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L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag SteiermarkNorm
BauG Stmk 1995 §41 Abs3Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz in 8011 Graz, Europaplatz 20, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 2. Juni 2021, LVwG 50.32-1032/2021-9, betreffend einen Beseitigungsauftrag (weitere Partei: Steiermärkische Landesregierung; mitbeteiligte Partei: Dr. I L, vertreten durch Dr. Johann Kahrer, Dr. Christian Haslinger, Rechtsanwälte in 4910 Ried im Innkreis, Dr. Dorfwirth-Straße 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt G. (Revisionswerber) vom 5. Februar 2021 wurde unter anderem der Mitbeteiligten gemäß § 41 Abs. 3 Steiermärkisches Baugesetz (Stmk. BauG) aufgetragen, die Geländerkonstruktion bei den den Wohneinheiten Top 9 und Top 12 vorgelagerten Balkonen eines näher bezeichneten Gebäudes in G. wiederherzustellen.
2 Die Mitbeteiligte ist Miteigentümerin des Gebäudes, jedoch nicht Eigentümerin der Wohneinheiten Top 9 und Top 12, sondern der Wohnung Top 10.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) der Beschwerde der Mitbeteiligten Folge und behob den oben angeführten Bescheid ersatzlos. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
Begründend führte das LVwG mit Hinweis auf § 2 Abs. 4 Wohnungseigentumsgesetz 2002 (WEG 2002) und Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) sowie des Verfassungsgerichtshofes aus, die verfahrensgegenständlichen Balkone seien mit den Wohnungen Top 9 und 12 untrennbar verbunden und dienten den jeweiligen Wohnungsbesitzern zur alleinigen Nutzung. Sie seien daher nicht den allgemeinen Teilen der Liegenschaft zuzuordnen. Da die Mitbeteiligte nicht Miteigentümerin der verfahrensgegenständlichen Balkone sei, erweise sich der an sie ergangene Beseitigungsauftrag als rechtswidrig.
4 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
5 Die Mitbeteiligte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision „als unbegründet nicht zuzulassen“, jedenfalls aber ihr keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 In der Amtsrevision wird ein Abweichen von der hg. Rechtsprechung dahingehend vorgebracht, dass ein Beseitigungsauftrag an alle Miteigentümer zu richten sei, wenn Allgemeinteile betroffen seien; zur zivilrechtlichen Frage, ob ein Balkongeländer zu den allgemeinen Teilen eines im Wohnungseigentum stehenden Gebäudes zähle, gebe es noch keine Aussage des Verwaltungsgerichtshofes.
7 Die Revision ist zulässig und auch begründet.
8 Gemäß § 41 Abs. 3 Stmk. BauG, LGBl. Nr. 59/1995 idF LGBl. Nr. 11/2020, hat die Behörde hinsichtlich vorschriftswidriger baulicher Anlagen oder sonstiger Maßnahmen einen Beseitigungsauftrag zu erlassen. Der Auftrag ist ungeachtet eines Antrages auf nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung zu erteilen.
Gemäß § 2 Abs. 4 WEG, BGBl. Nr. I Nr. 70/2002 idF BGBl. I Nr. 124/2006, sind allgemeine Teile der Liegenschaft solche, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht.
9 Der Revisionswerber bringt unter Hinweis auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (insbesondere auf OGH vom 31.7.2019, 5Ob61/19k; 18.10.1983, 5Ob63/82) vor, das LVwG gehe verfehlt davon aus, die auftragsgegenständlichen Balkongeländer stellten keine allgemeinen Teile der Liegenschaft dar. Die Fassade und eben auch die Außenfläche einer Balkonbrüstung stehe nicht im Wohnungseigentum, sondern gehöre zu den allgemeinen Teilen der Liegenschaft iSd § 2 Abs. 4 WEG. Der Beseitigungsauftrag habe sich auf das Balkongeländer, also auf allgemeine Teile des Hauses bezogen. Daher sei der baupolizeiliche Beseitigungsauftrag an die gemeinsamen Verfügungsberechtigten, somit an sämtliche Wohnungseigentümer zu richten gewesen (Hinweis unter anderem auf VwGH 27.2.1998, 96/06/0182; VfGH 12.12.1997, B 5012/96).
10 Den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis zufolge wurden die Absturzsicherungen an den Balkonen der Wohnungen Top 9 und Top 12 teilweise demontiert. Die Revision führt dazu - in Übereinstimmung mit dem vorgelegten Verfahrensakt - aus, die als Absturzsicherung dienende Wellblechverkleidung sei bei Top 9 auf einer Länge von 0,9 m und bei Top 12 auf einer Länge von 3,5 m und jeweils einer Höhe von 0,8 m demontiert worden, sodass eine akute Gefahr durch das mögliche Erklettern und Abstürzen von den Balkongeländern gegeben sei. Gegenstand des Beseitigungsauftrages sind somit nicht die jeweiligen Balkone, sondern die an der Außenfläche des Gebäudes angebrachten Wellblechverkleidungen, die der Absturzsicherung dienen. Die Ausführungen des LVwG, die Balkone seien mit den Wohnungen Top 9 und Top 12 untrennbar verbunden und dienten den jeweiligen Wohnungsbesitzern zur alleinigen Nutzung, sind somit zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts nicht geeignet.
11 Der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge gehören zu den allgemeinen Teilen des Hauses die Außenflächen bzw. die Außenhaut des Gebäudes (vgl. etwa VwGH 2.8.2018, Ra 2017/05/0007, Rn. 12; 29.4.2015, 2013/06/0151).
12 Für den vorliegenden Revisionsfall bedeutet dies, dass die an den Balkongeländern angebrachten Absturzsicherungen gemäß § 2 Abs. 4 WEG 2002 als allgemeine Teile zu werten sind. Die Adressaten eines Auftrages gemäß § 41 Abs. 3 Stmk. BauG sind daher alle Miteigentümer der baulichen Anlage (vgl. etwa VwGH 14.9.2021, Ra 2017/06/0025, Rn. 35, mwN).
13 Wenn dem Revisionswerber in der Revisionsbeantwortung unterstellt wird, er habe die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 12.12.1997, B 5012/96, verkannt, deutet dies auf eine ungenaue Lektüre derselben hin. Die in Pkt. 2.2.2. dritter Absatz des Erkenntnisses dargestellte Auslegung des § 129 Abs. 10 erster Satz Bauordnung für Wien aus der Sicht des Gleichheitssatzes des Art. 7 Abs. 1 B-VG teilte der Verfassungsgerichtshof gerade nicht; er führte in seiner Entscheidung vielmehr aus, dass bei bestehendem Wohnungseigentum dem jeweiligen Wohnungseigentümer keine baupolizeilichen Aufträge erteilt werden dürfen, die sich - wenn man von jenen Teilen der Liegenschaft, die der allgemeinen Benützung dienen oder deren Zweckbestimmung einer ausschließlichen Benützung entgegensteht (§1 Abs. 4 WEG 1975), einmal absieht - nicht auf das seinem ausschließlichen Nutzungs- und Verfügungsrecht unterliegende Objekt beziehen (Unterstreichung nicht im Original). Genau die im vorliegenden Fall entscheidungswesentlichen Aussagen in der Parenthese wurden in der Revisionsbeantwortung unberücksichtigt gelassen; die diesbezüglichen Ausführungen erweisen sich daher als unzutreffend.
14 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Wien, am 19. November 2021
Schlagworte
Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht BauRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021060116.L00Im RIS seit
13.12.2021Zuletzt aktualisiert am
10.01.2022