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E000 EU- Recht allgemeinNorm
BFA-VG 2014 §22a Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des S A, zuletzt in W, vertreten durch Dr. Gregor Berchtold, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 15, gegen das am 23. Jänner 2015 mündlich verkündete und am 28. Jänner 2015 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W112 2017266-1/12E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Revisionswerber ist algerischer Staatsangehöriger und stellte in Österreich am 2. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 1. Dezember 2014 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück, sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß der Dublin III-VO Bulgarien zuständig sei und ordnete gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) die Außerlandesbringung des Revisionswerbers an; demzufolge sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Bulgarien zulässig.
In der Folge verhängte das BFA gegen den Revisionswerber zur Sicherung seiner (am 29. Jänner 2015 effektuierten) Abschiebung mit Mandatsbescheid vom 13. Jänner 2015 gemäß Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft.
Über Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Anordnung der Schubhaft sowie seine Anhaltung in Schubhaft vom 16. Jänner 2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B).
Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe im Asylverfahren eine in Bulgarien gebrauchte Alias-Identität verschwiegen. Er habe sich ohne Abmeldung aus der Grundversorgungsstelle entfernt, die ihm auferlegte Gebietsbeschränkung verletzt und habe es unterlassen, der Behörde die von ihm aktuell verwendete Wohnung bekannt zu geben. Selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG habe er sich geweigert, seine nunmehrige Adresse zu nennen. Insgesamt sei somit das Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr zu bejahen, sodass - in Anwendung von Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 1 FPG - die Feststellung zu treffen sei, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Betreffend die Anhaltung im Rahmen der Festnahme, die Anordnung der Schubhaft mit Bescheid vom 13. Jänner 2015 und die Anhaltung in Schubhaft bis 23. Jänner 2015 sowie die Kostenanträge ergehe auf Grundlage der mündlichen Verhandlung sowie der Aktenlage eine gesonderte Entscheidung. Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil Rechtsprechung "zur besonderen Rechtsnatur der Schubhaftbeschwerde" fehle.
Dagegen erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 11. Juni 2015, E 299/2015-10, ablehnte.
Weiters erhob der Revisionswerber eine - wie sich aus dem Weiteren ergibt: zulässige - Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das BVwG (Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet) in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Zunächst ist festzuhalten, dass die vom BVwG angesprochene Frage der Rechtsnatur der Schubhaftbeschwerde bereits in den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom 12. März 2015, G 151/2014 u.a., und E 4/2014, umfassend geklärt wurde.
Die verfahrensrechtliche Grundlage für den gegenständlichen Fortsetzungsausspruch (§ 22a Abs. 3 BFA-VG) wurde vom Verfassungsgerichtshof dabei als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen. Die in der Revision in diesem Zusammenhang relevierte "Unzuständigkeit" des BVwG liegt demnach nicht vor (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 2015, Ro 2014/21/0071, Punkt 1.).
Inhaltlich hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. Februar 2015, Ro 2014/21/0075, zum Ausdruck gebracht, dass Schubhaft zur Sicherung einer Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nur auf Grundlage von Art. 28 Dublin III-VO, der diesbezüglich autonome Vorschriften enthält, in Betracht kommt. In dem genannten Erkenntnis wurde aber auch festgehalten, dass es am Boden von Art. 2 lit. n Dublin III-VO ergänzend innerstaatlich gesetzlich festgelegter Kriterien zur Konkretisierung der im Art. 28 Abs. 2 der genannten Verordnung für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr bedürfe. Die in diesem Erkenntnis konkret behandelten Schubhafttatbestände (§ 76 Abs. 2 Z 2 und 4 FPG) würden diesem Erfordernis nicht gerecht werden. Daran anknüpfend vertrat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. März 2015, Ro 2014/21/0080, die Auffassung, diese Überlegungen hätten auch für den - hier herangezogenen - Schubhafttatbestand des § 76 Abs. 1 FPG Gültigkeit. Auch bei dieser Bestimmung ging der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass ein Rückgriff auf Kriterien, die der Gerichtshof in seiner bisherigen Judikatur für die Annahme von Fluchtgefahr (Gefahr des Untertauchens) als maßgeblich angesehen hat, entgegen der vom BVwG vertretenen Ansicht nicht ausreiche, um den Vorgaben der Dublin III-VO zu entsprechen. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der genannten Erkenntnisse verwiesen werden (vgl. zuletzt etwa auch das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2015/21/0028, mwN).
Schon aus diesen Erwägungen konnte der vom BVwG getroffene Fortsetzungsausspruch keinen Bestand haben. Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. September 2015
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2015:RO2015210018.J00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
18.01.2022