TE Bvwg Beschluss 2021/10/25 W286 2156130-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2021
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Entscheidungsdatum

25.10.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §57
VwGVG §22 Abs3

Spruch


W286 2156128-2/4Z
W286 2156130-2/4Z

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über den Antrag von 1) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch RA Dr. Benno WAGENEDER, und 2) XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Marokko, der Beschwerde gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2021. Zahlen 1) 1086560702 – 210600890 und 2) 1086560909 – 210653785 die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen:

I.

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG stattgegeben und den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II.

Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) wies mit Bescheiden jeweils vom 11.04.2017, die Anträge auf internationalen Schutz des Erstantragstellers, eines irakischen Staatsangehörigen, und seiner Ehegattin, der Zweitantragstellerin, einer marokkanischen Staatsangehörigen, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des/der Asylberechtigten und der Zuerkennung des Status des/der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Die belangte Behörde erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak jeweils zulässig sei. Zudem setzte die belangte Behörde ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem am 28.04.2021 mündlich verkündeten Erkenntnis (Zahlen L529 2156128-1/26Z und

L529 2156130-1/28Z) als unbegründet ab. Die beantragte schriftliche Ausfertigung dieses Erkenntnisses erfolgte am 07.10.2021.

3. Mit Mandatsbescheid der belangten Behörde vom 14.07.2021, Zahlen 1) 1086560702/210600890 und 2) 1086560909/210653785, wurde den Antragstellern jeweils aufgetragen, gemäß § 57 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG bis zu ihrer Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung BS RÜBE, 4362 Bad Kreuzen, Neuaigen 12 zu nehmen.

4. Am 29.07.2021 langte die Vorstellung gegen den Mandatsbeschied der belangten Behörde ein.

5. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 02.08.2021 teilte die belangte Behörde den Antragstellern die beabsichtigte weitere Vorgangsweise, nämlich die neuerliche Erlassung einer Wohnsitzauflage gem. § 57 FPG mit und räumte eine siebentätige Stellungnahmefrist ein. Diese Frist wurde auf Ersuchen der Antragsteller bis 20.08.2021 verlängert, an diesem Tag wurde eine Stellungnahme erstattet.

6. Mit den Bescheiden vom 14.09.2021, Zahlen 1) 1086560702 – 210600890 und 2) 1086560909 – 210653785, trug die belangte Behörde den Antragstellern gem. § 57 FPG auf, bis zu ihrer Ausreise durchgängig Unterkunft in der Betreuungseinrichtung BS RÜBE, 4362 Bad Kreuzen, Neuaigen 12 zu nehmen und dieser Verpflichtung haben Sie unverzüglich nachzukommen (Spruchpunkt I.; über die Beschwerden gegen diesen Spruchpunkt wird ein gesondertes Erkenntnis ergehen). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen diese Bescheide wurde von der belangten Behörde jeweils gemäß § 13 Absatz 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt II.).

7. Die Beschwerdevorlage langte am 20.10.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Verfahren wurden zunächst der Gerichtsabteilung L507 zugewiesen. Aufgrund der Unzuständigkeitsanzeige des Leiters dieser Gerichtsabteilung infolge Annexität zu in der Gerichtsabteilung W286 anhängigen Verfahren wurden die gegenständlichen Verfahren am 22.10.2021 der Gerichtsabteilung W286 zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Antragsteller reisten nicht binnen der ihnen gewährten vierzehntägigen Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung – sohin bis zum 12.05.2021 – aus und kamen daher ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach.

1.2. Die Antragsteller sind nicht rückkehrwillig.

1.3. Die Antragsteller halten sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Sie haben im Hinblick auf eine Beschwerde gegen die negative Entscheidung im Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz Verfahrenshilfeanträge beim Verfassungsgerichtshof gestellt.

1.4. Der Erstantragsteller und die Zweitantragstellerin sind verheiratet. Sie leben seit gut sechs Jahren in Österreich.

Die Antragsteller leben in Österreich zusammen mit dem Sohn, der Tochter und der Enkelin des Erstantragstellers und teilen sich mit diesen eine Wohnung. Der Sohn des Erstantragstellers hat eine Aufenthaltsberechtigung plus, die Tochter und Enkelin befinden sich im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, das bei der Gerichtsabteilung W286 anhängig ist. Zudem lebt eine Tochter des Erstantragstellers samt deren Familie in Wien. Zwischen den Familienangehörigen – insbesondere jenen im gemeinsamen Haushalt lebenden – ergibt sich kein über das übliche Naheverhältnis hinausgehendes Abhängigkeitsverhältnis.

Verwandte des Erstantragstellers leben im Irak, Verwandte der Zweitantragstellerin in Marokko.

Die Antragsteller sind nicht selbsterhaltungsfähig.

Die Antragsteller sind zeit ihres Aufenthalts in Österreich aufrecht gemeldet.

1.5. Der Erstantragsteller hat keinen Reisepass. Die Zweitantragstellerin besitzt einen bis zum 07.02.2025 gültigen marokkanischen Reisepass, den sie bei sich zuhause aufbewahrt (AS 233 im Akt der Zweitantragstellerin).

.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere auch dem angefochtenen Bescheid, wobei die belangte Behörde im Wesentlichen vom Sinngehalt gleiche Feststellungen (wenn auch teilweise disloziert) traf. Zudem basieren sie auf dem im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2021 bzw. dessen schriftlicher Ausfertigung vom 07.10.2021, der Vorstellung gegen den Mandatsbescheid und der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid setzt den getroffenen Feststellungen nichts Substanziertes entgegen. Darüber hinaus waren auf Basis des unzweifelhaften Akteninhalts präzisierende Feststellungen zu treffen, dies aufgrund folgender beweiswürdigender Erwägungen:

2.2. Die Feststellung zu Punkt 1.2. beruht aus dem bereits von der belangten Behörde ins Treffen geführten Umstand, dass sich die Antragsteller bei den Rückkehrberatungsgesprächen jeweils am 03.05.2021 nicht rückkehrwillig zeigten (Rückkehrberatungsbericht vom 03.05.2021). Verstärkt und aktuell bestätigt wird dies dadurch, dass die Antragsteller in der Beschwerde vom 12.10.2021 gegen den angefochtenen Bescheid vorbringen, dass es den Antragsteller nicht zumutbar sei, auszureisen, weil sich die Kernfamilie sich in Österreich befinde. Damit zeigen die Antragsteller, dass sie dem durchsetzbaren Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2021, konkret der Rückkehrentscheidung, nicht Folge leisten wollen und werden.

2.3. Der unrechtmäßige Aufenthalt ergibt sich daraus, dass die Antragsteller über keine Aufenthaltsberechtigung verfügen. Die Feststellung zu den Verfahrenshilfeanträgen an den Verfassungsgerichtshof basiert auf den Angaben der Antragsteller.

2.4. Die Feststellungen zu Punkt 1.4. basieren im Wesentlichen auf den Ausführungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.10.2021 (schriftliche Ausfertigung). Es hat sich hier keine wesentliche Veränderung ergeben.

Dass die Antragsteller in Österreich immer aufrecht gemeldet waren, ergibt sich aus den Daten im ZMR.

2.5. Die Antragsteller zum jeweiligen Reisepass ergeben sich aus der Stellungnahme vom 16.08.2021 (AS 233 im Akt der Zweitantragstellerin).

Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gegenständlich ist nicht die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde zu überprüfen, weil gegen diesen Spruchteil keine Beschwerde erhoben wurde. Zwar führt die Beschwerde im Anfechtungsumfang aus, dass der Bescheid vollumfänglich angefochten wurde, es finden sich aber weder in den Ausführungen zur Beschwerde, noch in den Anträgen begründete Hinweise darauf, dass diese Anfechtung auch den Spruchteil hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung umfassen soll.

Allerdings wurde ein ausdrücklicher Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gestellt. Gemäß § 22 Abs. 3 VwGVG kann das Verwaltungsgericht Bescheide gemäß § 13 VwGVG und – hier nicht relevant – Beschlüsse gemäß § 22 Abs. 1 und 2 VwGVG auf Antrag einer Partei aufheben oder abändern, wenn es die Voraussetzungen der Zuerkennung bzw. des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders beurteilt oder wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über den Ausschluss bzw. die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben.

Ein solcher Antrag wurde gestellt, daher kommt eine Aufhebung oder Abänderung des Spruchpunkts II. der im Spruch bezeichneten Bescheide hinsichtlich des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung in Betracht.

3.2. Gemäß § 13 Abs. 4 VwGVG 2014 hat das Verwaltungsgericht über eine Beschwerde gegen einen die aufschiebende Wirkung ausschließenden Bescheid nach § 13 Abs. 2 VwGVG 2014 ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden. Ausgehend von § 22 Abs. 3 VwGVG 2014 hat es dabei auch auf allfällige Sachverhaltsänderungen nach Erlassung des Bescheids Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028). (VwGH 16.12.2020, Ra 2020/11/0207)

§ 13 Abs. 5 VwGVG 2014 steht aber auch der Berücksichtigung jener für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung maßgeblichen Umstände nicht entgegen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde gegeben waren, die aber nicht Eingang in die Begründung des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheids gefunden hatten. Dem Verwaltungsgericht ist es daher bei der nach § 13 Abs. 5 letzter Satz VwGVG 2014 unverzüglich zu treffenden Entscheidung nicht verwehrt, seine Feststellungen und die vorzunehmende Abwägung auf den gesamten Inhalt des Verfahrensaktes und das Beschwerdevorbringen zu stützen. Das Verwaltungsgericht hat sich daher auch im Fall einer grob mangelhaften Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nicht darauf zu beschränken, diese Entscheidung ersatzlos zu beheben, sondern hat das Vorliegen der Voraussetzungen für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nach § 13 Abs. 5 bzw. § 22 VwGVG 2014 eigenständig zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu beurteilen. (VwGH 05.09.2018, Ra 2017/03/0105).

3.3. Nach § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG aufschiebende Wirkung; diese kann jedoch gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG von der Behörde mit Bescheid ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.

Die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 oder 3 hat keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen (§ 13 Abs. 5 VwGVG).

Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr im Verzug“ bringt zum Ausdruck, dass die Bestimmung (der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung) nur das Eintreten erheblicher Nachteile für eine Partei bzw. gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern soll (vgl. VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033 und Ro 2018/08/0005). Voraussetzung für den Ausschluss der einer Beschwerde grundsätzlich zukommenden aufschiebenden Wirkung ist daher eine nachvollziehbare Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und der Interessen der Verfahrensparteien, aus der sich ebenso nachvollziehbar ergibt, dass für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird, gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden bzw. gravierende Nachteile für eine Partei, die jene Nachteile deutlich überwiegen, die bei nicht verfügtem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde anderen Verfahrensparteien entstehen würden. (VwGH 01.09.2021, Ra 2021/03/0149)

3.4. Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in der Sache zu entscheiden (vgl. nur etwa VwGH 28.1.2020, Ra 2019/03/0076); es hat dabei seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. nur etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2019/03/0081). "Sache" ist im Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid iSd § 13 Abs. 2 VwGVG 2014 ebenso wie im Fall eines Antrags nach § 22 Abs. 3 VwGVG 2014 die Frage der Zu- bzw. Aberkennung der aufschiebenden Wirkung. Das Verwaltungsgericht hat diese Sache - ohne Bindung an die im behördlichen Verfahren vorgebrachten Argumente - umfassend und eigenständig zu beurteilen und dabei auch auf allfällige Sachverhaltsänderungen Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 1.9.2014, Ra 2014/03/0028, bzw. 5.9.2018, Ra 2017/03/0105). (VwGH 17.03.2021, Ra 2021/03/0035).

3.5. Einleitend ist zu prüfen, ob die Bescheide offenkundig rechtswidrig sind, da nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu überprüfen ist, sondern es ist – wenn das in der Beschwerde selbst erstattete Vorbringen nach der Aktenlage nicht etwa von vornherein als zutreffend zu erkennen ist – zunächst von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung auszugehen (VwGH 30.09.2013, AW 2013/04/0036, mwN). In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof auch bereits erkannt, dass eine aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist, wenn der Fehler in der angefochtenen Entscheidung nicht bloß ein potentieller, sondern ein evidenter ist, mit anderen Worten die Partei mit den Folgen eines offenkundig vorliegenden Fehlers der belangten Behörde belastet würde (vgl. abermals VwGH 30.09.2013, AW 2013/04/0036; VwGH 10.10.2002, AW 2002/08/0031).

Im gegenständlichen Verfahren hat die Behörde den angefochtenen Bescheiden sämtliche Ermittlungsergebnisse des behördlichen Verfahrens, insbesondere auch die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2021 unterstellt. In der Beschwerde haben sich Antragsteller im Wesentlichen auf die Unzumutbarkeit einer Wohnsitzauflage aufgrund des bestehenden Familienlebens am Wohnort gestützt. Diesbezüglich finden sich im Bescheid Ausführungen, die nicht evident falsch sind; ob diese zutreffen bzw. inwieweit sich potentielle Fehler in der angefochtenen Entscheidung auswirken, wird im Beschwerdeverfahren zu klären sein.

Da die Entscheidung hinsichtlich der Wohnsitzauflage nicht evident falsch ist, ist die aufschiebende Wirkung nicht schon deshalb zu gewähren und in weiterer Folge zunächst von den Annahmen in der angefochtenen Entscheidung, auszugehen.

3.6. Es besteht auch ein Rechtschutzinteresse an der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, da die Missachtung der Wohnsitzauflage (Abwesenheit zur Nachtzeit aus der zugewiesenen Betreuungseinrichtung) eine Verwaltungsübertretung gemäß § 121 Abs. 1a FPG darstellt und mit Geldstrafe von 100 Euro bis zu 1 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, bestraft werden kann. Wer wegen einer solchen Tat bereits einmal rechtskräftig bestraft wurde, kann mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, bestraft werden. Eine Missachtung der Wohnsitzauflage kann ein Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Fluchtgefahr sein und bei der Prüfung der Anordnung einer Sicherungsmaßnahme nach dem FPG (Schubhaft oder gelinderes Mittel) herangezogen werden. Den Antragstellern wird in Österreich bis zu Ihrer Ausreise zudem nur mehr in der zugewiesenen Betreuungseinrichtung Versorgung gewährt. (vgl. die entsprechende Belehrung in den Bescheiden)

3.7. Zu prüfen ist im Weiteren, ob Gefahr im Verzug vorliegt, widrigenfalls kein Grund bestünde, die aufschiebende Wirkung auszuschließen. Anschließend sind die berührten öffentlichen Interessen und Interessen der Parteien zu ermitteln und abzuwägen.

Die belangte Behörde hat – jeweils gleichlautend – die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gem. § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen und dies mit einem überwiegenden öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides begründet. Das öffentliche Interesse sei bereits durch die Regelung der Wohnsitzauflage mittels sofort durchsetzbaren Mandatsbescheides indiziert. Gerade angesichts des Zwecks der Wohnsitzauflage im Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme würden daher jedenfalls überwiegenden öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug dieses Bescheides vorliegen.

Diese Entscheidung und Begründung wird nicht den Anforderungen gerecht, die sich aus § 13 Abs. 2 VwGVG ergeben. Insbesondere fehlt es an einer nachvollziehbaren Abwägungsentscheidung (öffentliches Wohls vs. Interesse der Antragsteller), aus der sich ebenso nachvollziehbar ergibt, dass für den Fall, dass die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird, gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden: die belangte Behörde stützt sich nur darauf, dass die in Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide erlassenen Wohnsitzauflagen ex lege mittels Mandatsbescheids auszusprechen sind – dies und der Zweck der Wohnsitzauflage „im Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme“ würden zum Überwiegen der öffentlichen Interessen führen. Welche gravierenden Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten würden, wenn die aufschiebende Wirkung nicht ausgeschlossen wird (vgl. erneut VwGH 01.09.2021, Ra 2021/03/0149), ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden allerdings nicht.

Zwar ist der belangten Behörde insofern beizupflichten, als bereits das Behördenhandeln nach § 57 FPG (Wohnsitzauflage) schon inhaltlich das Vorliegen einer "Gefahr in Verzug" zur Voraussetzung hat - beide Konstellationen, in denen es überhaupt zu einer Wohnsitzauflage kommen kann (vgl. § 57 Abs. 1 Z 1 und Z 2 FPG), begründen, so die Gesetzesmaterialen eine "Gefahr im Verzug", womit auch der gesetzlich vorgesehene Erlass eines Mandatsbescheids begründet wird. Der belangten Behörde ist auch nicht entgegenzutreten, soweit sie davon ausgeht, dass die Antragsteller bei den jeweiligen Rückkehrberatungsgesprächen erklärten, ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen zu wollen, und damit der Tatbestand des § 57 Abs. 2 Z 4 FPG erfüllt ist.

Allerdings geht die belangte Behörde nicht auf die rezente Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ein, wonach vom Vorliegen einer Situation, die eine Wohnsitzauflage iSd. § 57 Abs. 1 FPG als Maßnahme zum Entgegenwirken einer bestehenden Gefahr im Verzug notwendig macht, in aller Regel nur dann ausgegangen werden kann, wenn eine alsbaldige Abschiebung des betreffenden Fremden im Raum steht, deren Vorbereitung seine Unterkunftnahme in einem konkreten in Betracht gezogenen Quartier des Bundes erfordert (VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0029). Damit greift aber die auch für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde herangezogene Argumentation, die darauf hinausläuft, dass schon allein die Erfüllung eines Tatbestandes des § 57 FPG von einer Situation der „Gefahr im Verzug“ (arg. „Mandatsbescheid“) und damit einhergehenden öffentlichen Interessen auszugehen ist, zu kurz.

Auch der Argumentation, dass gerade angesichts des Zwecks der Wohnsitzauflage im Hinblick auf die Ausreise in Erfüllung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme „daher jedenfalls überwiegenden öffentlichen Interessen am sofortigen Vollzug dieses Bescheides vorliegen“ würden, kann nicht gefolgt werden. Auch hier ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen: Demnach ist die Wohnsitzauflage niemals Selbstzweck, sondern muss als ultima ratio zur Durchsetzung einer bestehenden, bislang nicht wahrgenommenen Ausreiseverpflichtung dienen und muss sich die Wohnsitzauflage insoweit als unaufschiebbare Maßnahme darstellen, deren Einsatzes es zur Abwendung von Gefahr im Verzug bedarf (VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0029). Inwieweit aber im konkreten Fall der durch die Nichtausreise entstanden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch die Erlassung einer Wohnsitzauflage abgeholfen werden kann (vgl. auch dazu VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0029), führt die belangte Behörde in der Interessenabwägung nicht aus.

Soweit die belangte Behörde das Überwiegen öffentlicher Interessen und Gefahr im Verzug annimmt, und damit den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde begründet, erweisen sich diese Erwägungen daher als mangelhaft.

Zur Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung:

Aus dem für die aufgrund des Antrags auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unverzügliche und ohne weiteres Verfahren zu treffende Entscheidung zur Verfügung stehenden Akteninhalt, insbesondere aus dem angefochtenen Bescheid, ist nicht ersichtlich, dass etwa die alsbaldige Abschiebung der Antragsteller im Raums stünde und deren Vorbereitung einer Unterkunftnahme im aufgetragenen Quartier erfordere. Dies ist gegenständlich deshalb relevant, weil die belangte Behörde die dem (rechtmäßigen) Erlass einer Wohnsitzauflage immanente „Gefahr im Verzug“ auch auf den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die verfügte Wohnsitzauflage durchschlagen lässt.

Entgegen der Argumentation der belangten Behörde kommt das erkennende Gericht zum Schluss, dass eine „Gefahr im Verzug“ im gegenständlichen Fall nicht gegeben ist: Die Antragsteller waren bislang für die Behörden greifbar und haben einen verfestigten Wohnsitz. Die Zweitantragstellerin verfügt über ein gültiges Reisedokument, das in ihrer Verfügungssphäre ist (eine Sicherstellung durch die belangte Behörde ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht). Der Erstantragsteller verfügt über kein Reisedokument und es ergibt sich aus dem Akteninhalt nicht, dass die belangte Behörde bislang bei der irakischen Botschaft um die Ausstellung eines Heimreisezertifikats ersucht hat oder sonst zu erwarten ist, dass die irakische Botschaft hinsichtlich der Identifizierung oder auch in der Ausstellung eines Heimreisezertifikats mit der belangen Behörde kooperieren würde. Es ergibt sich aus dem Akteninhalt auch nicht, dass eine freiwillige Rückkehr der Antragsteller in die Wege geleitet werden soll oder bereits ist. Nur auf dieser Basis sind, soweit gerichtsbekannt, derzeit Rückführungen in dem Irak möglich (was der belangten Behörde bekannt sein muss – vgl. die Informationen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl zur Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik Irak im Hinblick auf die Beschaffung der notwendigen Reisedokumente für die zwangsweise Außerlandesbringung vom 10.02.2021). Eine bestehende „Gefahr im Verzug“, von der – im spezifischen Fall der Wohnsitzauflage – nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs idR nur beim Bevorstehen einer alsbaldigen Abschiebung, deren Vorbereitung die Wohnsitznahme in einem bestimmten Quartier erfordert, ausgegangen werden kann und die (neben dem Erlass der Wohnsitzauflage) auch den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die Wohnsitzauflage tragen würde, ist daher im gegenständlichen Fall nicht gegeben. Das Tatbestandsmerkmal „Gefahr in Verzug“ (§ 13 Abs. 2 VwGVG), das zum Ausdruck bringt, dass der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur das Eintreten gravierender Nachteile für das öffentliche Wohl verhindern verhindern soll, ist nicht verwirklicht. Im Sinne einer Abwägung des Interesses der Antragsteller, an ihrem Wohnort in Österreich im Familienverband bis zu ihrer Ausreise weiterleben zu können gegenüber den berührten öffentlichen Interessen ergibt sich auf dieser Basis nicht, dass der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheids wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist und durch die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gravierende Nachteile für das öffentliche Wohl eintreten, was zu eine Überwiegen der Interessen der Antragsteller führt.

Das erkennende Gericht beurteilt insofern die Voraussetzungen des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung anders als die belangte Behörde, sodass iSd § 22 Abs. 3 VwGVG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist.

Zur Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung:

Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde gegen einen Bescheid nach § 13 Abs. 2 VwGVG 2014 gemäß § 13 Abs. 5 letzter Satz VwGVG 2014 "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden". Dies impliziert, dass grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen ist (VwGH 9.6.2015, Ra 2015/08/0049). Da die Entscheidung "ohne weiteres Verfahren" ergeht, hat die gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung beschwerdeführende Partei insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren bzw. die in ihrer Sphäre liegenden Umstände, die ihr Interesse am Unterbleiben des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung untermauern, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z 3 VwGVG 2014) ihrer Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen (vgl. dazu VwGH 11.4.2018, Ro 2017/08/0033). (VwGH 17.03.2021, Ra 2021/03/0035)

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Folgende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs waren maßgeblich: VwGH 01.09.2021, Ra 2021/03/0149; VwGH 02.09.2021, Ra 2021/21/0029 VwGH 16.12.20202, Ra 2020/11/0207; zudem die in der rechtlichen Beurteil angeführten Entscheidungen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Wohnsitzauflage

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W286.2156130.2.00

Im RIS seit

13.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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