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10 VERFASSUNGSRECHTNorm
VStG §35Leitsatz
Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Auflösung einer nicht angemeldeten Spontanversammlung gegen den Ball des Wiener Korporationsringes; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Anhaltung des Beschwerdeführers zur Identitätsfeststellung; keine Verletzung des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung infolge Einkesselung und Einsatzes einer RäumketteRechtssatz
.RS1
Bei der gegenständlich zu beurteilenden Versammlung handelt es sich um eine nicht angemeldete "Spontanversammlung" aus Anlass des Balls des Wiener Korporationsringes in der Hofburg. Als solche unterfällt sie dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, da nach ständiger Rechtsprechung auch Versammlungen, die nicht behördlich angemeldet wurden, als Versammlungen iSd VersammlungsG zu qualifizieren sind (vgl zB VfSlg 14366/1995).
Hinsichtlich der in der Beschwerde gerügten Auflösung der gegenständlichen Versammlung ist, aus verfassungsrechtlicher Sicht, festzustellen, dass diese in nicht zu beanstandender Weise erfolgt ist, hat doch die Behörde auf Basis der Analysen zur ursprünglich geplanten, doch schließlich untersagten Versammlung (vgl VfSlg 19423/2011) und der Beurteilung am Ort der "Spontanversammlung" in nachvollziehbarer Weise die Entscheidung getroffen, dass bei deren Abhaltung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu gewärtigen sei. Hieraus folgt, dass die Auflösung der gegenständlichen Versammlung dem VersammlungsG entsprochen hat und der Beschwerdeführer sohin nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurde.
Unabhängig davon, ob dem Beschwerdeführer die Mitteilung der Auflösung der Versammlung rechtswirksam zugegangen ist, konnten die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes in Anbetracht der Gesamtsituation vor Ort mit gutem Grund annehmen, dass sich der Beschwerdeführer durch Nicht-Verlassen des Versammlungsortes einer Verwaltungsübertretung schuldig gemacht hat. Die Annahme der Behörde, der Beschwerdeführer habe § 14 VersammlungsG übertreten, erscheint unter den Umständen des konkreten Falls durchaus vertretbar.
Da die Auflösung der Versammlung rechtmäßig erfolgt ist, der Beschwerdeführer den Versammlungsort hienach nicht verlassen hat und da infolgedessen die Annahme der Behörde vor Ort, er hätte eine Verwaltungsübertretung begangen und wäre bei dieser auf frischer Tat betreten worden, durchaus vertretbar erscheint, kann auch in der Anhaltung des Beschwerdeführers und in der Feststellung seiner Identität grundsätzlich keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit erblickt werden.
Was die vom Beschwerdeführer gerügten Modalitäten der Anhaltung betrifft, nämlich die behauptete "Einkesselung" der Versammlungsteilnehmer und die "schleppende Durchführung" der Identitätskontrollen, so kann hierin ebenso wenig eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf persönliche Freiheit erblickt werden. Gemäß der Judikatur des VfGH hat die Behörde vor Ort bei Vollzug der Versammlungsauflösung "maßhaltend" zu agieren (VfSlg 14365/1995). Im konkreten Fall liegt allerdings kein Umstand vor, der eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgebots nahe legen würde. Insb unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das etwa dreistündige Verbleiben des Beschwerdeführers am Versammlungsort nach der Versammlungsauflösung va auf dessen eigenes Verhalten zurückzuführen ist, kann von einem maßhaltenden Agieren der Sicherheitsorgane ausgegangen werden.
Die behauptete Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit hat demnach nicht stattgefunden.
Im Zusammenhang mit der Auflösung einer Versammlung hat der VfGH das Vorliegen einer erniedrigenden Behandlung iSd Art 3 EMRK nicht bei jedem physischen Zwangsakt angenommen; vielmehr muss qualifizierend zu diesem Akt hinzutreten, dass ihm eine die Menschenwürde beeinträchtigende Missachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist (so zB VfSlg 10427/1985).
Der konkrete Sachverhalt legt allerdings keinesfalls nahe, dass eine derartige Rechtsverletzung stattgefunden hätte. Soweit im konkreten Fall physische Gewalt gegen den Beschwerdeführer selbst zum Einsatz kam, erschöpfte sich diese in einem leichten Stoß, den ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes dem Beschwerdeführer versetzte, als dieser der verbalen Aufforderung, weiterzugehen, nicht nachgekommen ist. Hiedurch erreicht der Zwangsakt aber jedenfalls nicht jene Intensität, auf Grund der er als erniedrigende oder unmenschliche Behandlung zu qualifizieren wäre.
Entscheidungstexte
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B1436.2010Zuletzt aktualisiert am
13.12.2021