TE Vwgh Erkenntnis 1996/11/7 96/06/0220

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Veröffentlicht am 07.11.1996
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §68 Abs1;
AVG §8;
BauG Stmk 1995 §119 Abs2;
BauO Stmk 1968 §3 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauO Stmk 1968 §61;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der E-Ges.m.b.H. in S, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 26. August 1996, Zl. 03-12.10 S 76-96/1, betreffend Parteistellung des Nachbarn im Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: 1. D in S; 2. Gemeinde S, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aufgrund der Beschwerde und der dieser angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Mit Bescheid der Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Partei vom 11. Dezember 1995 wurde der Beschwerdeführerin die Widmungsänderungsbewilligung (betreffend die Festsetzung der Bebauungsdichte auf 0,2 bis 0,4 von bisher 0,1 bis 0,3) für das Grundstück Nr. 544/2, EZ 2503, KG S, unter gleichzeitiger Abänderung der mit Bescheid vom 19. November 1993 erteilten Widmungsbewilligung (nach der entsprechend der Legaldefinition alle im "reinen Wohngebiet" gemäß § 23 Abs. 5 lit. a Stmk. Raumordnungsgesetz 1974 angeführten Nutzungen für zulässig erklärt wurden) bewilligt. Zwischen dem Grundstück der Beschwerdeführerin und der Erstmitbeteiligten liegt die öffentliche Verkehrsfläche R-Weg (15 m breit). Das Grundstück der Erstmitbeteiligten grenzt an diese öffentliche Verkehrsfläche in der Form eines 45 m langen, 4 m breiten Grundstückstreifens, den die Erstmitbeteiligte als Zufahrt zu den übrigen Teilen dieses Grundstückes Nr. 589/1, KG S, benützt.

Im angeführten Widmungsverfahren beantragte die erstmitbeteiligte Partei die Zustellung der angeführten Widmungsbewilligungsbescheide. Mit Bescheid des Bürgermeisters der zweitmitbeteiligten Partei vom 27. März 1996 wurde dieser Antrag abgewiesen und somit der gleichzeitig gestellte Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung als Nachbar abgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung der Erstmitbeteiligten wurde mit Bescheid des Gemeinderates der zweitmitbeteiligten Partei vom 24. Mai 1996 keine Folge gegeben.

Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Erstmitbeteiligten wurde der Berufungsbescheid mit dem angefochtenen Bescheid wegen Verletzung von Rechten der Erstmitbeteiligten behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Diese Entscheidung wird im wesentlichen damit begründet, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Nachbarn Eigentümer jener Liegenschaften seien, die zu der zur Bebauung vorgesehenen Liegenschaft in einem solchen räumlichen Verhältnis stünden, daß durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf diese Liegenschaft zu rechnen sei, zu deren Abwehr die Bauordnung eine Handhabe biete. Schon die Möglichkeit einer Rechtsverletzung begründe die Parteistellung gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung 1968 und nicht erst das tatsächliche Eintreten nachteiliger Auswirkungen. Die Steiermärkische Bauordnung 1968 enthalte keine Definition des Begriffes "Nachbar". Es komme für die Parteistellung als Nachbar nicht ausschließlich auf die gemeinsamen Grundgrenzen an, sondern darauf, ob Einwirkungen von dem zu bewilligenden Bauvorhaben trotz eines allenfalls dazwischenliegenden Grundstückes nicht von vornherein auszuschließen seien. Diesbezüglich könne auch der Umstand, daß die Liegenschaft der Beschwerdeführerin von der Erstmitbeteiligten durch eine 15 m breite Straße getrennt sei, nichts an der Parteistellung des Nachbarn ändern. Der Nachbar besitze jedoch im Verfahren nur dann einen Rechtsanspruch auf Abweisung eines bestimmten Vorhabens, wenn im Falle der Realisierung des geplanten Projektes seine subjektiv-öffentlichen Rechte beeinträchtigt würden. Im vorliegenden Verfahren wende die Erstmitbeteiligte im wesentlichen ein, daß ihr ein subjektiv-öffentliches Recht auf gesetzmäßige Handhabung des Planungsermessens bei Festlegung der Bebauungsgrundlagen zustehe. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, daß ein Teil ihres bebauten Grundstückes als Zufahrt ausgebildet sei. Der Erstmitbeteiligten sei Recht zu geben, daß man durch ihr im unmittelbaren Nahbereich des zur Bebauung ausersehenen Bauplatzes befindliches Grundstück, wenn auch nur eine Zufahrt sei, die zu ihrem Hause führe, nicht von vornherein die Parteistellung ausschließen könne. Das von der Berufungsbehörde herangezogene Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 17. Juni 1992, Zl. 87/06/0069, beziehe sich ausschließlich auf eine öffentliche Verkehrsfläche. Im vorliegenden Fall habe die Erstmitbeteiligte nicht nur das Eigentum an der privaten Zufahrtsstraße, sondern befinde sich auf diesem Grundstück auch ein Bauwerk. Es bestehe an diesem Bauwerk und an dieser Liegenschaft somit sehr wohl eine privatrechtliche Nutzungsmöglichkeit.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich vor allem dadurch in Rechten verletzt, daß der angefochtene Bescheid die Beseitigung der formellen Rechtskraft der erteilten Widmungsbewilligung zur Folge habe und sie daran hindere, um Erteilung der Baubewilligung für ein konkretes Projekt gemäß dem Stmk. Baugesetz anzusuchen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 119 Abs. 2 Stmk. Baugesetz, LGBl. Nr. 59/1995, sind die im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1. September 1995) anhängigen Verfahren nach den bisher geltenden Bestimmungen zu Ende zu führen.

Verfahren, die durch Anträge auf Zustellung bereits rechtskräftiger Bescheide von Personen ausgelöst werden, die der Auffassung sind, sie hätten in diesen Verfahren als Partei beigezogen werden müssen, müssen jenen Verfahren zugerechnet werden, die zur Erlassung der begehrten Bescheide geführt haben. Bei den in Frage stehenden Widmungsbewilligungsverfahren handelt es sich um solche Verfahren im Sinne des § 119 Abs. 2 Stmk. Baugesetz. Das Verfahren betreffend die Widmungsänderung war im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gestzes anhängig. Das Verfahren betreffend die Widmungsbewilligung vom 19. November 1993 muß aufgrund der von der Erstmitbeteiligten begehrten Zustellung des ergangenen Bewilligungsbescheides als im genannten Zeitpunkt noch anhängig qualifiziert werden. Für die Frage, ob die Erstmitbeteiligte im Widmungsbewilligungsverfahren Parteistellung hat, war somit die Steiermärkische Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, zuletzt geändert durch die Novelle LGBl. Nr. 54/1992, heranzuziehen. Gemäß § 3 Abs. 1 Stmk. Bauordnung 1968 in der Fassung LGBl. Nr. 14/1989 sind im Widmungsverfahren betreffend die mündliche Verhandlung die Bestimmungen über die Bauverhandlung (§ 61) sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 61 Abs. 1 Stmk. Bauordnung in der selben Fassung kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen. § 3 Abs. 1 Stmk. Bauordnung 1968 ordnet durch die Verweisung auf § 62 Abs. 2 an, daß über Einwendungen der Nachbarn in der Widmungsbewilligung zu entscheiden ist, womit der Gesetzgeber eine formelle Gleichstellung der Nachbarn im Widmungs- und im Baubewilligungsverfahren vorgesehen hat. Da die Bebauungsbestimmungen nicht nur der Wahrung öffentlicher Interessen, sondern auch der Wahrung der Nachbarinteressen dienen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1978, Slg. Nr. 9649/A), kann der Nachbar in einem Widmungsverfahren, welches mangels Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen auch der Festlegung der zulässigen Widmung und der Bebauungsbestimmungen dient, gegen diese Festlegungen in jenem Sachbereich Einwendungen erheben, in welchen ihm dies, wären die Bebauungsgrundlagen durch generellen Verwaltungsakt festgesetzt, in der Richtung hin freistünde, daß das Vorhaben dem Flächenwidmungsplan oder dem Bebaungsplan widerspricht. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis Slg. Nr. 9649/A) hat der Nachbar im Widmungsverfahren unbeschadet des Rechtes der Behörde auf Handhabung des Planungsermessens - in jenen Belangen, die Nachbarschaftsinteressen berühren - einen Anspruch auf Handhabung des Planungsermessens im Sinne des Gesetzes, sodaß die Behörde für ihre Ermessensübung eine materielle Begründung liefern muß, wie sie dem Rechtsschutzinteresse der Parteien und der Kontrollaufgabe des Verwaltungsgerichtshofes gerecht wird.

Die Stmk. Bauordnung definiert den Begriff des Nachbarn nicht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Februar 1978, Slg. Nr. 9485/A) sind Nachbarn Eigentümer jener Liegenschaften, die zu der zur Bebauung vorgesehenen Liegenschaft in einem solchen räumlichen Verhältnis stehen, daß durch den Bestand oder die konsensgemäße Benützung des geplanten Bauwerkes mit Einwirkungen auf diese Liegenschaft zu rechnen ist, zu deren Abwehr die Bauordnung eine Handhabe bietet. Schon die Möglichkeit einer Rechtsverletzung begründet die Parteistellung gemäß § 61 Abs. 2 Stmk. Bauordnung und nicht erst das tatsächliche Eintreten nachteiliger Auswirkungen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 18. Dezember 1986,

Zlen. 86/06/0185, 0195, BauSlg. Nr. 835, und vom 9. März 1993, Zl. 93/06/0028). Der Umstand, daß die Liegenschaft der Erstmitbeteiligten von der der Beschwerdeführerin durch eine 15 m breite Straße getrennt ist, kann an ihrer Parteistellung nichts ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 1979, Zl. 1511/78). Im hg. Erkenntnis vom 28. Februar 1984, Zl. 83/05/0215, BauSlg. Nr. 201, stellte der Verwaltungsgerichtshof fest, daß auch jenseits einer öffentlichen Verkehrsfläche befindliche Nachbarn dem baubehördlichen Bewilligungsverfahren beizuziehen sind. Der Umstand, daß die Erstmitbeteiligte den an die Verkehrsfläche grenzenden Grundstücksstreifen als Zufahrt zu ihrem dahinter gelegenen breiteren Teil des Grundstückes verwendet, bedeutet nicht, daß die privatrechtliche Nutzungsmöglichkeit dieses Nachbargrundstückes zu verneinen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 1992, Zl. 87/06/0069). Auch die Beschwerdeführerin behauptet nicht, daß es sich bei dieser Zufahrt um eine dem öffentlichen Verkehr dienende Verkehrsfläche handle. Da das Grundstück der Erstmitbeteiligten von dem zu bebauenden Grundstück der Beschwerdeführerin lediglich durch eine öffentliche Verkehrsfläche getrennt ist, hat die belangte Behörde die Frage der Parteistellung der Erstmitbeteiligten als Grundeigentümerin des angeführten benachbarten Grundstückes zu Recht bejaht und die diesbezüglich negative Entscheidung der Berufungsbehörde aufgehoben.

Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Bei diesem Ergebnis erübrigte sich eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Baurecht Nachbar übergangener Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996060220.X00

Im RIS seit

08.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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