbringen des BF entbehre hinsichtlich der Asylrelevanz der Glaubhaftigkeit. Dies alleine schon deshalb nicht, da die belangte Behörde nicht erkennen lasse, von welchen Feststellungen sie in diesem Zusammenhang überhaupt ausgehe. Den Ausführungen der belangten Behörde sei zu entnehmen, dass sie das Vorbringen des BF als glaubhaft werte und von einer politisch motivierten Verfolgung des BF in der Vergangenheit ausgehe.
Es wurden die Anträge gestellt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung – zu beheben und dem BF den Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen, in eventu, den angefochtenen Bescheid – allenfalls nach Verfahrensergänzung – bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG zuzuerkennen, in eventu, den hier angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückverweisen (§ 66 Abs. 2 AVG, § 28 Abs. 3 und 4 VwGVG), in eventu, feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei und die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und dem BF daher gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen zu erteilen sei, in eventu, feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen und dem BF daher eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 Abs. 1 AsylG von Amts wegen zu erteilen sei.
I.8. Mit Schreiben vom 21.06.2021 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
I.9. Mit Schreiben vom 03.09.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und dem BF damit auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch übermittelt.
I.10. Mit Eingabe des BF vom 14.09.2021 langten im Bundesverwaltungsgericht weitere Dokumente des BF, vertreten durch die BBU GmbH, ein. Da diese Dokumente teilweise in bengalischer Sprache abgefasst waren, wurden sie vom Bundesverwaltungsgericht unmittelbar einer Übersetzung zugeführt und standen diese Übersetzungen bei der Beschwerdeverhandlung am 17.09.2021 zur Verfügung.
I.10. Am 17.09.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Der BF teilte mit, dass er eine Ehefrau und zwei Kinder in Bangladesch habe, mit denen er täglich zumindest einmal telefoniere. Die Ehefrau würde derzeit beim Schwiegervater leben, ca 30 bis 40 Kilometer entfernt vom Heimatdorf. Die Ehefrau habe Einnahmen aus der Vermietung von einem Haus. Die Eltern des BF würden ca 100 bis 150 km entfernt leben, ebenso der Bruder. Der Vater sei beim Militär gewesen und nunmehr in Pension.
Wenn es möglich wäre würde er gerne seine Ehefrau und die Kinder nach Österreich bringen.
Der BF führte ein Geschäft im Bazar, welches er langfristig (für 100 Jahre) seit 2009 pachtete und neben einer Einmalzahlung auch eine jährliche Pacht leistete. Der BF handelte mit Heilmitteln.
In Österreich habe der BF keine Verwandten, keine Kinder und keine Beziehung.
Der BF ist der deutschen Sprache nicht mächtig, er hat keinen Basissprachwortschatz und hat bisher keinen Deutschkurs besucht. Er versucht Deutsch über Youtube zu lernen.
Er lese gerne bengalische Bücher. An Freunden benannte der BF einen Iraner und zwei Bengalen. Er sei auch in einer „bengalischen Community namens XXXX “.
Der BF lebt von der Grundversorgung.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass er politisch aktiv gewesen sei. Er sei von 2002 bis 2005 „Arbeiter“ der Chatro Shibir gewesen, doch sei diese Partei dem Islam zu sehr verbunden, „nahezu etwas radikal“. Nur der Islam sei die richtige Religion, diese Meinung teile er nicht. Es würden Personen grundlos geschlagen werden, was ihm nicht gefiele und deshalb trennte sich der BF von der Partei.
Danach sei er von 2006 bis 2008 bei der Chatro Dal gewesen. Die Chatro Dal sei aber eine korrupte Partei, die das gespendete Geld nur für sich bzw. die Mitglieder verwende. Sie würden nichts Gutes für die Gesellschaft machen. Der BF fände es bessere, hungrig und mit gutem Gewissen als mit vollen Taschen und schlechtem Gewissen schlafen zu gehen.
Seit 2009 sei der BF bei der Jubo Dal, seit 2013 Werbesekretär.
Der BF würde nach seinen Aussagen von der regierenden Awami League sowie den oppositionellen Parteien Chatro Shibir und Jubo Dal (!) verfolgt werden (BVwG VS 15).
Zu seinem Fluchtgrund befragt (BVwG VS 9) gab der BF an, dass „die Chatro Shibir und die Jubo Dal wollten, dass ich bei der Polizei eine falsche Zeugenaussage mache“. 2 Personen der Chatro Shibir seien zu ihm gekommen und hätten ihn gebeten, einem Täter durch eine falsche Zeugenaussage ein Alibi zu geben, indem er aussagen solle, dass der Täter zum Tatzeitpunkt in seinem Geschäft gewesen sei.
Daraufhin seien drei Polizisten zu ihm ins Geschäft gekommen und wollten, dass der BF gegen die beiden Anstifter zur Falschaussage eine Anzeige erstatten solle. Er möge dies am nächsten Tag in der Früh machen. Falls er dies nicht mache, würde der BF „in ein Strafverfahren verwickelt und als Mörder beschuldigt“ werden.
Zuvor ging der BF jedoch zum Vorsitzenden der Jubo Dal, der ihm ebenfalls riet, eine Falschaussage zu machen. Weiters solle der BF die Polizisten anzeigen, weil sie ihm ein Strafverfahren anhängen wollten, falls er keine Zeugenaussage mache.
Als weiteren Grund seiner Flucht gab der BF an, dass ein Anhänger der Regierungspartei, der Awami League, das Geschäft des BF in Besitz nehmen wollte und deshalb es zwei Strafverfahren gegen ihn geben würde. Es seien auch zwei Anschläge gegen ihn verübt worden. Einmal sei er in der Polizeistation stundenlang gefoltert worden.
Konkret gefragt, wann der BF zur Polizeistation gebracht worden sei, meinte er, es sei dies mehrmals gewesen, etwa am 14.12.2016 oder am 26.05.2019. Er sei viermal „legal“ und dreimal „unrechtmäßig“ festgenommen worden. Legal sei er 2016 und am 10.01.2019 festgenommen worden, am 05.08.2014, 2015 sowie 2018 unrechtmäßig. Darüber hinaus seien sie immer wieder ins Geschäft gekommen und hätten Schutzgeld erpresst.
Er sei auch öfters geschlagen worden, weil er an Demonstrationen teilgenommen habe, man habe ihn grundlos und unrechtmäßig zur Polizei mitgenommen.
Der BF habe eine Identitätskarte in Bangladesch; er habe sich diese nicht schicken lassen, weil er Angst habe, sie könnte am Postweg verloren gehen.
Gegen den BF seinen mehrere Verfahren anhängig. Eine Anzeige stamme vom 19.12.2018. Es ginge dabei um ein Mordverfahren, es gäbe vier Haupttäter und 20 weitere Täter, er werde beschuldigt, einer dieser 20 weiteren Täter zu sein. Er wisse dies deshalb, weil er von der Polizei auf die Polizeistation gebracht wurde, und sie ihn angeschrien hätten und meinten, sie könnten jederzeit einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Als Opfer dieser Mordanzeige werde ein Vorsitzender der Chatro League genannt.
Hinsichtlich der zweiten Anzeige führte der BF aus, dass vor einigen Tagen ein Haftbefehl erlassen worden sei. Er habe diese Dokumente vorgelegt. Inhaltlich ginge es darum, dass der BF in ein Geschäft eingebrochen und Gelder entwendet sowie körperliche Gewalt ausgeübt habe. Genauer dazu befragt gab der BF an, dass dieses Verfahren aus „02/2020“ stamme, die Anzeige sei am „02.09.2020“ erstatte worden. Der BF habe diese Dokumente vorgelegt.
Zu den drei Tage vor der Verhandlung vorgelegten Dokumenten wurde festgehalten, dass diese einer Übersetzung zugeführt wurden, die Kopien der Übersetzung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung ausgehändigt.
Nach Auskunft des BF erhielt er diese Dokumente von seinem Anwalt erhalten, welcher sie „vor einen Monat“ geschickt habe (über Feststellung der engagierten Rechtsvertreterin: 04.07.2021). Die Dokumente würden „vom Juni 2021“ stammen. Der Anwalt habe ihm die Dokumente geschickt, weil der BF wegen seiner Verfahren nachgefragt habe; die Versendung habe 5.000 Taka gekostet, „das Beheben bei Gericht 1.000 Taka“.
Hinsichtlich der Narben, welche der BF während der Verhandlung zeigte, führte er aus:
Die Narbe beim Hals habe er durch einen Angriff von 4 Anhängern der Chatro League, die ihm nach Verlassen seines Geschäftes gegen 22.20 angegriffen hätten. Er habe sie als Anhänger der Chatro League durch Veranstaltungen gekannt und weil sie regelmäßig in sein Geschäft gekommen wären und sich dort ohne zu bezahlen Waren genommen hätten. Er habe keine Anzeige gegen diese vier Personen erstattet, weil er wisse, dass das nichts bringen würde.
Die Narbe am Brustkorb habe er durch eine Operation. Er sei am 14.12.2016 in einer Polizeistation stundenlang gefoltert worden. Es sei ihm schlecht gegangen, nachdem er aufwachte. Man habe ihn nach Hause geschickt, er sei ins Spital gegangen. Nach zweitägigen Untersuchungen sei er wieder aus dem Spital entlassen worden, jedoch wurde er angehalten zu einem Herzspezialisten in ein Spital in der Hauptstadt zu gehen. Er sei dann am 17.01.2017 am Herzen operiert worden, er habe drei „Blockaden“ gehabt. Als er bei der Polizei gewesen sei hätte er große Angst gehabt und es sei zu drei Blockaden und zwei Schlaganfällen gekommen. Eine genauere Beschreibung seiner Erkrankung konnte der BF nicht geben.
Abschließend gab die engagierte Vertreterin des BF eine Stellungnahme ab, welche inhaltlich dem übermittelten Email vom gleichen Tag entsprach. Dabei verwies die Vertreterin des BF insbesondere auf das Kapitel „Folter und unmenschliche Behandlung“. Der BF habe umfassend und detailliert angegeben, dass er durch die Polizei gefoltert und misshandelt worden sei und dass seine Narben im Brustbereich davon herrührten. Zu den vorgelegten Dokumenten verwies die BFV darauf, dass diese sowohl Amtsstempel als auch Unterschriften trügen, welches bei gefälschten Dokumenten weniger der Fall sei. Hinsichtlich der Asylanerkennung würde die Vermutungswirkung der Vorverfolgung ausreichen. Da die Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen mit den getroffenen Länderfeststellungen übereinstimmen, seien sie glaubhaft.
Dem BF stünde keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die gegen ihn ausgestellte Anzeige landesweit gelte. Es handle sich um eine staatliche Verfolgung auf Grund der politischen Einstellung des BF.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig (AS 56, 57, 127). Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben in der Erstbefragung AS 57 sowie bei der Einvernahme vor dem BFA AS 124) und spricht er auch ein wenig Englisch (AS 124).
Der BF ist in XXXX geboren (AS 55) und hat dort bis zu seiner Ausreise gelebt (AS 67, 128). Er hat in seinem Herkunftsland zwölf Jahre die Schule besucht und danach ein Jahr eine Berufsschule für die Ausbildung zum Apotheker (AS 22). Der BF betrieb von 2009 bis 2018 eine eigene Apotheke (AS 65).
In Bangladesch halten sich seine Eltern, sein Bruder, die Familie seines Großvaters mütterlicherseits sowie seine Ehefrau, seine beiden Kinder und seine Schwiegereltern auf (AS 58, 59, 129). Mit seiner Mutter und seiner Ehefrau besteht aufrechter, zumeist täglicher, jedenfalls regelmäßiger Kontakt (AS 61, 129).
Der BF ist am 18.08.2020 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist.
Der BF lebt von der staatlichen Grundversorgung und geht keiner Erwerbstätigkeit nach.
Der BF engagiert sich nicht ehrenamtlich. Er ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF verfügt über keine Deutschkenntnisse.
Der BF hat keine Kinder, keine Verwandten und keine Beziehung in Österreich.
Der BF hat keine österreichischen Freunde. Seine Freunde sind Bengalen bzw ein Iraner; er ist in der bengalischen Community der „ XXXX “.
Der BF leidet an keinen lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankungen. Der BF hat Narben im Hals/Schilddrüsenbereich sowie am Brustkorb. Der BF erklärte, die Halsnarbe erhalten zu haben, als man ihm im Zuge eines Überfalles den Kopf abtrennen wollte. Die Brustnarbe habe er durch eine Herzoperation, welche einen Monat nach Misshandlungen bei der Polizei notwendig wurde, um drei „Blockaden beim Herz“ zu beheben.
Der BF ist arbeitsfähig.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsland aus politischen Gründen von Anhängern der Regierungspartei oder der Polizei verfolgt wird.
Festgestellt wird, dass der BF angibt, von der regierenden Awami League sowie den oppositionellen Parteien der BNP, der Chatro Shibir und der Jubo Dal (bei welcher er seit 2013 Werbesekretär war; !), verfolgt zu werden. Gleichzeitig hält der BF fest, dass er Mitglied der Chatro Shibir von 2002 bis 2005, der Chatro Dal von 2006 bis 2008 sowie der Jubo Dal von 2009 gewesen sei, bei letzterer sogar Werbesekretär seit 2013. Darüber hinaus hätten ihn „Anhänger der Chattro League“ 2015 überfallen.
Festgestellt wird, dass es unglaubwürdig ist, dass der BF sowohl von regierenden als auch oppositionellen Parteien gleichzeitig verfolgt wird.
Festgestellt wird, dass der BF behauptet, gegen ihn bestünden zwei Verfahren, eine Anzeige vom 19.12.2018 sowie eine vom 02.09.2020.
Festgestellt wird, dass der BF in der Anzeige vom 19.12.2018 (Anzeige wegen Mordes an einem Führer der Chattro League) gegen vier namentlich genannte Personen sowie „20 unbekannte Täter“ nicht namentlich genannt wird. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der BF als „einer der 20 unbekannten Täter“ wegen Mordes von der Polizei zwar verhaftet und misshandelt, aber danach wieder freigelassen wurde.
Festgestellt wird, dass die vom BF am 14.09.2021 vorgelegten Dokumente (Haftbefehl gegen den „ XXXX und weitere“) angeblich vom 06.01.2021 sowie vom 01.04.2021 stammen und eine Anzeige vom 02.09.2020 betreffen, einem Zeitpunkt, als sich der BF bereits nachweislich in Österreich aufhielt. Festgestellt wird, dass auf den Dokumenten eine Gerichtsgebühr von „2 Taka“ pro Seite angegeben ist, der BF jedoch „1.000 Taka“ als Kosten für die Beschaffung der Dokumente (angeblich durch einen Rechtsanwalt) angab. Festgestellt wird, dass der BF kein Begleitschreiben des Rechtsanwaltes zu den zuletzt übermittelten Dokumenten vorlegte. Festgestellt wird, dass in dem angeblichen Erstinformationsbericht (Anzeigenerstattung durch XXXX ) der Polizeistation XXXX ungewöhnlicherweise bei den Personalia des BF auch die nationale Identitätsausweisnummer des BF durch den Anzeiger angegeben wird.
Festgestellt wird, dass der BF in Bangladesch nicht aus politischen Gründen verfolgt wird, sondern es Streitigkeiten wegen seines Geschäftes im Bazar hervorkamen. Festgestellt wird, dass der BF sich gegen angebliche Übergriffe auf sein Geschäft nicht einmal mit einer Anzeige zur Wehr setzte.
Festgestellt wird, dass der BF allfälligen Belästigungen seines Umfeldes im Herkunftsland ausweichen kann.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19
Letzte Änderung: 08.06.2021
Der Regierung wird vorgeworfen, dass die Vorbereitung auf die Viruserkrankung im Inland inadäquat gewesen sind. COVID-19-Testungen waren zunächst nur in der Hauptstadt Dhaka möglich gewesen. Anfang April 2020 nahmen Diagnostikeinrichtungen am Rajshahi Medical College und am Cox's Bazar Medical College ihre Tätigkeiten auf und testen seitdem Bewohner ihrer jeweiligen Regionen auf eine Infektion mit COVID-19. Mit Ende März 2020 erließ die Regierung weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Das Transportwesen, Einkaufsmöglichkeiten, behördliche Dienste und anderes wurden auf das nötigste reduziert. Von den erlassenen Kontakt- und Arbeitsbeschränkungen ist ein Großteil der bangladeschischen Bevölkerung betroffen. Viele stehen dadurch vor unmittelbar existenzbedrohenden finanziellen Risiken. Viele Großaufträge beispielsweise im Bereich der Textilindustrie wurden zurückgezogen. Diese Maßnahmen bedeuteten einen Wegfall der Einkommensgrundlage von 4,1 Millionen Textilarbeitern, die zu den Geringverdienern in Bangladesch zählen. Einige Textilfabriken stellten jedoch ihre Produktion teilweise auf die Herstellung von Atemschutzmasken und Schutzanzügen um. Lokale Initiativen von einkommensstärkeren Personen versuchen, die Grundversorgung von einkommensschwächeren Familien durch die Verteilung von Lebensmitteln in den jeweiligen Anwohnergebieten aufrecht zu erhalten. Auch die Regierung hat erste staatliche Entlastungsprogramme in die Wege geleitet. Darunter Programme zur finanziellen Unterstützung der in der Landwirtschaft Tätigen oder für Personen, die in extremer Armut leben (GIZ 11.2020; vgl. ÖB 9.2020). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Millionen Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Millionen rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Der durch die Regierung verhängte umfassende Lockdown war de facto jedoch immer brüchig und wurde einmal mehr und einmal weniger eingehalten. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Angesichts der historisch niedrigen Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung im Land erwiesen sich die Einrichtungen als unzureichend, schlecht vorbereitet und schlecht ausgerüstet, um die Krise zu bewältigen (AI 7.4.2021). Die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen. Landesweit sind etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar. Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020b).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens aufgrund des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs dar. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
COVID-19 erhöht Risiken im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und setzen Frauen und Kinder zusätzlichen Bedrohungen aus (iMMAP 3.2021).
Die Behörden gehen gegen Journalisten und Medien vor, die kritisch über die Reaktion der Regierung auf die COVID-19-Pandemie berichten (HRW 20.5.2021; vgl. AI 19.5.2021). Kritische Journalisten sehen sich systematischen Verleumdungsklagen ausgesetzt (ÖB 9.2020). Eine Überwachung von Personen, die "Gerüchte" über die Covid-19-Pandemie verbreiten könnten, wird verstärkt, die Medienzensur verschärft (HRW 20.5.2021).
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen im April 2021 Tagen stark angestiegen, wurden die Anfang April 2021 eingeführten Abriegelungsmaßnahmen, die auch die Schließung von Geschäften beinhaltet, aufgrund der sich verschlechternden Situation weiter verschärft (BAMF 12.4.2021).
Das Außenministerium des Landes bestätigt Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Massenimpfprogrammes wegen einem Fehlen an den dafür notwendigen Impfstoff-Dosen. Bisher hat Bangladesch erst 7 Millionen Dosen (darüber hinaus schenkte Indien 3,2 Millionen Dosen separat) einer vertraglich mit Indien vereinbarten Menge von 30 Millionen Dosen des vom Serum Institute of India hergestellten Oxford AstraZeneca-Impfstoffs erhalten (AnAg 22.5.2021).
Um eine Übertragung von den als ansteckender eingestuften Varianten des COVID-19-Virus aus Indien zu verhindern, wurden Flüge abgesagt und Grenzen geschlossen (TG 5.5.2021).
Quellen:
? AnAg – Anadolu Agency (22.5.2021): Bangladesh extends border lockdown with India, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-extends-border-lockdown-with-india/2251062, Zugriff 25.5.2021
? AI – Amnesty International (19.5.2021): Bangladesh: Rozina Islam must not be punished for her journalistic work, Zugriff 19.5.2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2051859.html, Zugriff 1.6.2021
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff 18.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 17.5.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 17.5.2021
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest [Deutschland] (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? HRW – Human Rights Watch: Bangladesh (20.5.2021): Arrest of Journalist Investigating Corruption, https://www.ecoi.net/de/dokument/2052025.html, Zugriff 1.6.2021
? iMMAP – Information Management and Mine Action Programs (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (3.2021): COVID-19 Situation Analysis , https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iMMAP_COVID-19_Bangladesh_Analysis%20Report_032021.pdf, Zugriff 17.5.2021ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? TG – The Guardian (5.5.2021): India’s neighbours close borders as Covid wave spreads across region, https://www.theguardian.com/world/2021/may/05/indias-neighbours-close-borders-as-covid-wave-spreads-across-region, Zugriff 25.5.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Unabhängigkeit und der Übergang zur Demokratie brachten ein Einparteiensystem, mehrere Militärputsche (1975 und 1982), zwei Übergangsregierungen, Ausnahmezustände und Machtkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga (AL). Die beiden Parteien regieren Bangladesch seit 1991 abwechselnd (OMCT 7.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch. Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 30.3.2021; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der BNP und der AL als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit um die Führung des Landes konkurriert haben. Unterstützt werden die beiden Parteien von einem kleinen Kreis von Beratern (FH 3.3.2021). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die "Große Allianz" um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019). Diese waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a). Die rivalisierenden Parteien AL und BNP dominieren die Politik und schränken die politischen Handlungsmöglichkeiten für diejenigen ein, die parteiinterne Strukturen oder Hierarchien in Frage stellen oder alternative Parteien oder politische Gruppierungen gründen wollen, Animositäten zwischen den Parteispitzen von AL und BNP die sich bis in die Kader der unteren Ebenen ziehen, haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (FH 3.3.2021).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses (FIDH 29.12.2018). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit diese auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021).
Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 28.5.2021)
? FIDH - International Federation for Human Rights (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? OMCT – World Organisation Against Torture (7.2019): Cycle of Fear - Combating Impunity for Torture and Strengthening the Rule of Law in Bangladesh, https://www.omct.org/files/2019/07/25475/cycleoffear_bangladesh_report_omct.pdf, Zugriff 1.6.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 28.5.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Die Sicherheitslage in Bangladesch ist volatil und kann sich kurzfristig deutlich verschlechtern (EDA 27.5.201; vgl. DFAT 22.8.2019). Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen latente Spannungen, die sich teilweise ohne grosse Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstössen entladen können (EDA 27.5.2021). Terroristische Anschläge islamistischer Extremistengruppen verfügen über ein Gefährdungspotential gegenüber dem Staat (DFAT 22.8.2019). 2017 kam es im Land zu mehreren Selbstmordattentaten (SATP 26.5.2021a). Der "Islamische Staat" ruft zu weiteren Attentaten auf (BMEIA 27.5.2021).
Die Regierungen Bangladeschs stehen vor der Herausforderung, mit extremistischen islamistischen Gruppen umzugehen, die Gewalt gegen eine Vielzahl von staatlichen und zivilen Zielen planen oder ausführen können. Von den Behörden wurde auf solche Angriffe stets robust reagiert. Wichtige militante Gruppen wurden verboten und Hunderte von Kämpfern verhaftet. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Sicherheitsoperationen gegen militante Gruppen zu einer hohen Zahl von außergerichtlichen Tötungen führen (DFAT 22.8.2019).
Es wird davon ausgegangen, dass Operationen gegen terroristische Gruppen, zusammen mit der sich allmählich verbessernden Koordination der Regierung bei der Terrorismusbekämpfung, die Fähigkeiten militanter Gruppen verringert haben. Trotzdem kann das Risiko weiterer Anschläge nicht ausgeschlossen werden (DFAT 22.8.2019). Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 99 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2020 wurden 88 solcher Vorfälle, bis zum 26.5.2021 wurden insgesamt 35 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 28.5.2021b).
Bangladesch hat seine Ansprüche an den Seegrenzen zu Myanmar und Indien an den Internationalen Seegerichtshof herangetragen; der Besuch des indischen Premierministers Singh im September 2011 in Bangladesch führte zur Unterzeichnung eines Protokolls zum Landgrenzenabkommen zwischen Indien und Bangladesch von 1974, das die Beilegung langjähriger Grenzstreitigkeiten über nicht abgegrenzte Gebiete und den Austausch von territorialen Enklaven vorsah, aber nie umgesetzt wurde (CIA 4.5.2021). An der Grenze zu Indien kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden dabei Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren oder sich im Nahbereich der Grenze befinden (DT 22.12.2020).
Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen, insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt (EDA 27.5.2021; vgl. CIA 4.5.2021). Die Rohingya werden von den Behörden Bangladeschs als zusätzlichen Sicherheitsbedrohung in Cox's Bazar mit möglichen Auswirkungen auf kommunale Gewalt, Menschenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel und einhergehenden möglichen Radikalisierungen wahrgenommen (DFAT 22.8.2019). Durch die myanmarischen Grenzbehörden wurde eine 200 km langer Drahtsperranlage, der illegale Grenzübertritte und Spannungen durch die militärische Aufrüstung entlang der Grenze verhindern soll, errichtet (CIA 24.5.2021).
Potential für Bedrohungen mit Bezug auf die Sicherheitslage haben ebeno politisch motivierte Gewalt (insbesondere im Vorfeld von Wahlen) (DFAT 22.8.2019). Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil der Gewalt im Land verantwortlich. Die Animositäten zwischen den beiden Parteien sowie zwischen den Kadern der unteren Ebenen haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (HRW 13.1.2021; vgl. ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 3.3.2021). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018). Im Jahr 2020 wurden 73 Tote und 2.883 Verletzte aufgrund politischer Gewalt sowie 2.339 Verletzte bei innerparteilichen Zusammenstößen registriert. Gewaltsame politische Proteste und wahlbezogene Gewalt hielten auch 2020 an (HRW 13.1.2021; vgl. ODHIKAR 25.1.2021).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene "Studentenorganisationen". Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Es kommt zu Fällen krimineller Gewalt, sowie zu sporadische Zusammenstößen in den Chittagong Hill Tracts (CHT) zwischen indigenen Gruppen und bengalischen Siedlern wegen Landbesitz und -nutzung (DFAT 22.8.2019). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden und sich in gewalttätige Auseinandersetzungen entladen (UKFCO 27.5.2021; vgl. AA 28.7.2020, AI 1.4.2021). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie etwa Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland [Deutschland] (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AI – Amnesty International (1.4.2021): Bangladesh authorities must conduct prompt, thorough, impartial, and independent investigations into the death of protesters and respect people’s right to peaceful assembly, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048271.html, Zugriff 27.4.2021
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (27.5.2021) (Unverändert gültig seit: 26.05.2021): Bangladesch (Volksrepublik Bangladesch) – Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 27.5.2021
? CIA – Central Intelligence Agency [USA] (24.5.2021): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/bangladesh/, Zugriff 28.5.2021
? DT – DhakaTribune (22.12.2020): Bangladesh sees highest border deaths in 10 years, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/2020/12/22/bangladesh-sees-highest-border-deaths-in-10-years, Zugriff 25.5.2021
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (27.05.2021) (publiziert am 14.08.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 27.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 19.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ODHIKAR (25.1.2021): Annual Human Rights Report 2020, Bangladesh, https://www.fidh.org/IMG/pdf/annual-hr-report-2020_eng.pdf, Zugriff 28.5.2021
? SATP – South Asia Terrorism Portal (26.5.2021a): Yearly Suicide Attacks, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/suicide-attacks/bangladesh, Zugriff 28.5.2021
? SATP – South Asia Terrorism Portal (26.5.2021b): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2021, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 28.5.2021
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office [UK] (27.5.2021) (erstellt am: 24.5.2021): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, Political violence, Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 27.5.2021
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Politisierung der Justiz und der Druck auf sie halten an (FH 3.3.2021). Seit die Awami-Liga (AL) im Jahr 2009 an die Macht kam, hat die von ihr geführte Regierung begonnen, erheblichen Einfluss auf die Justiz auszuüben (FIDH 25.1.2021). Vorwürfe des politischen Drucks auf Richter sind üblich, ebenso wie der Vorwurf, dass unqualifizierte AL-Loyalisten in Gerichtspositionen berufen werden (FH 3.3.2021). Wie die meisten Beobachter übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der Regierungspartei werden regelmäßig aus "politischer Rücksichtnahme" zurückgezogen (FH 3.3.2021).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus "Magistrates", die der Exekutive