Entscheidungsdatum
13.07.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W175 2243060-2/3E
W175 2243061-2/3E
W175 2243062-2/3E
BESCHLUSS
I. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Neumann über die Beschwerde der XXXX , iranische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2021, Zahl: 1273699803-2101041116:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
II. Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Neumann über die Beschwerde 1.) XXXX und 2.) XXXX , iranische Staatsangehörige, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2021, Zahlen: 1.) 1273754807-210111201 und 2.) 1273754905-210110710:
A) Die Beschwerde wird als unzulässig zurückgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
I.1. Die volljährige Erstbeschwerdeführerin (BF1) sowie die beiden minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer (BF2 und BF3) sprachen am 25.01.2021 bei den Sicherheitsbehörden vor, wobei die BF1 angab, die Großmutter der beiden anderen BF zu sein und für sich und die Kinder Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF (AsylG) stellen zu wollen. Sie stammten aus dem Iran und hätten keine Reisedokumente. Da die BF1 angab, die Großmutter der beiden Kinder zu sein, könnten die gestellten Anträge laut Bericht vom 26.01.2021 nicht bearbeitet werden, da die MA11 für die Antragstellung der beiden Minderjährigen zuständig sei.
Ein Eurodac-Abgleich der Fingerabdruckdaten der BF1 ergab eine Speicherung von Kroatien am 12.11.2020 sowie von Slowenien am 12.01.2021, jeweils infolge einer Antragstellung auf internationalen Schutz.
Am 26.01.2021 sei laut Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Wien (AS 79ff) mit der MA11 vereinbart worden, dass mit einer Antragstellung zuzuwarten sei, bis es ein Ergebnis hinsichtlich der Obsorge der BF1 gebe. Es habe der in Österreich lebende Bruder der BF1 telefonisch erreicht werden können und sei dieser über den erforderlichen Nachweis einer Obsorgeberechtigung in Kenntnis gesetzt worden. Der als Bruder der BF Bezeichnete habe dem BFA in Folge persönlich Kopien der Reisepässe der BF, eine Scheidungsurkunde des Kindesvaters (Anm: diese ist aus dem Akt nicht ersichtlich) und eine „Sorgerechtsübertragung“ vorgelegt.
Der Kopie des Passes ist betreffend die BF1 ein anderer Name, ein anderes Geburtsdatum, sowie ein anderer Geburtsort zu entnehmen, als sie bisher den Behörden gegenüber anführte, selbiges gilt für die Passkopien der beiden Kinder. Der Name des eingetragenen Vaters der Kinder weicht von den Angaben der BF1 in der Erstbefragung ebenfalls ab.
Die erwähnte „Sorgerechtsvollmacht“ befindet sich als Kopie im Akt des BF2 (AS 19). Dabei handelt es sich um ein Schreiben in deutscher Sprache:
„Für meine minderjährigen Kinder eine Vormundschaft beantragt wird: (Namen der Kinder) und wegen Scheidung ernenne ich folgenden Vormund: (Name der BF1) (meine Mutter)
Datum: 26.01.2021, Unterschrift (unleserliche Paraphe) mit Beifügung des Namens des Vaters in Blockschrift“
Die BF1 stellte in Folge am 26.01.2021 für die beiden anderen BF einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der Erstbefragung am 25.01.2021 gab die BF1 in Farsi befragt im Wesentlichen an, dass der Vater der beiden Kinder, ihr Sohn, im Iran aufhältig sei. Die Mutter der BF1, ein Bruder sowie ein Sohn würden in Österreich leben, nähere Angaben zu deren Aufenthaltsort oder deren genaue Geburtsdaten könne sie nicht machen.
Sie habe den Iran vor zweieinhalb Jahren verlassen, da ihr Bruder und ihre Söhne zum Christentum konvertiert und von der Regierung verfolgt worden seien. Ein Reisedokument habe sie nicht dabeigehabt. Danach sei sie schlepperunterstützt über Aserbaidschan, die Türkei, Griechenland, Serbien und Bosnien nach Kroatien gereist, wo sie drei Tage aufhältig gewesen sei, bevor sie über Slowenien nach Österreich weitergereist sei. Sowohl in Kroatien als auch in Slowenien hätten sie Anträge auf internationalen Schutz gestellt, da sie keine andere Wahl gehabt hätten. Sie hätten die Länder wieder verlassen, da es für die Enkelkinder sehr schlimm gewesen sei.
Für den BF2 und die BF3 wurde am 26.01.2021 im Beisein der BF1 als „Erziehungsberechtigte“ eine Erstbefragung durchgeführt, wobei nunmehr die Daten der Passkopien für das Protokoll herangezogen wurden. Die Pässe der Kinder befänden sich laut BF1 im Iran. Die Kinder befänden sich seit fünf Jahren in Begleitung beziehungsweise Obhut der BF1. Die BF1 verwies auf eine im Akt befindliche Bestätigung des Kindesvaters bezüglich der ihr übertragenen Sorgerechtspflicht nach der Scheidung der Eltern.
Ein Rechtsberater war bei der Befragung nicht anwesend.
I.3. Aufgrund des Eurodac-Treffers richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) an Kroatien am 10.02.2021 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), gestütztes Wiederaufnahmeersuchen betreffend die BF.
I.4. Mit Schreiben vom 31.03.2021 stimmten die kroatischen Behörden einer Wiederaufnahme der BF gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b Dublin III-VO ausdrücklich zu, wobei die Zuständigkeit bereits zuvor aufgrund Verschweigung auf Kroatien übergegangen war. Zugleich teilten sie mit, dass die BF in Kroatien unter anderen Datensätzen Anträge auf internationalen Schutz eingebracht hätten, die mit den bisher im Akt befindlichen diversen Datensätzen nicht übereinstimmen.
I.5. Anlässlich der Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem BFA am 10.05.2021 gab die BF1 in Farsi befragt im Wesentlichen Folgendes an:
Die beiden minderjährigen BF seien ihre Enkelkinder, sie habe die Obsorge. Die Eltern befänden sich im Iran, die Mutter habe die Kinder verlassen und die Obsorge dem Vater (dem Sohn der BF1) gegeben. Aufgrund eines Anrufes nach der Befragung durch die Polizei habe der Vater der Kinder ihr die Obsorge übertragen.
Im Österreich seien auch ihr anderer Sohn, ihr Bruder, ihre Mutter und eine Nichte aufhältig. Sie seien 11 und 20 Jahre hier, über die Aufenthaltstitel könne sie nichts sagen. Die Nichte sei seit über zwei Jahren anerkannter Flüchtling. Sie selber sei immer wieder als Touristin nach Österreich gekommen.
Zu Kroatien befragt gab die BF1 an, dass man ihr Geld und Handy weggenommen habe, sie selber sei von Polizisten geschlagen worden, sie seien als Terroristen hingestellt worden. Sie seien oft von der Polizei bei der Flucht erwischt worden, man habe ihnen die Wertgegenstände weggenommen, sie mit dem Schlagstock bedroht und immer woanders hingebracht. Sie sei einen Monat in Kroatien in Quarantäne gewesen.
Am Ende der Einvernahme gab die BF eine weitere Änderung bei ihrem Namen und ihrem Geburtsdatum an, sie habe es erst später bemerkt, dass es bei der Erstbefragung nicht richtig notiert worden sei.
Am 10.05.2020 übermittelte der als Bruder Bezeichnete die nicht übersetzten Kopien eines „Maturadiploms“ und eines „Ausbildungszertifikates“ der BF1 (AS 203).
Weiters im Akt befinden sich mehrere nicht übersetzte Schriftstücke, die am 10.05.2021 vom Bruder der BF1 per Mail übermittelt wurden, wobei nicht feststellbar ist, woher diese Unterlagen stammen und wo sich die Originale befinden. In den angefochtenen Bescheiden werden ohne näherer Erläuterung unter „Beweismittel“ „diverse Kopien von Dokumenten“ angeführt.
Darunter befindet sich die Kopie des Reisepasses des angeführten Vaters der minderjährigen BF, wobei Name und Geburtsjahr von der BF1 - seiner Mutter - in der Erstbefragung ebenfalls leicht abweichend angeführt wurden.
Worum es sich bei den anderen Unterlagen handelt, geht aus dem Akt nicht hervor.
Ein Rechtsberater war bei der Befragung nicht anwesend. Die BF1 gab an, keine Rechtsberatung in Anspruch genommen zu haben.
I.6. Ohne weitere Ermittlungen wies das BFA mit den beschwerdegegenständlichen Bescheiden vom 14.05.2021, zugestellt am 17.05.2021, die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung der BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Im Verfahrensgang wurde ausgeführt, dass die BF nach illegaler Einreise am 25.02.2021 Anträge auf internationalen Schutz einbrachten.
Als vorgelegte Beweismittel wurden angeführt: „diverse Kopien von Dokumenten und ein Obsorgeschreiben des Vaters der minderjährigen Kinder“.
Beweiswürdigend wurde im Bescheid hervorgehoben, dass die Identität der BF nicht feststehe. Dennoch wurde weiters festgestellt, dass der BF1 die Obsorge für ihre minderjährigen Enkel übertragen worden sei, wobei auf das Schreiben des Sohnes der BF1 verwiesen wurde. Die Feststellungen zum Familien - und Privatleben seien „aufgrund der nicht anzuzweifelnden Angaben“ der BF1 getroffen worden. Die BF1 habe angeführt, dass die Mutter der Kinder im Iran lebe und die Kinder nicht mehr haben wolle. Der Vater lebe ebenfalls im Iran, der Schlepper sei für ihn aber zu teuer gewesen, deshalb habe die BF1 die Obsorge übernommen und sei mit den Kindern nach Österreich gereist.
I.7. Mit Schreiben vom 28.05.2021 brachten die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem die Bescheide gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurden.
Fallrelevant wurde ausgeführt, dass der Vater der Kinder am 26.01.2021 eine „Sorgerechtsvollmacht“ unterschrieben habe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung in Kroatien sei die BF1 nicht obsorgeberechtigt gewesen, dieser Antrag sei daher nicht rechtmäßig gestellt worden.
Beigelegt wurde ein Schreiben einer Kinderärztin vom 26.05.2021, wonach der BF2 aufgrund der Fluchtgeschichte an PTBS mit Essstörungen und diffuser rezidivierender Schmerzsymptomatik leide.
I.9. Mit Beschluss vom 09.06.2021, Zahlen: W175 2243060-1/3E, W175 2243061-1/3E und W175 2243060-1/3E wurde der Beschwerde stattgegeben und die bekämpften Bescheide behoben. In der Begründung wurde wie folgt ausgeführt:
„Im vorliegenden Fall hat Kroatien der Wiederaufnahme der BF gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt, sah also die Indizien für ausreichend an, um seine Zuständigkeit zu begründen.
Dabei ist jedoch festzuhalten, dass sich die BF einem Verfahren nach Angaben der BF1 entzogen haben, eine genauere Befragung der BF1 nach Antragstellung somit nicht stattfand.
Erst im Rahmen der näheren Auseinandersetzung mit dem gegenständlichen Fall in Österreich ergaben sich Zweifel an einer Obsorgeberechtigung der BF1 (u.a. AS 85). Im Folgenden erhärteten sich die bestehenden Zweifel und wurden von der belangten Behörde auch nicht ausgeräumt. Letztlich kann aus oben angeführten Gründen auch nicht einmal ein Verwandtschaftsverhältnis zwischen den minderjährigen BF und einer in Österreich aufhältigen Person belegt oder nachgewiesen werden.
Das Vorliegen einer Zuständigkeit Österreichs nach der Dublin III-VO kann somit nicht ausgeschlossen werden.
Die belangte Behörde wird sich dementsprechend mit der Frage der Identitäten der BF und der bestehenden rechtlichen Verhältnisse ausführlichst auseinanderzusetzen haben, insbesondere da es sich bei dem BF2 und der BF3 um minderjährige Kinder handelt, bei deren Verbringung in ein anderes Land durch andere Personen als die tatsächlichen Erziehungsberechtigten ein besonderer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist. Im Zusammenhang mit den von Wiedersprüchen geprägten Angaben der BF1, der nicht zuordenbaren oder nicht vorhandenen Identitätsunterlagen und der Unterlassung jedweder Ermittlung oder näherer Befragung durch die Behörde erschient eine umfangreiche Prüfung, eine ausführliche Befragung und Einsicht in Originaldokumente zwingend erforderlich. Überdies wird sich die Behörde mit der Frage der Rechtsgültigkeit einer Obsorgevollmacht auseinanderzusetzen haben, sollten diesbezüglich zuordenbare Unterlagen vorgelegt werden. Die bloße Behauptung der BF1, die Mutter wolle die Kinder nicht mehr, relativiert sich im Hinblick auf das sonstige widersprüchliche Vorbringen massiv, sodass auch diese Angaben zu hinterfragen und durch rechtlich fundierte Unterlagen nachzuweisen sein werden.
Im vorliegenden Fall kann daher zum Entscheidungszeitpunkt des BVwG aufgrund der nicht vorhandenen Sachverhaltserhebungen in einer zentralen Verfahrensfrage durch die erstinstanzliche Behörde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ob Österreich nicht aufgrund der Dublin III-VO für das Verfahren zumindest der minderjährigen BF zuständig ist und in diesem Zusammenhang etwa auch eine neuerliche Prüfung des Art 8 EMRK hinsichtlich der BF1 durchzuführen ist.“
I.10. Das BFA führte am 18.06.2021 unter Beiziehung eines Dolmetschers mit allen BF eine „ergänzende Einvernahme zur Obsorge“ durch. Ein Rechtsberater war nicht anwesend. Hinweise für eine zwischenzeitlich erfolgte Rechtsberatung ergeben sich aus dem Akt nicht.
Die minderjährigen BF gaben an, dass ihre Großmutter bei ihnen und ihrem Vater gelebt und sich um sie gekümmert habe. Der Vater habe sich von der Mutter getrennt, dazu könnten sie jedoch nichts sagen. Die BF1 gab an, dass sich die Eltern der Kinder eineinhalb Jahre vor der Ausreise wegen Eheproblemen getrennt hätten. Sie hätten sich auch offiziell scheiden lassen. Das Gericht habe dem Sohn der BF1 das Sorgerecht erteilt, da sich die Mutter nicht um die Kinder habe kümmern wollen. Bei der Erstbefragung habe man ihr gesagt, dass sie ein Schriftstück benötige, damit die Kinder bei ihr bleiben könnten. Deshalb habe sie über ihren Bruder das Schreiben des Kindesvaters besorgt. Befragt, weshalb sie nicht im Vorfeld offizielle Unterlagen beantragt habe, gab sie an, es sei im Iran nicht nötig gewesen.
Befragt, ob es sonstige Hinweise oder Unterlagen gebe, dass sie die Großmutter sei, gab die BF an, sie wisse nicht, was es im Iran gebe, aber hier gebe es ja die Dokumente des Sohnes.
Weitere Erhebungen wurden seitens des BFA nicht getätigt, sonstige Unterlagen (Geburtsurkunden, Scheidungsurkunde, etc) wurden nicht eingefordert.
Am 18.06.2021 erteilte die BF1 des BFA eine „Vollmacht“, beim zuständigen Magistrat Informationen bezüglich der Obsorge für die beiden minderjährigen BF einzuholen.
Am 18.06.2021 richtete das BFA ein E-Mail an die MA11 und das örtlich zuständige Bezirksamt. Ausgeführt wurde, dass die BF1 mit den minderjährigen BF in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Seitens des BVwG sei angeordnet worden, das Obsorgeverhältnis zu klären. Es werde um Informationen ersucht, ob der BF1 die Obsorge übertragen werde, da der Termin beim örtlich zuständigen Magistrat erst in vier Monaten sei.
Mit Schreiben vom 18.06.2021 teilte die MA11 mit, dass die BF1 einen Antrag auf Obsorge beim zuständigen Bezirksgericht gestellt habe, nur dieses könne eine Entscheidung treffen. Im Rahmen der Erhebung sei deutlich geworden, dass die Ankunft in Österreich und die Lebensumstände der Familie viele Unsicherheiten auftreten lassen hätten. Eine Psychologin sei hinzugezogen worden. Mittlerweile werde die Obsorge durch die Großmutter seitens der MA11 als positiv bewertet. Das Bezirksgericht sei mit Schreiben vom 17.06.2021 verständigt worden Eine Trennung von der Großmutter sei eine zu große Belastung für die Kinder.
I.11. Ohne weitere Ermittlungen wies das BFA mit den beschwerdegegenständlichen Bescheiden vom 22.06.2021 die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten erneut gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach aus, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung der BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Im Verfahrensgang wurde ausgeführt, dass die BF nach illegaler Einreise am 25.02.2021 Anträge auf internationalen Schutz gestellt hätten, die minderjährigen BF durch ihre gesetzliche Vertreterin. Als Beweismittel wurden unter anderem erneut das „Obsorgeschreiben des Vaters“ angeführt sowie „div. Kopien von Dokumenten“ und das „Schreiben der MA11“. Festgehalten wurde erneut, dass die Identität der BF mangels geeigneter heimatstaatlicher identitätsbezeugender Dokumente nicht feststehe, die BF1 wurde andererseits durchgehend als gesetzliche Vertreterin zitiert und festgestellt, dass sie die Großmutter der beiden minderjährigen BF sei. Die Feststellung des Verwandtschaftsverhältnisses ergebe sich aus der Befragung der BF vom 18.06.2021. Überdies habe die BF1 bereits in der Erstbefragung ein Schreiben des Kindesvaters eingebracht, welcher ihr die Obsorge übertragen habe, um mit den Kindern ins Bundesgebiet zu reisen. Die Aussagen der Kinder, sie habe sich seit ihrer Geburt um sie gekümmert, würden die Annahme bestätigen, dass sie die Großmutter sei. Mehr noch, es sei eine Anfrage an die MA11 gestellt worden, die bestätigt habe, dass ein Obsorgeantrag positiv bewertet werde.
Zugestellt wurden die Erledigungen am 22.06.2021, die Erledigungen hinsichtlich des BF2 und der BF3 an die BF1 als „gesetzliche Vertreterin (Großmutter)“.
I.12. Mit Schreiben vom 01.07.2021 brachten die BF durch einen durch die BF1 bevollmächtigten Vertreter das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem die Bescheide gesamtinhaltlich wegen Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten wurden.
Vorausgeschickt wurde, dass die vorliegende Beschwerde für die minderjährigen BF nur aus prozessualer Vorsicht eingebracht werde.
Moniert wurde unter anderem, dass die Behörde sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob die minderjährigen BF begleitet oder unbegleitet seien. Dem Ermittlungsauftrag des BVwG sei in keinem Punkt gefolgt worden.
So sei insbesondere die Frage der Obsorge nach wie vor ungeklärt, das Schreiben der MA11 bewirke keine Obsorgeübertragung. Zweifellos bestehe ein Vertrauensverhältnis zwischen den minderjährigen BF und der BF1 und es sei dem Kindeswohl zuträglich, wenn sie gemeinsam leben könnten. Dies sage jedoch nichts über die gesetzliche Obsorge aus. Vielmehr handle es sich bei dem BF2 und der BF3 rechtlich um unbegleitete Minderjährige. „Zu behaupten, dass der Zettel, oder wie immer das Schriftstück zu bezeichnen sei, das angeblich vom Kindesvater im Iran via Email nach Österreich verschickt wurden sei, eine gesetzliche Obsorge begründen könnte, wäre an Absurdität kaum zu überbieten.“
Den Überlegungen des BVwG im Erkenntnis vom 09.06.2021 sei eindeutig zuzustimmen.
Wie könne die Republik hinnehmen, dass Kinder über Kontinente hinweg verschoben würden, ohne dass die Eltern davon wissen, oder dass das auch nur in irgendeiner Weise überprüft werde. (…) Die Eltern seien am Leben, was die Eltern für die Kinder wünschten, sei absolut unklar. Die Behauptung eines Familienverfahrens, lediglich um die BF loszuwerden, gehe völlig gegen die gesetzlichen und menschenrechtlichen Grundlagen. Selbst in der Annahme, das angebliche Schreiben des Kindesvaters wäre authentisch und hätte irgendeinen rechtlichen Wert, sei sehr fraglich, ob die Entscheidung eines iranischen Familiengerichtes aus österreichischer Sicht bindend sei, die Mutter zu übergehen. Fraglich sei weiters, wie die Angaben der BF von Seiten des Vaters zu werten wären.
Zuständig sei von Anfang an das Jugendamt gewesen. Dieses könne jedoch keine rechtliche Wirkung entfalten, solange keine Gerichtsentscheidung existiere.
Selbst eine - noch nicht vorliegende - gerichtliche Obsorgeentscheidung könne eine Dublin-Zuständigkeit nicht rückwirkend begründen. Bei der Ankunft in Österreich und bei der Antragstellung seien der BF2 und die BF3 unbegleitete minderjährige gewesen - eine spätere Obsorgeübertragung kann diesen Umstand nicht außer Kraft setzen.
Das BFA hat sich mit den bestehenden Rechtsverhältnissen überhaupt nicht auseinandergesetzt, keine Unterlagen geprüft, nichts untersucht oder hinterfragt, es gibt keine rechtsgültige Obsorgevollmacht.
I.13. Die Beschwerde langte am 08.07.2021 beim BVwG ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:
- die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragungen der BF1 vom 25.01.2021 sowie vom 26.01.2021 und der Befragung vor dem BFA vom 10.05.2021 sowie die Beschwerdeschriften vom 28.05.2021 und vom 01.07.2021
- die Niederschrift vom 18.06.2021 und die Korrespondenz mit der MA11
- die Unterlagen des Konsultationsverfahrens mit Kroatien, die Meldung und den Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Wien vom 25.01.2021 beziehungsweise vom 26.01.2021
- die im Vorverfahren vorgelegten Kopien soweit in Übersetzung vorhanden oder sonst lesbar.
II.2. Feststellungen:
II.2.1. Die BF sind syrische Staatsangehörige. Die Identität der BF steht nach wie vor nicht mit für das gegenständliche Verfahren ausreichender Sicherheit fest.
II.2.2. Betreffend die BF1 wurde eine Speicherung in Eurodac von Kroatien am 12.11.2020 sowie von Slowenien am 12.01.2021, jeweils infolge einer Antragstellung auf internationalen Schutz vorgenommen.
II.2.3. Die von den BF angeführten und den Bescheiden zugrunde gelegten Verwandtschaftsverhältnisse ergeben sich nach wie vor weder aus dem Akteninhalt noch aus den Angaben der BF mit ausreichender Sicherheit.
II.2.4. Mit den angefochtenen, als Bescheid bezeichneten Erledigungen des BFA vom 22.06.2021 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten erneut gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Kroatien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Die Außerlandesbringung der BF wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet und festgestellt, dass demzufolge die Abschiebung der BF nach Kroatien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Der BF2 und die BF3 waren zu den Zeitpunkten sowohl der Entscheidung, als auch der postalischen Zustellung der angefochtenen Erledigungen des BFA vom 22.06.2021 minderjährig. Eine rechtswirksam zustande gekommene Vertretungsbefugnis der BF1 oder ihres nunmehrigen gewillkürten Vertreters im gegenständlichen Verfahren für die beiden BF lag zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens vor.
Das BFA verfügte die Zustellung dieser Erledigungen an die BF1 „als gesetzliche Vertreterin (Großmutter)“ durch Organe einer Betreuungseinrichtung des Bundes gemäß § 11 Abs. 3 BFA-VG. Die Erledigungen wurden der BF1 am 22.06.2021 gegen Unterschriftsleistung ausgehändigt.
Die gegenständlichen Beschwerden wurden vom gewillkürten Vertreter der BF1 eingebracht.
II.2.6. Zwischen dem BF2 und der BF3 sowie der BF1 besteht eine intensive Nahebeziehung.
II.3. Beweiswürdigung:
II.3.1. Die Feststellungen zum Reiseweg der BF und zum Verfahren in Kroatien ergeben sich aus den Angaben der BF und aus den Schreiben der kroatischen Behörden.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus den widersprüchlichen Angaben der BF1 im Vorverfahren, sowie aus dem Mangel an ausreichenden Belegen.
Die BF1 führte im Laufe des Verfahrens (in Österreich sowie in Kroatien) mehrfach andere Namen und Geburtsdaten für sich und die beiden anderen BF, die sie als ihre Enkelkinder bezeichnet, an. Sie ist nicht in der Lage oder willens, die Namen ihres angeblich im Iran lebenden Sohnes oder ihrer angeblichen Enkelkinder korrekt und konsistent widerzugeben. Sie ist nicht in der Lage, Geburtsdaten, Adressen und Aufenthaltsstaus der in Österreich lebenden Personen (darunter ihr Bruder und ihr Sohn) zu nennen, obwohl sie angeblich mehrmals in Österreich auf Besuch war. Eine Abfrage im Visainformationssystem wurde durch das BFA nicht durchgeführt.
Aus dem Akt ergeben sich keine Hinweise auf die behaupteten Verwandtschaftsverhältnisse und wurden diese von der belangten Behörde auch im nunmehrigen Verfahren nicht hinterfragt.
Die Befragung vom 18.06.2021 bestätigt lediglich ein enges persönliches Naheverhältnis zwischen den BF, entbehrt ansonsten jedoch jeglicher Relevanz, insbesondere da es das BFA - unter völliger Verkennung des in der vorangegangene Entscheidung des BVwG sowie nunmehr auch in der Beschwerde dargelegten möglichen Gefahrenpotentials in derartigen Fällen - nach wie vor unterlassen hat, verfahrensrelevante Urkunden in beglaubigter Form zumindest nachzufordern oder andere Wege der Informationsbeschaffung zu finden. Die Angaben unmündiger Minderjähriger und der BF1, die sich bereits bezüglich der Namen der Kinder in Widersprüche verwickelte, können eine behördliche Überprüfung nicht ersetzen.
Das besonders enge Naheverhältnis zwischen der BF1 sowie dem BF2 und der BF3 ergibt sich aus der Meldung und dem Aktenvermerk der Landespolizeidirektion Wien vom 25.01.2021 beziehungsweise vom 26.01.2021 sowie aus der Korrespondenz mit der MA11.
Die Feststellungen zum Vorliegen der Minderjährigkeit des BF1 und der BF2 in den Zeitpunkten, sowohl der Entscheidung, als auch der postalischen Zustellung der angefochtenen Erledigungen des BFA ergibt sich unbestritten aus dem gesamten Verfahren sowie aus den Beschwerdeschriften.
Fest steht nunmehr mit Sicherheit, dass das bereits im Vorverfahren in Zweifel gezogene „Obsorgeschreiben des Vaters“ auf das sich das BFA in der Bescheidbegründung aus nicht nachvollziehbaren Gründen nach wie vor stützt, zur Obsorgebegründung nicht herangezogen werden kann, da sich nun auch die BF1 im Wege der Beschwerdeschrift davon gänzlich distanziert. Dies wird die belangte Behörde auch bei ihrem weiteren Vorgehen zu beachten haben. Die Frage einer rechtmäßigen Antragstellung betreffend BF3 und BF2 ist jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Ein Übergang der Obsorge über den BF1 und die BF2 an die BF1 hat daher zu keinem Zeitpunkt des gegenständlichen Verfahrens oder davor stattgefunden. Die BF1 war zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens die gesetzliche Vertreterin der beiden minderjährigen BF, sodass auch in Folge eine Vertretung des BF1 und der BF2 durch den gewillkürten Vertreter der BF1 nicht gegeben ist.
Eine Entscheidung über die Obsorge durch das zuständige Gericht liegt bis dato nicht vor.
Der festgestellte Zustellvorgang hinsichtlich der angefochtenen Erledigungen der minderjährigen BF ergibt sich unzweifelhaft aus dem ebenso im Akt aufliegenden, ausgefüllten Zustellschein (AS 303) aus welchem die BF1 als „gesetzliche Vertreterin“ der beiden minderjährigen BF und als Empfängerin zweifelsfrei hervorgeht.
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
II.3.2. Mit 1.1.2014 sind das BVwG (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.“
Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin III-VO lauten:
„KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Artikel 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
…
Artikel 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen beziehungsweise sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Artikel 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a. einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b. einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c. einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d. einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.
In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.
Artikel 19
Übertragung der Zuständigkeit
(1) Erteilt ein Mitgliedstaat dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel, so obliegen diesem Mitgliedstaat die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1.
(2) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Aufnahme oder Wiederaufnahme er ersucht wurde, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, die betreffende Person ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.
Ein nach der Periode der Abwesenheit im Sinne des Unterabsatzes 1 gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.
(3) Die Pflichten nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben c und d erlöschen, wenn der zuständige Mitgliedstaat nachweisen kann, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d, um dessen/deren Wiederaufnahme er ersucht wurde, nach Rücknahme oder Ablehnung des Antrags das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses oder einer Abschiebungsanordnung verlassen hat.
Ein nach einer vollzogenen Abschiebung gestellter Antrag gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.
KAPITEL VI
AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN
Artikel 20
Einleitung des Verfahrens
(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.
(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.
(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.
(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.
Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.
Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.“
II.3.4. Zur Zurückweisung der Beschwerde betreffend BF2 und BF3:
Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch eigenberechtigte natürliche Personen, juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ein, so ersetzt die Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis.
Gemäß § 10 Abs. 2 AVG richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 von Amts wegen zu veranlassen.
§ 21 ABGB regelt die Volljährigkeit durch die Definition ihres Gegenteils; nach § 21 Abs. 2 ABGB idF des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 BGBl. I 135/2000 (KindRÄG 2001) sind Minderjährige Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Gemäß § 21 AVG und § 1 Zustellgesetz (ZustG) sind Zustellungen nach dem ZustG vorzunehmen.
Gemäß § 5 ZustG ist die Zustellung von der Behörde zu verfügen, deren Dokument zugestellt werden soll. Die Zustellverfügung hat den Empfänger möglichst eindeutig zu bezeichnen und die für die Zustellung erforderlichen sonstigen Angaben zu enthalten.
Gemäß § 2 Z 1 ZustG ist Empfänger die von der Behörde in der Zustellverfügung namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll.
Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Bezeichnet die Behörde eine falsche Person als "Empfänger", so ist dies daher ein Mangel, der nicht nach § 7 ZustG etwa dadurch heilen kann, dass das Dokument (Schriftstück) jener Person zukommt, die als Empfänger zu bezeichnen gewesen wäre (vgl. zB VwGH vom 18.5.1994, 93/09/0115; vom 27.6.1995, 94/04/0206; vom 22.3.2001, 97/03/0201; vom 19.3.2009, 2006/01/0453, jeweils mwN, ebenso - mwN - OGH 21.9.2006, 8 Ob 96/06k).
Der BF2 und die BF3 waren zum Zeitpunkt der Zustellung der angefochtenen Erledigungen unbestritten und zweifelsfrei minderjährig iSd § 21 Abs. 2 ABGB.
Gemäß § 10 Abs. 1 AVG können sich gesetzliche Vertreter von eigenberechtigten Personen, juristischen Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts oder eingetragenen Erwerbsgesellschaften vertreten lassen. Dies gilt auch bei einem Aufenthalt außerhalb des österreichischen Bundesgebietes. Die gesetzliche Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger (JWT) nach § 10 Abs. 3 bis 6 BFA-VG tritt hinter die gesetzliche Vertretung durch die Eltern und somit auch hinter eine durch die Eltern begründete gewillkürte Vertretung zurück. Erteilt also ein (nicht in Österreich anwesender) Elternteil einer von § 10 Abs. 1 AVG erfassten „Person“, […] Vertretungsvollmacht, so kommt es zu keiner Vertretung durch den JWT (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 10 BFA-VG, K7).
Eine Obsorgevollmacht oder eine sonstige Vertretungsvollmacht der BF1 lagen oder liegen nach wie vor nicht vor.
Die belangte Behörde hat die postalische Zustellung der angefochtenen Erledigungen vom 22.06.2021 mit Verfügung vom selben Tag an die BF1 als „gesetzliche Vertreterin“ vorgenommen.
Gemäß § 21 AVG und § 1 Zustellgesetz (ZustG) sind Zustellungen nach dem ZustG vorzunehmen. Gemäß § 5 ZustG hat die Behörde in geeigneter Form den Empfänger und dessen Identität möglichst eindeutig zu bezeichnen. "Empfänger" ist die von der Behörde in der Zustellverfügung namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll (§ 2 Z 1 ZustG). Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Bezeichnet die Behörde hingegen eine falsche Person als "Empfänger", so ist dies ein Mangel, der nicht nach § 7 ZustG etwa dadurch heilen kann, dass das Dokument (Schriftstück) jener Person zukommt, die als Empfänger zu bezeichnen gewesen wäre (vgl. zB VwGH vom 18.05.1994, 93/09/0115; vom 27.06.1995, 94/04/0206; vom 22.03.2001, 97/03/0201; vom 24.03.2015, 2014/05/0013).
Bezeichnet also die Behörde fälschlich eine Person als gesetzlichen Vertreter einer minderjährigen Verfahrenspartei, und stellt an diese zu, liegt ein Mangel des Zustellvorgangs vor, der keiner Heilung zugänglich ist.
Im vorliegenden Fall sahen die Zustellverfügungen vom 22.06.2021 offensichtlich die BF1 als Empfängerin der bekämpften Entscheidungen vor. Nachdem diese nicht die gesetzliche Vertreterin des BF2 und des BF3 ist, erfolgte daher eine fehlerhafte Zustellung, die auch nicht dadurch zu heilen vermochte, dass die Erledigung der Behörde zu einem späteren Zeitpunkt der tatsächlichen gesetzlichen Vertretung zugegangen sein mag. Die Entscheidung des BFA ist daher nie erlassen worden und damit rechtlich nicht zustande gekommen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann sich eine Beschwerde nur gegen einen Bescheid richten. Damit ein Bescheid rechtlich zu Stande kommt, muss er erlassen werden. Erlassen wird ein schriftlicher Bescheid durch rechtswirksame Zustellung oder durch Ausfolgung (vgl. VwGH vom 18.5.1994, 93/09/0115). Ist der erstbehördliche Bescheid nicht rechtswirksam erlassen worden, so ist es der Berufungsbehörde und daher gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG auch dem Verwaltungsgericht verwehrt, meritorisch über die Beschwerde abzusprechen. Ihre Zuständigkeit reicht in solchen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes zurückzuweisen (vgl. die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I² [1998] E13, 18 zu § 63 AVG; weiters VwGH vom 11.11.2009, 2008/23/0764, vom 09.03.1982, 81/07/0212; vom 30.05.2006, 2005/12/0098). Dies hat auch für das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz in Anwendung des § 28 VwGVG zu gelten.
Die Beschwerde hinsichtlich des BF1 und der BF2 ist also bereits mangels Erlassung der (als solcher lediglich bezeichneten) Bescheide vom 22.06.2021 als unzulässig zurückzuweisen, womit sich eine weitere Auseinandersetzung mit der Vertretungsbefugnis erübrigt.
II.3.5. Zur Stattgebung der Beschwerde betreffend die BF1:
Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs beziehungsweise der Zuständigkeit Kroatiens für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens betreffend die BF1 war eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.6.2012, U462/12); dies freilich, sofern maßgeblich, unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich, vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande sowie vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-155/15, Karim.
Im Rahmen der Entscheidung C-63/15, Mehrdad Ghezelbash/Niederlande, wurde insbesondere ausgesprochen, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO dahingehend auszulegen ist, dass ein Antragsteller auf internationalen Schutz im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III der Dublin III-VO festgelegten Zuständigkeitskriteriums sowie einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO geltend machen könne und sich die korrekte Anwendbarkeit der Kriterien der Dublin III-VO sohin als im Rechtsweg überprüfbar erweise (siehe auch VwGH 23.6.2016, Ra 2016/20/0069, Rz 17). Der EuGH erwog, dass die Kontrolle der richtigen Anwendung der Zuständigkeitskriterien in dem Rahmen vorzunehmen ist, der durch Art. 22 Abs. 4 und 5 vorgegeben ist. Diese Bestimmung sieht vor, dass das Beweiserfordernis nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung erforderliche Maß hinausgehen sollte und in Ermangelung förmlicher Beweismittel der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit anerkennt, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um seine Zuständigkeit zu begründen.
Im vorliegenden Fall hat Kroatien der Wiederaufnahme der BF1 gemäß Art. 18 Abs. 1 lit b Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt, sah also die Indizien für ausreichend an, um seine Zuständigkeit zu begründen.
Nunmehr ist jedoch festzuhalten, dass - unbeschadet der noch nicht geklärten Frage der tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse - zwischen den BF ein enges Naheverhältnis besteht, sodass eine Entscheidung hinsichtlich der BF1 nicht losgelöst von den Entscheidungen hinsichtlich der beiden minderjährigen BF getroffen werden kann, ohne eine Prüfung gemäß Art. 8 EMRK vorzunehmen. Aus den Angaben der BF, den Polizeiberichten sowie aus der Korrespondenz mit der MA11 geht hervor, dass die BF1 die einzige nahe Bezugsperson der beiden anderen BF in Österreich ist und dass sie sich schon im Heimatland um sie gekümmert haben dürfte. Eine Trennung der BF widerspricht nach derzeitigem Beweisstand somit jedenfalls dem Kindeswohl, weshalb der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zu beheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren Kassation Kindeswohl VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W175.2243060.2.00Im RIS seit
10.12.2021Zuletzt aktualisiert am
23.12.2021