TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/1 W220 1303266-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.07.2021
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Entscheidungsdatum

01.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W220 1303266-4/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch RAST & MUSLIU Rechtsanwälte in 1080 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.03.2018, ZI.: 376642304/161480299, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2021, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, der Mangel der Nichtvorlage eines gültigen Reisedokumentes gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 zugelassen und XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

II. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet im Jahr 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher letztlich mit Erkenntnis des vormals zuständigen Asylgerichtshofes im Jahr 2009 unter gleichzeitiger Ausweisung des Beschwerdeführers nach Indien abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach.

Am 31.10.2016 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Begründend wurde im Wesentlichen dargelegt, dass sich der Beschwerdeführer seit 2006 im Bundesgebiet befinde, ein Deutschdiplom auf dem Niveau A2 absolviert habe und in Österreich seit zwei Jahren in Lebensgemeinschaft mit einer rumänischen Staatsangehörigen lebe, mit der er einen gemeinsamen, im Mai 2016 geborenen Sohn habe. Nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages, mit welchem der Beschwerdeführer zur Vorlage eines gültigen Reisedokumentes aufgefordert, von der Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 in Kenntnis gesetzt sowie auf die Zurückweisung seines Antrages für den Fall des Nichtnachkommens seiner Mitwirkungspflichten hingewiesen wurde, stellte der Beschwerdeführer am 29.11.2016 einen Antrag auf Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005.

Am 23.02.2017 und am 30.01.2018 wurde der Beschwerdeführer im Verfahren über den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und zu seinen Lebensumständen befragt.

Mit oben zitiertem Bescheid vom 05.03.2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthalts aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 31.10.2016 gemäß § 55 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde für die freiwillige Ausreise eine Frist von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.). Der Heilungsantrag des Beschwerdeführers vom 29.11.2016 wurde gemäß § 4 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt V.).

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Am 18.05.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt wurde. Außerdem wurde die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als Zeugin einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Indiens und führt die in Kopf und Spruch dieser Entscheidung genannten Personalien.

Der Beschwerdeführer ist in Indien, im Bundesstaat Uttar Pradesh geboren und aufgewachsen. Er absolvierte in Indien Schulbildung im Umfang von zwölf Jahren, besuchte im Anschluss ein dreijähriges College und arbeitete in der Folge in einer Papierfabrik und in der familieneigenen Landwirtschaft. Der Beschwerdeführer heiratete in Indien nach traditionellem Sikh-Ritus eine Frau, von welcher er seit dem Jahr 2015 getrennt ist bzw. bereits seit seiner Ausreise im Jahr 2006 getrennt lebte; der Ehe entstammen zwei Söhne, die bei ihrer Mutter in Indien leben. Weiters leben nach wie vor die Eltern und Schwestern des Beschwerdeführers in Indien; der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen regelmäßig Kontakt. Der Beschwerdeführer hielt sich zuletzt im Jahr 2015 besuchsweise für zwei Monate in Indien auf.

Im Jahr 2006 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich, wo er seitdem lebt. In Österreich stellte er nach illegaler Einreise im Jahr 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher letztlich mit Erkenntnis des vormals zuständigen Asylgerichtshofes im Jahr 2009 unter gleichzeitiger Ausweisung des Beschwerdeführers nach Indien abgewiesen wurde. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Der Beschwerdeführer war in der Zeit von 26.04.2006 bis 01.03.2011 weitgehend durchgängig meldebehördlich in Österreich gemeldet; nicht gemeldet war er von 01.03.2011 bis 13.04.2012 und von 07.05.2012 bis 27.01.2016. Seit 27.01.2016 ist der Beschwerdeführer durchgängig im österreichischen Bundesgebiet gemeldet.

Der Beschwerdeführer führt seit dem Jahr 2013 eine Beziehung mit einer in Österreich lebenden rumänischen Staatsangehörigen und lebt mit dieser sowie (seit dessen Geburt) dem gemeinsamen, im Mai 2016 geborenen Sohn, für den der Beschwerdeführer die Vaterschaft anerkannt hat und der ebenfalls rumänischer Staatsangehöriger ist, seit Jänner 2016 im gemeinsamen Haushalt (zunächst in einer Mietwohnung, seit März 2020 im Eigentumshaus der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers). Der Beschwerdeführer verbringt seine Zeit mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn, den er in den Kindergarten bringt und abholt. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist vollzeitig in einer Reinigungsfirma erwerbstätig. Der Beschwerdeführer arbeitete bis zum Jahr 2018 immer wieder als Zeitungszusteller; derzeit verrichtet er Gelegenheitsarbeiten. Er ist im Besitz eines österreichischen Führerscheins und möchte in Zukunft als Zusteller arbeiten. Er verfügt über eine mit Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung aufschiebend bedingte Einstellungszusage als Angestellter in einem Gastronomiebetrieb mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von dreißig bis vierzig Stunden und einem Bruttomonatslohn von 1.200,00 bis 1.500,00 Euro. Der Beschwerdeführer verfügt über soziale Anknüpfungspunkte in Form eines Bekanntenkreises; enge Bindungen bestehen nicht. Im Jahr 2006 bezog der Beschwerdeführer für etwa drei Monate Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer kann sich auf Deutsch unterhalten. Er verfügt über ein Zeugnis einer von ÖSD zertifizierten Einrichtung vom 31.05.2016 über das Bestehen der Prüfung über deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2.

Am 31.10.2016 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Nach Erteilung eines Verbesserungsauftrages, mit welchem der Beschwerdeführer zur Vorlage eines gültigen Reisedokumentes aufgefordert, von der Möglichkeit der Stellung eines Antrages auf Heilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 in Kenntnis gesetzt sowie auf die die Zurückweisung seines Antrages für den Fall des Nichtnachkommens seiner Mitwirkungspflichten hingewiesen wurde, stellte der Beschwerdeführer am 29.11.2016 einen Antrag auf Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005.

Der Beschwerdeführer hat keinen Reisepass vorgelegt. Die Beschaffung eines Reisepasses ist dem Beschwerdeführer nicht nachweislich unmöglich oder unzumutbar.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Personalien und der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers (Seite 4 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) in Verbindung mit der vorgelegten Geburtsurkunde des Beschwerdeführers (AS 117 im gegenständlichen Verwaltungsakt) sowie dem Bericht eines im Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Österreichische Botschaft in Neu-Delhi konsultierten Ermittlungsbüros (AS 92ff und 149ff im gegenständlichen Verwaltungsakt).

Die Feststellungen zum Herkunftsort, der Schul- und Berufsbildung sowie Berufserfahrung und den Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Indien ergeben sich aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers, an denen kein Grund zu zweifeln besteht (Seiten 4f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung). Die Feststellungen zur Eheschließung bzw. Trennung, den beiden Kindern und dem letzten Aufenthalt des Beschwerdeführers in Indien beruhen auf dem Bericht eines im Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Österreichische Botschaft in Neu-Delhi konsultierten Ermittlungsbüros (AS 92ff und 149ff im gegenständlichen Verwaltungsakt). Da die im genannten Bericht ermittelten Informationen zum Verlassen Indiens durch den Beschwerdeführer, zu den Eltern und Schwestern, dem Herkunftsort, der Schulbildung und dem älteren, in Indien lebenden Sohn des Beschwerdeführers sowie zum Besuch einer „ausländischen Dame“ (AS 149 und 151 im gegenständlichen Verwaltungsakt) im Einklang mit den vom Beschwerdeführer selbst und seiner Lebensgefährtin getätigten Angaben stehen (AS 45f und 202 im gegenständlichen Verwaltungsakt, AS 157f im Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 376642304/152070849; Seiten 7f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung), ist davon auszugehen, dass auch die im Bericht enthaltenen, detaillierten Informationen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Indien sowie seinem zweiten, dort lebenden Sohn (AS 151 im gegenständlichen Verwaltungsakt), zutreffen; dies auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich bezüglich seines zweiten, in Indien lebenden Sohnes insofern widersprach, als er vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärte, nicht zu wissen, wo das zweite Kind herkomme, welches von jemand anderem stammen müsse; er habe keine Ahnung, wie es zu dieser Auskunft komme (AS 204 im gegenständlichen Verwaltungsakt), damit nicht übereinstimmend jedoch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich vorbrachte, dass es die Ursache für die Scheidung gewesen sei (Seite 7 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung).

Die Feststellungen zur Einreise, dem Antrag auf internationalen Schutz und dem Aufenthalt sowie den Zeiten behördlicher Meldung des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Akteninhalt in Verbindung mit einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister und den nachvollziehbaren Erklärungen des Beschwerdeführers bezüglich der Lücken seiner behördlichen Meldung (Seiten 10f der Niederschrift der mündlichen Verhandlung) sowie den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin zu ihrer Beziehung (siehe unten).

Die Feststellungen zu seiner Beziehung und dem Sohn des Beschwerdeführers sowie den gemeinsamen Lebensumständen, den sozialen sowie wirtschaftlichen Anknüpfungspunkten des Beschwerdeführers in Österreich und den Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf den im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin im Verfahren (Seiten 5 bis 12 und 15 bis 18 der Niederschrift der mündlichen Verhandlung; AS 45 und 202 im gegenständlichen Verwaltungsakt; AS 157f im Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 376642304/152070849) in Verbindung mit den im Verwaltungsakt einliegenden Kopien der Reisepässe der Lebensgefährtin und des Sohnes des Beschwerdeführers (AS 22 und 24 im gegenständlichen Verwaltungsakt), der vorgelegten Geburtsurkunde und einem DNA-Test des Sohnes des Beschwerdeführers (AS 135 und 208 im gegenständlichen Verwaltungsakt), den mit Urkundenvorlage vom 10.05.2021 übermittelten Integrationsunterlagen, dem Deutschzeugnis (AS 14 im gegenständlichen Verwaltungsakt) und einer Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister.

Die Feststellungen zum gegenständlichen Verfahren ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt.

Dass der Beschwerdeführer keinen Reisepass vorgelegt hat, ergibt sich aus dem Akteninhalt. Dass dem Beschwerdeführer die Beschaffung eines Reisepasses nicht nachweislich unmöglich oder unzumutbar ist, ergibt sich aus nachstehenden Erwägungen: Der Beschwerdeführer hat weder plausibel dargelegt noch Beweismittel vorgelegt, dass er sich um die Ausstellung eines Reisepasses oder sonstigen Ausweisdokumentes ernsthaft bemüht hätte, jedoch in seinem Bemühen aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gescheitert wäre. Die vorgelegte Bestätigung über das Aufsuchen der Indischen Botschaft ist nicht geeignet, ein erfolgloses ernsthaftes Bemühen des Beschwerdeführers darzutun, zumal aus dieser nicht hervorgeht, dass der Beschwerdeführer im Zuge seiner Vorsprache auch tatsächlich einen Reisepass beantragt hat (AS 48 im gegenständlichen Verwaltungsakt). Die unbelegte Behauptung des Beschwerdeführers, die Indische Botschaft stelle einen Reisepass erst aus, wenn er eine Aufenthaltsberechtigung habe, ist nicht plausibel. Die Vorsprache des Beschwerdeführers vor der Indischen Botschaft am 08.06.2017 erfolgte lediglich auf bescheidmäßige Aufforderung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem Ziel der Ausstellung eines Ersatzreisedokumentes (AS 191ff und 203 im Verwaltungsakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 376642304/152070849); dass der Beschwerdeführer selbst dabei die Ausstellung eines Reisepasses beantragt hätte, ist nicht hervorgekommen. Dass ihm die Beschaffung eines Reisepasses nachweislich unmöglich oder unzumutbar wäre, hat der Beschwerdeführer insgesamt nicht glaubhaft dargelegt. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer über einen indischen Reisepass verfügt (, diesen aber nicht vorlegt), da es ihm andernfalls wohl nicht möglich gewesen wäre, obig angeführte Reisebewegung zu tätigen.

Die Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig.

3.2. Zu A) I. Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Kommt der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nach, ist gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 das Verfahren zur Ausfolgung des von Amts wegen zu erteilenden Aufenthaltstitels (Abs. 4) ohne weiteres einzustellen (Z 1) oder der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen (Z 2). Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren.

Gemäß § 8 Abs. 1 der AsylG-DV sind folgende Urkunden und Nachweise – unbeschadet weiterer Urkunden und Nachweise nach den Abs. 2 und 3 leg. cit. – im amtswegigen Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 3) beizubringen oder dem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels (§ 3) anzuschließen:

1. gültiges Reisedokument (§ 2 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG);

2. Geburtsurkunde oder ein dieser gleichzuhaltendes Dokument;

3. Lichtbild des Antragstellers gemäß § 5;

4. erforderlichenfalls Heiratsurkunde, Urkunde über die Ehescheidung, Partnerschafts-urkunde, Urkunde über die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, Urkunde über die Annahme an Kindesstatt, Nachweis oder Urkunde über das Verwandtschaftsverhältnis, Sterbeurkunde.

Gemäß § 4 Abs. 1 AsylG-DV kann die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 und § 58 Abs. 5, 6 und 12 AsylG 2005 zulassen:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls,

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK oder

3. im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs. 1 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber gemäß Abs. 2 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

Nach dem Heilungstatbestand des § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 „kann“ die Behörde die Heilung eines Mangels (unter anderem) nach § 8 AsylG-DV 2005 (unterbliebene Vorlage der dort genannten Urkunden) „auf begründeten Antrag“ des Drittstaatsangehörigen zulassen, wenn das (gemeint: die Erteilung des Aufenthaltstitels) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK erforderlich ist. Letzteres ist freilich in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, schon voraussetzungsgemäß der Fall. Dann kann es aber weder auf das Vorliegen eines „begründeten Antrags“ ankommen noch stehen dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl andere Alternativen zur Verfügung als die an die Erteilung anschließende Ausfolgung des Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Vor diesem Hintergrund erwiese sich die Stellung eines Heilungsantrages als reiner Formalismus, was es nahelegt, die „Heilung“ dann auch ohne einen solchen Antrag eintreten zu lassen. Das durch § 8 AsylG-DV 2005 näher konkretisierte Erfordernis der Klärung der Identität des Fremden wäre gegebenenfalls schon dann als erfüllt anzusehen, wenn (bloß) eine eindeutige „Verfahrensidentität“ dergestalt besteht, dass es sich bei jener Person, der der Aufenthaltstitel erteilt bzw. ausgefolgt wird, mit Sicherheit um jene handelt, in Bezug auf die die dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgesprochen wurde (VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Bedingung, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK erforderlich sein müsse, in jenen Konstellationen, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei, voraussetzungsgemäß erfüllt sei (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0187). Auch im Fall eines Antrages auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels gelte, dass die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 die gleichen seien wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrags. Die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben sei, unterscheide sich also inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen sei. Daraus folge auch, dass bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 in Bezug auf die Heilung nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 in erster Linie und vorrangig die Voraussetzungen der Z 2 der genannten Bestimmung zum Tragen kommen und dass es unzulässig sei, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314; 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Der Beschwerdeführer hat dem in § 8 AsylG-DV 2005 normierten Erfordernis der Vorlage eines gültigen Reisedokuments nicht entsprochen. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren vor der Behörde zu keinem Zeitpunkt einen Reisepass vorgelegt und ist die Beschaffung eines Reisepasses dem Beschwerdeführer nicht nachweislich unmöglich oder unzumutbar.

Damit ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV, wonach auf begründeten Antrag im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war, eine Heilung eintreten kann, nicht erfüllt ist.

Da der Beschwerdeführer volljährig ist, konnte auch eine Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 1 AsylG-DV nicht eintreten.

Zu prüfen bleibt, ob dem Heilungsantrag gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV (zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK) stattzugeben ist:

Gemäß § 52 Abs. 3 FPG hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des/der Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl- Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, – je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse – variieren (vgl. z.B. EGMR 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen).

Gemäß § 138 ABGB ist das Wohl des Kindes (Kindeswohl) in allen das minderjährige Kind betreffenden Angelegenheiten, insbesondere der Obsorge und der persönlichen Kontakte, als leitender Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten. § 138 ABGB dient auch im Bereich verwaltungsrechtlicher Entscheidungen, in denen auf das Kindeswohl Rücksicht zu nehmen ist, als Orientierungsmaßstab (vgl. VwGH vom 24.09.2019, Ra 2019/20/0274).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine Rückkehrentscheidung, die zwangsläufig zu einer Trennung eines Kleinkindes von Mutter oder Vater (die in Lebensgemeinschaft leben) führt, in jedem Fall eine maßgebliche Beeinträchtigung des Kindeswohls dar (VwGH 25.09.2018, Ra 2018/21/0108 mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt darauf verwiesen, dass ein Kind grundsätzlich Anspruch auf „verlässliche Kontakte“ zu beiden Elternteilen hat. Wird es durch die Rückkehrentscheidung gegen den Vater gezwungen, ohne diesen aufzuwachsen, so bedarf diese Konsequenz einer besonderen Rechtfertigung (vgl. des Näheren VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0282, Rn. 18, mwN, und VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134, Rn. 20, sowie auf diese Erkenntnisse Bezug nehmend VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0226, Rn. 8/9).

Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187; vgl. auch VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwN).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann ein über zehnjähriger inländischer Aufenthalt den persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib im Bundesgebiet – unter Bedachtnahme auf die jeweils im Einzelfall zu beurteilenden Umstände – ein großes Gewicht verleihen (vgl. VwGH 10.05.2011, Zl. 2011/18/0100, mwN). Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sind Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (vgl. zuletzt VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325; auch VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249; 30.08.2011, 2008/21/0605; 14.04.2016, Ra 2016/21/0029 bis 0032; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist aber auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer. (VwGH 17.10.2016 Ro, 2016/22/0005; 23.02.2017 Ra2016/21/0340).

Ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale können gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0165; 10.11.2015, Ro 2015/19/0001; 03.11.2015, Ra 2015/21/0121; 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften (z. B. AuslBG, VwGH 16.10.2012, 2012/18/0062; 25.04.2014, Ro 2014/21/0054), eine zweifache Asylantragstellung (vgl. VwGH 20.07.2016, Ra 2016/22/0039; 26.03.2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082), unrichtige Identitätsangaben, sofern diese für die lange Aufenthaltsdauer kausal waren (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 0253; 30.06.2016, Ra 2016/21/0165), sowie die Missachtung melderechtlicher Vorschriften (vgl. E 31. Jänner VwGH 31.01.2013, 2012/23/0006).

Dem Umstand, dass der Aufenthaltsstatus des Fremden ein unsicherer war, kommt zwar Bedeutung zu, er hat aber nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthaltes erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen ist (vgl. VwGH 04.08.2016, Ra 2015/21/0249 bis 253).

Vor dem Hintergrund der in § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, und der oben wiedergegebenen höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist in der gegenständlichen Rechtssache der Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers aus folgenden Gründen in einer Gesamtschau nicht durch die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen gerechtfertigt:

Zum Privatleben des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass der strafrechtlich unbescholtene Beschwerdeführer seit dem Jahr 2006 mit Unterbrechungen in Österreich lebt; sein Aufenthalt im österreichischen Bundesgebiet ist damit bereits sehr lang, woran auch die besuchsweisen Reisen des Beschwerdeführers nach Indien nichts ändern. Zwar ist unter Berücksichtigung des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers die soziale und berufliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich nicht stark ausgeprägt; angesichts der vom Beschwerdeführer abgelegten Deutschprüfung auf dem Niveau A2 bzw. seinen Deutschkenntnissen, seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller, seinem Bekanntenkreis und der Vorlage einer Einstellungszusage kann jedoch nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Der Beschwerdeführer verstieß zwar weiters – insbesondere von Mai 2012 bis Jänner 2016 – gegen meldebehördliche Vorschriften; seit 27.01.2016 ist er aber wieder durchgehend in Österreich gemeldet.

Die lange Aufenthaltsdauer ist zwar insofern relativiert, als der Beschwerdeführer seit der Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz im Jahr 2009 seiner in diesem Zusammenhang bestehenden Ausreiseverpflichtung nicht nachkam, seither unrechtmäßig in Österreich lebt und sein Privat- und Familienleben ausschließlich in einem Zeitraum begründete, als sein Aufenthalt unsicher bzw. unrechtmäßig war und er sich somit der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es sich bei der Missachtung der Ausreiseverpflichtung bzw. dem in Folge unrechtmäßigen Aufenthalt um Gesichtspunkte handelt, die typischerweise auf Personen zutreffen, die nach negativer Erledigung ihres Antrages auf internationalen Schutz einen mehr als zehnjährigen, inländischen und zuletzt jedenfalls unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet aufweisen und diese Umstände somit per se nicht gegen die Anwendbarkeit der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend einen mehr als zehnjährigen Inlandsaufhalt sprechen (VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0378, 0388).

Zum Familienleben des Beschwerdeführers ist weiters auszuführen, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2013 eine Beziehung mit einer in Österreich lebenden rumänischen Staatsangehörigen führt und mit dieser sowie (seit dessen Geburt) dem gemeinsamen, im Mai 2016 geborenen Sohn, für den der Beschwerdeführer die Vaterschaft anerkannt hat und der ebenfalls rumänischer Staatsangehöriger ist, seit Jänner 2016 im gemeinsamen Haushalt lebt (zunächst in einer Mietwohnung, seit März 2020 im Eigentumshaus der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers). Der Beschwerdeführer verbringt seine Zeit mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Sohn, den er in den Kindergarten bringt und abholt. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers ist vollzeitig in einer Reinigungsfirma tätig. Der Beschwerdeführer verfügt damit über ein intensives Familienleben in Österreich.

Der Beschwerdeführer weist daher in Österreich neben seiner sehr langen Aufenthaltsdauer insgesamt eine besondere Integration in familiärer Hinsicht auf und hat seinen mehr als zehnjährigen Aufenthalt in Österreich auch zumindest ansatzweise genützt, um sich sozial und beruflich in Österreich zu integrieren. Eine Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers ist insofern vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als verhältnismäßig anzusehen.

Dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen kommt zwar im Interesse des Schutzes der öffentlichen Ordnung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VfGH 01.07.2009, U992/08 bzw. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216; 26.06.2007, 2007/01/0479; 16.01.2007, 2006/18/0453; 08.11.2006, 2006/18/0336 bzw. 2006/18/0316; 22.06.2006, 2006/21/0109; 20.09.2006, 2005/01/0699); im gegenständlichen Fall überwiegen aber in einer Gesamtabwägung aller Umstände die familiären und privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung, für die sich in der vorliegenden Konstellation keine begründeten Rechtfertigungen erkennen lassen. Die Verweigerung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung würden im Fall des Beschwerdeführers unverhältnismäßig in seine nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eingreifen.

Der Mangel der Nichtvorlage eines Reisepasses ist daher auf begründeten Antrag des Beschwerdeführers vom 29.11.2016 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zuzulassen und der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides, mit dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Heilungsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 abwies, stattzugeben.

Die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 sind nach der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die gleichen wie für die materielle Stattgabe des verfahrenseinleitenden Antrages; die Prüfung, ob einem Heilungsantrag nach § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG-DV 2005 stattzugeben ist, unterscheidet sich inhaltlich nicht von der Beurteilung, ob der Titel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist.

Da es demnach, wie oben aufgezeigt, gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, ist dem Beschwerdeführer gemäß § 55 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel zu erteilen und auch der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit welchem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 31.10.2016 gemäß § 55 AsylG 2005 abwies, stattzugeben.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ungeachtet der unter einem erfolgten Abweisung des Heilungsantrages ab- und nicht zurückwies, sodass (in Bezug auf Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) Sache des Beschwerdeverfahrens die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitel ist.

Zu überprüfen ist noch, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen oder ob nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen ist.

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 AsylG 2005 lautet:

„§ 55 (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Der mit „Modul 1 der Integrationsvereinbarung“ betitelte § 9 IntG lautet:

„§ 9. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(2a) Fällt das Ende der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 in die Zeit von 22. März 2020 bis 30. Juni 2020, verlängert sich der Zeitraum der Erfüllungspflicht nach Abs. 2 bis zum 31. Oktober 2020; diese Verlängerung hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 sind Drittstaatsangehörige,

1. die zum Ende des Zeitraums der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündig sein werden;

2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

3. wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von 24 Monaten innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung enthält den unwiderruflichen Verzicht auf die Stellung eines weiteren Verlängerungsantrags im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 11 NAG nach dem ersten Verlängerungsantrag.

(6) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 4 Z 1 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 nicht erfüllt hat.

(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Abs. 4 Z 1 oder Abs. 4 iVm. § 10 Abs. 2 Z 1 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (§ 24 NAG) nicht älter als zwei Jahre sein.“

Der mit „Übergangsbestimmungen“ betitelte § 28 IntG lautet:

„§ 28. Auf Personen, denen der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 oder subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 vor dem 1. Jänner 2015 zuerkannt wurde, sind die §§ 4, 5 und 6 dieses Bundesgesetzes nicht anzuwenden.

(Anm.: Abs. 2 wurde nicht vergeben)

(3) Zertifizierungen von Einrichtungen gemäß den §§ 11 Abs. 4 oder 12 Abs. 4 in der Fassung dieses Bundesgesetzes vor BGBl. I Nr. 41/2019, die bis zum Tag des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes in der Fassung BGBl. I Nr. 41/2019 erteilt wurden, behalten ihre Gültigkeit für den im jeweiligen Bescheid vorgesehenen Zeitraum.

(4) Auf die gemäß den §§ 11 Abs. 4 oder 12 Abs. 4 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 vom Österreichischen Integrationsfonds zertifizierten Einrichtungen sowie auf den Österreichischen Integrationsfonds sind die Bestimmungen der §§ 9 Abs. 4 Z 2, 9 Abs. 6 und Abs. 7, 10 Abs. 2 Z 2, 10 Abs. 4, 11 und 12 sowie 15 Abs. 2 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 für den im Bescheid vorgesehenen Zeitraum weiterhin anzuwenden.

(5) Nachweise gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 und § 10 Abs. 2 Z 2 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 zur Erfüllung des Moduls 1 oder des Moduls 2, die während des im Bescheid gemäß den §§ 11 Abs. 4 bzw. 12 Abs. 4 dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor BGBl. I Nr. 41/2019 vorgesehenen Zeitraums ausgestellt wurden, behalten ihre Gültigkeit zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung gemäß den §§ 9 und 10 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 41/2019. § 9 Abs. 7 gilt.

[…]“

Der mit „Modul 1 der Integrationsvereinbarung“ betitelte § 9 IntG idF vor BGBl. I Nr. 41/2019 lautet:

„§ 9. (1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

2. einen gleichwertigen Nachweis gemäß § 11 Abs. 4 über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung vorlegt,

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 10) beinhaltet das Modul 1.

(5) Ausgenommen von der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 sind Drittstaatsangehörige,

1. die zum Ende des Zeitraums der Erfüllungspflicht (Abs. 2) unmündig sein werden;

2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustands die Erfüllung nicht zugemutet werden kann; der Drittstaatsangehörige hat dies durch ein amtsärztliches Gutachten nachzuweisen;

3. wenn sie schriftlich erklären, dass ihr Aufenthalt die Dauer von 24 Monaten innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten soll; diese Erklärung enthält den unwiderruflichen Verzicht auf die Stellung eines weiteren Verlängerungsantrags im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 11 NAG nach dem ersten Verlängerungsantrag.

(6) Die Behörde kann von Amts wegen mit Bescheid feststellen, dass der Drittstaatsangehörige trotz Vorliegen eines Nachweises gemäß Abs. 4 Z 1 oder 2 das Modul 1 der Integrationsvereinbarung mangels erforderlicher Kenntnisse gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 nicht erfüllt hat.

(7) Der Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 gemäß Abs. 4 Z 1 bzw. 2 oder Abs. 4 iVm. § 10 Abs. 2 Z 1 bzw. 2 darf zum Zeitpunkt der Vorlage im Rahmen eines Verlängerungsverfahrens (§ 24 NAG) nicht älter als zwei Jahre sein.“

Der mit „Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1“ betitelte § 11 IntG idF vor BGBl. I Nr. 41/2019 lautet:

„§ 11. (1) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 wird bundesweit nach einem einheitlichen Maßstab durchgeführt.

(2) Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit „Bestanden“ oder „Nicht bestanden“ zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.

(3) Die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 ist vom Österreichischen Integrationsfonds oder von einer vom Österreichischen Integrationsfonds zur Abwicklung der Prüfungen im Rahmen der Integrationsvereinbarung zertifizierten und somit zur Ausfolgung eines gleichwertigen Nachweises gemäß Abs. 4 berechtigten Einrichtung durchzuführen.

(4) Über die Gleichwertigkeit eines Nachweises gemäß § 9 Abs. 4 Z 2 entscheidet der Österreichische Integrationsfonds mit Bescheid auf schriftlichen Antrag einer Einrichtung, die beabsichtigt die Integrationsprüfung durchzuführen, nach Maßgabe der Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres gemäß Abs. 5.

(5) Der Prüfungsinhalt, die Modalitäten der Durchführung, die Prüfungsordnung zur Erfüllung des Moduls 1 sowie die Kriterien für die Prüfung der Gleichwertigkeit werden durch Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres festgelegt.

(6) Der Österreichische Integrationsfonds kann die Zertifizierung während der Gültigkeit mit Bescheid entziehen, wenn die Integrationsprüfung nicht der Verordnung gemäß Abs. 5 entspricht. Nach einem Entzug der Zertifizierung ist eine neuerliche Antragstellung zur Zertifizierung frühestens nach Ablauf von sechs Monaten zulässig.“

Die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 36 NAG lautet:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG gilt als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des NAG idF vor BGBl. I Nr. 68/2017 lauten:

Gemäß § 14a Abs. 1 erster Satz NAG sind Drittstaatsangehörige mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1, Z 1, 2, 4, 5, 6 oder 8 zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Gemäß Abs. 4 Z 2 leg.cit. ist das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 [= Kenntnisse der deutschen Sprache zur vertiefenden elementaren Sprachverwendung] vorlegt.

Nähere Bestimmungen über die Durchführung von Deutsch-Integrationskursen und den Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses gemäß Abs. 4 Z 1 sowie über Nachweise gemäß Abs. 4 Z 2 hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen (§ 14a Abs. 6 NAG).

Die aufgrund dieser Ermächtigung erlassene Integrationsvereinbarungs-Verordnung, BGBl. II Nr. 449/2005 bestimmt Folgendes:

„§ 7 (1) Ziel des Deutsch-Integrationskurses (Modul 1 der Integrationsvereinbarung) ist die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben.

(2) Den Abschluss des Deutsch-Integrationskurses bildet eine Abschlussprüfung, zumindest auf dem A2-Nivau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, durch den ÖIF.“

„§ 9. (1) Als Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse im Sinne des § 14a Abs. 4 Z 2 und § 14b Abs. 2 Z 2 NAG gelten allgemein anerkannte Sprachdiplome oder Kurszeugnisse, insbesondere von folgenden Einrichtungen:

1. Österreichisches Sprachdiplom Deutsch;

[…]“

Der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ unterscheidet sich von der „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs. 1 AsylG 2005 nur in Bezug auf die Berechtigung zur Ausübung von Erwerbstätigkeiten, und zwar dahingehend, dass die „Aufenthaltsberechtigung“ insoweit weniger Rechte einräumt. Statt wie bei der „Aufenthaltsberechtigung plus“, die einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des § 17 AuslBG vermittelt, besteht nämlich für die Ausübung einer unselbständigen Erwerbstätigkeit das Erfordernis einer Berechtigung nach dem AuslBG.

In seinem Erkenntnis vom 04.08.2016, Ra 2016/210203, betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass hinsichtlich der Beurteilung der Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG (nunmehr §§ 9ff Integrationsgesetz) eine formalistische Sichtweise anzuwenden sei und die Vorlage eines der in § 9 der Integrationsvereinbarungs-Verordnung (aF) aufgezählten Zertifikate nicht im Rahmen der freien Beweiswürdigung ersetzt werden könne.

Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer über ein Zeugnis einer von ÖSD zertifizierten Einrichtung vom 31.05.2016 über das Bestehen der Prüfung über deutsche Sprachkenntnisse auf dem Niveau A2, welches bestätigt, dass die in dieser Kursstufe erworbenen Kenntnisse dem Niveau A2 des Referenzniveaus des Europarates entsprechen, weshalb er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt hat.

Dem Beschwerdeführer ist gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, da dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist und der Beschwerdeführer das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Abs. 4 iVm § 28 Abs. 5 IntG iVm § 9 Abs. 4 IntG idF vor

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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