Entscheidungsdatum
06.10.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W109 2204598-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 19.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.11.2020 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 01.01.2016 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 02.01.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Logar, habe drei Jahre die Schule besucht, sei jedoch Analphabet und habe noch nie gearbeitet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, er und sein Bruder hätten Einladungen zur Hochzeit eines weiteren Bruders verteilt. Zur Hochzeit seien ungeladen Talibankämpfer gekommen, der Vater habe sie bewirten müssen und habe sie, nachdem sie das Haus nicht freiwillig verlassen hätten, hinausschmeißen müssen. Dennoch seien sie geblieben, bis die Nationalarmee verständigt worden sei und die Taliban angegriffen habe. Dabei seien Vater und Bruder getötet worden. Nach deren Tod hätte der Onkel väterlicherseits die Grundstücke der Familie „enteignet“. Aus Angst vor Taliban und Onkel sei er geflüchtet. Der Onkel sei bei den Taliban.
Am 08.06.2018 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, bei der Hochzeitsfeier seines Bruders seien Taliban aufgetaucht. Der Vater habe sie gebeten, das Haus zu verlassen. Sie hätten sich geweigert und der Vater habe die Polizei gerufen. Die Taliban hätten Vater und Bruder getötet. In dem Moment sei die Polizei gekommen, habe die Taliban angegriffen und einige getötet. Einen Tag nach dem Vorfall seien die Taliban in ihr Haus gekommen und hätten ihnen vorgeworfen, dass sie für die Regierung arbeiten würden. Der Onkel väterlicherseits und sein Sohn hätten ihr Haus beschlagnahmt. Sie seien zum Onkel mütterlicherseits geflohen. Der Beschwerdeführer selbst sei in dem Zeitpunkt mit seinem jüngeren Bruder unterwegs gewesen, um einem Bekannten eine Hochzeitseinladung zu überbringen. Dort hätten sie auch übernachtet. Am nächsten Tag seien sie nachhause gekommen, der Onkel mütterlicherseits sei schon dagewesen, habe ihnen erzählt, was passiert sei und den Beschwerdeführer bei einem Freund in einem anderen Dorf in Sicherheit gebracht. Am Abend sei der Onkel väterlicherseits gekommen, habe sie beschuldigt, dass sie am Tod der Taliban schuld wären. Als Strafe dafür, dass fünf Taliban dabei ums Leben gekommen seien, habe der Onkel väterlicherseits den Beschwerdeführer umbringen wollen. Dies habe er zum Onkel mütterlicherseits berichtet. Wenige Tage später sei der Beschwerdeführer ins Ausland gebracht worden, den Schlepper habe der Onkel organisiert. Es habe Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vater und dem Onkel väterlicherseits wegen Ländereien gegeben. Auch wegen anderen Kleinigkeiten sei es ständig zum Streit gekommen. Der Onkel sei auch gegen die Hochzeit gewesen und habe die Taliban geschickt, um die Hochzeit zu stören. Er habe gewusst, dass das den Vater stören und zu einer Eskalation führen würde. Der Onkel würde mit den Taliban zusammenarbeiten, außerdem seien die Taliban verärgert, weil es fünf Tote gegeben habe.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 19.07.2018, zugestellt am 20.07.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen in Bezug auf die Taliban sei für die Behörde glaubhaft, dem Beschwerdeführer stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Die Provinzen Kabul, Balkh und Herat seien relativ sicher und stünden unter Kontrolle der afghanischen Regierung. Der Beschwerdeführer sei volljährig, gesund und habe bereits vor seiner Einreise nach Österreich seinen Lebensunterhalt erwirtschaften können. Er könne von seinen Angehörigen unterstützt werden. In der Anonymität der Großstadt sei der Beschwerdeführer nicht auffindbar.
3. Am 14.08.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die belangte Behörde halte das Fluchtvorbringen für glaubhaft. Auch Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren sei unter Umständen asylrelevant. Es komme ständig zu Übergriffen und Kämpfen mit Taliban. Die Sicherheitslage sei schlecht.
Mit Verfügung vom 15.04.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W 109 neu zugewiesen.
Mit Ladung vom 16.10.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht Länderberichte in das Verfahren ein.
Am 19.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter und ein Dolmetscher für die Sprache Paschtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil ihm Rache der Taliban drohe, aufrecht.
Mit Schreiben vom 28.12.2020, vom 09.03.2021 und vom 12.04.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Am 26.01.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
– Mitgliedsbestsätigung Fitnessstudio
– Zwei Arbeitsverträge unter aufschiebender Bedingung
– Arbeitgeberbestätigung
– Einstellungszusage
– Mehrere Empfehlungsschreiben
– Empfehlung des Vermieters
– Deutschkursbestätigung
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde im Jahr XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch etwas Farsi und etwas Deutsch.
Der Beschwerdeführer ist gesund und in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer stamm aus einem Dorf in der Provinz Logar, Distrikt Charkh, wo er auch aufwuchs und drei Jahre die Schule besucht hat. Die Familie lebte im eigenen Haus und betrieb eine Landwirtschaft, in der auch der Beschwerdeführer mitarbeitete. Der Beschwerdeführer hat einen älteren und einen jüngeren Bruder, sowie eine Schwester.
Die Familie des Beschwerdeführers ist im Herkunftsstaat verblieben. Dort leben zudem ein Onkel väterlicher- und ein Onkel mütterlicherseits.
In Österreich hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht. Er trainiert regelmäßig im örtlichen Fitnessstudio seiner Wohnsitzgemeinde, wo er zahlreiche soziale Kontakte geknüpft hat, aus denen auch Freundschaften entstanden sind. Auch sonst macht der Beschwerdeführer sehr viel Sport und möchte Fitnesstrainer werden. Er verfügt über mehrere Einstellungszusagen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es kann nicht festgestellt werden, dass Taliban auf Einladung des Onkels väterlicherseits des Beschwerdeführers zur Hochzeit des älteren Bruders des Beschwerdeführers erschienen, der Vater die afghanischen Sicherheitskräfte gerufen hat und Vater und Bruder von den Taliban getötet wurden, sowie, dass in der Folge nach Eintreffen der Sicherheitskräfte fünf Taliban erschossen wurden.
1. 3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv und haben Afghanistan von 1996 bis 2001 regiert. Seit 2001 haben sie einige Grundprinzipien bewahrt, u. a. eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts in den von ihr kontrollierten Gebieten.
Seit dem Beginn des Abzuges internationaler Truppen am 01.05.2021 konnten die Taliban ihre Gebietskontrolle zunehmend ausweiten. So standen am 03.06.2021 90 Distrikte unter ihrer Kontrolle, während sich mit Stand 19.07.2021 229 Distrikte in Händen der Taliban befanden. Im Juli wurden auch wichtige Grenzübergänge erobert. Ende Juli/Anfang August kämpfte die Regierung gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gar und Kandahar. Im August 2021 beschleunigte sich der Vormarsch der Taliban, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen. Am 15.08.2021 haben die Taliban größtenteils friedlich Kabul eingenommen, alle Regierungsgebäude und Checkpoints der Stadt besetzt, den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der afghanische Präsident war zuvor außer Landes geflohen. Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten, jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten. Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten.
Mit dem Vormarsch der Taliban haben Kampfhandlungen und konfliktbedingte Todesopfer drastisch zugenommen. Zwischen 01.01.2021 und 30.06.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Mitte August wurden über 3.750 zivile Opfer dokumentiert. Im Mai und Juli führte die Zunahme von Kampfhandlungen zu über 23.000 konfliktbezogenen Vorfällen, das sind beinahe doppelt so viele wie im Zeitraum Jänner bis April. Im Jahr 2021 wurden 550.000 Menschen intern vertrieben, 400.000 davon zwischen 01.05.2021 und Mitte August. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen. Im August und September kam es zu Lokalen Kampfhandlungen, z.B. in Maidan Wardak und Daikundi. Anfang September kam es zudem zu schweren Kampfhandlungen im Panjshir-Tal, das die Taliban schließlich einnahmen.
Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden. Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet. Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin.
Die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban auf die humanitäre Lage sind noch nicht klar. Bedingt durch im Jahr 2021 signifikant höhere Anzahl ziviler Opfer und Vertreibungen ist mit höherem humanitärem Bedarf zu rechnen. UN-Generalsekretär Guterres spricht von einer humanitären und ökonomischen Krise und warnt vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung.
Die Banken bleiben geschlossen. Die Vereinigten Staaten haben der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt. Die afghanische Währung ist auf ein Rekordtief gefallen. Dies hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen.
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.
Bereits die erhöhte Konfliktintensität der letzten Monate hat zu Störungen in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitig zu höherem Bedarf unter Verwundeten und intern Vertriebenen geführt. Die Konflikteskalation hat in Kombination mit Dürre und Überflutungen, der Coronavirus-Pandemie und konfliktbedingten Störungen des Zugangs zu humanitärer Hilfe die Lage im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung verschlechtert, über 9,1 Millionen Menschen sind akut von Mangelernährung betroffen. Der Zugang zu humanitärer Unterstützung bleibt weiter schwierig. Humanitäre Organisationen fürchten um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen, weswegen mit einer Unterbrechung ihrer Arbeit zu rechnen ist, bis Bedingungen mit den Taliban verhandelt sind. IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Muttersprache und sonstigen des Beschwerdeführers beruhen auf den gleichbleibenden und plausiblen Angaben des Beschwerdeführers, die auch die belangte Behörde nicht in Zweifel zog. Von den Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers konnte sich das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der mündlichen Verhandlung am 19.11.2020 überzeugen, wo eine Verständigung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache möglich war. Der Beschwerdeführer hat allerdings keine Sprachzertifikate in Vorlage gebracht.
Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass ein dahingehendes Vorbringen nicht erstattet und medizinische Unterlagen, die eine gesundheitliche Beeinträchtigung oder Erkrankung des Beschwerdeführers nachweisen würden, nicht vorgelegt wurde. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.11.2020 verneinte der Beschwerdeführer auch diesbezüglich befragt, gesundheitliche Probleme zu haben (OZ 11, S. 4).
Die Feststellungen zu Herkunft und Lebenssituation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben. Auch seine Geschwister hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben.
Den Aufenthalt seiner Familie im Herkunftsstaat bestätigte der Beschwerdeführer zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.11.2020 (OZ 11, S. 5).
Zu seinen Deutschkursen hat der Beschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt (OZ 14), zum Fitnessstudio seinen Mitgliedsvertrag (AS 87). Auch mehrere Einstellungszusagen bzw. aufschiebend bedingte Arbeitsverträge sind aktenkundig (Beilagen zu OZ 11, OZ 14). Zu seinen sozialen Kontakten hat der Beschwerdeführer zahlreiche Empfehlungsschreiben vorgelegt (Beilagen zu OZ 11, OZ 14).
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer schildert sein Fluchtvorbringen im Kern nicht gleichbleibend, sondern weicht in seiner Schilderung im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 19.11.2020 in wesentlichen Handlungselementen von seinen Angaben im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 08.06.2018 ab. So gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme noch an, er und sein jüngerer Bruder seien nachhause gekommen, der Onkel mütterlicherseits schon vor Ort gewesen und habe ihnen erzählt, was passiert sei (AS 80). Im Zuge der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer dagegen an, der Onkel habe sie informiert, nicht nachhause zurück zu kommen (OZ 11, S. 6). Weiter gibt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme zunächst an, es sei das Hochzeitsfest seines Bruders gewesen, außer ihm seien alle bei der Feier gewesen (AS 78), um kurz später – befragt, warum er und sein Bruder noch so spät die Einladung gebracht hätten – zu relativieren, die Hochzeit sei erst am nächsten Tag gewesen, es habe sich um ein vorfeierliches Treffen gehandelt (AS 80). In der mündlichen Verhandlung wiederum spricht der Beschwerdeführer wieder vom Hochzeitsfest seines Bruders (OZ 11, S. 6) und erwähnt seine eigene Rolle in der freien Erzählung des Fluchtvorbringens, nachdem er zu einer möglichst umfassenden Darstellung der Gründe, warum er den Herkunftsstaat verlassen habe, aufgefordert worden war, überhaupt nicht. Insgesamt bleibt die freie Erzählung des Beschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht kurz, floskelhaft und detailarm. Weiter erwähnte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht auch eine vom Onkel ausgehende Gefahr für den Fall der Rückkehr gar nicht mehr, sondern bezieht sich lediglich ganz allgemein auf die Taliban und gibt an, diese wollten Rache, konkretisiert dies jedoch nicht weiter, sondern bleibt auch hier vage und floskelhaft (OZ 11, S. 6). In der niederschriftlichen Einvernahme hatte der Beschwerdeführer noch den Onkel als den auftreten lassen, der sie beschuldigt habe, am Tod der Taliban schuld zu sein. Dieser wolle den Beschwerdeführer aus Rache töten (AS 80).
Weiter kann der Beschwerdeführer die Beweggründe der Taliban und seines Onkels nicht nachvollziehbar darlegen. So gibt er hierzu in der niederschriftlichen Einvernahme am 08.06.2018 lediglich an, der Onkel sei mit der Hochzeit nicht einverstanden gewesen, deshalb seien die Taliban gekommen (AS 79). Auch dieses Detail gibt der Beschwerdeführer erst auf Nachfrage preis und führt keinerlei Beweggründe des Onkels oder der Taliban von sich aus an. Später nochmals befragt, warum der Onkel gegen die Hochzeit gewesen sei, gibt der Beschwerdeführer ebenso floskelhaft an, es habe Meinungsunterschiede zwischen Vater und Onkel gegeben wegen Ländereien und es sei außerdem wegen Kleinigkeiten ständig zum Streit gekommen (AS 81). Er schildert jedoch weiterhin keinerlei konkrete Streitigkeit und insbesondere auch keinerlei konkrete Grund für die Streitigkeiten. Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Beschwerdeführer damals bereits ein junger Mann war, weswegen nicht nachvollziehbar ist, dass er über keinerlei Kenntnisse im Hinblick auf familiäre Streitigkeiten verfügen soll und keinerlei konkrete Angaben zu den Wurzeln und der weiteren Vorgeschichte eines derart eskalierenden Konfliktes machen kann. So gab der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme auch an, der Onkel habe genau gewusst, dass die Anwesenheit der Taliban den Vater stören würde und es dadurch zu einer Eskalation kommen würde (AS 81). Dass der Beschwerdeführer aber eine derart tiefgreifende Feindschaft seines Vaters mit dessen eigenem Bruder nicht weiter begründen und keiner weiteren Angaben machen kann, erscheint schlicht lebensnah.
Weiter ist nicht nachvollziehbar, dass die Taliban sich für die Streitigkeit zwischen Onkel und Vater überhaupt derart instrumentalisieren lassen, dass sie ohne Einladung auf einer Hochzeit erscheinen und diese stören. Auch gibt der Beschwerdeführer dieses Detail, nämlich, dass die Taliban vom Onkel geschickt wurden, erst auf Nachfrage an (AS 79) und macht auch keinerlei konkrete Angaben zur Verflechtung des Onkels mit den Taliban. So ist im Fluchtvorbringen völlig unklar, inwiefern der Onkel des Beschwerdeführers überhaupt eine Position innehaben soll, die ihn ermächtigt, Taliban zur Hochzeit seines Bruders zu schicken. Weiter gibt der Beschwerdeführer abgesehen von den vage geschilderten Streitigkeiten zwischen Onkel und Vater keinerlei Gründe für ein Interesse der Taliban an ihm oder seiner Familie an und ist ein solches auch nicht ersichtlich. In Summe sind die Angaben des Beschwerdeführers völlig vage und derart inkonsistent, dass kein Anhaltspunkt für das Vorliegen etwa eines der Risikoprofile der UNHCR-Richtlinien oder EASO Country Guidance erkennbar ist. Eine weitere Überprüfung des Fluchtvorbringens vor dem Hintergrund der Länderberichte war daher mangels erkennbarer Handlungsmotive der Akteure nicht notwendig.
Insgesamt erweisen sich die Schilderungen des Beschwerdeführers damit als nicht glaubhaft.
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan sowie zur aktuellen Lage unter der Herrschaft der Taliban beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Version 5, Stand 16.09.2021, insbesondere Kapitel Politische Lage, Sicherheitslage, Grundversorgung und Wirtschaft und Medizinische Versorgung, auf dem EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation update von September 2021, auf der ACAPS, Afghanistan. Humanitarien impact and trends analysis von 23.08.2021 und der UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Art. 6 Statusrichtlinie definiert als Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, den Staat (lit. a), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) und nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet Staatlichkeit der Verfolgung den Missbrauch einer aus der Gebietshoheit folgenden Herrschaftsmacht zum Zweck der Verfolgung oder, bei Vornahme von Verfolgungshandlungen durch Private, die Nichtausübung der Gebietshoheit zum Schutz vor Verfolgung (VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).
Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt konnte der Beschwerdeführer jedoch nicht glaubhaft machen, dass ihm von Seiten seines Onkels oder der Taliban Verfolgung droht. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.
3.2. Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 30.01.2018, Ra 2017/20/0406).
Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 bzw 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein „real risk“ vorliegt, wenn stichhaltige Gründe („substantial grounds“) dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen („in the most extreme cases“) diese Voraussetzung erfüllt (EGMR 28.11.2011, 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen („special distinguishing features“), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (EGMR 28.11.2011, 8319/07; 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 217).
Auch im ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, 59.166/12, JK et al gg Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte insbesondere aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (Rz 91, 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (Rz 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (Rz 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (Rz 98).
Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art 15 lit. c Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) und umfasst – wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat – eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; 30.01.2014, C-285/12, Diakité).
Auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes sind von diesen Erwägungen getragen: Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0486).
Außerdem kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben sich die Asylbehörden und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht außerdem mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Die Verpflichtung hierzu finde sich auch im einschlägigen Unionsrecht (VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114).
UNHCR geht in seiner „UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan“ von August 2021 von einer rapiden Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes aus, zeigt sich besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, fordert alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes sicherzustellen. UNHCR hält es zudem nicht für angemessen, afghanische Staatsangehörige und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedelungsperspektive zu verwehren. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan und die sich abzeichnende humanitäre Notlage fordert UNHCR die Staaten dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen. Ein Moratorium solle bestehen bleiben, bis sich die Situation im Land stabilisiert habe und geprüft worden sei, wann die geänderten Umstände im Land eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erlauben würde. Die Hemmung von zwangsweisen Rückführungen stelle eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben müsse, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert habe, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.
Gegenständlich ist den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmen, dass es zuletzt zu einer starken Zunahme ziviler Opfer und einer Steigerung der Gewaltintensität gekommen ist, sowie dass die Lage im Herkunftsstaat seit Machtergreifung der Taliban höchst unübersichtlich und prekär ist. Insbesondere zeichnet sich im Hinblick auf die Versorgungslage eine Zuspitzung der Situation ab.
Daraus ergibt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung der Position von UNHCR, dass die derzeitige Lage in Afghanistan für die Beschwerdeführenden die akute Gefahr einer Verletzung von Art. 2 bzw. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention mit sich bringt bzw. dass eine für die Beschwerdeführenden als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nicht auszuschließen ist. Eine Rückführung würde somit einen Verstoß gegen Art. 2 und 3 EMRK darstellen. Diese Beurteilung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.
Im Ergebnis war der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
3.2.1 Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die Gültigkeitsdauer aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sowie bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeitsdauer der den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern erteilten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte ausgehend vom Zeitpunkt der Zustellung des gegenständlichen Erkenntnisses zu erfolgen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht erkannte dem Beschwerdeführer mit vorliegendem Erkenntnis den Status der bzw. des subsidiär Schutzberechtigten zu. Folglich war spruchgemäß eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr zu erteilen.
Die befristete Aufenthaltsberechtigung gilt damit ein Jahr ab Zustellung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts an den Beschwerdeführer.
4. Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht folgt der unter 3. Umfassend zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
befristete Aufenthaltsberechtigung Glaubwürdigkeit mangelnde Asylrelevanz private Streitigkeiten private Verfolgung Rückkehrsituation Sicherheitslage soziale Gruppe subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verschlechterung VersorgungslageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W109.2204598.1.00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
13.12.2021