Entscheidungsdatum
23.09.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W105 1433279-2/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Wolfgang AUNER in 8700 Leoben, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.06.2018, Zahl: XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. und III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 25.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung von XXXX um weitere zwei Jahre verlängert.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Zum Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 24.01.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 24.01.2013 wurde er durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen.
1.2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 31.01.2013 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.
1.3. Mit Bescheid vom 15.02.2013 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.).
1.4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde. Am 24.06.2015 zog er seine Beschwerde bezüglich Spruchpunkt I. des Bescheides (§ 3 AsylG) zurück. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2015 wurde das Verfahren über die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides eingestellt.
1.5. Vor dem Bundesverwaltungsgericht fand am 09.06.2015 eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seiner Identität, Herkunft und seinem Leben in Afghanistan und in Österreich befragt wurde.
1.6. Mit Erkenntnis vom 25.06.2015 ( XXXX ) gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. des angefochtenen Bescheides vom 15.02.2013 statt und erkannte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.06.2016 erteilt.
Die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes wurde damit begründet, dass es sich bei dem Beschwerdeführer zwar um einen arbeitsfähigen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden müsse, dass der Beschwerdeführer aus der Provinz Nangarhar stammen würde und sich seine Familie dort aufhalten würde. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers sei allgemein gefährlich, und eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative, etwa in der Hauptstadt Kabul oder anderen Provinzen stehe dem Beschwerdeführer mangels eines sozialen Netzwerks nicht zur Verfügung. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr ausgesetzt sein, in Rechten nach Art. 3 EMRK verletzt zu werden. Der Entscheidungsbegründung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Stand 19.11.2014, zugrunde gelegt.
2. Zum Verfahren über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
2.1. Über Antrag des Beschwerdeführers vom 10.05.2016 verlängerte die belangte Behörde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 am 04.08.2016.
2.2. Am 25.04.2018 brachte der Beschwerdeführer fristgerecht einen weiteren Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung bei der belangten Behörde ein.
2.3. Am 15.06.2018 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes vom 25.04.2018 vor der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, er sei gesund und nehme keine Medikamente ein, er habe bis zum Verlassens Afghanistans in seiner Heimatprovinz Nangarhar gelebt, sieben Jahre die Schule besucht und sechs Jahre lang als Wachmann gearbeitet. Er sei verheiratet und habe fünf Kinder, seine Familie lebe zusammen mit seiner Mutter nach wie vor in Afghanistan in der Heimatprovinz. Sein Vater sei verstorben, er habe drei verheiratete Schwestern und einen arbeitslosen Bruder, sowie weitere Verwandte (Tanten und Onkel). Eine Schwester würde in Kabul leben, eine in London und die dritte Schwester würde, so wie alle weiteren Verwandten, in der Heimatprovinz leben. Der Beschwerdeführer gab an, er hätte regelmäßig Kontakt zu seiner Ehefrau und seinen Kindern, sowie zu seinen Geschwistern. Er brachte vor, er könne aufgrund seiner bisherigen Arbeitstätigkeit für die Amerikaner in Afghanistan und aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan nicht zurückkehren. Er legte Unterlagen betreffend seine Integrationsbemühungen (Bestätigung über seine Arbeitstätigkeit in Österreich sowie ein Unterstützungsschreiben) vor.
2.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.06.2018, der dem Beschwerdeführer am 21.06.2018 zugestellt wurde, erkannte die belangte Behörde den dem Beschwerdeführer mit Erkenntnis vom 25.06.2015 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), wies den Antrag des Beschwerdeführers vom 25.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 (Spruchpunkt (IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.), und die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).
Zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten führte die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung aus, dass die Voraussetzungen die zur Zuerkennung des Status geführt hätten nicht mehr vorliegen würden und stützte die Aberkennung auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005. Die belangte Behörde hat die Aberkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zusammengefasst im Wesentlichen auf den Umstand gestützt, dass der Beschwerdeführer als gesunder und arbeitsfähiger Mann dazu in der Lage wäre, den Lebensunterhalt für sich durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu bestreiten. Zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes sei es dem Beschwerdeführer nicht zumutbar gewesen, die schwierigen Bedingungen in Zusammenhang mit den Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, in Kauf zu nehmen. Die subjektive Lage des Beschwerdeführers hätte sich im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes jedoch dahingehend geändert, dass er nun über familiäre Anknüpfungspunkte in Kabul verfügen würde und ihm daher eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehen würde. Er könne von seiner in Kabul lebenden Schwester und ihrem Ehemann, sowie von der Vielzahl der weiteren in Afghanistan lebenden Familienangehörigen Unterstützung finden.
2.5. Mit Beschwerde vom 11.07.2018, eingelangt am 13.07.2018, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde gegen den Bescheid vom 18.06.2018. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer hätte bereits bei seiner Ersteinvernahme im Jahr 2013 angegeben, dass sich eine Schwester in Kabul aufhalten würde. Selbiges habe er auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ( XXXX ) vorgebracht. Es sei keine Änderung des Sachverhaltes ersichtlich, seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.06.2015 habe sich die Sicherheitslage in Afghanistan nicht verbessert. Der Beschwerdeführer beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge, eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde zurückverweisen.
2.6 Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der bezughabende Verwaltungsakt langten am 20.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
2.7. Mit am 16.08.2018 eingelangter Urkundenvorlage legte der Beschwerdeführer Unterlagen (zahlreiche Fotos des Beschwerdeführers über sein Leben und seine Arbeitstätigkeit in Österreich, sowie drei Unterstützungsschreiben) zum Beweis seiner Integrationsbemühungen vor.
2.8. Am 27.06.2019 legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen zum Beweis seiner Integrationsbemühungen vor: das bestandene ÖSD Zertifikat A2, einen Arbeitsvertrag, sowie drei Unterstützungsschreiben.
2.9. Mit am 14.05.2020 eingelangter Urkundenvorlage legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen über seine Arbeitstätigkeit in Österreich vor: zwei Arbeitsverträge, eine Arbeitsbescheinigung und mehrere Lohnabrechnungen.
2.10. Mit Schreiben vom 24.08.2020 ersuchte der Beschwerdeführer um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.
2.11. Am 29.10.2020 legte der Beschwerdeführer weitere Unterlagen zum Beweis seiner Integrationsbemühungen vor: das bestandene Zeugnis der Integrationsprüfung Sprachniveau B1, einen Arbeitsvertrag, Lohnzettel, einen Mietvertrag sowie Nachweise über die Mitzinszahlungen durch den Beschwerdeführer.
2.12. Mit Schreiben vom 29.12.2020 verständigte das Bundesverwaltungsgericht die Verfahrensparteien vom Ergebnis der stattgefundenen Beweisaufnahme, brachte das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020, in das Verfahren ein und gewährte die Möglichkeit, hierzu binnen zweiwöchiger Frist eine Stellungnahme einzubringen.
2.13. Am 07.01.2021 nahm der Beschwerdeführer zur übermittelten Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung und brachte im Wesentlichen vor, er sei mittlerweile seit beinahe acht Jahren im Bundesgebiet aufhältig und sehr gut integriert. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde sei keine Änderung des Sachverhalts eingetreten bzw. die subjektive Lage des Beschwerdeführers hätte sich nicht geändert. Bedingt durch die Covid-19-Situation habe sich die Lage in Afghanistan verschlechtert.
2.14. Mit Schreiben vom 25.08.2021 brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, dass sich die Lage in Afghanistan nunmehr geändert habe. Die Taliban würden zwar vorgeben, gemäßigter zu sein, jedoch seien diese aus Sicht der Afghanen lediglich tickende Zeitbomben und unberechenbar. Seine Familie müsse in Afghanistan in Todesangst leben. Er habe seit fünf Tagen nichts von seiner Familie gehört. Sollten die Taliban herausfinden, dass er im Ausland lebe, könnte dies das Todesurteil für seine Familie sein, da für jene im Ausland lebende Afghanen eine Gefahr für ihre religiösen Überzeugungen darstellen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Beschwerdeführer:
1.1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Familie:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX . Er wurde am XXXX geboren und stammt aus dem Dorf XXXX , Distrikt XXXX , in der Provinz Nangarhar in Afghanistan, wo er bis zu seiner Ausreise lebte. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Zugehöriger zur Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu, außerdem spricht er Dari, Urdu und Deutsch.
Der Beschwerdeführer besuchte sieben Jahre lang die Schule und arbeitete sechs Jahre lang als Wachmann in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat fünf Kinder.
Er hat einen Bruder und drei Schwestern. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Die Ehefrau und die fünf Kinder des Beschwerdeführers, sowie die Mutter, der Bruder und eine Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Herkunftsprovinz Nangarhar in Afghanistan. Der Bruder des Beschwerdeführers ist arbeitslos.
Die zweite Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in London, die dritte Schwester des Beschwerdeführers ist verheiratet und lebt in Kabul. Der Beschwerdeführer hat noch weitere Verwandte in Afghanistan die in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers leben.
Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.06.2015 angegeben, eine Schwester zu haben die mit ihrem Ehemann in Kabul lebe, und dass er Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan habe (vgl. Seite 4 in OZ 12 aus XXXX ). Er hat nunmehr in seiner schriftlichen Stellungnahme im August 2021 angegeben, dass er seit kurzem keinen Kontakt mit seiner Familie mehr hätte.
1.1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer stellte am 24.01.2013 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Er lebt seit über acht Jahren in Österreich und hält sich seit der Antragstellung durchgehend in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen. Er nimmt am sozialen und gesellschaftlichen Leben in Österreich aktiv und in umfangreicher Weise teil und hat viele österreichische Staatsbürger als Freunde.
Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch, er absolvierte am 14.09.2020 die Integrationsprüfung Sprachniveau B1.
Der Beschwerdeführer war in den vergangenen Jahren in Österreich regelmäßig berufstätig. Er ist arbeitsfähig, gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Mit Erkenntnis vom 25.06.2015 ( XXXX ) erkannte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.06.2016. Der Entscheidungsbegründung wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Stand 19.11.2014, zugrunde gelegt. Die Zuerkennung des Status des subsidiären Schutzes wurde damit begründet, dass es sich bei dem Beschwerdeführer zwar um einen arbeitsfähigen Mann handle, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, demgegenüber aber maßgeblich berücksichtigt werden müsse, dass der Beschwerdeführer aus der Provinz Nangarhar stammen würde und sich seine Familie dort aufhalten würde. Die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers sei allgemein gefährlich, und eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative, etwa in der Hauptstadt Kabul oder anderen Provinzen stehe dem Beschwerdeführer mangels eines sozialen Netzwerks nicht zur Verfügung.
Über Antrag des Beschwerdeführers vom 10.05.2016 verlängerte die belangte Behörde die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 am 04.08.2016. Am 25.04.2018 brachte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Verlängerung der ihm erteilten befristeten Aufenthaltsberechtigung bei der belangten Behörde ein.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18.06.2018 erkannte die belangte Behörde den dem Beschwerdeführer zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab, wies den Antrag des Beschwerdeführers vom 25.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG iVm § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei, und die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. Zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten führte die belangte Behörde aus, dass die Voraussetzungen die zur Zuerkennung des Status geführt hätten nicht mehr vorliegen würden.
1.1.3. Zur aktuellen Situation im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers:
Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in Nangahar der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Kabul, haben sich die Umstände die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.06.2015, bzw. seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Bundesamtes vom 04.08.2016 nicht wesentlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert.
Die Lage in Afghanistan hat sich im August 2021 vielmehr maßgeblich verändert, die afghanische Regierung ist nicht mehr im Amt und die Taliban haben die Macht übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgemäß aktuelle Länderinformationen mit Stand 20.08.2021 zur Entscheidungsfindung herangezogen. Diese Informationen sind allgemein zugänglich und waren auch Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung in den letzten Wochen, weswegen auf eine gesonderte Übermittlung dieser Informationen an die Parteien dieses Verfahrens im Rahmen des Parteiengehörs verzichtet wurde. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind jedenfalls durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.
Das Bundesverwaltungsgericht unterlag im Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten keinem Tatsachenirrtum.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan von seiner Familie unterstützt werden kann.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan liefe der Beschwerdeführer in seinem gesamten Heimatland Gefahr, in eine lebensbedrohende bzw. ausweglose Situation zu geraten. Im Fall des Beschwerdeführers besteht nach wie vor das reale Risiko, dass dieser im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde und dadurch eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK garantierten Rechte droht.
Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation sowie zur Sicherheitslage im Herkunftsland des BF werden daher folgende Feststellungen getroffen:
1. COVID-19:
KI der Staatendokumentation des BFA, 19.07.2021
Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die Covid-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln (DW 17.6.2021; vgl. USAID 11.6.2021) Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff (USAID 11.6.2021). Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen (DW 17.6.2021; vgl. VOA 13.7.2021) und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen (DW 17.6.2021; vgl. VOA 13.7.2021).
Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4% der Bevölkerung sind geimpft (UNICEF 9.7.2021).
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden.
Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“ (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als „schwer erreichbar“ gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis…) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Frauen und Kinder und Binnenvertriebene
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).
Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).
Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).
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