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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
BFA-VG 2014 §21 Abs7Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Chvosta als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M A, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Neulerchenfelder Straße 14/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Juli 2020, W211 2164246-2/2E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Ausstellung eines Konventionsreisepasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Dem Revisionswerber, einem syrischen Staatsangehörigen, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 19. August 2016 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 6. März 2017 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der teils versuchten, teils vollendeten Schlepperei gemäß § 114 Abs. 1 FPG (iVm § 15 StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Dem gerichtlichen Schuldspruch zufolge habe der Revisionswerber mit einem Mittäter im Zeitraum von Anfang Februar bis Ende März 2016 die rechtswidrige Ein- bzw. Durchreise von Fremden in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit Bereicherungsvorsatz gefördert, indem er in drei Angriffen insgesamt sieben Fremde an eine weitere Person zum Zweck der rechtswidrigen Einreise nach Deutschland vermittelt bzw. zu vermitteln versucht habe, wobei er für die erfolgreiche Vermittlung einer fünfköpfigen syrischen Familie € 75,-- an Bargeld erhalten habe. Bei der Strafbemessung wertete das Strafgericht die Unbescholtenheit, das Geständnis, das Alter unter 21 Jahren und die Tatsache, dass die Tat teilweise beim Versuch geblieben sei, als mildernd, als erschwerend hingegen das Zusammentreffen von mehreren Vergehen.
3 Infolge dieser Verurteilung wurde dem Revisionswerber mit im Beschwerdeweg ergangenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 2017 sein Konventionsreisepass entzogen. Seinen Antrag vom 5. Juli 2019, ihm neuerlich einen Konventionsreisepass auszustellen, wies das BFA mit Bescheid vom 8. April 2020 gemäß § 94 Abs. 5 iVm § 92 Abs. 1 Z 4 FPG ab.
4 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 10. Juli 2020 als unbegründet abgewiesen.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber den Tatbestand der gewerbsmäßig ausgeübten, gerichtlich strafbaren Schlepperei verwirklicht habe, weshalb die Nichtausstellung eines Konventionsreisepasses der Verhinderung von weiteren Straftaten dieser Art durch Reisen in das Ausland diene. Im Hinblick auf die erst relativ kurz zurückliegende Tatbegehung könne eine Zukunftsprognose zur Zeit nicht zu Gunsten des Revisionswerbers ausfallen. Die Gefahr im Sinn des § 92 Abs. 1 Z 4 FPG sei auch durch das seitherige Wohlverhalten des Revisionswerbers nicht entscheidend zu relativieren, da seit Begehung der Tathandlungen erst etwas mehr als vier Jahre verstrichen seien. Dieser Zeitraum sei jedenfalls noch zu kurz, um nunmehr von einem Wegfall der aufgrund der Verurteilung des Revisionswerbers gerechtfertigten Annahme, dass er das Dokument benützen würde, um Schlepperei zu begehen oder an ihr mitzuwirken, ausgehen zu können. Es werde noch eines längeren Zeitraumes des Wohlverhaltens bedürfen, um begründet von einem Wegfall der genannten Versagungsgründe ausgehen zu können. Dem vom Revisionswerber in seiner Beschwerde vorgebrachten Einwand, dass die Verurteilung zu einer dreimonatigen Strafe auf keine große kriminelle Energie schließen lasse und aufgrund der Einmaligkeit der Tat nicht anzunehmen sei, dass ein Versagungsgrund vorliege, sei entgegenzuhalten, dass die Tat nicht einmalig erfolgt sei, sondern der Verurteilung drei Tathandlungen, die insgesamt sieben, mit dem Revisionswerber auch in keinem familiären oder persönlichen Verhältnis stehende Personen betroffen hätten, zugrunde gelegen seien.
6 Soweit der Revisionswerber erklärt habe, mittlerweile wirtschaftlich und sozial integriert zu sein (Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, Geburt des gemeinsamen Sohnes am 19. August 2019, Bemühungen, eine Beschäftigung zu finden) und weiter vorgebracht habe, es sei für ihn undenkbar, als Familienvater das Delikt der Schlepperei neuerlich zu begehen, sei abermals anzumerken, dass in Anbetracht seines mehrere Tathandlungen umfassenden Fehlverhaltens der seither verstrichene Zeitraum zu kurz sei, um einen Wegfall oder eine doch erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit annehmen zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass bei Schleppereidelikten die Wiederholungsgefahr groß sei, sodass die Gefahr bestehe, dass der Konventionsreisepass zu diesem Zweck missbraucht werden könne. Dass der Revisionswerber, der zum Tatzeitpunkt im Besitz eines Konventionsreisepasses gewesen sei, diesen tatsächlich für den verpönten Zweck benutzt habe, sei keine Voraussetzung für den Versagungsgrund des § 92 Abs. 1 Z 4 FPG. Das BFA habe daher zu Recht die Ausstellung eines Konventionsreisepasses verwehrt, sodass die Beschwerde abzuweisen gewesen sei.
7 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil in der Beschwerde kein Vorbringen erstattet worden sei, welches die Abhaltung einer Verhandlung erfordert hätte. Verfahrensgegenständlich sei vielmehr die rechtliche Würdigung eines feststehenden Sachverhaltes, weshalb auch nicht von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen sei.
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
8 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
9 Dem Revisionswerber kommt infolge des Bescheids des BFA vom 19. August 2016 der Status eines Asylberechtigten zu, sodass ihm gemäß § 94 Abs. 1 FPG grundsätzlich auf Antrag ein Konventionsreisepass auszustellen ist. Allerdings gelten gemäß § 94 Abs. 5 letzter Halbsatz FPG der § 88 Abs. 4 FPG sowie die §§ 89 bis 93 FPG, die sich auf Fremdenpässe beziehen, auch für Konventionsreisepässe. Gemäß § 92 Abs. 1 FPG ist (u.a.) die Ausstellung eines Fremdenpasses zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Fremde das Dokument benützen will, um Schlepperei zu begehen oder an ihr mitzuwirken (Z 4).
10 Das Bundesverwaltungsgericht ging davon aus, dass diese Prognose schon wegen der immer noch relativ kurz zurückliegenden mehrfachen Tathandlungen und der mit Schleppereidelikten grundsätzlich verbundenen großen Wiederholungsgefahr zu Ungunsten des Revisionswerbers ausfallen müsse.
11 Dies greift jedoch unter Berücksichtigung der konkreten Tatumstände und der verhängten bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe im untersten Bereich des Strafrahmens zu kurz. Aus dem Strafurteil ergibt sich auch - entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts - keine gewerbsmäßige Tatbegehung. Weiters wäre zu berücksichtigen gewesen, dass der Revisionswerber an den drei Vermittlungshandlungen nicht unmittelbar - unter Verwendung des ausgestellten Konventionsreisepasses - beteiligt war, womit sich die maßgebliche Annahme im Sinne der Z 4 des § 92 Abs. 1 FPG bereits verwirklicht hätte (vgl. zu einer solchen, die Gefährdungsannahme verstärkenden Konstellation etwa VwGH 5.7.2012, 2010/21/0345).
12 Dazu kommt, dass der Revisionswerber auf positive Veränderungen in seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere die Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und die Geburt eines gemeinsamen Sohnes, hingewiesen hatte. Angesichts all dessen hätte es einer näheren Begründung bedurft, warum der Revisionswerber künftig das Risiko der Schlepperei eingehen sollte (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 16.5.2013, 2012/21/0253).
13 Vor diesem Hintergrund hätte auch nicht vom Vorliegen eines schon aus der Aktenlage geklärten Sachverhaltes ausgegangen und gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen werden dürfen.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
15 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. November 2021
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210351.L00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
04.01.2022