TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/3 W178 2233205-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.11.2021
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Entscheidungsdatum

03.11.2021

Norm

ASVG §67 Abs10
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33

Spruch


W178 2233205-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch Heinz Neuböck Wirtschaftstreuhand GmbH, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 15.04.2020, Zl. XXXX , in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 25.06.2020 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 18.09.2019 sprach die Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr: Österreichische Gesundheitskasse, im Folgenden: ÖGK) aus, dass der Beschwerdeführer als Vertreter des Beitragsschuldners, XXXX (im Folgenden: Primärschuldnerin) verpflichtet sei, der ÖGK rückständige Beiträge samt Nebengebühren im Betrage von EUR 63.536,22 zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen.

Gegen diesen Bescheid wurde binnen offener Beschwerdefrist kein Rechtsmittel erhoben.

2. Daraufhin wurde ein Exekutionsverfahren (Exekutionsantrag vom 19.11.2019 und Fahrnisexekution am 25.02.2020) gegen den Beschwerdeführer geführt.

3. Mit Schriftsatz vom 10.03.2020 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Beschwerdefrist gegen den Bescheid der ÖGK und führte begründend aus, dass er den gegenständlichen Bescheid am 24.09.2019 an seine Steuerberatung gemailt habe. Der Mitarbeiter, XXXX (im Folgenden: Herr H), sei auch schon vor der Insolvenzeröffnung mit der Abwicklung der Krankenkassenvorschreibungen und Zahlungen befasst gewesen. Deshalb habe er ihn angewiesen bei der Steuerberatung anzurufen, um die Rechtsmittelgründe im Detail abzuklären und nochmals telefonisch den Auftrag zu erteilen, dass jedenfalls ein Rechtsmittel erhoben werden soll. Das habe Herr H aber vergessen und die Steuerberatung habe den Bescheid nicht erhalten. Dies sei erst aufgrund der am 25.02.2020 erfolgten Fahrnisexekution bemerkt worden. Nachforschungen hätten ergeben, dass der Bescheid offensichtlich im Spam-Ordner gelandet sei. Dies stelle ein unerwartetes und unvorhergesehenes Ereignis dar, von dem der Beschwerdeführer erst durch den erfolgten Vollzug der Fahrnisexekution Kenntnis erlangt habe. Herr H sei seit vielen Jahren im Betrieb des Beschwerdeführers tätig, wobei ihm noch niemals ein derartiges Missgeschick unterlaufen sei und er sei der Geschäftsführung bisher als absolut verlässliche Kraft bekannt gewesen. Herr H sei für die Weiterleitung der Dienstnehmerverrechnungen an den Steuerberater und Prüfung der Krankenkassenvorschreibungen, sowie Zahlungsabwicklung mit der Kasse zuständig gewesen und bei der Tätigkeit sei niemals ein Grund für eine Beanstandung gefunden worden. Das ihm offenbar im Zuge einer Überlastung passierte Unterbleiben der Kontaktaufnahme mit dem Steuerberater könne gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen. Es handle sich daher um eine entschuldbare Fehlleistung, an welcher auch den Beschwerdeführer kein Verschulden treffe.

In der gleichzeitig erhobenen Beschwerde gegen den Bescheid vom 18.09.2019 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er alle Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt habe, und bestritt die Richtigkeit des Rückstandsausweises. Es bestehe zudem keine Haftung für Dienstgeberanteile und die Dienstnehmerbeiträge seien an die Kasse abgeführt worden.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 15.04.2020 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung abgewiesen.

Begründend wurde angeführt, dass der Wiedereinsetzungsantrag zwar fristgerecht eingebracht worden sei, aber das Vorbringen des Beschwerdeführers lege nicht dar, dass die Einhaltung der nötigen Sorgfalt erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe lediglich ein Mail ohne Sendebestätigung weitergeschickt und einen Mitarbeiter mit einem Telefonat zur nochmaligen Auftragserteilung an den Steuerberater beauftragt. In weiterer Folge sei diese Angelegenheit seitens des Geschäftsführers nicht mehr hinterfragt worden. Er hätte bei seinem Mitarbeiter nachfragen müssen, ob dieser das Telefonat durchgeführt habe und den Auftrag zur Einbringung eines Rechtsmittels erteilt habe. Ebenso hätte er die Rechtsmittelfrist vormerken und in Evidenz halten müssen. Es liege daher kein minderer Grad des Verschuldens vor.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass entgegen den Ausführungen der belangten Behörde nicht nur das Verhalten des Beschwerdeführers zu würdigen sei. Herr H habe immer sämtliche Schriftstücke über Auftrag des Beschwerdeführers an die Steuerberatung weitergeleitet und er habe noch nie vergessen ein Schriftstück weiterzuleiten bzw. nach Versendung anzurufen, um nachzufragen, ob dieses auch eingelangt sei. Eine mangelnde Kontrolle oder Sorglosigkeit könne daher weder dem Beschwerdeführer noch Herrn H vorgeworfen werden. Dass der Beschwerdeführer seit Frühjahr 2019 in Kenntnis der Haftungsinanspruchnahme sei und die Stellungnahmefrist habe verstreichen lassen, habe mit dem Wiedereinsetzungsantrag nichts zu tun. Dass ein sorgfältiger Unternehmer dies selbst gemacht hätte, sei unrichtig, da sich ein Geschäftsführer auch Hilfspersonen bedienen und verlassen könne, wenn sie geeignet seien und ihnen bisher kein Fehler unterlaufen sei. Im praktischen Wirtschaftsleben sei eine andere Handhabung undenkbar und es liege auch keine derart schwierige Aufgabe vor, die durch den Beschwerdeführer selbst hätte erledigt werden müssen. Der Beschwerdeführer habe die Tätigkeiten des Herrn H – entgegen der Ausführung der belangten Behörde – auch laufend kontrolliert und sei nicht verpflichtet gewesen, bei der Steuerberatung nachzufragen, ob die Rechtsmittelfrist gewahrt worden sei. Jedenfalls könne in diesem Verhalten nur ein minderer Grad des Versehens erblickt werden. Hätte die belangte Behörde Zweifel daran gehabt, hätte sie Herrn H und den Beschwerdeführer einvernehmen müssen. Dieser hätte bestätigen können, dass Herr H ein langjähriger Mitarbeiter sei, dem noch nie so ein Fehler passiert sei und damit wäre dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben gewesen. Gemäß herrschender Judikatur würden Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht überdehnt werden dürfen. Der Beschwerdeführer zitierte dazu Literatur bzw. Judikatur zu § 146 ZPO. Es bestehe keine Verpflichtung alle Erledigungen zu überprüfen, sonst wäre jede Delegierung von Arbeiten zwecklos. Daher könne beim gegenständlichen Sachverhalt unter Berücksichtigung der dargestellten Judikatur keinesfalls von grober Fahrlässigkeit ausgegangen werden.

6. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25.06.2020 wies die ÖGK die Beschwerde als unbegründet ab.

Die Einwendungen des Beschwerdeführers seien nicht gerechtfertigt. Rechtsmittelfristen seien auf geeignete Weise vorzumerken und in Evidenz zu halten. Entgegen den Beschwerdeausführungen stehe nicht die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit des Herrn H im Vordergrund, daher habe auf dessen Einvernahme verzichtet werden können. Vielmehr sei die Einhaltung der Überwachungs- und Kontrollpflichten durch den Beschwerdeführer relevant. Es sei weder im Wiedereinsetzungsantrag noch in der Beschwerde ausgeführt worden, wie das Kontrollsystem des Beschwerdeführers funktioniere. Es werde lediglich auf einen jahrelangen, verlässlichen Mitarbeiter verwiesen. Dies sei jedoch kein ausreichendes Überwachungs- und Kontrollsystem. Der anzulegende Sorgfaltsmaßstab sei sohin nicht erfüllt worden.

7. Der Beschwerdeführer stellte fristgerecht einen Vorlageantrag und schloss diesem eine eidesstattliche Erklärung des Herrn H an. Darin bestätigt Herr H das Beschwerdevorbringen, wonach er vom Beschwerdeführer aufgefordert worden sei, die Steuerberatung anzurufen, um den Erhalt des Bescheides abzuklären und mitzuteilen, dass dagegen unbedingt ein Rechtsmittel einzubringen sei. Auf diesen Anruf habe er aufgrund einer bevorstehenden Untersuchung im Krankenhaus wegen einer ernsthaften Erkrankung vergessen.

8. Die ÖGK legte die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor und gab in der angeschlossenen Stellungnahme im Wesentlichen den bereits im angefochtenen Bescheid festgestellten Verfahrensgang bzw. Sachverhalt wieder.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Mit Schreiben vom 27.03.2019 informierte die belangte Behörde den Beschwerdeführer über die Haftung der zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen für rückständige Beiträge, sowie über die Höhe der rückständigen Beiträge bei der Primärschuldnerin und forderte ihn auf, alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen seine Haftung sprechen würden.

Der Beschwerdeführer ersuchte daraufhin um Fristverlängerung aufgrund des gerichtlichen Sanierungsverfahrens. Es erfolgte jedoch keine Stellungnahme.

Im Schreiben vom 04.07.2019 wurde der Beschwerdeführer seitens der belangten Behörde wiederum auf seine Haftung hingewiesen und ihm die Gelegenheit gegeben, alle Tatsachen vorzubringen, die seiner Ansicht nach gegen seine Haftung sprechen würden.

Der Beschwerdeführer ersuchte aufgrund der Urlaubsabwesenheit seiner rechtlichen Vertretung um Fristverlängerung bis 30.08.2019. Es erfolgte jedoch keine Stellungnahme bis zum Ablauf dieser Frist.

Mit Bescheid vom 18.09.2019 sprach die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer als Vertreter der Primärschuldnerin verpflichtet ist, der ÖGK rückständige Beiträge samt Nebengebühren im Betrage von EUR 63.536,22 zuzüglich Verzugszinsen zu zahlen.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer an seiner Privatadresse am 23.09.2019 zugestellt.

Am 19.11.2019 wurde seitens der ÖGK betreffend die offene Forderung ein Exekutionsantrag gestellt und am 25.02.2020 erfolgte eine Fahrnisexekution. Mit E-Mail vom 26.02.2020 informierte der Beschwerdeführer seinen Vertreter über die Exekution.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde am 10.03.2020 zur Post gegeben. Der Beschwerdeführer begründete seinen Antrag damit, dass er den gegenständlichen Bescheid am 24.09.2019 per E-Mail an seine steuerliche Vertretung gesendet habe, diese das E-Mail jedoch nicht erhalten habe bzw. sei es im Spam-Ordner gelandet. Außerdem habe er seinen langjährigen und verlässlichen Mitarbeiter Herrn H damit beauftragt, bei der steuerlichen Vertretung anzurufen, um nachzufragen, ob der Bescheid ankommen sei, und mittzuteilen, dass jedenfalls ein Rechtsmittel erhoben werden solle. Herr H habe jedoch vergessen, diesen Anruf zu tätigen. Erst aufgrund der Durchführung der Fahrnisexekution und der darauffolgenden Kontaktaufnahme mit dem Vertreter habe der Beschwerdeführer bemerkt, dass der Bescheid nicht bei seinem Vertreter angekommen sei und daher (bisher) kein Rechtsmittel dagegen erhoben wurde.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte, entscheidungserhebliche Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem Inhalt des vorgelegten Verfahrensakts. Darin sind (insbesondere) die verfahrensrelevanten Schreiben und Entscheidungen der ÖGK (samt dazugehörigen Zustellnachweisen), die Unterlagen zum Exekutionsverfahren, sowie die vom Beschwerdeführer an die ÖGK gerichteten Schreiben, sein Antrag auf Wiedereinsetzung und die eingebrachten Rechtsmittel enthalten.

Eine Feststellung dazu, ob das vom Beschwerdeführer erstatte Vorbringen betreffend das Vorliegen eines unvorhergesehenen bzw. unabwendbaren Ereignisses und der Einhaltung des gebotenen Sorgfaltsmaßstabes tatsächlich so stattgefunden hat, konnte unterbleiben, da dieses Vorbringen – wie unter 3.2. dargestellt – ohnehin nicht geeignet war, die Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu begründen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1. maßgebliche Rechtsgrundlage

§ 33 VwGVG

(1) Wenn eine Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(3) In den Fällen des Abs. 1 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen und zwar bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde und ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht; ein ab Vorlage der Beschwerde vor Zustellung der Mitteilung über deren Vorlage an das Verwaltungsgericht bei der Behörde gestellter Antrag gilt als beim Verwaltungsgericht gestellt und ist diesem unverzüglich vorzulegen. […] Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

3.2. Daraus folgt für die Beschwerde

3.2.1. Zur Rechtzeitigkeit des Antrags auf Wiedereinsetzung

Der Beschwerdeführer erlangte im Zuge der Fahrnisexekution am 25.02.2020 Kenntnis davon, dass der Bescheid vom 18.09.2019 betreffend seine Haftung als Geschäftsführer der Primärschuldnerin rechtskräftig geworden war und damit einen tauglichen Exekutionstitel darstellt. Am nächsten Tag wandte er sich an seinen (nunmehrigen) Vertreter und erfuhr, dass dieser kein Rechtsmittel erhoben hat.

Der am 10.03.2020 zur Post gegebene Antrag auf Wiedereinsetzung erfolgte somit rechtzeitig binnen der Frist von zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses.

3.2.2. Zum Vorliegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses und der Einhaltung des erforderlichen Sorgfaltsmaßstabes

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein § 33 VwGVG 2014 die maßgebliche Bestimmung ist und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG 2014 geregelte Beschwerde handelt. Der VwGH hat allerdings in seiner Rechtsprechung auch bereits festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG 2014 übertragbar sind (vgl. VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086, mwN).

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er den gegenständlichen Bescheid per E-Mail an seine steuerliche Vertretung gesendet habe, das E-Mail jedoch es im Spam-Ordner gelandet sei. Zudem habe der bisher immer verlässliche Mitarbeiter Herr H vergessen bei der Vertretung nachzufragen, ob der Bescheid angekommen ist, und die Erhebung eines Rechtsmittels zu beauftragen.

Dazu ist festzuhalten, dass sowohl das Vorbringen, dass das E-Mail des Beschwerdeführers an die steuerliche Vertretung mit dem Bescheid nicht angekommen sei als auch das Vorbringen, dass Herr H auf den Anruf bei der steuerlichen Vertretung des Beschwerdeführers vergessen habe, grundsätzlich geeignet wären, ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen. Denn ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis kann nicht nur ein tatsächliches, in der Außenwelt stattfindendes Geschehen sein, sondern prinzipiell jedes, auch inneres, psychisches Geschehen wie zB Vergessen oder ein Irrtum (vgl. VwGH 14.12.2009, 2009/10/0235).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist ein Ereignis unvorhergesehen, wenn die Partei es tatsächlich nicht mit einberechnet hat und dessen Eintritt unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwartet werden konnte. Das im Begriff der "Unvorhergesehenheit" gelegene Zumutbarkeitsmoment ist dahin zu verstehen, dass die erforderliche zumutbare Aufmerksamkeit dann noch gewahrt ist, wenn der Partei (ihrem Vertreter) in Ansehung der Wahrung der Frist nur ein "minderer Grad des Versehens" (beruhend auf § 146 Abs 1 ZPO in der Fassung des Art IV Z 24 der Zivilverfahrensnovelle 1983) unterläuft. Ein solcher "minderer Grad des Versehens" (§ 1332 ABGB) liegt nur dann vor, wenn es sich um leichte Fahrlässigkeit handelt, also dann, wenn ein Fehler begangen wird, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch macht. Der Wiedereinsetzungswerber darf nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Behörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, wobei an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen ist, als an rechtsunkundige Personen. (vgl. VwGH 11.06.2003, 2003/10/0114, mwN)

Gemäß § 33 Abs. 1 zweiter Satz steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung ein Verschulden der Partei an der Versäumung der Frist also nur dann nicht entgegen, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Im vorliegenden Fall ist zunächst zu prüfen, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er den Bescheid an seine steuerliche Vertretung geschickt habe, dieses E-Mail aber im Spam-Ordner gelandet sei, geeignet ist, eine Wiedereinsetzung zu begründen.

Diesbezüglich ist auf die Judikatur des VwGH zu verweisen, wonach derjenige, der sich für fristgebundene Eingaben des E-Mails bedient, sich zu vergewissern hat, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Wird eine solche Kontrolle nicht vorgenommen, kann im Rahmen eines Wiedereinsetzungsverfahrens nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens die Rede. Die Sorgfalt und die Pflicht, sich zu vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde, besteht nicht nur im Verkehr zwischen der Partei und der Behörde, sondern auch im Verkehr der Partei mit ihrem Rechtsvertreter (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/12/0026, mwN).

Der Beschwerdeführer brachte nicht vor, dass er sich selbst bei seinem Vertreter erkundigt habe oder sonst sichergestellt habe (z.B. mittels Lesebestätigung), ob der Bescheid angekommen ist. Allerdings gab er an, dass er seinen Mitarbeiter Herrn H damit beauftragt habe, diesbezüglich mit der steuerlichen Vertretung Rücksprache zu halten und die Erhebung eines Rechtsmittels zu veranlassen.

Herr H ist im Sinne der Judikatur des VwGH als Bote (und nicht etwa als Vertreter) zu qualifizieren, da dieser vom Beschwerdeführer bloß "beauftragt" worden sei, eine Bescheidausfertigung zur steuerlichen Vertretung zu bringen, damit diese dagegen ein Rechtsmittel ergreife (vgl. VwGH 26.05.2010, 2010/08/0081). Es ergaben sich nämlich aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages und der Beschwerde keine Anhaltspunkte dafür, dass zwischen Herrn H und dem Beschwerdeführer ein Bevollmächtigungsverhältnis entstanden ist, in dem Sinne, dass er es Herrn H überlassen hätte, die ihm erforderlich erscheinenden Schritte zur Wahrung der rechtlichen Interessen des Beschwerdeführers zu veranlassen (vgl. VwGH 19.03.2003, 2000/16/0055). Ein allfälliges Verschulden des Herrn H ist daher dem Beschwerdeführer nicht zuzurechnen. Das Verschulden des Boten trifft nämlich die Partei nicht, der Partei kann aber die Vernachlässigung der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl. VwGH 26.05.2010, 2010/08/0081).

Im Hinblick auf die Prüfung, ob der Beschwerdeführer der gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist, ist darauf hinzuweisen, dass es diesbezüglich eine umfangreiche Judikatur des VwGH zu den Überwachungspflichten rechtskundiger Parteienvertreter gibt, diese jedoch gegenständlich nicht einschlägig ist. Es handelt sich beim Beschwerdeführer zwar um einen Unternehmer, aber nicht um einen rechtskundigen Parteienvertreter, sodass der Verschuldensgrad des Beschwerdeführers nicht anhand dieser in der Judikatur entwickelten strengeren Anforderungen an die Erfüllung der Sorgfaltspflicht durch rechtskundige Personen zu messen ist.

Die belangte Behörde verwies daher auf die Anforderungen an die Büroorganisation eines Unternehmers, die laut VwGH nur dann dem hier anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab entspricht, wenn sichergestellt ist, dass schon unmittelbar bei der Zustellung fristauslösender Schriftstücke von Gerichten und Verwaltungsbehörden die – im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels allenfalls – zu beachtenden (Rechtsmittel-)Fristen, wie sie sich auch in der Rechtsmittelbelehrung finden, auf geeignete (d.h. eine Fristversäumnis nach menschlichem Ermessen vermeidende) Weise vorgemerkt und evident gehalten werden (vgl. VwGH 07.05.2008, 2007/08/0154).

Dazu ist allerdings festzuhalten, dass sich der angefochtene Bescheid an den Beschwerdeführer als Privatperson gerichtet hat, da ihn persönlich die Haftung trifft und nicht sein Unternehmen – auch wenn diesbezüglich natürlich ein Zusammenhang besteht.

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 29.09.2017, Ra 2017/10/0105, – ohne Bezug auf spezielle beruflich bedingte Sorgfaltspflichten zu nehmen – ausgesprochen, die Partei, die sich eines Boten zur Übermittlung bedient, ihrer Überwachungspflicht nur dann nachkommt, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist. Eine Partei, die sich nach Übergabe eines fristgebundenen Schriftstückes an einen Boten nicht weiter darum kümmert, ob das Schriftstück auch tatsächlich innerhalb einer zu wahrenden Frist zur Post gebracht (hier: bei der Behörde eingebracht) wurde, muss sich vorwerfen lassen, dass sie auffallend sorglos gehandelt hat, das heißt, dass sie die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen hat. In diesem Erkenntnis wird zudem auch auf das Erkenntnis des VwGH vom 20.04.2001, 98/05/0083, verwiesen, in dem klargestellt wird, dass sich die Überwachungspflicht nicht darauf beschränkt, dass eine besonders verlässliche Person mit der Postaufgabe betraut wird, sondern die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert werden muss.

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist jedoch weder zu entnehmen, dass er Herrn H wieder auf das Thema angesprochen hätte und nachgefragt hätte, ob er den Anruf getätigt hat, noch, dass er sich bei der steuerlichen Vertretung erkundigt habe, ob der Bescheid angekommen ist und ein Rechtsmittel erhoben wurde bzw. wird. Der Beschwerdeführer bringt lediglich allgemein vor, dass er Herrn H laufend kontrolliert habe, gibt aber nicht an, in welcher Weise diese Kontrolle stattgefunden hat und wie er insbesondere in dem konkreten Fall sichergestellt habe, dass Herr H den Anruf auch tatsächlich durchführt. Eine solche Sorgfalt wäre dem Beschwerdeführer aber im Hinblick auf die zitierte Judikatur des VwGH und aufgrund des Umstandes, dass es sich um die persönliche Haftung in einer nicht unwesentlichen Höhe handelt, nach seinen persönlichen Fähigkeiten jedenfalls zumutbar gewesen.

Da in der Rechtsprechung des VwGH mitunter auch darauf abgestellt wird, dass der Vertreter mit der betreffenden Causa bislang noch nicht befasst war (vgl. VwGH 24.01.2008, 2007/09/0221), ist festzuhalten, dass sich aus dem Vorbringen und dem Akteninhalt keine Hinweise ergeben, dass der Beschwerdeführer den Vertreter in dem konkreten Fall bereits vor Bescheiderlassung involviert bzw. bevollmächtigt hat. Er erklärte zwar in seinem Antrag auf Fristerstreckung zwar, dass diese aufgrund der Urlaubsabwesenheit seiner rechtlichen Vertretung nötig sei. Doch daraus lässt sich nicht schließen, dass diese tatsächlich damit befasst worden sei. Immerhin erfolgte auch nach Ablauf der verlängerten Frist keine Stellungnahme bzw. keine Mitteilung über die Erteilung einer Vollmacht.

Wenn der Beschwerdeführer auf die Judikatur und Literatur zu § 146 ZPO verweist, ist ihm insofern zuzugestehen, dass § 71 AVG (bzw. § 33 VwGVG) entstehungsgeschichtlich auf die Zivil- und Strafprozessordnung zurückgehen und sich in der Judikatur des VwGH immer wieder Verweise auf die zu § 146 ZPO ergangene Judikatur der ordentlichen Gerichte finden (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 72 (Stand 1.1.2020, rdb.at) RZ 4, 8). Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist jedoch primär die Rechtsprechung des VwGH maßgeblich, in der die im gegenständlichen Verfahren vorgebrachten Gründe bereits ausführlich judiziert wurden (s. die oben angeführte Judikatur) und damit eine Orientierung an der (mitunter „großzügigeren“) Rechtsprechung zu § 146 ZPO unterbleiben kann.

Mangels geeignetem Vorbringen zur Begründung der Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist, war die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid (in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung) abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zum Absehen von der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer beantragt. Da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aber bereits aus der Aktenlage in Zusammenschau mit der Beschwerde ergibt und sich bereits aus dem Beschwerdevorbringen kein tauglicher Wiedereinsetzungsgrund ergibt, ist nach Ansicht des Gerichts keine mündliche Erörterung der Angelegenheit zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG konnte das Gericht daher von der Verhandlung absehen, weil der maßgebliche Sachverhalt feststand. Dem steht auch Art 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegen, vgl. dazu auch das zuletzt das Erkenntnis des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0027.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich zudem auf eine klare Rechtslage stützen (vgl. VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Schlagworte

E - Mail Kontrolle Sorgfaltspflicht Vertretung Wiedereinsetzungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W178.2233205.1.00

Im RIS seit

13.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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