TE Vfgh Beschluss 2021/9/22 G199/2021

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

96 Straßenbau
96/02 Sonstiges

Norm

B-VG Art 140 Abs1 Z1 lita
Bundesstraßen-MautG 2002 §29 Abs3
VStG §33a
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung eines Gerichtsantrages auf Aufhebung einer Zeichenfolge des Bundesstraßen-MautG 2002 wegen zu engen Anfechtungsumfanges

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, die Zeichenfolge "20," in §29 Abs3 des Bundesstraßenmautgesetzes (im Folgenden: BStMG), BGBl I 109/2002, idF BGBl I 45/2019 als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BStMG, BGBl I 109/2002, idF BGBl I 155/2021 lauten auszugsweise wie folgt (die angefochtene Zeichenfolge ist hervorgehoben):

"3. Teil

Zeitabhängige Maut

Mautpflicht

§10. (1) Die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der zeitabhängigen Maut.

(2) Von der Pflicht zur Entrichtung der zeitabhängigen Maut sind ausgenommen:

       1. A 9 Pyhrn Autobahn in den Abschnitten zwischen der Anschlussstelle Spital/Pyhrn und der Anschlussstelle Ardning und zwischen der Anschlussstelle St. Michael und Anschlussstelle Übelbach,

       2. A 10 Tauern Autobahn im Abschnitt zwischen der Anschlussstelle Flachau und der Anschlussstelle Rennweg,

       3. A 11 Karawanken Autobahn im Abschnitt zwischen der Anschlussstelle St. Jakob im Rosental und der Staatsgrenze im Karawankentunnel,

       4. A 13 Brenner Autobahn,

       5. S 16 Arlberg Schnellstraße im Abschnitt zwischen der Anschlussstelle St. Anton und der Anschlussstelle Langen.

(3) Mehrspurige Fahrzeuge, die noch nie zum Verkehr zugelassen waren und ein Probefahrt- oder Überstellungskennzeichen führen, unterliegen der zeitabhängigen Maut, sofern ihr Eigengewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt. Sofern kein Nachweis des Eigengewichtes erbracht wird, gelten diese Fahrzeuge als solche mit einem Eigengewicht von mehr als 3,5 Tonnen. Kraftfahrzeuge mit drei Rädern gelten als einspurige Kraftfahrzeuge.

(4) Für Anhänger, die von mehrspurigen Kraftfahrzeugen gezogen werden, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, und für Beiwagen einspuriger Kraftfahrzeuge ist keine zeitabhängige Maut zu entrichten.

6. Teil

Strafbestimmungen

Mautprellerei

§20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach §10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(2) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach §6 geschuldete fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß zu entrichten, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(3) Zulassungsbesitzer, die den Nachweis über die Zuordnung des Fahrzeuges zum erklärten Fahrzeugantrieb gemäß §9 Abs5 dritter Satz oder zur erklärten EURO-Emissionsklasse nicht fristgerecht nachholen und dadurch die nicht ordnungsgemäße Entrichtung fahrleistungsabhängiger Maut für die Benützung von Mautstrecken verursachen (§9 Abs11 zweiter und vierter Satz), begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis 3 000 € zu bestrafen.

(4) Verwaltungsübertretungen gemäß Abs3 gelten als an jenem Ort begangen, an dem die Benützung von Mautstrecken mit einem gemäß §9 Abs11 dritter Satz vorläufig einer Tarifgruppe zugeordneten Fahrzeug durch automatische Überwachung oder durch dienstliche Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans festgestellt wurde.

(5) Taten gemäß Abs1 bis 3 werden straflos, wenn der Mautschuldner nach Maßgabe des §19 Abs2 bis 5 der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspricht.

(6) Die Rückforderung gemäß §19 ordnungsgemäß gezahlter Ersatzmauten ist ausgeschlossen.

Verletzung der Informations-, Mitwirkungs- und Anhaltepflicht

§21. Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit Geldstrafe bis zu 3 000 € zu bestrafen, wer

       1. der Bestimmung des §8 Abs4 zuwiderhandelt;

       2. entgegen §8c Abs3 erster Satz nicht gehörig am Vermittlungsverfahren mitwirkt;

       3. entgegen §18 Abs2 der Aufforderung zum Anhalten nicht Folge leistet.

Mitwirkung der Organe der Straßenaufsicht

§29. (1) Die Organe der Straßenaufsicht (§97 Abs1 Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl Nr 159) haben im Falle, dass Kraftfahrzeuglenker gegen die Bestimmung des §18 Abs2 verstoßen, auf Ersuchen der Mautaufsichtsorgane an der Vollziehung dieses Bundesgesetzes durch Maßnahmen mitzuwirken, die für die Einleitung und Durchführung von Verwaltungsstrafverfahren erforderlich sind.

(2) Auf Verwaltungsübertretungen gemäß §§20, 21 und 32 Abs1 zweiter Satz ist/sind

       1. §§47 und 49a VStG auch auf strafbares Verhalten anwendbar, das auf Grund automatischer Überwachung festgestellt wird,

       2. §§47 Abs2 und 49a Abs1 VStG mit der Maßgabe anwendbar, dass durch Verordnung Geldstrafen bis zum Betrag von 600 € vorgesehen werden dürfen,

       3. §50 VStG nicht anwendbar.

(3) Auf Verwaltungsübertretungen gemäß §§20, 21 und 32 Abs1 zweiter Satz ist §33a VStG nicht anwendbar.

(4) Zollstellen können auf Rechnung der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft Klebevignetten verkaufen.

Straßensonderfinanzierungsgesetze

§32. (1) Die Benützung der in §10 Abs2 genannten Mautabschnitte mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren höchstes zulässiges Gesamtgewicht nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der Bemautung nach den Bestimmungen des Arlberg Schnellstraßen-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 113/1973, des Bundesgesetzes betreffend die Finanzierung der Autobahn Innsbruck-Brenner, BGBl Nr 135/1964, des Karawanken-Autobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 442/1978, des Pyhrn-Autobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 479/1971, und des Tauernautobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 115/1969 (Streckenmaut). Kraftfahrzeuglenker, die diese Mautabschnitte benützen, ohne das nach den genannten Gesetzen geschuldete Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, begehen eine Verwaltungsübertretung, die als Mautprellerei im Sinn des §20 Abs1 gilt. Kraftfahrzeuglenker, die durch diese Tat gegen eine auf Grund der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl Nr 159, erlassene Fahrverbotsverordnung verstoßen, indem sie die Fahrspur einer Mautstelle benützen, die Kraftfahrzeugen vorbehalten ist, die der fahrleistungsabhängigen Maut unterliegen, sind nur wegen Mautprellerei zu bestrafen.

(2) Die näheren Bestimmungen über die Art und Bedingungen der Entrichtung der Maut für die Benützung der in §10 Abs2 genannten Mautabschnitte (Streckenmaut) sind in der Mautordnung zu treffen. Sie müssen die Entrichtung der Maut ohne Verwendung elektronischer Einrichtungen gewährleisten. Die Mautabwicklung kann auch durch Registrierung des Kennzeichens des Fahrzeugs im Mautsystem der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft erfolgen."

2. §33a VStG, BGBl 52/1991, idF BGBl I 57/2018 lautet wie folgt:

"Beratung

§33a. (1) Stellt die Behörde eine Übertretung fest und sind die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering, so hat ihn die Behörde, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, mit dem Ziel einer möglichst wirksamen Beendigung des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeiten zu beraten und ihn schriftlich unter Angabe der festgestellten Sachverhalte aufzufordern, innerhalb einer angemessenen Frist den den Verwaltungsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechenden Zustand herzustellen.

(2) Wird der schriftlichen Aufforderung innerhalb der von der Behörde festgelegten oder erstreckten Frist entsprochen, dann ist die weitere Verfolgung einer Person wegen jener Übertretungen, betreffend welche der den Rechtsvorschriften und behördlichen Verfügungen entsprechende Zustand hergestellt worden ist, unzulässig.

(3) Die Intensität der Beeinträchtigung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes ist jedenfalls nicht gering, wenn die Übertretung nachteilige Auswirkungen auf Personen oder Sachgüter bewirkt hat oder das Auftreten solcher Auswirkungen bei auch nur kurzem Andauern des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeiten zu erwarten ist.

(4) Die Intensität der Beeinträchtigung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes gilt als gering, wenn geringfügige Abweichungen von technischen Maßen festgestellt wurden und keine der im Abs3 genannten Umstände vorliegen.

(5) Abs1 und 2 sind jedenfalls nicht anzuwenden auf

       1. Übertretungen von Verwaltungsvorschriften, die zur Strafbarkeit vorsätzliches Verhalten erfordern;

       2. Übertretungen, die innerhalb der letzten drei Jahre vor Feststellung der Übertretung bereits Gegenstand einer Beratung und schriftlichen Aufforderung durch die Behörde waren oder zu denen einschlägige noch nicht getilgte Verwaltungsstrafen bei der Behörde aufscheinen;

       3. Übertretungen, die Anlass zu in den Verwaltungsvorschriften vorgesehenen einstweiligen Zwangs- und Sicherungsmaßnahmen geben;

       4. Übertretungen, für welche die Verwaltungsvorschriften die Maßnahme der Entziehung von Berechtigungen vorsehen."

III. Antragsvorbringen

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Strafverfügung vom 28. Jänner 2020 verhängte die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen über einen deutschen Staatsangehörigen eine Geldstrafe idHv € 300,–, weil dieser zu einem näher bezeichneten Zeitpunkt ein Kraftfahrzeug mit einem Gesamtgewicht von weniger als 3,5 t auf der zum mautpflichtigen Straßennetz gehörigen Autobahn A 8 gelenkt habe, ohne die für dieses Fahrzeug vorgeschriebene zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben. Damit habe er eine Verwaltungsübertretung gemäß §10 Abs1 iVm §11 Abs1 BStMG begangen und sei nach §20 Abs1 BStMG zu bestrafen gewesen. Dagegen erhob der Bestrafte Einspruch, den er damit begründete, dass er am Vorfallstag zwar nicht vor dem Grenzübertritt, jedoch in unmittelbarer zeitlicher Folge bei einer nächstgelegenen Verkaufsstelle eine Klebevignette erworben und diese auch umgehend am Kraftfahrzeug angebracht gehabt habe; er stellte daher den Antrag, von einer Bestrafung abzusehen.

1.2. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 12. Mai 2020 wurde eine Geldstrafe idHv € 300,– sowie ein Kostenbeitrag idHv € 30,– (bzw eine Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden) verhängt. Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Erkenntnis vom 25. Juni 2020 statt, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Dies begründete das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich im Wesentlichen damit, dass die Voraussetzungen des §33a Abs1 bzw 3 VStG erfüllt gewesen seien und somit der Grundsatz "Beraten statt Strafen" zur Anwendung komme.

1.3. Mit Erkenntnis vom 26. April 2021, Ra 2020/06/0257 gab der Verwaltungsgerichtshof der Amtsrevision statt und hob dieses Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes auf. Nach dem Wortlaut des §29 Abs3 BStMG und den zitierten Erläuterungen sei die Rechtslage eindeutig, sodass die Entscheidung, das eine Verwaltungsübertretung nach §20 BStMG betreffende Straferkenntnis aufzuheben, nicht rechtmäßig auf §33a Abs1 und 2 VStG gestützt werden könne.

2. Aus Anlass des zufolge §63 Abs1 VwGG nunmehr wiederum beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anhängigen Beschwerdeverfahrens stellte dieses den vorliegenden Antrag beim Verfassungsgerichtshof und legte die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

"II. Präjudizialität der als verfassungsrechtlich bedenklich erachteten Bestimmung

Das LVwG OÖ hat im Zuge des nach der mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 2021, Ra 2020/06/0257, erfolgten Aufhebung des hg. Erkenntnisses vom 25. Juni 2020, LVwG-400450/2/Gf/RoK, fortzusetzenden Beschwerdeverfahrens (ua) die Frage zu beurteilen, ob sich die gegen den Beschwerdeführer verhängte Geld- und Ersatzfreiheitstrafe sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach jeweils als rechtmäßig erweist.

In diesem Zusammenhang ist vom LVwG OÖ auch zu prüfen, ob der in §33a VStG allgemein verankerte Grundsatz 'Beraten statt Strafen' zu beachten oder ob dessen Heranziehung insbesondere zufolge der Spezialbestimmung des §29 Abs3 BStMG ausgeschlossen war.

Nach Auffassung des LVwG OÖ erweist sich daher die angefochtene Bestimmung als präjudiziell.

III. Verfassungsrechtliche Bedenken

A. Maßgebliche Rechtsnormen

[...]

B. Gesetzesmaterialien

[…]

C. Verfassungsrechtliche Bedenken

1. Bedenken im Hinblick auf Art11 Abs2 B-VG und das Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes (Art2 StGG, Art7 B-VG)

1.1. Gemäß Art11 Abs2 B-VG kann, soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften als vorhanden erachtet wird, ua das Verwaltungsstrafverfahren auch in solchen Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung den Ländern zusteht, durch Bundesgesetz geregelt werden; davon abweichende Regelungen können in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen nur dann getroffen werden, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Nach allgemein herrschender Auffassung stellt das VStG ein Gesetz dar, das auf dieser Bedarfs- bzw Vereinheitlichungskompetenz des (einfachen) Bundesgesetzgebers fußt (analoge Regelungen finden sich auch in Art15 Abs9 B-VG und in Art136 Abs2 B-VG).

1.2. Für die gegenständliche Fallkonstellation folgt daraus, dass die – von §33a VStG abweichende, nämlich die Anwendung dieser Bestimmung a priori ausschließende – Regelung des §29 Abs3 BStMG zunächst im Allgemeinen nur dann verfassungsrechtlich zulässig ist, wenn sie als 'zur Regelung des Gegenstandes erforderlich' angesehen werden kann, wobei hinsichtlich der Auslegung dieses unbestimmten Verfassungsbegriffes vornehmlich folgende Entscheidungen des VfGH als maßgeblich erscheinen:

[…]

Zusammengefasst lassen sich aus den dargestellten Entscheidungen folgende essentielle Grundlinien ableiten:

?  Einerseits muss die abweichende Regelung zwar zur Regelung des Gegenstandes 'unerlässlich' sein, was nach rein sprachlichem Verständnis die Annahme nahelegen würde, dass die Normierung von materiengesetzlichem Sonderverfahrensrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht nur in extremen Ausnahmekonstellationen zulässig ist;

?  andererseits ist jedoch eine solche 'Unerlässlichkeit' bereits dann gegeben, wenn sie dazu dient,

um entweder die mit einer Tätigkeit verbundenen besonderen Gefahren und Situationen zu beherrschen , sodass eine Reihe von Sonderregelungen sowie die Schaffung einer spezifischen Aufsicht geboten ist, die sich häufig mit besonders schwierigen Sachfragen konfrontiert sieht und von sich aus bestimmte Maßnahmen ergreifen kann, sodass in weiterer Folge die effektive Sicherstellung bzw die Refundierung des damit verbundenen finanziellen Aufwandes (wie v.a.: Kosten für behördliche Beschlagnahmen, Gebühren für Aufsichtsmaßnahmen der Luftfahrtbehörde oder Kostenersatz für Tätigkeiten der FMA) sachlich gerechtfertigt erscheint, oder

um in Situationen, in denen es spezifischer Instrumentarien (wie zB umgehend vollstreckbarer Betriebsschließungsanordnungen, verlängerter Verjährungsfristen oder jenseits der Amortisierungsgrenze liegender Strafsanktionen) bedarf, im Wege eines drastisch abschreckenden behördlichen Eingriffs fortgesetzte Rechtsverstöße zu verhindern und/oder solcherart ein normkonformes Verhalten zu erzwingen;

?  davon ausgehend wurde lediglich in einer solchen Konstellation eine abweichende Regelung als 'nicht unerlässlich' angesehen, wenn – wie sich aus dem Zusammenhalt der Entscheidungen des VfGH vom 2.3.2018, G257/2017, einerseits und VfSlg 20.216/2017 andererseits ergibt – ein einstweiliger Rechtsschutz kategorisch und undifferenziert sowie ohne Abstufung im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips und ohne Bedachtnahme auf unterschiedliche sachliche Anwendungsbereiche der Regelung materiengesetzlich ausgeschlossen wird.

1.3. Wie sich aus dem Erkenntnis vom 2.3.2018, G257/2017, ableiten lässt, gilt Letzteres im Besonderen selbst dann, wenn das eine Verfahrensvereinheitlichung intendierende Gesetz explizit abweichende Regelungen zulässt, sofern sich ergibt, dass der Gesetzgeber mit einer solchen Ermächtigung keine umfassende Freistellung von der Prüfung am Erforderlichkeitsmaßstab beabsichtigt hat (Hinweis auf VfSlg 19.905/2014, 19.921/2014, 19.922/2014 und 19.969/2015);

und schließlich sind von den allgemeinen Bestimmungen der Verfahrensgesetze abweichende Regelungen auch nur dann zulässig, wenn sie anderen Verfassungsbestimmungen, wie dem Rechtsstaatsprinzip (und dem daraus abgeleiteten Grundsatz der Effektivität des Rechtsschutzes) und/oder dem Sachlichkeitsgebot des Gleichheitsgrundsatzes ua, nicht widersprechen (Hinweis auf VfSlg 15.218/1998, 17.346/2004, 19.921/2014, 19.922/2014, 19.969/2015 und 20.008/2015).

1.4. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu konstatieren, dass sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens die Verwaltung (die Novellierung des §29 Abs3 BStMG durch BGBl I 45/2019 basiert auf einer Vorlage des BMVIT) und der (einfache) Gesetzgeber (zwar mit Entscheidungen des VwGH, dem jedoch im Zuge der Verfassungsauslegung keine Letztkompetenz zukommt, jedoch) mit der zuvor dargestellten Judikatur des VfGH inhaltlich nicht auseinandergesetzt haben, denn

?  in den Erläuterungen zur RV (vgl 562 BlgNR, 26. GP, S 1) findet sich lediglich der Hinweis, dass sich die 'Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Erlassung der im Entwurf vorgesehenen Bestimmungen … auf Art10 Abs1 Z9 und auf Art11 Abs2 zweiter Halbsatz B-VG' gründet, und

?  im National- und im Bundesrat wurde diese Novelle jeweils ohne jeglichen eigenständigen sachlichen Diskussionsbeitrag zur Kenntnis genommen (vgl den AB des NR, 567 BlgNR, 26. GP, den AB des BR, 10166 BlgBR, und das StenProt zur 892. Sitzung des Bundesrates; nur in der Nationalratssitzung findet sich ein – allerdings ebenfalls nur globaler, nicht speziell auf §29 Abs3 BStMG Bezug nehmender – Hinweis darauf, dass die Novelle BGBl I 45/2019 allgemein dem Ziel dient, dass nunmehr 'Autofahrer Wochen oder Monate nach dem Fahren ohne gültige Vignette zur Kasse gebeten werden' können, 'wenn sie von einer Überwachungskamera gefilmt wurden und zwischenzeitlich auch keine Ersatzmaut gezahlt haben. So bleibt die öffentliche Hand zukünftig nicht mehr auf dem Schaden sitzen. Gleichzeitig wird der Verwaltungsaufwand reduziert, indem Fahrzeugdaten pseudoanonymisiert gespeichert und Befugnisse von Mautaufsehern erweitert werden.' [vgl das StenProt zur 72. Sitzung des NR, 26. GP, S 225 f]).

1.5. Insgesamt lässt sich somit den Gesetzesmaterialien nur entnehmen, dass die Festlegung der Nichtanwendbarkeit des §33a VStG im Rahmen der Vollziehung des BStMG offenbar den Hauptzweck verfolgte, den damit verbundenen Verwaltungsaufwand – nämlich die Durchführung von Aufforderungsverfahren – zu vermeiden; zugleich sollte dadurch aber die Effektivität der Sicherung der ein Vielfaches der Mautsätze betragenden Gebühreneinnahmen sowie die damit verbundene generalpräventiv-abschreckende Wirkung nicht tangiert werden.

1.6. Dazu ist zunächst aus rechtssystematischer Sicht auf Folgendes hinzuweisen:

Wäre die Anwendbarkeit des §33a VStG im Rahmen der Vollziehung des BStMG nicht ausgeschlossen, so lägen – und lagen bis zur Novelle BGBl I 45/2019 auch tatsächlich – insofern geteilte und jeweils eigenständige Zuständigkeiten vor, als die Entscheidung über die Erlassung einer Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut der Ebene der Exekutive (konkret: den Mautaufsichtsorganen bzw der ASFINAG) obliegt; dem gegenüber kommt die Entscheidung darüber, ob eine Beratung hinreicht oder eine Bestrafung vorzunehmen ist, der Strafbehörde zu.

Würde (bzw wurde) der Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut entsprochen, dann wäre (ist) damit ein Strafaufhebungsgrund (vgl §20 Abs5 BStMG) realisiert worden, und zwar mit der Konsequenz, dass die Angelegenheit solcherart schon von vornherein nicht in die Einflusssphäre der Behörde gelangt(e), d.h. ein Strafverfahren nicht einmal eingeleitet wird (wurde) und somit in weiterer Konsequenz auch keine Eintragung in das Vormerkregister erfolgt(e), im Zuge späterer Übertretungen keine Berücksichtigung als Erschwerungsgrund möglich ist (war) etc. Allerdings hat(te) der KFZ-Lenker kein subjektives Recht darauf, dass in jedem konkreten Einzelfall seitens der Exekutive tatsächlich eine Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut ergeht (vgl §19 Abs6 BStMG).

Würde daher unter Annahme der Geltung des §33a VStG auch im Vollzugsbereich des BStMG de facto keine derartige Aufforderung erfolgen oder würde dieser nicht entsprochen, dann hätte die Behörde im Weiteren über eine entsprechende Anzeige der ASFINAG hin zu beurteilen, ob die materiellen Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sind. Hierbei handelte es sich allerdings nicht (mehr) um einen Strafaufhebungs-, sondern lediglich um einen Verfolgungsfortsetzungshinderungsgrund:

Denn trotz bereits behördlich festgestellter prinzipieller Strafbarkeit des Beschuldigten wäre (bloß) von dessen weiterer strafrechtlicher Belangung dann abzusehen, wenn die in §33a VStG normierten Voraussetzungen vorliegen.

In diesem Zusammenhang lässt sich nun schon nicht nachvollziehen, weshalb allein schon wegen der Höhe des in §20 BStMG vorgesehenen Strafrahmens gleichsam automatisch auch die Bedeutung des durch das BStMG geschützten Rechtsgutes stets als nicht 'gering' im Sinne des §33a Abs1 VStG zu qualifizieren wäre, zumal die gesetzliche Mindeststrafe, die im Übrigen bei Vorliegen der Voraussetzungen des §20 VStG zudem noch bis zur Hälfte unterschritten werden kann, lediglich 300 Euro beträgt; und andererseits sind jedenfalls auch Fallkonstellationen denkbar, die unschwer die Kriterien des §33a VStG erfüllen, in denen jedoch – aus welchen Gründen immer – de facto keine Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut erfolgte, so beispielsweise, wenn ein ausländischer KFZ-Lenker (wie im Anlassfall) die Vignette aus bloßer Unachtsamkeit nicht sofort nach dem Grenzübertritt, sondern erst bei der übernächsten Vertriebsstelle, jedoch aus eigenem Antrieb und ohne von einem Mautaufsichtsorgan betreten worden zu sein, erwirbt; oder einem kaufwilligen Zulassungsbesitzer im Zuge der elektronischen Registrierung des Kennzeichens für sein KFZ ein Eingabefehler (wie zB eine bloße Vertauschung der entsprechenden Zahlen- und/oder Buchstabenabfolge) unterläuft, sodass die Vignette nicht in Bezug auf sein, sondern ein anderes, gegebenenfalls gar nicht existierendes Kennzeichen erworben wurde; o.Ä.

Vor dem Hintergrund, dass selbstredend nicht in sämtlichen in den Erläuterungen zur RV angeführten 38.000 Fällen pro Jahr (vgl 562 BlgNR, 26. GP, S 5), sondern eben nur in jenen Einzelkonstellationen, in denen die Behörde insbesondere bereits festgestellt hat, dass auch die Intensität der konkreten Rechtsgutbeeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten jeweils gering ist, wobei zudem die zahlreichen weiteren in §33a VStG festgelegten Ausnahmen nicht vorliegen dürfen, eine dementsprechende Aufforderung zu ergehen hätte, muss daher der undifferenziert-kategorische, jene Fälle, in denen eine Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut tatsächlich nicht erlassen wurde (wobei hierauf zudem auch kein Rechtsanspruch besteht), generell nicht berücksichtigende Ausschluss eines allgemeinen Verfolgungshinderungsgrundes durch §29 Abs3 BStMG als ebenso wenig 'unerlässlich' und damit verfassungswidrig erscheinen wie in jener Konstellation, die dem Erkenntnis des VfGH vom 2.3.2018, G257/2017, zu Grunde lag:

Während es auf der einen Seite eine Gruppe von Fällen gibt, in denen der KFZ-Lenker durch die Zahlung einer Ersatzmaut die Einleitung eines Strafverfahrens schon von vornherein vermeiden kann, stehen so diesen jene Fallkonstellationen gegenüber, in denen bei weitgehend gleicher Faktenlage – wenn schon nicht die Einleitung, dann zumindest – nicht einmal die weitere Fortführung des Strafverfahrens verhindert werden kann, und dies noch dazu vor dem Hintergrund, dass dem Beschuldigten keine Möglichkeit zukommt, darauf hinzuwirken, welcher Gruppe er zuzurechnen sein wird: Vielmehr hängt dies nicht von objektiv-sachlichen Kriterien, sondern statistisch besehen ausschließlich vom Zufall ab, ob an ihn faktisch eine Aufforderung zur Ersatzmautleistung ergeht oder nicht.

1.7. Davon abgesehen zeigt sich anhand der Entstehungsgeschichte des §33a VStG, dass der Gesetzgeber den Grundsatz 'Beraten statt Strafen' von einer vormals bloß materienbezogen-singulären Erscheinungsform gezielt zu einem allgemeinen Leitsatz für die behördliche Handhabung des Verwaltungsstrafrechts hochstufen wollte.

1.7.1. Dies geht eben zweifelsfrei schon daraus hervor, dass dieses zunächst nur in §371c GewO normierte Prinzip durch die bewusste Inanspruchnahme der Bedarfs- bzw Vereinheitlichungskompetenz des Art11 Abs2 B-VG ohne inhaltliche Modifikation generalisiert wurde, und zwar zudem in gleichsam 'akkordierter Form', nämlich derart, dass es ursprünglich vom Gesetzgeber selbst im Wege eines Abänderungsantrages im Nationalrat geschaffen und in der Folge von der Verwaltung im Wege einer Regierungsvorlage übernommen und damit gleichsam 'inhaltlich akzeptiert' worden war.

1.7.2. Zudem war der gesetzlichen Implementierung des Grundsatzes 'Beraten statt Strafen' auch eine mehrjährige rechtspolitische Koordination und Vorbereitung durch die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) vorangegangen (vgl zB 'Zukunft | Wirtschaft Standort Österreich 2015–2020', Seite 60 [auch abrufbar unter: https://news.wko.at/news/oesterreich/ZukunftWirtschaft_Massnahmenkatalog.pdf] und 'Beraten statt Strafen – Nachbericht zur Veranstaltung vom 16.5.2017', auch abrufbar unter: https://news.wko.at/news/oesterreich/Beratenstatt-strafen.html).

1.7.3. Weiters ergibt sich in diesem Zusammenhang aus den Materialien auch keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber mit der in §33a Abs1 VStG enthaltenen Wendung 'soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen' i.S.d. zuvor dargestellten Judikatur des VfGH eine 'gänzliche Freistellung von der Prüfung am Erforderlichkeitsmaßstab beabsichtigt' hätte, im Gegenteil: Aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl 193 BlgNR, 26. GP, S 1 ['Der Entwurf soll den Grundsatz 'Beraten statt Strafen' verwirklichen.'] und S 6 [In Anlehnung an den durch das Bundesgesetz, mit dem die Gewerbeordnung 1994 geändert wird, BGBl I Nr 96/2017, in die Gewerbeordnung 1994 eingefügten §371c soll die vorgeschlagene Regelung den Grundsatz 'Beraten statt Strafen' in allgemeiner Form verwirklichen.']) lässt sich unmissverständlich ableiten, dass dieses Prinzip quasi 'flächendeckend' für alle behördlichen Vollzugsbereiche umgesetzt werden sollte.

1.7.4. Schließlich zeigt sich auch schon anhand der textlichen Fassung der Norm, dass §33a VStG nicht allein für Dauerdelikte, sondern – wenn nicht sogar vorrangig – auch für Einzeldelikte oder für sich mehrfach wiederholendes rechtswidriges Verhalten, also für fahrlässig begangene fortgesetzte Delikte Anwendung finden soll, sofern sich diese jeweils im Bagatellbereich bewegen und zum Zeitpunkt der Betretung des Beschuldigten das Bestehen eines rechtswidrigen, jedoch noch beseitigbaren Zustandes festgestellt wird (vgl zB die Wendung 'des strafbaren Verhaltens oder der strafbaren Tätigkeiten' in §33a Abs1 VStG), um so einen generellen 'Paradigmenwechsel weg von einer Bestrafungs- hin zu einer Beratungskultur' auch tatsächlich und effektiv zu erreichen (vgl wiederum 'Zukunft | Wirtschaft Standort Österreich 2015–2020', S 60 [auch abrufbar unter: https://news.wko.at/news/oesterreich/ZukunftWirtschaft_Massnahmenkatalog.pdf]).

In diesem Sinne fällt beispielsweise sowohl die Verunreinigung einer Straße aus Anlass einer Baustelle als auch die Ausführung einer 'angelagerten Tätigkeit' durch einen Gewerbetreibenden, die nicht von seiner Berechtigung umfasst ist, ebenso in den Anwendungsbereich des §33a VStG wie ein mehrmaliges Abstellen eines KFZ an einer Stelle, die zwar in formeller Hinsicht ordnungsgemäß als Halte- und Parkverbot gekennzeichnet, diese Kennzeichnung jedoch bspw. wegen zahlreicher Straßenverkehrszeichen und/oder deren unübersichtlichen Anbringung für den Lenker nur bei überdurchschnittlicher Sorgfalt erkennbar ist, o.Ä.

Weshalb daher angesichts dessen derselbe Verfolgungshinderungsgrund für Fälle einer kurzfristigen Autobahnbenützung ohne Vignette oder mit einem unvermutet defekt werdenden Abbuchungsgerät (sog 'GO-Box') insbesondere auch in Kon-stellationen, in denen keine Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut erfolgte, schon vorweg und ausnahmslos nicht gelten soll, liegt sohin keineswegs als quasi 'selbsterklärend' auf der Hand.

1.7.5. Vor diesem Hintergrund kann im Übrigen auch füglich davon ausgegangen werden, dass sowohl dem Gesetzgeber als auch der Bundesregierung der Aspekt, dass mit der praktischen Handhabung der Maxime 'Beraten statt Strafen' – insbesondere wenn man in diesem Zusammenhang an das strafbehördliche Haupttätigkeitsfeld des Straßenverkehrsrechts denkt (das ebenfalls durch spezifische, keinen subjektiven Rechtsanspruch begründende 'Strafaufhebungsgründe' – wie Organ-straf- und Anonymverfügung – gekennzeichnet ist, ohne dass deshalb die Anwendbarkeit des §33a VStG gesetzlich ausgeschlossen wäre) – auch ein entsprechender Verwaltungsaufwand – nämlich die Durchführung von Aufforderungsverfahren – verbunden sein wird, durchaus bewusst war, ein solcher jedoch gleichsam 'sehenden Auges' in Kauf genommen wurde.

1.7.6. Ein Hinweis darauf, dass und weshalb ein solcher Aufwand von den Strafbehörden im Allgemeinen zwar durchaus, speziell im Bereich des Vollzugsbereiches des BStMG jedoch nicht zu bewältigen sein sollte, lässt sich den Erläuterungen zur Novelle BGBl I 45/2019 allerdings nicht entnehmen.

Objektiv besehen erscheint dies auch nicht als überraschend, denn ein additives Verfahren nach §33a VStG käme hier nämlich – wie bereits zuvor dargestellt – ohnehin nur in solchen (und mangels Vorliegen der gesetzlich festgelegten Voraussetzungen auch insoweit nicht in sämtlichen dieser) Konstellationen zum Tragen, in denen zuvor auf Exekutivebene de facto keine Aufforderung zur Ersatzmautleistung ergangen ist, wobei es sich dann insoweit um ein Surrogat derart handeln würde, dass dann in der späteren Verfahrensphase zumindest ein Verfolgungshinderungsgrund an die Stelle des primären Strafaufhebungsgrundes treten würde.

1.7.7. Ein essentieller – im Sinne von 'unerlässlicher' bzw sachlicher – Grund, der es rechtfertigen würde, die mit §33a VStG zum Ausdruck gebrachte gesetzgeberische Grundsatzentscheidung und damit den solcherart für Normadressaten (nämlich nicht nur für Gewerbetreibende, sondern) generell resultierenden Rechtsvorteil eines Strafverfolgungshinderungsgrundes speziell für den Bereich der Vollziehung des BStMG nachträglich wieder – und zudem noch in absoluter Form – derart zu revidieren, dass sonach Fallkonstellationen verbleiben, in denen weder der Strafaufhebungsgrund des §20 Abs3 BStMG noch der Verfolgungshinderungsgrund des §33a VStG schlagend werden kann, ist somit objektiv besehen schlechthin nicht erkennbar.

Jedenfalls kann eine dementsprechende sachliche Rechtfertigung wohl nicht allein in einem singulär gegebenenfalls erhöhten Verwaltungsaufwand bestehen, weil gerade ein solcher Effekt im Zuge der Normierung des Aufforderungsverfahrens gemäß §33a VStG offen auf der Hand lag und damit auch von vornherein einkalkuliert wurde.

1.7.8. Schließlich ist zudem noch darauf hinzuweisen, dass sich insbesondere auch das Argument, dass die generalpräventive Wirkung der Ersatzmautforderung verloren ginge, wenn ex post noch die Möglichkeit des nachträglichen Erwerbs einer Vignette, insbesondere einer preisgünstigen 10-Tages-Vignette, bestünde, im Ergebnis nicht als stichhaltig erweist:

Denn zum einen darf die Ersatzmautforderung nicht als ein Instrumentarium zur Abnötigung des Einbekenntnisses eines strafbaren Verhaltens selbst in Konstellationen missverstanden werden, in denen ein solches objektiv besehen nicht vorliegt, es dem Beschuldigten jedoch an einer spezifischen Rechtskenntnis zur Geltendmachung der entsprechenden Entlastungsgründe mangelt – dies würde nämlich geradezu in systematischer Form die Erzielung von sachlich nicht gerechtfertigten öffentlichen Einnahmen nach sich ziehen.

Und zum anderen kann eine Aufforderung nach §33a VStG – abgesehen vom Vorliegen zahlreicher weiterer Voraussetzungen – nur bei 'geringem Verschulden' zum Tragen kommen; da ein solches (wie bereits in den Gesetzesmaterialien angeführt; vgl 193 BlgNR, 26. GP, S 6) in der Regel nicht vorliegen wird, wenn bereits eine Ersatzmautforderung ergangen ist und dieser nicht entsprochen wurde, kann ein Beschuldigter sohin keineswegs von vornherein damit rechnen, pauschal in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung zu fallen – vielmehr verbleibt ein solcher nur für jene Konstellationen, in denen eine Ersatzmautforderung, bezüglich der für den Lenker kein subjektiver Rechtsanspruch besteht, tatsächlich unterblieben ist.

2. Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art41 EGRC (Recht auf eine gute Verwaltung)

Dass einem allfälligen öffentlichen Interesse an einem möglichst einfachen, in die Nähe einer weitgehend entpersonalisierten Algorithmisierung geratenden Gesetzesvollzug jedenfalls kein absoluter Vorrang zukommen kann, lässt sich im Übrigen auch aus Art41 EGRC ableiten, wonach jeder Person ein Recht auf eine gute Verwaltung zukommt.

Wenngleich sich diese Bestimmung ihrem Wortlaut nach lediglich an die Organe der EU, nicht jedoch auch an Vollzugsorgane der Mitgliedstaaten richtet, verweist der EuGH in diesem Zusammenhang doch darauf, dass die in Rede stehende Charta-Garantie einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts widerspiegelt, dem zufolge das Recht auf eine gute Verwaltung – insbesondere im Zusammenhang mit Strafverfahren – auch die Verpflichtung für die Vollziehung beinhaltet, ihre Entscheidungen zu begründen; 'die Pflicht der Verwaltung, eine Entscheidung hinreichend spezifisch und konkret zu begründen, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, die Gründe der ihn beschwerenden individuellen Maßnahme zu verstehen, ergibt sich somit aus dem Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts' (vgl EuGH vom 8.5.2019, C-230/18, RN 57, m.w.N.).

Gesteht man dem Art41 EGRC – in gleicher Weise wie auch anderen Garantien der Grundrechte-Charta (vgl zB schon VfGH vom 21.2.2014, U152/2013) – den Rang eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts i.S.d. Art144 Abs1 B-VG zu, dürfte sich somit insgesamt ableiten lassen, dass das Interesse an einer möglichst einfachen und aufwandschonenden Verwaltungsführung keinen absoluten Vorrang gegenüber der Grundrechts- und Freiheitssphäre der Normadressaten beanspruchen kann bzw zumindest, dass staatliche Eingriffe auch insoweit entsprechend nachvollziehbar gerechtfertigt werden müssen.

An einer derartigen sachlich-objektiv-verhältnismäßigen Rechtfertigung dürfte es jedoch im vorliegenden Zusammenhang – wie bereits zuvor unter C.1. ausgeführt – fehlen.

IV. Umfang der Anfechtung bzw Beseitigung der Verfassungswidrigkeit

Entfiele in §29 Abs3 BStMG lediglich die Wendung '20,', so würde dies im Ergebnis einerseits bewirken, dass in Verfahren wegen einer Übertretung des §20 BStMG die Anwendbarkeit der Bestimmung des §33a VStG nicht ausgeschlossen ist (bzw positiv formuliert: dieser Strafverfolgungshinderungsgrund wie auch in allen anderen Materienbereichen zum Tragen käme).

Damit würde aus dem Rechtsbestand nicht mehr ausgeschieden, als durch den Anlassfall geboten ist.

Andererseits verbliebe auf diese Weise in §29 Abs3 BStMG zudem auch eine den sprachlichen Regeln entsprechende Formulierung.

V. Antrag

Aus den dargelegten Gründen stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sohin durch seinen im Anlassfall hierzu nach der Geschäftsverteilung entscheidungszuständigen Einzelrichter den

Antrag,

der Verfassungsgerichtshof möge gemäß Art140 Abs1 Z1 lita B-VG i.V.m. §§62 ff VfGG aussprechen, dass die Wendung '20,' in §29 Abs3 des Bundesstraßenmautgesetzes, BGBl I 109/2002, diese Bestimmung in der für den Anlassfall maßgeblichen Fassung zuletzt geändert durch BGBl I 45/2019, wegen Widerspruches zu Art11 Abs2 B-VG i.V.m. Art7 B-VG und i.V.m. Art41 EGRC verfassungswidrig und deshalb ersatzlos aufzuheben ist." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist nicht zulässig.

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011; VfGH 14.3.2017, G311/2016). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; VfSlg 20.082/2016), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015, 20.102/2016).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Verordnungsbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat den Anfechtungsumfang zu eng gefasst:

2.1. Gemäß §29 Abs3 BStMG ist §33a VStG auf Verwaltungsübertretungen gemäß §§20, 21 und 32 Abs1 zweiter Satz BStMG nicht anwendbar. Mautprellerei iSd §20 Abs1 und 2 BStMG begehen Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die geschuldete zeitabhängige bzw fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben.

Von der Entrichtung der zeitabhängigen Maut sind zwar gemäß §10 Abs2 BStMG bestimmte Abschnitte der Pyhrn, der Tauern, der Karawanken und der Brenner Autobahn sowie der Arlberg Schnellstraße ausgenommen, für deren Benutzung ist allerdings eine Streckenmaut nach den Straßensonderfinanzierungsgesetzen zu entrichten (§32 BStMG). Kraftfahrzeuglenker, die diese Mautabschnitte benützen, ohne das nach den Straßensonderfinanzierungsgesetzen für die Benutzung geschuldete Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, begehen daher ebenso eine Verwaltungsübertretung, die als Mautprellerei iSd §20 Abs1 BStMG gilt.

2.2. Demzufolge besteht (vor dem Hintergrund der Bedenken) zumindest zwischen den in §29 Abs3 BStMG enthaltenen Verweisen auf §§20 und 32 Abs1 zweiter Satz BStMG ein untrennbarer Zusammenhang. Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden, damit dann der Verfassungsgerichtshof darüber befinden kann, auf welche Weise eine solche, allenfalls vorliegende Verfassungswidrigkeit beseitigt werden kann. Durch die bloße Aufhebung der Zeichenfolge "20," in §29 Abs3 BStMG würde die vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich behauptete Verfassungswidrig-keit, ua dass die den Grundsatz "Beraten statt Strafen" (§33a VStG) ausschließende Regelung des §29 Abs3 BStMG zur Regelung des Gegenstandes nicht erforderlich sei, für die Fälle der Mautprellerei nicht zur Gänze beseitigt, weswegen sich der Antrag als zu eng erweist (vgl zB VfSlg 19.933/2014; VfGH 25.2.2016, G495/2015).

3. Der Antrag erweist sich daher als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen, ohne dass zu prüfen ist, ob seiner meritorischen Erledigung noch weitere Prozesshindernisse entgegenstehen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Bedenken, VfGH / Gerichtsantrag, Straßenverwaltung, Mautstraße, Verwaltungsstrafrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G199.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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