TE Vwgh Beschluss 2021/11/11 Ra 2020/21/0277

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Veröffentlicht am 11.11.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §21 Abs7
BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §67 Abs1
MRK Art8
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des M U, vertreten durch Dr. Reinhard Lachinger, Rechtsanwalt in 2100 Korneuburg, Dr.-Karl-Liebleitner-Ring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20. Mai 2020, G314 2230112-1/6E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1989 geborener rumänischer Staatsangehöriger, hält sich mit Unterbrechungen seit Mai 2018 in Österreich auf. Mit seiner Lebensgefährtin, einer rumänischen Staatsangehörigen, lebt er seit September 2019 in einem in der Nähe von Wien gelegenen Ort in einem gemeinsamen Haushalt. Diese brachte im März 2020 einen gemeinsamen Sohn zur Welt.

2        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 4. September 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15 Abs. 1, 87 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 3. September 2018 gemeinsam mit einem Mittäter versucht, vor einem Bordell dem dort tätigen Kellner absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen, indem beide Täter dem Opfer teils mit einem mitgeführten Stock (Baseballschläger), teils mit Fäusten und Füßen mehrmals wuchtige Schläge und Tritte gegen den Kopf und den Körper versetzten, wodurch das Opfer zufällig und aufgrund von Abwehrhandlungen nur leichte Verletzungen, wie eine Rissquetschwunde im Stirnbereich, Hämatome und Hautabschürfungen am ganzen Körper, erlitten habe.

3        Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 2. März 2020 gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

4        Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 20. Mai 2020 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        In seiner Begründung stellte das BVwG unter anderem fest, dass der Revisionswerber ab Mai 2018 zumeist kurzfristig bei verschiedenen Arbeitgebern in Österreich beschäftigt gewesen sei, wobei die deutlichen zeitlichen Lücken zwischen den Beschäftigungsverhältnissen auch mit seinen mehrmaligen Abwesenheiten vom Bundesgebiet korrespondieren würden. Seine Lebensgefährtin, die ebenfalls immer wieder kurzfristig bei verschiedenen Arbeitgebern unselbständig erwerbstätig gewesen sei, verfüge erst seit August 2019 durchgehend über Hauptwohnsitzmeldungen im Bundesgebiet und seit 24. September 2019 über eine Anmeldebescheinigung. In Deutschland sei der Revisionswerber im Zeitraum von 2012 bis 2017 viermal strafgerichtlich verurteilt worden. Im Juli 2012 sei er wegen schweren Bandendiebstahls bzw. Einbruchsdiebstahls in drei Fällen zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die jedoch letztlich erlassen worden sei. Ende 2015 sei er wegen Beleidigung und Sachbeschädigung, im November 2016 wegen Körperverletzung und im Juli 2017 wegen des Erschleichens von öffentlichen Leistungen jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

6        Rechtlich erachtete das BVwG den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG als erfüllt und begründete dies damit, dass sich die Gefährlichkeit des Revisionswerbers in der brutalen Tathandlung, die der Verurteilung in Österreich zugrunde liege, besonders nachdrücklich manifestiert habe. Die vorangegangenen Verurteilungen in Deutschland hätten den Revisionswerber von der Begehung einer neuerlichen Straftat, die zudem nur wenige Monate nach seiner Niederlassung im Bundesgebiet verübt worden sei, nicht abhalten können. Der seit der Verurteilung verstrichene Zeitraum des Wohlverhaltens reiche für eine positive Zukunftsprognose aktuell nicht aus, zumal der Revisionswerber bereits 2015 und 2016 in Deutschland mit Aggressionsdelikten in Erscheinung getreten sei. In Anbetracht des erst kurzen Aufenthaltes des Revisionswerbers und seiner Lebensgefährtin und mangels „maßgeblicher Verwurzelung“ in Österreich sei eine gemeinsame Rückkehr nach Rumänien zumutbar, wodurch auch der persönliche Kontakt mit dem Sohn aufrechterhalten werden könne. Das gemeinsame Familienleben könne der Revisionswerber aber auch durch Telefon oder Internet sowie mit Besuchen außerhalb des österreichischen Bundesgebiets pflegen. Unter Bedachtnahme auf die wiederholte Straffälligkeit und die Schwere der letzten Straftat überwiege das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse am Verbleib des Revisionswerbers im Bundesgebiet.

7        Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG damit, dass der Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt habe werden können und auch bei einem positiven Eindruck vom Revisionswerber in einer mündlichen Verhandlung keine Herabsetzung oder gar der Entfall des Aufenthaltsverbotes möglich wäre. Die in der Beschwerde beantragte Einvernahme der Lebensgefährtin des Revisionswerbers als Zeugin könne entfallen, da ohnedies den Beschwerdebehauptungen zum gemeinsamen Familienleben in Österreich gefolgt worden sei.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

9        Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

11       Unter diesem Gesichtspunkt macht der Revisionswerber zunächst geltend, dass das BVwG zu Unrecht von der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung abgesehen habe.

12       § 21 Abs. 7 BFA-VG erlaubt aber das Unterbleiben einer Verhandlung trotz deren ausdrücklicher Beantragung, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die Unterlassung einer Verhandlung nur dann einen relevanten, zur Aufhebung führenden Verfahrensmangel begründet, wenn ein entscheidungswesentlicher Sachverhalt klärungsbedürftig ist; dieser ist in der Revision darzutun. Richtig ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang auch wiederholt darauf hingewiesen hat, bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen komme der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zu, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. In eindeutigen Fällen, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht von ihm einen (positiven) persönlichen Eindruck verschafft, kann allerdings eine Verhandlung unterbleiben (vgl. etwa VwGH 8.6.2021, Ra 2020/21/0211, Rn. 19, mwN).

13       Von einem derartigen eindeutigen Fall durfte das BVwG - entgegen der Meinung in der Revision - vor dem Hintergrund der dargestellten Umstände vertretbar ausgehen. Im Hinblick darauf, dass der in Deutschland einschlägig vorbestrafte Revisionswerber schon nach kurzer Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet eine vom BVwG überdies zu Recht als besonders brutal gewürdigte Straftat begangen hat, ist sowohl die Annahme, dass das Verhalten des Revisionswerbers eine Gefahr iSd § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG darstellt, als auch die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht zu beanstanden.

14       Auch der weitere Vorwurf des Revisionswerbers, dass die Einvernahme seiner Lebensgefährtin als Zeugin zum Beweis eines aufrechten Familienlebens unterblieben sei, schlägt fehl, da das BVwG das Vorliegen eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich ohnedies den Feststellungen zugrunde gelegt hat. Dass die Intensität des Familienlebens, zu der die Revision im Übrigen keine konkreten Tatsachen vorbringt, aber auch die Feststellungen des BVwG nicht bekämpft, zu einem Überwiegen des Interesses an einem Verbleib des Revisionswerbers in Österreich führen könnte, vermag die Revision angesichts der Kürze des Inlandsaufenthaltes und auch der nicht unangemessenen Dauer des Aufenthaltsverbotes nicht überzeugend darzutun.

15       Schließlich wird in der Revision als Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Annahme des BVwG gerügt, das gemeinsame Familienleben könne auch im Wege moderner Kommunikationsmittel oder durch Besuche außerhalb Österreichs gepflegt werden. Dazu genügt der Hinweis, dass das BVwG eine gemeinsame Rückkehr des Revisionswerbers mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn nach Rumänien - fallbezogen zutreffend - als zumutbar erachtet hat, weshalb auf die gerügten, offenbar als Alternativbegründung gedachten Ausführungen des BVwG nicht weiter eingegangen werden muss.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher - nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde - gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

17       Von der in der Revision beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte in diesem Fall gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 11. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210277.L00

Im RIS seit

13.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

01.02.2022
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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