TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/27 W159 2232675-2

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Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67
FPG §70
VwGVG §33
VwGVG §33 Abs1
VwGVG §33 Abs4

Spruch


W159 2232675-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX , Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina und Serbien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.06.2020, IFA XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. In Stattgebung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 33 VwGVG behoben.

II. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 20.05.2020 wird gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG stattgegeben.

III. Der Beschwerde wird gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 14.05.2018, XXXX , dem Beschwerdeführe zugestellt am 23.05.2018, wurden gegen diesen gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub nicht erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Mit per E-Mail am 20.05.2020 beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhob der BF durch seinen Rechtsvertreter Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.05.2018 an das Bundesverwaltungsgericht.

Darin wurden die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides, jedenfalls der Spruchpunkte II. und III. desselben, in eventu die Zuerkennung eines Durchsetzungsaufschubes beantragt.

Gleichzeitig stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er Österreich am 09.05.2018 aus Österreich ausgereist sei, wie es auch in seinem Pass ersichtlich sei. Er habe dem Vermieter mitgeteilt, dass er den Beschwerdeführer abmelden solle, habe aber erst vor Kurzem erfahren, dass der Vermieter die Abmeldung erst später vorgenommen habe. Vor seiner Ausreise habe er die Wohnung zurückgestellt und sei nie wieder an diese Adresse zurückgekehrt. Daher habe er den „Gelben Zettel“ oder eine vergleichbare Verständigung nicht erhalten können. Er habe am 15.05.2020 zum ersten Mal von dem gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbot erfahren, als ihn die Polizei in seiner Wohnung aufgesucht und in Schubhaft genommen habe.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 15.06.2020, XXXX , zugestellt am 17.06.2020, wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab (Spruchpunkt I.) und erkannte gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG dem Antrag die aufschiebende Wirkung nicht zu (Spruchpunkt II.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, es könne im Falle des Beschwerdeführers keinesfalls von einem minderen Grad des Versehens gesprochen werden, weil der Beschwerdeführer seine Abgabestelle grob fahrlässig betreut und gegenüber des BFA keine Angaben gemacht habe. Er habe weder die Ausreise aus dem Bundesgebiet nachgewiesen noch habe er sich behördlich abgemeldet. Er habe die Behörden im Glauben an eine aufrechte Meldung in XXXX , gelassen und es somit unterlassen, den Ablauf einer geregelten Zustellmöglichkeit während seiner Abwesenheit abzuklären. Das BFA hätte dem Beschwerdeführer den Bescheid jederzeit anderweitig zustellen lassen können. Der Beschwerdeführer sei bis zum 04.09.2018 an der genannten Adresse gemeldet gewesen und habe eine Abmeldung unterlassen. Es handle sich beim Verhalten des Beschwerdeführers nicht um ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, weshalb der Bescheid vom 14.05.2018 in Rechtskraft erwachsen sei.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter innerhalb offener Frist gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin macht er im Wesentlichen geltend, er habe am 09.05.2018 seine ehemalige Wohnung verlassen und sei nach Bosnien ausgereist. Sein Vermieter habe die Abmeldung erst mehrere Monate später veranlasst. Der Beschwerdeführer habe zu der Zeit kein Deutsch gesprochen und sich mit Behördenwegen nicht ausgekannt.

Der Beschwerdeführer habe nie einen „Gelben Zettel“ odgl. erhalten. Über „derartige Vorgangsweisen“ und Rechtswirkungen sei er auch nie aufgeklärt worden. Das Recht seiner Heimat kenne auch eine solche Rechtslage nicht.

Das BFA hätte leicht ermitteln können, dass der Beschwerdeführer seinen Unterkunftgeber mit seiner Abmeldung beauftragt habe. Diesen hätte er beauftragt, weil er verlässlich sei und der Beschwerdeführer damals kein Deutsch gesprochen habe. Aus Sicht des Beschwerdeführers sei dies jedenfalls ausreichend gewesen. Weitere Pflichten seien dem Beschwerdeführer nicht bekannt gewesen. An ihn als Fremden sei kein so hoher Maßstab anzulegen, vielmehr hätte ihn das BFA über seine Pflichten belehren müssen. Insgesamt lasse sich sagen, dass dem Beschwerdeführer kein grobes Verschulden vorzuwerfen sei und auch einem sehr ordentlichen Menschen dies hätte passieren können.

Die Beschwerde stellt die Anträge, das Bundesverwaltungsgericht möge jedenfalls Spruchpunkt II. ersatzlos beheben und die aufschiebende Wirkung des Wiedereinsetzungsantrages zuerkennen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, in der Sache selbst entscheiden und dem Wiedereinsetzungsantrag stattgeben sowie, in eventu, den Bescheid aufheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückverweisen.

Der Verfahrensakt wurde, nachdem er dem ursprünglich zuständigen Richter am 23.03.2021 abgenommen wurde, am 25.03.2021 dem nunmehr zuständigen Einzelrichter zugeteilt. Dieser beraumte für den 07.05.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung an.

Der ehemalige Vermieter XXXX wurde unter der im Zentralen Melderegister angeführten Adresse XXXX als Zeuge zur Verhandlung geladen. Der Zeuge hat jedoch die Ladung (obwohl sie rechtswirksam zugstellt wurde) nicht behoben und ist auch nicht zur Verhandlung erschienen, ohne dafür irgendeinen Grund anzugeben.

Der Beschwerdeführer gab über Befragung durch den Vorsitzenden Richter Folgendes an: Er habe in Bosnien die Pflichtschule absolviert und dann eine Fachschule als Maurer begonnen (aber nicht abgeschlossen). Er arbeite seit seinem 16. Lebensjahr als Maurer. Damit kenne er sich gut aus, mit dem Computer kenne er sich nicht so gut aus.

Mit seinem früheren Vermieter XXXX sei er nicht mehr in Kontakt. Der letzte Kontakt sei damals gewesen, als er die Telefonnummer des Herrn XXXX seinem Rechtsanwalt gegeben habe, damit dieser als Zeuge geladen werden könne. Im Mai des vorigen Jahres habe er zuletzt telefonischen Kontakt mit ihm gehabt, aber seine Telefonnummer habe er jetzt nicht mehr. Er habe sie in seinem alten Telefon gespeichert, welches er verloren habe und er sich ein neues gekauft habe. Gefragt nach den Gründen, warum er die Wohnung in XXXX aufgegeben habe, gab er an, dass er nach Bosnien zurückgekehrt sei. Er habe seinem Vermieter XXXX eine Kopie seines Reisepasses und die Schlüssel der Wohnung zurückgegeben, damit er ihn abmelde. Zu diesem Zeitpunkt habe er nicht gewusst, dass er sich auch selbst hätte abmelden können. Gefragt nach den Gründen, warum er nach Bosnien zurückgekehrt sei, gab er an, dass er damals aus privaten Gründen zurückgekehrt sei, da er damals wegen der Trennung von seiner ungarischen Frau kein Leben mehr in Österreich habe führen können. Er habe seine jetzige Frau wohl damals schon gekannt, es sei aber zunächst Freundschaft geworden und aus dieser habe sich später Liebe entwickelt. Gefragt, wann er die Wohnung in der Neilreichgasse dem Vermieter zurückgestellt habe, gab er an, dass dies Anfang Mai 2018 gewesen sei. In seinem Reisepass gebe es einen Ausreisestempel. Es sei so um den 07. oder 08.05.2018 gewesen. Er hätte den Vermieter in dem Lokal „ XXXX “ getroffen, habe ihm Schlüssel und eine Kopie seines Reisepasses sowie seines Meldezettels gegeben. Sie hätten sich ausgemacht, dass er ihn abmelde. Das habe er von sich aus angeboten, damit der Beschwerdeführer keinen Stress bekomme, weil er schon am selben Abend mit dem Bus nach Bosnien habe zurückfahren wollen. Er habe erst später erfahren, dass er ihn nicht abgemeldet habe. Gefragt, wie er zu der Annahme gekommen sei, dass er die Abmeldung verlässlich durchführen würde, gab er an, dass er sich selbst nicht ausgekannt habe. Er habe auch die Anmeldung für ihn vorgenommen. Er sei damals nur mitgegangen. Gefragt, warum er bei der Abmeldung nicht mitgegangen sei, gab er an, dass Herr XXXX gesagt habe, dass er an diesem Tag viel zu tun habe. Er müsse mit dem Taxi zum Flughafen fahren und er habe versprochen, dass er das für ihn mache, wenn er ihm die Unterlagen gebe. Jetzt fühle er sich schuldig dafür, dass er die Abmeldung nicht selbst vorgenommen habe und auch dafür, dass er sich nicht gleich angemeldet habe, als er nach Österreich wieder eingereist sei. Gefragt, warum er nicht selbständig sich von der Adresse XXXX , abgemeldet habe, gab er an, dass er davon überzeugt gewesen sei, dass er die Abmeldung nicht selbständig vornehmen könne und dass nur sein Vermieter, der ihn auch angemeldet habe, ihn auch abmelden könne. Er habe noch am selben Tag, als er seinem ehemaligen Vermieter die Unterlagen gegeben habe, Österreich verlassen. Er sei sehr serbischer und bosnischer Staatsbürger, er sei in Serbien geboren, aber habe er ein Haus in der Republika Srpska, die ein Teil Bosniens sei. In der Folge sei er öfters zu seinen Verwandten in die Schweiz gefahren und immer wieder durch Österreich durchgereist, wobei er seine jetzige Frau jeweils für ein paar Tage besucht habe. Ab dem 02.02.2020 sei er dann wieder länger in Österreich gewesen. Dann wäre die Corona-Pandemie ausgebrochen. Sie hätten einen Termin für die Eheschließung gehabt und er sei ins Gefängnis gekommen. Sie hätten aber am 09.05. geheiratet und sei er am 15.05.2020 festgenommen worden. Es sei ihm aber gelungen, wieder freizukommen und hätten sie am 23.05.2020 dann die Hochzeit gefeiert. Er habe aber seinen Reisepass bei der Behörde abgeben müssen. Er sei dann auch zu seinem Anwalt gegangen, um die Beschwerde zu machen.

Er sei nie mehr in der Wohnung in der XXXX gewesen. Wenn er ein neues Leben beginne, dann vergesse er alles. Gefragt, ob er sich nicht der Tragweite der behördlichen Meldung bewusst gewesen sei, gab er an, dass er sich dessen nicht wirklich bewusst gewesen sei. Er komme aus einer Provinz, wo es kein Melderegister gebe. Er habe das nicht gewusst. Gefragt, wie dies in Serbien bzw. Bosnien gehandhabt werde, gab er an, dass er sich da selbst nicht auskenne. Er habe dort wohl ein Haus, aber zusätzliche Meldungen brauche er nicht. Er kenne sich damit nicht aus. Jetzt habe er das erst gelernt. Er habe eine Adresse in Bosnien und Serbien. Wenn man ihm ein Schriftstück zustellen wolle, dann sage man seine Adresse und es werde zugestellt. Auch im Reisepass sei die Adresse angeführt. Befragt, was die Behörden üblicherweise machen, um sicherzustellen, dass wichtige Poststücke auch tatsächlich dem Adressaten zukommen, gab er an, dass er das nicht wisse. Er bekomme wohl Stromrechnungen und Rechnungen für das Internet, sonstige Schriftstücke bekomme er nicht und er wisse nicht, wie so etwas funktioniere.

Von dem bestehenden Aufenthaltsverbot habe er erst erfahren, als er festgenommen worden sei. Er habe 2018 nur auf Deutsch grüßen können. Jetzt verstehe er mehr und habe er durch seine Frau mehr gelernt. Über Befragung durch den Rechtsvertreter, wo er gelebt habe, bevor er die Wohnung zurückgegeben habe, gab er an, dass er die meiste Zeit in Bosnien gewesen sei und nur das Wochenende gelegentlich hier gewesen sei, da er in Bosnien gearbeitet habe. Dann sei er selbständig zu MA 35 gefahren und habe das Scheidungsurteil abgegeben. Er habe auch erklärt, dass er damals kein Visum gebraucht habe und er mit dieser Frau nicht länger leben könne. In Bosnien sei er bei seiner Ex-Frau gewesen. Als er mit seiner zweiten Frau verheiratet gewesen sei, habe er bei ihr gewohnt. Sie sei aber oft in Ungarn gewesen. Er habe in dieser Wohnung in der XXXX gewohnt, bis zu dem Zeitpunkt, als er die Schlüssel zurückgegeben habe. Später habe er dann bei seiner jetzigen Frau in XXXX genächtigt.

In der Folge wurde die nunmehrige Ehefrau des Beschwerdeführers XXXX nach Wahrheitserinnerung und Belehrung über die Entschlagungsgründe als Zeugin wie folgt befragt: Sie kenne ihren nunmehrigen Mann schon seit einigen Jahren und seit 2016/2017 schon mit ihm liiert. Ihre Eltern würden ursprünglich aus Bosnien stammen. Sie hätten am 09.05.2020 geheiratet. Sie wisse, dass er die Wohnung in XXXX aufgegeben habe. Das sei auch im Frühjahr gewesen, wann genau könne sie nicht sagen. Nach dem 09.05.2018 sei er öfters bei ihr gewesen. Sie habe damals schon in XXXX gewohnt. Er sei tagsüber oder über das Wochenende gekommen. Manchmal habe der Beschwerdeführer aber auch bei Freunden in Wien genächtigt. In der Folge schilderte die Zeugin ganz genau die Umstände der Festnahme des Beschwerdeführers am 15.05.2020.

Gefragt, ob sie den Eindruck habe, dass der Beschwerdeführer sich der Tragweite einer behördlichen Meldung bewusst gewesen sei, gab sie an, dass sie selbst zugeben müsse, dass sie sich da nicht auskenne. Sie habe ihn nach der Eheschließung bei sich angemeldet und habe gedacht, dass das ausreiche. Jetzt sei er bei ihr gemeldet. Sie kümmere sich um seine Post. Zum Schluss der Verhandlung führte der Beschwerdeführer noch Folgendes aus:

„Ich bin seit 02.02.2020 in Österreich. Ich habe keinen Reisepass. Dieser wurde mir von der Behörde abgenommen. Ich kann meine Kinder nicht besuchen, noch konnte ich zum Begräbnis meiner Mutter. Das tut mir sehr leid. Ich wollte nie einen Betrug begehen, mein einziger Fehler war, mich in die falsche Frau verliebt zu haben.“

Abschließend gab der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, XXXX folgende Stellungnahme ab:

„Aus meiner Sicht kommt man gar nicht zum Wiedereinsetzungsantrag, weil bei der Beurteilung, ob eine Abgabestelle vorliegt, nicht rechtlich relevant ist, ob eine Anmeldung nach dem Meldegesetz vorliegt, sondern eben, ob eine entsprechende Wohnstätte vorliegt. Dies ist ex post zu beurteilen, nicht so, wie die Behörde es damals hätte annehmen können. Daher ist die Zustellung schlichtweg unwirksam. Es hätte eine Hinterlegung im Akt erfolgen können. Es ist aber keine erfolgt und daher wäre man erst gar nicht beim Wiedereinsetzungsantrag.

Ich habe gegen den Beschluss des BVwG vom 11.08.2020 XXXX ao Revision an VwGH erhoben und mir der VwGH aufschiebende Wirkung zuerkannt (Ra 2020/21/0391). Eine Entscheidung ist jedoch bis dato nicht erfolgt.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerde ist serbisch-bosnischer Doppelstaatsbürger. Nach Absolvierung der Pflichtschule in Bosnien begann er die Fachschule als Maurer, schloss diese jedoch nicht ab und arbeitet seit seinem 16. Lebensjahr als Maurer. Der Beschwerdeführer ist ein eher einfach wirkender Handwerker, der sich mit rechtlichen Dingen und Verwaltungsabläufen überhaupt nicht auskennt. Auch die Verwaltungsabläufe in seiner Heimat sind ihm weitgehend unbekannt. Es war ihm die Wichtigkeit der unverzüglichen Abmeldung von seiner früheren Wohnadresse in XXXX nicht bewusst. Auch seine nunmehrige Ehefrau XXXX kennt sich mit diesen Dingen nicht aus. Der Beschwerdeführer hatte im Jahre 2018 auch nahezu keine Kenntnisse der deutschen Sprache im Gegensatz zu seiner in Österreich aufgewachsenen Ehefrau, von der er in der Zwischenzeit etwas Deutsch gelernt hat. Der Beschwerdeführer hat darauf vertraut, dass sein früherer Vermieter XXXX den Beschwerdeführer - wie dieser versprochen hat – unverzüglich abmelden wird, so wie er ihn zuvor in dieser Wohnung angemeldet hat. Er hat jedenfalls die Wohnung am 07. oder 08.05.2018 aufgegeben, dem Vermieter die Wohnungsschlüssel mit dem Auftrag ihn von dieser Wohnung abzumelden übergeben und darauf vertraut, dass sein Vermieter, der sich ihm gegenüber bisher auch nicht unverlässlich gezeigt hat, das für ihn unverzüglich bewerkstelligen werde, zumal der Beschwerdeführer noch am selben Tag nach Bosnien ausgereist ist. Seit diesem Zeitpunkt war er nie mehr in der von ihm seinerzeit bewohnten Wohnung in XXXX und hat auch nicht mehr nachgesehen, ob noch irgendwelche Poststücke oder Verständigungen der Behörde für ihn gekommen wären, weil er darauf vertraut hat, dass ihn sein Vermieter – wie versprochen- unverzüglich abmelden werde. Dass der ehemalige Vermieter den Beschwerdeführer erst am 04.09.2018 abmeldete, war im völlig unbekannt.

Beweis wurde erhoben (im vorliegenden Verfahren) durch schriftliches Parteiengehör des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien mit Schreiben vom 27.05.2020, schriftliche Stellungnahme durch den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, XXXX mit Schriftsatz vom 05.06.2020, durch Einvernahme des Beschwerdeführers, Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.05.2021, im Zuge derer auch die Ehefrau des Beschwerdeführers XXXX unter Wahrheitspflicht befragt wurde, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zur Zahl IFA XXXX sowie Einsichtnahme in den Zentralen Melderegister.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung ergeben sich aus dem Verfahrensakt und insbesondere auch aus der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 07.05.2021, das Datum der Abmeldung aus dem Zentralen Melderegister.

Der Beschwerdeführer vermittelte einen sehr einfachen, aber durchaus ehrlichen und bemühten Eindruck. Die Aussagen des Beschwerdeführers erscheinen durchaus hinreichend konkret und lebensnah und stimmen auch mit jenen seiner Ehefrau überein.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A I. und II.)

Gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis – so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat – eine Frist versäumt hat. Ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist bei einer Bescheidbeschwerde entscheidet gemäß § 33 Abs.4 1. Satz VwGVG die Behörde, wenn der Antrag von der Vorlage einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht gestellt wurde.

Auch ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides bzw. den Zeitpunkt der Hinterlegung eines Bescheides und der damit bewirkten Zustellung kann einen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstellen (vgl Rz 34 f; ferner VwGH 26.2.2004, 2004/21/0011; 27.1.2005, 2004/11/0212; 22.12.2005, 2005/20/0367; zur älteren Jud siehe VwSlg 276 A/1948; VwGH 17.9.1959, 1963/57; 26.9.1961 758/60). Dieser in § 33 Abs. 1 VwGVG (vgl auch § 46 Abs. 1 VwGVG) sogar ausdrücklich (beispielhaft) erwähnte Fall (Kolonovits/Muzak/Stöger11 RZ 899) ist aber nur dann geeignet, einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen, wenn etwa die Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes, mit der die Zustellung bewirkt ist, nicht auf einem Verschulden der Partei beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt (vgl VwGH 6.5.1997, 97/08/0022; 29.1.2004, 2001/20/0425; 2.9.2010, 2007/19/1347; 5.12.2018, Ra 2018/20/0441).

Da es auf die persönlichen Fähigkeiten des Antragstellers ankommt, fällt seine Rechtskundigkeit und seine Erfahrung im Umgang mit Behörden besonders ins Geweicht. Bei der Beurteilung, ob auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist daher insb an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an behördlichen (gerichtlichen) Verfahren beteiligte Personen (vgl RZ 44, 49; VwGH 20.10.1998, 98/21/0149; 11.6.2003, 2003/10/0114; 26.6.2008, 2008/05/0122).

Mag auch die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache für sich alleine keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darstellen (z.B: VwGH vom 01.08.2000, 2000/21/0097, VwGH vom 19.09.2007, 2007/08/0097), so sind beim Beschwerdeführer nicht nur die mangelnden deutschen Sprachkenntnisse im entscheidungsrelevanten Zeitpunkt der Zustellung, sondern insbesondere auch der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei ihm um einen sehr einfachen Menschen handelt, dem jegliche Kenntnisse über Verwaltungsabläufe sowohl in seiner Heimat als auch in Österreich fehlen und der darauf vertraut hat, dass ihm sein seinerzeitiger Mieter, der ihn ursprünglich auch angemeldet hat, auch unverzüglich abmelden würde. Es liegen daher im vorliegenden Fall ganz besondere individuelle Umstände vor, die das Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der Zustellung des in Rede stehenden Bescheides gerade noch als einen minderen Grad des Versehens nicht übersteigendes Fehlverhalten erscheinen lässt, sodass dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben war.

Zu A III.

Gem. § 71 Abs. 6 AVG kann die Behörde, welche zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag zuständig ist (VwGH 11.12.2001, 2001/20/0580; 30.03.2007, 2007/20/0291; 20.04.2017, Ra 2017/19/0113; Mannlicher/Quell AVG § 71 Anm. 9; Walter/Thienel I2 AVG § 71 Anm. 17), dem Antrag aufschiebende Wirkung zuerkennen. Die Zuerkennung durch die Behörde ist mit verfahrensrechtlichem Bescheid auszusprechen (Hengstschläger/Leeb6 Rz 613).

Gleichermaßen (vgl. auch Rz 153) sieht das VwGVG die Möglichkeit vor, einem Wiedereinsetzungsantrag die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Sein § 33 Abs. 4 letzter Satz ermächtigt – gleich im Anschluss an die Aufteilung der Zuständigkeit für den Wiedereinsetzungsantrag selbst – dazu die „Behörde oder das Verwaltungsgericht“.

Dem Gesetzestext ist nicht zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen ist (VwSlg 16.129 A/2003). Nach hA hat sich das zuständige Organ an den für das Berufungsverfahren (§ 64 Abs. 2 AVG [§ 64 Rz 27 ff] bzw. das verwaltungs- und verfassungsgerichtliche Verfahren (§ 13 Abs. 2 und § 22 Abs. 2 VwGVG, § 30 Abs. 2 VwGG, § 85 Abs. 2 VfGG) maßgeblichen Verfahren (§ 13 Abs. 2 und § 22 Abs. 2 VwGVG, § 85 Abs. 2VfGG) maßgeblichen Regelungen zu orientieren und die dort enthaltenen Kriterien analog anzuwenden (vgl VwSlg 16.129 A/2003; Antoniolli/Koja 822; Fister/Fuchs/Sachs2 VwGVG § 33 Anm 23; Hellbling 477; Henstschläger/Leeb6 Rz 613; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 637, 906; Mannlicher/Quell AVG § 71 Anm 9; Schulev/Steindl6 Rz 363; aA Wielinger, Einführung2 145, der auf die Erfolgsaussichten des Wiedereinsetzungsantrags abstellt). Es ist verpflichtet, eine Abwägung zwischen den Interessenten des Antragstellers und jenen der übrigen Parteien sowie den öffentlichen Interessen vorzunehmen (Hauer/Leukauf6 AVG § 71 Anm 11; Kolonovits/Muzak/Stöger11 Rz 637), und hat dem Wiedereinsetzungsantrag – insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen – aufschiebende Wirkung (auch ohne darauf gerichtetes Begehren der Partei) zuzuerkennen, wenn dem Antragsteller sonst ein unverhältnismäßiger Nachteil entstünde (vgl VwSlg 16.129 A/2003; VwGH 02.08.2006, 2006/20/0237; 12.12.2011, 2011/09/0054; Antoniolli/Koja 822; Hauer/Leukauf6 AVG § 71 Anm. 11; Hellbling 477; Henstschläger/Leeb6 Rz 613; Schulev-Steindl6 Rz 363; Walter/Thienel I2 AVG § 71 Anm. 18).

In Anbetracht des Umstandes, dass der Beschwerdeführer nunmehr mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist und mit ihr ein Familienleben führt, würde eine Abschiebung nach Bosnien für ihn einen unverhältnismäßigen Nachteil bedeuten und stehen in Anbetracht Unbescholtenheit des Beschwerdeführers diesem auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen, sodass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen war.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat sich vielmehr in allen erheblichen Rechtsfragen an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes orientiert und diese, soweit erforderlich, auch zitiert.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Behebung der Entscheidung Deutschkenntnisse ersatzlose Behebung individuelle Verhältnisse Meldeadresse Wiedereinsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W159.2232675.2.00

Im RIS seit

10.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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