Entscheidungsdatum
05.10.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W144 1267991-3/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX , XXXX alias XXXX geb., StA. von Armenien alias Aserbaidschan, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.09.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) stellte am 13.05.2004 in Österreich einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien für zulässig erklärt und gemäß § 8 Abs. 2 AsylG die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.02.2011, Zl. XXXX , „gemäß §§ 7, 8 Abs 1 u. 2 AsylG 1997 BGBl I Nr. 76/1997 idF BGBl I Nr. I 101/2003, §§ 10 Abs. 1 Z 2, 75 Abs 8 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009“ als unbegründet ab.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 03.05.2011, Zl. XXXX wurde die Behandlung der gegen das Erkenntnis des Asylgerichtshofes erhobenen Beschwerde abgelehnt.
Am 29.08.2005 wurde der BF vom Bezirksgericht XXXX wegen § 127 iVm § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Tagen unter Gewährung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 20.06.2006 wurde der BF wegen § 127 iVm § 15 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen unter Gewährung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Am 02.07.2009 wurde der BF vom Landesgericht XXXX wegen § 127 und § 129 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Unter einem wurden mit Beschluss die zuvor durch das Bezirksgericht XXXX und durch das Bezirksgericht XXXX gewährten bedingten Strafnachsichten widerrufen.
Mit Schriftsatz vom 13.11.2014 stellte der BF im Wege seiner damaligen rechtsfreundlichen Vertretung beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete.
Am 20.08.2015 wurde der BF vom Landesgericht XXXX wegen § 27 Abs. 1 Z 1 dritter Fall und § 27 Abs. 1 Z 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Gewährung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Mit Schriftsatz vom 14.09.2015 erhob der BF Säumnisbeschwerde mit der Begründung, dass das BFA seit Einjournalisierung des Antrages am 14.11.2014 keinerlei Amtshandlungen gesetzt habe.
Das Bundesverwaltungsgericht gab mit Erkenntnis vom 08.02.2016, Zl. XXXX , dieser Beschwerde statt.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.01.2017 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 31.01.2017, Zl. XXXX , den Antrag des BF auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 13.11.2014 gemäß § 46a Abs. 1, Abs. 3 Z 1 und Abs. 4 FPG BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 ab.
Mit Mandatsbescheid des BFA vom 04.08.2020 wurde dem BF gemäß § 57 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 57 Abs. 1 AVG aufgetragen, bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in einer Betreuungseinrichtung in XXXX zu nehmen.
Gegen diesen Mandatsbescheid erhob der BF mit Schriftsatz seines rechtsfreundlichen Vertreters vom 14.08.2020 Vorstellung.
Nachdem der BF mit Schreiben des BFA vom 20.08.2020 zur Beantwortung von Fragen sowie zur Vorlage der entsprechenden Belege ersucht und ihm gleichzeitig eine Frist von 14 Tagen zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme gewährt wurde, langte am 10.09.2020 eine Stellungnahme des BF im Wege eines Schreibens seines rechtsfreundlichen Vertreters ein.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17.09.2020 trug das BFA dem BF auf, gemäß § 57 Abs. 1 FPG bis zu seiner Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung XXXX zu nehmen und dieser Verpflichtung unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.). Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 13 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgerichtsgesetz (VwGVG) idgF ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).
Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.11.2020, Zl. XXXX , gemäß § 57 FPG als unbegründet ab.
Dieses Erkenntnis wurde in der Folge mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.06.2021, Ra 2020/21/0521, mit im Wesentlichen folgender Begründung aufgehoben:
„Vom Vorliegen einer Situation, die eine solche Maßnahme zum Entgegenwirken einer bestehenden Gefahr im Verzug notwendig macht, wird in aller Regel - so stellte der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis klar - nur dann ausgegangen werden können, wenn eine alsbaldige Abschiebung des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Raum steht, deren Vorbereitung seine Unterkunftnahme in dem konkret in Betracht gezogenen Quartier des Bundes erfordert.
Dass dies gegenständlich der Fall sei, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht aufgezeigt. Es bleibt daher völlig offen, weshalb (zudem ohne erkennbare Absehbarkeit eines konkreten Abschiebetermins) bereits jetzt die Verlegung des Revisionswerbers in eine vom bisherigen Wohnort weit entfernte und abgelegene „Rückkehrberatungseinrichtung“ (mit gemäß § 52a Abs. 1 FPG auf das Gebiet der dortigen Bezirksverwaltungsbehörde eingeschränktem Aufenthalt) als „ultima-ratio-Maßnahme“ geboten erscheint (siehe zum Ganzen im Übrigen auch noch VwGH 17.5.2021, Ra 2021/21/0010).“
Auf Nachfrage seitens des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich der Absehbarkeit einer Abschiebung im Falle des BF teilte das BFA mit E-Mail vom 24.09.2021 wie folgt mit: „Der Fremde hat bis dato keine Identitätsnachweise vorgelegt, unterschiedliche Angaben über seinen Namen, Geburtsdatum und Nationalität gemacht und konnten daher weder die Identität noch die Staatsangehörigkeit geklärt werden. Weiters hat er aus Eigenem keine neuen Reisedokumente besorgt und sich nicht ausreisewillig gezeigt. Da die Identität und die Nationalität des Fremden aus seinem Verschulden nicht feststeht, kann erst nach erfolgter Klärung eine Abschiebung erfolgen.“
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Darüber hinaus wird festgestellt, dass mit E-Mail vom 13.12.2011 die armenische Botschaft in Wien mitteilte, es könne kein Heimreisezertifikat für XXXX erteilt werden.
Am 30.03.2012 bestätigte die Botschaft der Republik Armenien, dass keine Angaben über XXXX , geboren am XXXX “ bezüglich seiner Staatsangehörigkeit vorhanden seien und der genannten Person kein Pass der Republik Armenien ausgestellt worden sei.
Mit Schreiben vom 05.09.2019 gab das armenische „Migration Service“ bekannt, dass „ XXXX “, geboren am „ XXXX “ weder einen Reisepass erhalten noch als armenischer Staatsangehöriger bestätigt wurde, sodass er nicht rückübernommen werden könne.
2. Beweiswürdigung:
Der festgestellte Verfahrensgang ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten und den vorliegenden Gerichtsakten.
Die Feststellungen betreffend die Antworten der armenischen Behörden ergeben sich aus den in den Verwaltungsakten einliegenden Schriftstücken.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Der Verwaltungsgerichtshof stellte im Erkenntnis vom 17.05.2021, Ra 2020/21/0406, klar, dass vom Vorliegen einer Situation, die eine Wohnsitzauflage zum Entgegenwirken einer bestehenden Gefahr im Verzug notwendig macht, in aller Regel nur dann ausgegangen werden kann, „wenn eine alsbaldige Abschiebung des betreffenden Drittstaatsangehörigen im Raum steht, deren Vorbereitung seine Unterkunftnahme im dem konkret in Betracht gezogenen Quartier des Bundes erfordert“.
Im vorliegenden Fall führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 23.06.2021, Ra 2020/21/0521, aus, dass völlig offen bleibe, „weshalb (zudem ohne erkennbare Absehbarkeit eines konkreten Abschiebetermins) bereits jetzt die Verlegung des Revisionswerbers in eine vom bisherigen Wohnort weit entfernte und abgelegene „Rückkehrberatungseinrichtung“ (mit gemäß § 52a Abs. 1 FPG auf das Gebiet der dortigen Bezirksverwaltungsbehörde eingeschränktem Aufenthalt) als „ultima-ratio-Maßnahme“ geboten erscheint (…)“.
Aus der Aktenlage ist im gegenständlichen Fall nicht ersichtlich, dass eine „alsbaldige“ Abschiebung des BF im Raum stehen würde. Die seit dem Jahr 2011 aktenkundigen Bemühungen des BFA zur Erlangung eines Heimreisezertifikats für den BF blieben bis dato erfolglos. Erst kürzlich teilte das BFA auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts mit, dass die Identität und die Nationalität des BF aus seinem Verschulden nicht feststehe, weshalb erst nach erfolgter Klärung eine Abschiebung erfolgen könne. Seitens des BFA wurde sohin weder ein konkret absehbarer Abschiebetermin dargelegt, noch aufgezeigt, dass aufgrund (neuer) aussichtsreicher Bemühungen seitens des BFA, alsbald mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats für den BF und in der Folge mit seiner Abschiebung zu rechnen sei. Dies ist auch nicht anhand der Aktenlage erkennbar, zumal zuletzt von den armenischen Behörden im September 2019 mitgeteilt wurde, dass der BF unter der Identität „ XXXX “ nicht rückübernommen werden könne. Es sind auch keine weiteren aussichtsreichen Schritte des BFA zur Erlangung eines Heimreisezertifikates im Hinblick auf eine etwaig andere Staatsangehörigkeit des BF bekannt, zumal sich diese weder aus den vom BFA in Vorlage gebrachten Akten noch aus der Antwort des BFA auf die Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts im Hinblick auf die Absehbarkeit einer Abschiebung ergeben.
Im Entscheidungszeitpunkt steht sohin eine „alsbaldige“ Abschiebung des BF noch nicht im Raum, weshalb der angefochtene Bescheid im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.06.2021, Ra 2020/21/0521, ersatzlos zu beheben war.
Die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ist eine Entscheidung in der Sache selbst und als verfahrensrechtliche Grundlage für eine solche Entscheidung ist im Spruch daher § 28 Abs. 1 und Abs. 2 (bzw. Abs. 3 Satz 1) VwGVG zu nennen (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0162). Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich im vorliegenden Fall auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu A) wiedergegeben. Insoweit die dort angeführte Judikatur zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Abschiebungsnähe aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Ersatzentscheidung ersatzlose Behebung WohnsitzauflageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W144.1267991.3.00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
13.12.2021