Entscheidungsdatum
21.05.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W209 2201743-2/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter in Erledigung der Beschwerde des XXXX , geb XXXX , StA Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.04.2021, Zl. 1163941902/
200700595, betreffend Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz vom 10.08.2020, Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Feststellung, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist, sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beschlossen:
A)
I. Der Antrag auf internationalen Schutz vom 10.08.2020 wird gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und der angefochtene Bescheid hinsichtlich seiner Spruchpunkte I. und II. ersatzlos behoben.
zu Recht erkannt:
II. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 14.08.2017 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.08.2017 gab er zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er mit vier Jahren mit seinen Eltern von Afghanistan in den Iran gereist sei, wo sie elf Jahre lang gelebt hätten. Vor ca. zwei Jahren habe seine Familie mit ihm zusammen nach Europa reisen wollen. Er habe den Iran verlassen. Seine Familienangehörigen seien bei der Überquerung der iranisch-türkischen Grenze im Iran zurückgeblieben. Zu seinen Befürchtungen bei einer Rückkehr in seine Heimat führte er aus, dass er dort niemanden habe und niemanden kenne.
3. Bei seiner Einvernahme am 15.03.2018 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, Außenstelle Linz („BFA“) an, dass er der Volksgruppe der Tadschiken angehöre und sunnitischer Moslem sei. Er sei in der Provinz Badakhshan in der Ortschaft XXXX geboren. Mit vier Jahren sei er mit seiner Familie in den Iran gegangen, wo sie für zehn oder elf Jahre gelebt hätten. Er habe keine Schule besucht. Anfangs habe er als Verkäufer auf der Straße gearbeitet. Dann habe er in einem Laden gearbeitet, in dem Geschirr und Küchenutensilien verkauft worden seien. Seine gesamte Familie lebe im Iran und er habe über das Internet Kontakt zu ihnen.
Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates gab er an, dass sein Vater Taxifahrer gewesen sei. Eines Abends habe er den Sohn eines Talibankommandanten überfahren und dieser Junge sei gestorben. Der Kommandant habe Rache geschworen und habe den älteren Bruder des BF getötet. Sie hätten der Familie des BF damit gedroht, sie zu töten, falls sie eine Anzeige erstatten würden. Seine Eltern hätten Angst bekommen und sie seien nach Kabul gezogen. Dort hätten sie sie gefunden und hätten seinen Vater fast zu Tode geprügelt. Deshalb habe sein Vater sein Taxi verkauft und seien sie in den Iran geflohen.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11.07.2018 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI). Begründet wurde die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Angaben des BF zu seinen Fluchtgründen unglaubwürdig seien. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gemäß § 8 AsylG 2005 führen könnten.
5. Gegen den genannten Bescheid erhob der BF rechtzeitig Beschwerde.
6. Am 25.10.2019 langten medizinische Unterlagen und Integrationsunterlagen des BF beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein.
7. Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.01.2020 wurde die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen. Begründend führte das BVwG aus, dass der BF keine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung mit asylrechtlich relevanter Intensität glaubhaft machen habe können, unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des BF nicht zu erkennen sei, dass er im Fall seiner Abschiebung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten oder real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden, die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorlägen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG keine Verletzung des BF in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK darstelle, die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise des BF den gesetzlichen Bestimmungen entspreche.
Gegen das Erkenntnis wurde weder eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof noch eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben.
8. Am 10.08.2020 stellte der BF vor Beamten der LPD Wien einen Folgeantrag auf internationalen Schutz und machte im Zuge dessen nachfolgende Angaben:
„Ich bin in Österreich zum Christentum konvertiert und kann wegen meiner neuen Religion nicht in meine Heimat zurückkehren. Dort ist mein Leben in Gefahr. Ich bin im Juni 2020 getauft worden, dazu möchte ich meinen Taufschein vorlegen.“
9. Am 30.09.2020 wurde dem BF Parteiengehör gewährt, wobei er zu seinen Fluchtgründen (auszugsweise) Folgendes angab:
LA: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die Befragung zu absolvieren?
VP: Ja.
LA: Sind Sie derzeit in ärztlicher Betreuung und/oder Behandlung bzw. Therapie?
VP: Nein.
LA: Nehmen Sie zurzeit Medikamente? Wenn ja welche?
VP: Nein.
LA: Haben Sie bis jetzt im Verfahren zur Ihrer Person und den Fluchtgründen die Wahrheit gesagt?
VP: Ja. Nachgefragt gebe ich an, dass meine Daten (Name und Geburtsdatum) korrekt sind. Das Alter, das ich damals angegeben habe wurde von der Behörde nicht akzeptiert. Ich wurde zum Arzt geschickt und das wurde dann so eingetragen.
LA: Wo befinden sich Ihre identitätsbezeugenden Dokumente wie Reisepass, ID Card etc.?
VP: Ich habe nie was gehabt und habe auch jetzt nichts.
LA: Hatten Sie jemals Probleme mit der Polizei, Militär und/oder sonstigen Behörden im Heimatland?
VP: Nein. Da ich noch nie in Afghanistan gelebt habe, habe ich noch nie Probleme gehabt. Nachgefragt wurde ich zwar in Afghanistan geboren, aber als ich ca. 4-5 Jahre alt war, reiste ich mit den Eltern in den Iran.
LA: Wurden Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan schon einmal verurteilt?
VP: Nein. Ich wurde nie verurteilt. Auch nicht im Iran.
LA: Wurden Sie im Heimatland Afghanistan inhaftiert?
VP: Nein, Iran auch nicht.
LA: Sind oder waren Sie Mitglied/ Anhänger einer politischen Partei?
VP: Nein.
LA: Wo befindet sich zurzeit Ihre Kernfamilie? (Eltern, Geschwister)
VP: Meine Mutter und meine Geschwister befinden sich im Iran. Mein Vater lebt in Afghanistan. Die Eltern sind nicht geschieden, er wurde nach Afghanistan abgeschoben. 4 Jahre vor meiner Ausreise (auf dem Weg nach Österreich) wurde er vom Iran nach Afghanistan abgeschoben.
LA: Haben Sie hier in Österreich zurzeit einen Beruf bzw. eine kleine Nebenbeschäftigung?
VP: Nein. Ich habe noch nicht angefangen und nichts gelernt, aber ich habe geplant, dass ich, wenn ich ein Bleiberecht bekomme, eine Ausbildung mache.
LA: Wie finanzieren Sie sich Ihrem Lebensunterhalt in Österreich?
VP: Derzeit wohne ich hier im Lager. Ich lebe von der Grundversorgung.
LA: Bekommen Sie noch sonstige finanzielle Unterstützung? Z.B. Caritas etc.?
VP: Nein.
LA: Haben Sie irgendwelche Ersparnisse?
VP: Ja bei mir. Ca. 40 Euro
LA: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen, CH, Lichtenstein oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
VP: Nein. Weder noch.
LA: Gibt es bezüglich Ihres Privat-und Familienlebens irgendwelche Neuigkeiten, die Sie der Behörde mitteilen möchten?
VP: Nur der Glaubenswechsel.
LA: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet).
VP: Nein. Nachgefragt habe ich auch sonst keine Verwandtschaft in Österreich.
LA: Leben Sie mit einer sonstigen Person in einer Familiengemeinschaft oder in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Falls dies der Fall ist, beschreiben Sie diese Gemeinschaft.
VP: Nein. Allein.
LA: Wovon wollen Sie leben, wenn Sie in Österreich weiter bleiben wollen?
VP: Mein größter Wunsch ist es eine Ausbildung zum Pfleger machen und selbstständig zu werden.
LA: Seit wann befinden Sie sich in Österreich?
VP: Seit 14.08.2017.
LA Haben Sie Österreich seit Ihrem ersten Antrag verlassen?
VP: Nein.
LA: Welche Integrationsschritte haben Sie bis jetzt getätigt?
(Anmerkung: Dem AW werden die Punkte erklärt, die unter dem Begriff „Integration“ zu subsumieren sind. Darunter fallen Sprachkenntnisse, Ausbildung, legale Arbeit, ehrenamtliche Tätigkeit, ein Freundeskreis. Der nicht nur aus Angehörigen des eigenen Kulturkreises besteht, Familienangehörige …)
VP: A2 Deutsch Kurs abgeschlossen. B1 habe ich den ersten Teil gemacht, aber ich durfte wegen der negativen Entscheidung nicht den zweiten Teil machen. 3 Monate lang habe ich eine Klasse besucht, wo man einen Hauptschulabschluss nachholen kann. Meine zwei Freunde die unten sitzen (im Parteienverkehr – ein Pastor und eine Vertrauensperson) unterstützen mich in allen Belangen und auch bezüglich meines Glaubens.
LA: Entsprachen bei Ihrem letzten Asylantrag damals alle zu Ihren Fluchtgründen gemachten Angaben alle der Wahrheit?
VP: Ja. Habe die Wahrheit gesagt.
LA: Möchten Sie zu den von Ihnen im Zuge des gesamten Verfahrens gemachten Angaben, insbesondere zu Ihres Fluchtweges oder Fluchtgrundes etwas berichtigen?
VP: Nein. Darüber will ich gar nicht mehr reden.
LA: Hat sich seit der rechtskräftigen Entscheidung von Ihrem Vorverfahren irgendetwas Wesentliches in Ihrem Leben geändert?
VP: Ja. Ich bin zum Christentum konvertiert.
LA: Warum stellen Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz?
(Wahrheitsgemäß. in chronologischer Reihenfolge, Detailreich)
VP: Ich kann als Christ nie wieder zurückkehren. Ich wurde zu Tode bedroht, weil ich meinen Glauben gewechselt habe. Als konvertierter Christ kann und darf ich auf keinen Fall in ein islamisches Land zurückkehren, weil ich sonst getötet werde. Ich habe mit meiner Mama telefoniert und habe gesagt das ich meinen Glauben gewechselt habe, Sie fragte warum, denn ich bin ja Moslem. Obwohl ich schon lange nicht die Stimme meines Vaters gehört habe, hat er mich angerufen und fragte mich warum ich plötzlich den Glauben gewechselt habe. Wenn ich zurückkehre, wird mein Vater mich nicht am Leben lassen. Nicht nur, dass ich in meiner afghanischen Kulturgemeinschaft nicht mehr leben könnte, auch weil ich als Christ als Ungläubiger bezeichnet werde. Einen Christen töten, ist erlaubt im Islam. Deshalb habe ich Angst zurückzukehren, weil ich getötet werde.
LA: Waren das alle Ihre Fluchtgründe?
VP: Ja.
LA: Bestehen Ihre damaligen (Haupt-)Probleme / Fluchtgründe (Erstantrag) nach wie vor?
VP: Ja. Bestehen nach wie vor. Aber jetzt, was ich getan habe, ist mein persönliches Anliegen und mein Problem.
LA: Gibt es Neuigkeiten zu Ihrem Fluchtgrund vom Erstantrag?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Beweismittel zu Ihrem Fluchtgrund vom Erstverfahren, die Sie einbringen möchten?
VP: Nein.
LA: Haben Sie Beweismittel zu Ihrem nunmehrigen Fluchtgrund, die Sie einbringen möchten?
VP: Ja. 4x Empfehlungsschreiben, Bestätigung Wunderwerk vom 14.02.2020, 1x Taufbestätigung vom 28.06.2020, 1x Zeugnis zur Integrationsprüfung, Deutsch Zertifikat A1, Kursbestätigung A1 und B1 vom 17.01.2018 und 24.10.2019;
LA: Haben Sie einmal in Erwägung gezogen, sich in einem anderen Landesteil/Stadt innerhalb Afghanistans niederzulassen?
VP: Nein, ich denke gar nicht an Afghanistan.
LA: Sind Sie in einer Glaubensgemeinschaft bzw. Kirchenverein?
VP: Ich habe keine aktive Mitgliedschaft, aber ich besuche regelmäßig die Kirche.
LA: Welcher Volksgruppe gehören Sie an?
VP: Tadschike.
LA: Was ist derzeit Ihre Religion?
VP: Ich bin Christ.
LA: Seit wann genau sind Sie Christ?
VP: Also, da ich 2016 in der Schweden gelebt habe, dort habe ich von Anfang an die Kirche besucht, da ich von Schweden einen negativen Bescheid erhalten habe, konnte ich dort nicht leben und kam nach Österreich und habe einen Asylantrag gestellt. Als ich nach Österreich kam, habe ich Anfang Jänner 2020 Pastor Herrn XXXX kennengelernt. Danach habe ich regelmäßig die Kirche besucht und am 28. Juni habe ich mich taufen lassen. In Schweden … von Anfang an habe ich herzlich an das Christentum geglaubt. Ich wollte mich auch dort taufen lassen und besuchte auch regelmäßig die Kirche. Aber nachdem ich 3 negative Entscheidungen erhalten habe, konnte ich mich nicht taufen lassen. In Österreich lebte ich in einem Ort namens in XXXX . Da ich psychisch nicht gesund war und alleine war und keinen Kontakt zu niemanden gehabt habe, konnte ich keine Kirche besuchen. Ich habe Angst gehabt, dass wenn ich jemanden von meinem Glauben erzähle, dass ich Probleme bekomme. Ich habe Angst gehabt, dass ich Probleme bekomme, das ich Auseinandersetzungen bekomme mit Flüchtlingen, die dort gelebt haben und Muslime waren. Ich habe das alles geheim gehalten, bis ich eine Frau namens XXXX kennengelernt habe, die ich von meiner innerlichen Überzeugung erzählt habe. Sie hat angefangen mich auf diesem Weg zu unterstützen und mir zu helfen. Sie hat auch als Lehrerin für mich gearbeitet. Sie ist keine Lehrerin, aber sie hat mir Deutsch beigebracht. Ich bin laut Dokument am 28. Juni 2020 offiziell getauft. Persönlich bin ich seit Anfang 2016 bis jetzt Christ.
LA. Waren Sie bereits christlichen Glaubens als Sie noch im Afghanistan bzw. Iran gelebt haben?
VP. Nein. Persönlichen Kontakt hatte ich keinen zum Christentum, aber ich wusste das es andere Glaubensrichtungen auch gibt. Das habe ich im Iran gedacht.
LA: Was hat Sie genau dazu bewegt, zum Christentum zu wechseln?
VP: Dass ich mich selbst kennengelernt habe.
LA: Gibt es noch andere Gründe?
VP: Ich habe gemerkt, dass ich innerlich von ganzem Herzen ein Christ bin, und ich bleibe Christ. An Jesus Christus habe ich von ganzen Herzen geglaubt und er ist in mir drin. Er ist mein Retter und hat mein Leben gerettet.
LA. Was bedeutet das Christentum für Sie?
VP. Für mich bedeutet es einen richtigen Weg zum richtigen Leben.
LA. Sind Sie ein strenggläubiger Christ?
VP: (AW wird erklärt, was strenggläubig bedeutet) Ich kann das nicht einschätzen, aber ich bin von ganzem Herzen Christ und ich bleibe Christ.
LA. Welchen Glauben hatten Sie vor Ihrer Konvertierung?
VP. Ich habe keinen Glauben gehabt, aber ich bin in eine muslimische Familie geboren. Nachgefragt, meine Eltern sind Sunniten. Ich glaube nicht an den Islam.
Anm: Nach Rückübersetzung gibt AW an, dass die Eltern Muslime sind.
LA: Zu welchem Zweig des Islams gehören Ihre Eltern?
VP: Zu den Sunniten.
LA: Waren Sie ein streng gläubiger Moslem?
VP: Nein.
LA: Was haben Sie am Islam gut gefunden?
VP: Nein, nichts. Also im Islam werden Menschen gehasst und getötet.
Nach Rückübersetzung: Im Islam sind Menschenhasser und Menschentöter.
LA: Warum wollen Sie Ihren bisherigen Glauben aufgeben?
VP: Ich war nicht einmal Muslim.
LA: Waren Sie in einer islamischen Glaubensgemeinschaft?
VP: Nein.
LA: Zu welchem Zweig des Christentums bekennen Sie sich nun?
VP: Ich kenne mich nicht in allen christlichen Glaubensrichtungen aus, aber ich bin in einer freien Kirche.
LA: Warum gerade zu diesem Zweig?
VP: Ich habe nicht explizit diese Kirche ausgesucht. Ich wusste nicht einmal, wie viele Richtungen es im Christentum gibt. Mir ist diese ganze Geschichte nicht wichtig.
Wichtig ist, dass ich an Jesus Christus glaube. Ich glaube an Jesus Christus und an den Heiligen Geist.
LA: Welche weiteren Zweige des Christentums kennen Sie?
VP: Katholiken, Protestantische und Orthodoxe. Ich bin Protestantisch.
LA: Wissen Sie den Namen des obersten Protestanten und Gründer der evangelischen Glaubensbewegung?
VP: Nein.
LA: Wissen Ihre Eltern, dass Sie konvertiert sind?
VP: Ja. Nachgefragt nachdem ich mich taufen lassen habe. Meine Geschwister (3 Brüder und 3 Schwestern) wissen es nicht.
LA: Welchen Taufnamen haben Sie? Haben Sie einen?
VP: Ich habe keinen ausgewählt.
LA: Wer war bzw. ist Ihr Taufpate?
VP: Meine Lehrerin Frau XXXX und ein iranisches Ehepaar waren anwesend. Das Ehepaar habe ich in der gemeinsamen Kirche kennengelernt.
LA: Besuchten Sie auch einen Taufvorbereitungskurs?
VP: Ja. Mit diesem iranischen Ehepaar. Nachgefragt war der jeden Dienstag. Da habe ich den Kurs besucht und gelernt in deren Wohnung. Ich kann mich an die genaue Adresse nicht erinnern. Also einen Monat lang jeden Dienstag im Jahre 2020.
LA: Beschreiben Sie mir den Taufvorgang:
VP: Zuerst erklärt man sich bereit, dass man Christ wird. Dort wird das Sterben und die Wiederauferstehung erklärt.
LA: Welche Bedeutung hat die Taufe eigentlich?
VP: Dass ein Gläubiger vor allen Anwesenden sagt, dass er an diesen Glauben glaubt. Dass man seine Aussage macht. Das man sich von den ganzen Sünden reinigt. Der Beginn eines neuen Lebens.
LA. Beten Sie?
VP: Ja. Nachgefragt innerlich und überall wo ich will. Auch in der Kirche.
LA: Wo in Traiskirchen gehen Sie hin beten?
VP: Nein, ich gehe sehr selten aus dem Lager.
LA: Haben Sie ein Lieblingsgebet?
VP: Ja.
LA: Können Sie mir das Gebet aufsagen? (Farsi)
VP: Ich glaube an Jesus Christus. An Gott, den Himmel und die Erde. Ich glaube an den Heiligen Geist. An den Sohn Gottes, Jesus Christus. Der Heilige Geist ist in seinen Körper eingefahren. Die Jungfrau Mutter Maria (phon.) Anm: AW sagt das komplette Gebet wurde nicht aufgesagt.
LA: Haben Sie die Bibel gelesen?
VP: Ja.
LA: Haben Sie auch eine Bibel?
VP: Ja. Ich habe eine App auf meinem Handy. Nachgefragt in Buchform nicht. Aber ich habe eine kleine Version in Taschenbuchformat in meinem Zimmer. Auf der Straße habe ich das bekommen. Das Taschenbuch ist nicht komplett.
LA: Was sagt Ihnen der Begriff „Dreifaltigkeit“?
VP: Vater Sohn und der Heilige Geist.
LA: Sagt Ihnen der Begriff „10 Gebote“ etwas?
VP: Ja weiß ich.
LA: Nennen Sie mir bitte drei:
VP: In der freien Kirche habe ich zwei kennengelernt. Also Heirat und zweitens, dass man verteilt wird: Teilung. Es gibt 10 Gebote. Aber es existieren nur zwei bei unserer Freikirche. Heirat und Teilung.
LA: Meinen Sie man soll nicht Ehebrechen?
VP: Also von diesen 10 geboten gehören 4 zu Gott und den Gläubigern und 6 gehören zu den Gläubigen zueinander bzw. untereinander. Deshalb hat Gott Respekt zu den Gläubigern.
Anm: Nach Rückübersetzung gibt AW an die Fragestellung zu Geboten habe ich nicht richtig verstanden. Richtig ist man darf nicht Ehebrechen.
LA: Welcher Religion gehörte Jesus Christus an?
VP: Er hat keinen Glauben gehabt. Er war selbst Gott.
LA: Nach dem Tod Jesu tragen seine treuesten Anhänger die "frohe Botschaft" (griech. evangelion) vom Heiligen Land aus weiter in die Welt. Wie nennen sich diese treuesten Anhänger Jesu?
VP: Ich habe 4 heilige Bücher gelesen. Er hat 12 Anhänger. Die waren die Schüler Jesu. Apostel.
LA: Wer ist das Oberhaupt der katholischen Kirche? Wissen Sie das?
VP: Nein.
Pause 15 min.
LA: Gehen Sie auf Messen? Kirche? In der Nähe?
VP: Nein.
LA: Wie leben Sie den Glauben in Österreich aus?
VP: Sehr gut. Ich bin glücklich. Ich kann für mich und mein Leben entscheiden. Deshalb bin ich glücklich.
LA: Wie praktizieren Sie den Glauben in Österreich?
VP: Ich besuche die Kirche. Ich habe Kontakt zur Kirche. Derzeit kann ich nicht das Lager verlassen, weil ich die grüne Karte habe. Ich darf nicht weggehen, um in die Kirche nach Wien zu gehen.
LA: Warum ist das Kreuz ein Symbol für die Christen?
VP: Weil Jesus Christus gekreuzigt wurde.
LA: Wer waren die Eltern Jesu?
VP: Josef und Maria.
LA: Nennen Sie noch einmal Ihre inneren Beweggründe, warum Sie sich für eine Konvertierung zum Christentum entschieden haben!
VP: Das war meine innere Überzeugung. Zuerst habe ich mich kennengelernt. Und dann von der ganzen inneren Überzeugung wurde ich Christ. Aber in meinem alten Glauben, haben mich meine Eltern gezwungen diesen zu praktizieren. Aber ich habe nicht an den Islam geglaubt. Das war meine innere Überzeugung. Mit meinen Taten und mit meinem Umgang.
LA: Könnten Sie sich vorstellen bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland wieder zum Islam zu konvertieren?
VP: Nein. Da ich an meinen alten Glauben nie geglaubt habe, bin und bleibe ich Christ egal wo ich lebe.
Nach Rückübersetzung: Aufgrund dessen, dass ich nie an den Islam geglaubt habe, kann ich mir nicht mehr vorstellen, nach Afghanistan zurückzukehren.
LA: Würden Sie Christ bleiben?
VP: Ja. Aber unter keinen Umständen kehre ich zurück nach Afghanistan oder in den Iran. Alle Muslime sagen, dass Christen ungläubige sind. Die Christen sind zu töten. Christen sind Abfall, das sagen die Muslime.
Nach Rückübersetzung: Den Iran habe ich bei der Rückkehr nicht erwähnt.
LA: Wie würden Sie Ihren christlichen Glauben in Afghanistan ausleben?
VP: In einem Land wie Afghanistan wird das Christentum nicht akzeptiert. Es gibt keine Kirche. Wie kann ich meinen Glauben ausleben? Wo soll ich beten?
LA: Angenommen, Sie kehren nach Afghanistan zurück. Würden Sie sich als Christ präsentieren bzw. den christlichen Glauben nach Außen zur Schau tragen?
VP: Erstens, mein Vater und die Freunde, die abgeschoben wurden, wissen bereits, dass ich Christ geworden bin und sagen, dass ich das nicht richtig bzw. korrekt gemacht habe, dass ich nun meinen Glauben gewechselt habe. Ja, werde ich.
LA: Würden Sie in Afghanistan missionierend tätig werden?
VP: Erstens, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich zurückkönnte, und ich bin Christ und werde Christ bleiben. Nachgefragt Nein, ich kann nicht missionierend tätig werden.
LA: Würde es für Sie als Christ in Afghanistan möglich sein, ebenso den islamischen Glauben auszuleben?
VP: Nein. Ich kann mir nicht einmal vorstellen zurückzukehren.
LA: Angenommen Sie befinden sich in Afghanistan und ein afghanischer Staatsangehöriger mit muslimischen Glaubensbekenntnis sagt zu Ihnen, dass der Islam eine tolle bzw. gute Religion sein würde. Was sagen Sie zu ihm?
VP: Ich werde ihm sagen, dass Jesus Christus der einzige Sohn Gottes ist und dass ich an Gott glaube. Im Islam herrscht Krieg und Tötung, und Menschen hassen sich. Das werde ich zu ihm sagen. Aber ich habe Angst, wie kann ich in so einem Land leben?
Anm: Nach Rückübersetzung: Muslime glauben nicht an Jesus Christus.
LA: Würden Sie trotz Gefahr umgebracht zu werden, ihm trotzdem sagen, dass Sie Christ sind?
VP: Ja.
LA: Einvernahme wird unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt weitergeführt.
Verfahren wird zugelassen und an die zust. Regionaldirektion abgetreten.
LA: Der RB wird die Möglichkeit gegeben, Fragen und/ oder Anträge zu stellen.
RB: Keine.
LA: Haben Sie den Dolmetscher verstanden, konnten Sie der Einvernahme folgen und sich konzentrieren?
VP: Ja.
10. Am 17.02.2021 wurden der BF im BFA, Außenstelle Wien, zur seinem Folgeantrag einvernommen, wo er nachfolgende Angaben (auszugsweise) machte:
F: Sind Sie derzeit in ärztlicher Behandlung?
A: Nein.
F: Sind Sie in der Lage, die heutige Einvernahme durchzuführen?
A: Ja.
F: Verstehen Sie den Dolmetscher?
A: Ja.
F: Wie heißen Sie, bitte nennen Sie Ihren vollständigen und richtigen Familiennamen und Vornamen und wann bzw. wo Sie geboren wurden.
A: XXXX , geboren am XXXX in XXXX , Badakshan.
F: Haben Sie entsprechende identitätsbezeugende Dokumente die Sie vorlegen können?
A: Nein.
F: Können Sie verfahrensrelevante Unterlagen vorlegen?
A: Nein, ich habe schon alles vorgelegt.
F: Hat sich an Ihren persönlichen Verhältnissen seit Ihrem Parteiengehör im BFA am 30.09.2020 etwas geändert?
A: Nein.
F: Führen Sie in Österreich ein Familienleben? Leben Sie in Österreich in einer Lebensgemeinschaft?
A: Nein.
Frage auf Deutsch: Was haben Sie gestern gemacht?
A: Ich bin gestern durch die Stadt spaziert, dann hab ich eine Hausübung für einen Test gemacht und etwas zum Essen gemacht.
F: Wie sieht Ihr Freundeskreis in Österreich aus?
A: Ich habe auch österreichische Freunde und wenige afghanische Freunde.
F: Gehören Sie in Österreich einem Verein oder einer sonstigen Organisation an?
A: Ich gehe zur Kirche „WunderWerk“.
F: Wie heißt Ihr Pastor?
A: XXXX .
F: Sind Sie ehrenamtlich tätig?
A: Ja, in der Kirche. Ich organisiere die Sessel und alles was dazugehört.
F: Wie finanzieren Sie sich den Aufenthalt in Österreich?
A: Ich bekomme Unterstützung von meiner Lehrerin und meinem Pastor. Befragt, ich bin nicht in der Grundversorgung.
FLUCHTGRUND […]
A: Ich bin Christ geworden, ich kann nicht in meine Heimat zurückkehren. Ich bin von meiner Familie wegen meiner Konversion bedroht worden.
F: Haben Sie noch weitere Gründe?
A: Nein.
F: Wann sind Sie zum Christentum konvertiert?
A: 2016 als ich in Schweden war, seit damals habe ich an Jesus Christus geglaubt. Ich habe dort drei negative Bescheide bekommen und es ging mir sehr schlecht, ich konnte mich dort nicht taufen lassen. Am 28.06.2020 habe ich mich in Österreich taufen lassen.
F: Was war der auslösende Moment, dass Sie zum Christentum konvertiert sind?
A: Ich hatte von Anfang vom Herzen an Jesus geglaubt.
F: Wie ist Ihr Interesse am Christentum entstanden?
A: Ich bin in einer muslimischen Familie geboren und ich wurde gezwungen, in den Glaubensunterricht zu gehen. Ich wusste damals schon, dass es andere Religionen gibt.
F: Was hat Sie speziell am Christentum interessiert?
A: Ich habe an Jesus geglaubt und danach habe ich mich selbst kennengelernt.
Vorhalt: Sie machen nur vage Angaben! Was hat Sie persönlich am Christentum interessiert?
A: Als ich in Schweden war, war ich sehr enttäuscht und hatte keine Hoffnung mehr im Leben. Ich suchte einen Weg, wo man die Ruhe finden kann. In Schweden habe ich eine Kirche gefunden um mich zu beruhigen.
F: Wer hat Sie in diese Kirche mitgenommen?
A: Eine Dame namens XXXX hat mich mitgenommen. Befragt, diese Dame arbeitete in dem Flüchtlingslager, wo ich war.
F: Mit welchen Religionen außer dem Christentum haben Sie sich beschäftigt?
A: Mit keinen.
F: Warum nicht?
A: Wie gesagt, ich glaube an das Christentum und so habe ich mich kennen gelernt.
Anm.: AW bezichtigt den Dolmetscher der falschen Übersetzung. AW wird darauf hingewiesen, dass der verwendete Dolmetscher ein amtsbekannter Dari-Dolmetscher sei und noch nie beanstandet wurde und auch alle bisherigen Einvernahmen des AW in Dari durchgeführt wurden.
F: Ist Ihr Verhalten gegenüber dem Dolmetscher christlich, indem Sie ihn der Falschaussage bezichtigen?
A: Ja. Der Dolmetscher übersetzt nicht richtig.
F: Welchem christlichen Zweig gehört die Kirche „WunderWerk“ an?
A: Es ist eine Freikirche und gehört zu den Protestanten.
F: Warum haben Sie sich für den protestantischen Zweig entschieden?
A: Am Anfang wusste ich nicht, welche Zweige es gibt, damals bin ich Christ geworden.
11. Die Einvernahme wurde am 10.03.2021 fortgesetzt, wobei der BF Folgendes angab:
F: Bestätigen Sie die Angaben, die Sie am 17.02.2021 gemacht haben?
A: Ja.
F: Sind Sie derzeit in ärztlicher Behandlung?
A: Nein.
F: Sind Sie in der Lage, die heutige Einvernahme durchzuführen?
A: Ja.
F: Verstehen Sie die Dolmetscherin einwandfrei?
A: Ja.
F: Was hat Sie am Christentum interessiert?
A: Es ist eine Religion des Friedens und der Liebe und ich glaube daran.
F: Was war der auslösende Moment für Ihre Konversion?
A: Es gab kein spezielles Ereignis, 2016 hielt ich mich in Schweden auf, mir ging es psychisch nicht gut. Ich beschloss in eine Kirche zu gehen, um Frieden zu finden.
F: Warum sind Sie gerade in eine Kirche gegangen?
A: Weil ich mich in der Kirche am wohlsten gefühlt habe.
F: Wann haben Sie sich erstmals mit dem Christentum beschäftigt?
A: Ein Mitarbeiter vom Flüchtlingslager lud mich ein. Ich habe bereits erwähnt, dass es mir zu diesem Zeitpunkt psychisch nicht gut ging. Befragt, das war 2016.
F: Können Sie ein genaues Datum angeben?
A: Nein, es war Anfang 2016.
F: Ab welchem Zeitpunkt würden Sie sich selbst als Christ bezeichnen?
A: Ich sehe mich seit 2016 als Christ, ich wurde jedoch erst am 28.06.2020 getauft.
F: Warum haben Sie sich erst nach vier Jahren taufen lassen?
A: Ich hielt mich bis 2017 in Schweden auf, ich habe dort negative Bescheide bekommen. Dann kam ich nach Österreich nach XXXX . Ich war dort alleine, hatte keine Kontakte und konnte daher auch zur Kirche keinen Kontakt knüpfen.
F: Wann haben Sie Ihre Familie darüber informiert, Christ zu sein?
A: Nachdem ich getauft wurde.
F: Wie hat Ihre Familie auf Ihre Konversion reagiert?
A: Ich rief meine Mutter an und redete mit ihr. Sie fragte, warum ich das gemacht habe, und meinte, dass ich nicht mehr ihr Sohn sei. Mein Vater rief mich dann aus Afghanistan an und bedrohte mich mit dem Tod.
F: Haben Sie einen Taufvorbereitungskurs besucht?
A: Ja. Befragt, er hat ca. einen Monat gedauert, ich ging jeden Dienstag hin.
F: Warum haben Sie sich taufen lassen?
A: Ich bin Christ, ich bin von ganzem Herzen Christ und werde es auch künftig sein. Damit ich auch offiziell ein Christ bin, habe ich es gemacht. Es gehört sich so, wenn jemand Christ wird, dass er sich taufen lässt.
F: Waren Sie ein gläubiger Moslem?
A: Ich habe nie an den Islam geglaubt, ich bin nur als Moslem auf die Welt gekommen.
F: Sind Ihre Eltern gläubige Muslime?
A: Ja.
F: Hatten Sie diesbezüglich Konflikte mit Ihren Eltern?
A: Doch, gab es. Sie schlugen mich beispielsweise, damit ich in die Religionsklasse gehe. Ich habe aber von Anfang an nicht an den Islam geglaubt.
F: Wurden Sie nach dem Islam erzogen?
A: Nein.
F: Sie sagten, Ihre Eltern seien gläubige Muslime. Warum wurden Sie dann nicht muslimisch erzogen?
A: Sie wollten mich religiös erziehen, sie haben mich ständig geschlagen, aber ich habe mich gewehrt.
F: Gibt es Dinge am Christentum, die Sie kritisch sehen?
A: Nein.
F: Was finden Sie am Islam gut?
A: Ich sehe im Islam nichts Gutes, es ist keine gute Religion, es herrscht nur Krieg.
F: Was gefällt Ihnen an der protestantischen Ausrichtung des Christentums?
A: Am Anfang wusste ich nicht, welche Zweige es im Christentum gibt. Durch die Kirche lernte ich den protestantischen Zweig kennen und entschied mich dafür.
Wiederholung der Frage: Was gefällt Ihnen an der protestantischen Ausrichtung des Christentums?
A: Der katholische Zweig ist strenger, hier wird an die Bibel geglaubt und es gibt sehr viele Gebote und Verbote. Der protestantische Zweig hält sich nur an die Bibel. Die Katholiken haben ein Oberhaupt, den Papst, der sich in Rom befindet, das lehnen die Protestanten ab.
F: Warum ist es für Sie wichtig, einer Religionsgemeinschaft anzugehören?
A: Weil es mein Glaube ist.
F: Wie hat sich Ihr Leben als Christ verändert?
A: Es hat sich sehr viel geändert, ich habe meine innere Ruhe gefunden. Ich bin ein komplett anderer Mensch.
F: Sie besuchen die Kirche „WunderWerk“. Was gefällt Ihnen an dieser Gemeinde?
A: Ich weiß nicht, warum ich diese Kirche gewählt habe. Es ist eine Freikirche, ich fühle mich wohl dort.
F: Haben Sie sich auch andere Kirchen angesehen?
A: Nein.
F: Wie feierten Sie vergangene Weihnachten?
A: Am 25.12. wird die Geburt von Jesus Christus gefeiert. Dieser Tag wird groß gefeiert.
F: Was haben Sie konkret an diesem Tag gemacht?
A: Der Pastor der Kirche hat mich zu sich nach Hause eingeladen, wir haben gemeinsam gebetet, gegessen und gefeiert.
F: Wie leben Sie Ihren Glauben in Österreich? Welche christlichen Praktiken üben Sie aus?
A: Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche.
F: Wie bringen Sie sich in Ihrer Glaubensgemeinschaft ein?
A: Die Jüngeren der Kirche haben eine WhatsApp-Gruppe gebildet, wo ich auch dabei bin. Wir treffen uns manchmal oder beten gemeinsam.
F: Wo lebt Ihre Familie?
A: Meine Geschwister und meine Mutter leben im Iran, als mich mein Vater anrief, hielt er sich in Afghanistan auf. Befragt, ich weiß das nicht genau. Er hat mich angerufen und mit dem Tod bedroht.
F: Woher wissen Sie, dass er aus Afghanistan angerufen hat?
A: Er hat es selbst gesagt.
F: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie?
A: Nein.
F: Welche Integrationsmaßnahmen haben Sie in Österreich absolviert?
A: Ich habe drei Monate eine Basisbildung in Linz absolviert, danach habe ich Deutschkurse bis Level B1 besucht und aktuell bin ich auf der Suche nach einer Schule für mich.
F: Haben Sie noch Fragen oder Anmerkungen?
A: Ja.
F: Haben Sie die Dolmetscherin einwandfrei verstanden?
A: Ja.
F: Möchten Sie zu den Länderinformationen zu Afghanistan eine Stellungnahme abgeben?
A: Nein, ich möchte nur einen Satz dazu sagen. Als Christ kann man in Afghanistan nicht einmal einen Tag überleben.
F: Möchten Sie eine Kopie der Niederschrift?
A: Ja, bitte.
12. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 12.04.2021 wurde der Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz vom 10.08.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt werde (Spruchpunkt VI). Begründend wurde ausgeführt, dass der BF keinen ernsthaften inneren Willensentschluss vermitteln habe können, dass er sich vom Islam ab- und dem Christentum zugewandt habe und somit ein Glaubenswechsel nicht festgestellt werden habe können. Der BF habe auch keine Indizien nennen oder Beweismittel vorlegen können, dass Behörden in seinem Herkunftsstaat von seinem Interesse am Christentum Kenntnis erlangt hätten. Mit Erkenntnis des BVwG vom 08.01.2020, GZ: W276 2201743-1/12E, sei bereits festgestellt worden, dass dem BF in Herat und Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative offenstehe. Den aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan sei nicht zu entnehmen, dass in diesen Städten seither eine gravierende Verschlechterung der Sicherheitslage eingetreten wäre.
13. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, die im Wesentlichen damit begründet wurde, dass die Begründung der Behörde, weshalb die Konversion des BF zum Christentum nicht glaubhaft sei, nicht nachvollzogen werden könne. Der Beschwerdeführer habe nicht nur überzeugend dargelegt, weshalb es zur Konversion gekommen sei, sondern auch diverse Schreiben von Bekannten vorgelegt, welche die Konversion bestätigt hätten. Zur Feststellung, dass Mazar-e Sharif und Herat als Fluchtalternativen zu Verfügung stehen, sei darauf hinzuweisen, dass die genannten Städte nach der maßgeblichen UNHCR-Richtlinie keine geeigneten Fluchtalternativen darstellen, wenn kein soziales Netzwerk zur Verfügung stehe und die betreffende Person – wie der BF – im Iran aufgewachsen sei. Darüber hinaus könne keine Rede davon sein, dass der BF nicht in eine existenzbedrohende Situation käme, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsste. Es sei notorisch, dass die amerikanischen (bzw. internationalen) Truppen aus Afghanistan abgezogen würden und im ganzen Land die Machtübergabe an die Taliban erfolge. Die beigezogenen Länderberichte seien in diesem Punkt veraltet.
14. Am 07.05.2021 einlangend legte das BFA die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1 Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der BF führt den im Spruch genannten Namen und das im Spruch genannte Geburtsdatum, ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Seine Muttersprache ist Dari.
Der BF ist im Alter von vier Jahren mit seiner Familie in den Iran gezogen, wo er bis zu seiner Flucht nach Europa lebte.
Der BF hat im Iran gearbeitet und ist im arbeitsfähigen Alter.
Der BF ist ledig und hat keine Kinder.
Der BF hielt sich 2016 in Schweden auf, wo er zum ersten Mal mit dem Christentum in Kontakt kam und aus freier persönlicher Überzeugung zum Christentum konvertierte. Er hatte seinen neuen Glauben bereits in Schweden verinnerlicht und den Entschluss gefasst, nach dem neuen Glauben zu leben. Seine nunmehrige Glaubensüberzeugung ist bereits in Schweden ein wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden, sodass der BF diesen auch im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ausgeübt und nicht verleugnet hätte.
Seit der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag am 08.01.2020 ergab sich weder eine Änderung der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat des BF noch in sonstigen, in der Person des BF gelegenen Umständen, die einer Rückführung des BF entgegenstehen würden.
Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie ist festzuhalten, dass der BF ein junger und arbeitsfähiger Mann ohne schwerwiegender Erkrankung ist, womit er nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit einschlägigen Vorerkrankungen fällt.
Der BF lebt alleine in Österreich. Seine Mutter und Geschwister leben im Iran. Sein Vater ist unbekannten Aufenthalts. Der BF spricht Deutsch auf dem Niveau B1. Er ist weder Vereinsmitglied noch ehrenamtlich tätig und bestreite seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus öffentlichen Mitteln.
1.2 Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan aus dem COI-CMS in der Fassung vom 02.04.2021 (LIB)
1.2.1 COVID-19
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.02.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 02.09.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.09.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.01.2021; cf. UNOCHA 18.02.2021, USAID 12.01.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.02.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.03.2021; vgl. HRW 14.01.2021).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 08.02.2021; cf. IOM 18.03.2021).
Die Infektionen steigen weiter an, und bis zum 17.03.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.03.2021; WHO 17.03.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.03.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.03.2021)
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. „Rapid Response Teams“ (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte „Fix-Teams“ sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.09.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.03.2021; vgl. WB 28.06.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.03.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.03.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße, und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.03.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus, und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.03.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 08.02.2021; vgl. RFE/RL 23.02.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 03.06.2020; vgl. Guardian 02.05.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Mio. Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion „unterstützen und erleichtern“. Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.01.2021; vgl. ABC News 27.01.2021, ArN 27.01.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Mio. Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.01.2021; vgl. ABC News 27.01.2021, ArN 27.01.2021, IOM 18.03.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.01.2021; vgl. RFE/RL 23.02.2021a).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.02.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.02.2021 begonnen (IOM 18.03.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 300-500 Afghani (AFN) (IOM 18.03.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.01.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.01.2021, AA 16.07.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 08.02.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.03.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.09.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen, die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen, auch der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.03.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.02.2021, USAID 12.01.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 01.01.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53% der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23% der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.09.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.01.2021; vgl. UNOCHA 18.02.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID 12.01.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.09.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.07.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11% über dem des Vorjahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.03.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion