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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AlVG 1977 §1 Abs1 litaBetreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Tolar und Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des H Y in W, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 2020, W216 2134020-2/3E, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Arbeitsmarktservice Wien Austria Campus), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Zur Vorgeschichte des Revisionsfalles wird zunächst auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Oktober 2019, Ra 2019/08/0147, verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof wies damit die (außerordentliche) Revision des Revisionswerbers gegen das (im zweiten Rechtsgang ergangene) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, mit dem dieses - in Bestätigung entsprechender Bescheide des Arbeitsmarktservice (AMS) - den Bezug der Notstandshilfe des Revisionswerbers für bestimmte Zeiträume gemäß § 38 iVm. § 24 Abs. 2 AlVG widerrief und ihn gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen verpflichtete, mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zurück.
2 Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, das Bundesverwaltungsgericht habe auf Grundlage eigener Feststellungen über die Beschäftigung des Revisionswerbers als Taxilenker (zu einem Entgelt, das die im Streitjahr bestehende gesetzliche Geringfügigkeitsgrenze überschritten hat) in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das Nichtbestehen seiner Arbeitslosigkeit im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum abgeleitet und aufgrund der vorsätzlichen Nichtmeldung dieser Erwerbstätigkeit die Rückforderung zu Recht ausgesprochen.
3 Mit Schreiben vom 8. Juni 2020 beantragte der Revisionswerber beim Bundesverwaltungsgericht die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21. August 2019, W216 2134020-1/27E, abgeschlossenen Verfahrens gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG. Als Begründung führte er an, mit Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse vom 26. Mai 2020 sei gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 Z 3 lit. a ASVG im streitgegenständlichen Zeitraum seine Teilversicherung in der Unfallversicherung festgestellt worden. Daraus ergebe sich, dass - nach den Feststellungen der Österreichischen Gesundheitskasse - der Revisionswerber im streitgegenständlichen Zeitraum lediglich geringfügig beschäftigt gewesen sei. Da die Frage des Vorliegens einer geringfügigen Beschäftigung eine Vorfrage iSd § 38 AVG für das bereits abgeschlossene Verfahren sei, liege der Wiederaufnahmegrund gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG vor.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesverwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme zurück und sprach aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die im Erkenntnis vom 21. August 2019, W216 2134020-1/27E, getroffene Feststellung über das Vorliegen eines nicht nur geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnisses im strittigen Zeitraum sei entsprechend dem im ersten Rechtsgang ergangenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 2017, Ra 2017/08/0111, aufgrund eigener Ermittlungsschritte erfolgt. Das Bundesverwaltungsgericht sei weder bei dieser Feststellung noch bei der daran anknüpfenden rechtlichen Beurteilung (hinsichtlich des Vorliegens der Arbeitslosigkeit) an Meldungen des Dienstgebers oder an die beim Hauptverband gespeicherten Daten gebunden gewesen. Es sei der gemäß § 63 Abs. 1 VwGG bindenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes gefolgt, was dieser mit dem Beschluss vom 21. Oktober 2019, Ra 2019/08/0147, nicht beanstandet habe. Demnach könne im ergangenen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse keine Vorfrage iSd § 38 AVG erkannt werden, die eine Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG rechtfertigen könne.
6 Gegen diesen Beschluss wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Einleitung eines Vorverfahrens, in dem von der belangten Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
7 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Vorliegen einer Vorfrage gemäß § 38 AVG ab, indem es die Relevanz des Feststellungsbescheides der Österreichischen Gesundheitskasse über die Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung für das Vorliegen der Arbeitslosigkeit verneine.
8 Die Revision ist zulässig und begründet.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ungeachtet dessen, dass § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht auf das Bestehen der Vollversicherungspflicht, sondern auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses abstellt, zufolge der Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG der Begriff des nicht geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses, der sich aus den genannten Bestimmungen des § 12 AlVG in ihrem Zusammenhang ergibt, ident mit dem des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG, an welches § 1 Abs. 1 lit. a iVm. Abs. 4 AlVG für die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft (vgl. insb. VwGH 30.6.1998, 98/08/0129, sowie aus jüngerer Zeit VwGH 25.2.2021, Ra 2019/08/0133).
10 Aus diesem Grund hat das AMS (bzw. das Verwaltungsgericht), wenn die Versicherungspflicht als Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 ASVG für einen bestimmten Zeitraum feststeht, diese Hauptfragenentscheidung der bei Beurteilung der Frage der Arbeitslosigkeit erforderlichen Lösung der Vorfragen, ob gemäß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG ein Dienstverhältnis (im Sinne eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 4 Abs. 2 ASVG) vorlag bzw. ob gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG Anspruch auf ein die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigendes Entgelt bestanden hat, zugrunde zu legen und daher das Vorliegen von Arbeitslosigkeit für den gleichen Zeitraum schon deshalb zu verneinen (vgl. VwGH 26.1.2000, 2000/08/0005, mwN).
11 Eine Bindung an einen rechtskräftigen Bescheid des Sozialversicherungsträgers besteht demzufolge auch dann, wenn damit für einen bestimmten Zeitraum - wie im vorliegenden Revisionsfall - nur die Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Z 2 iVm. § 7 Z 3 lit. a ASVG festgestellt wird. Auch in einem solchen Fall ist diese Entscheidung - als Vorfragenentscheidung gemäß § 38 AVG - bei der Beurteilung der Frage, ob für denselben Zeitraum gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG Arbeitslosigkeit aufgrund des Anspruchs auf ein die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigendes Entgelt bestanden hat, zugrunde zu legen.
12 Ergeht ein derartiger - Bindungswirkung entfaltender - Bescheid des Sozialversicherungsträgers erst nach Abschluss des Verfahrens, in dem das AMS (bzw. das Verwaltungsgericht) die Frage des Vorliegens der Arbeitslosigkeit - unter Beantwortung der Vorfrage des Bestehens eines vollversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses - selbst beurteilt hat, kann dieser Umstand im Wege eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens (gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG bzw. § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG) geltend gemacht werden (vgl. idS VwGH 30.6.1998, 98/08/0129; 26.1.2000, 2000/08/0005).
13 Diese Rechtslage hat das Bundesverwaltungsgericht verkannt. Die Argumentation mit der Bindungswirkung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. November 2017, Ra 2017/08/0111, geht schon im Hinblick auf die zwischenzeitige Erlassung des Bescheides der ÖGK fehl.
14 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 17. November 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020080184.L00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
13.12.2021