Index
L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litbLeitsatz
Abweisung der Anfechtung der Wahl eines Landeshauptmannes; Unzulässigkeit der Abstimmung über einen auf eine nicht zur Kandidatur bereite Person lautenden WahlvorschlagSpruch
Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Am 13. März 1994 fand die mit Verordnung der Kärntner Landesregierung vom 14. Dezember 1993, LGBl. 136, ausgeschriebene Wahl des Kärntner Landtags statt.
Die 36 zu vergebenden Mandate (Art7 der Landesverfassung für das Land Kärnten - L-VG, LGBl. 190/1974 idF 48/1979) wurden nach Durchführung des ersten und zweiten Ermittlungsverfahrens (§§81 ff Krnt. LWO, LGBl. 191/1974 idF 94/1993) auf die wahlwerbenden Parteien wie folgt verteilt:
Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) 14 Mandate,
Österreichische Volkspartei (ÖVP) 9 Mandate,
Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) 13 Mandate.
(Verlautbarung der Landeswahlbehörde für das Land Kärnten vom 17. März 1994).
1.1.2. Der neu gewählte Landtag trat am 19. April 1994 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die Wahl des Landeshauptmanns (Art40 Abs1 und Art41 Abs1 L-VG) fand in der siebten Landtagssitzung am 7. Juni 1994 statt.
Aus dem Stenographischen Protokoll der 7. Sitzung des Kärntner Landtags (der 27. Gesetzgebungsperiode) vom 7. Juni 1994 sowie einer von den Anfechtungswerbern vorgelegten Sitzungsniederschrift vom selben Tag geht der folgende, für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren relevante und von den Anfechtern unbestrittene Sachverhalt hervor:
Für die Wahl des Landeshauptmanns wurden zwei Wahlvorschläge eingebracht, einer unterstützt von den Abgeordneten der SPÖ - auch von Abgeordneten der ÖVP -, lautend auf Dr. Christof Zernatto, ein anderer von den Abgeordneten der FPÖ, lautend auf Dr. Peter Ambrozy. Nach einer Unterbrechung der Sitzung hielt der Abgeordnete Dr. Peter Ambrozy dazu fest, daß er diesen (von den Abgeordneten der FPÖ unterstützten) Wahlvorschlag nicht annehme. Hierauf erklärte der Präsident des Kärntner Landtags den auf Dr. Ambrozy lautenden (von den Abgeordneten der FPÖ unterstützten) Wahlvorschlag für ungültig und befaßte mit dieser Frage auch den Landtag. In der Folge wurde über den von den Abgeordneten der SPÖ unterstützten Vorschlag abgestimmt und Dr. Christof Zernatto zum Landeshauptmann von Kärnten gewählt.
1.2.1. Mit der vorliegenden, am 4. Juli 1994 beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten und auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift beantragen dreizehn Mitglieder des neu gewählten Kärntner Landtags, "der Verfassungsgerichtshof wolle in Stattgebung dieser Anfechtung das Verfahren zur Wahl des Kärntner Landeshauptmanns durch den Kärntner Landtag am 7. Juni 1994 ab dem Zeitpunkt der Ungültigerklärung des Wahlvorschlags der Abgeordneten der FPÖ, lautend auf die Wahl des Herrn Dr. Peter Ambrozy zum Landeshauptmann von Kärnten, durch den Landtagspräsidenten für nichtig erklären und die Wahl des Dr. Christof Zernatto zum Landeshauptmann aufheben ...", und zwar wegen - näher ausgeführter - Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens.
1.2.2. Der Präsident des Kärntner Landtags als höchste Wahlbehörde (vgl. VfSlg. 4169/1972, 6277/1970, 11669/1988, 12229/1989) legte die Wahlakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er für die Abweisung der Wahlanfechtung eintrat.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Wahlanfechtung erwogen:
2.1. Gemäß Art141 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen in die Landesregierung, somit auch über die Anfechtung der Wahl eines Landeshauptmanns (s. VfSlg. 6277/1990, 11669/1988, 12229/1989).
Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden. Sie bedarf gemäß §67 Abs2 Satz 1 VerfGG 1953 eines Antrags von einem Zehntel der Mitglieder des Landtags (d.s. hier: vier), mindestens aber von zwei Mitgliedern.
Kraft §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden. Weder das L-VG noch das Gesetz über die Geschäftsordnung des Kärntner Landtags - GO, LGBl. 39/1975 idF 58/1989, oder andere Rechtsvorschriften richten einen derartigen, zunächst zu durchlaufenden Instanzenzug ein.
Demnach steht die unmittelbare Anfechtung der Wahl des Landeshauptmanns beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens offen.
Diese Frist wurde hier eingehalten.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
2.2.1. Nach Art41 Abs1 L-VG wird die Landesregierung vom Landtag für die Dauer seiner Gesetzgebungsperiode gewählt. Gemäß Art43 Abs1 L-VG ist der Landeshauptmann bei Anwesenheit von mindestens zwei Dritteln der Mitglieder des Landtags mit mehr als der Hälfte der abgegebenen Stimmen zu wählen. Gewählt wird auf Grund von Wahlvorschlägen (§65 Abs1 GO); bei Mehrheitswahlen - so auch bei der Wahl des Landeshauptmanns - hat jedes Mitglied des Landtags das Recht, einen Wahlvorschlag einzubringen (§65 Abs2 GO).
2.2.2. Die Anfechtungswerber selbst räumen ein (S 2 der Anfechtungsschrift), daß der Abgeordnete Dr. Peter Ambrozy in der Landtagssitzung vom 7. Juni 1994 den auf ihn lautenden, von den Abgeordneten der FPÖ unterstützten Wahlvorschlag "nicht angenommen" habe. Sie vertreten aber die Auffassung, daß dessen ungeachtet über diesen Wahlvorschlag hätte abgestimmt werden müssen.
2.2.3. Der Verfassungsgerichtshof befaßte sich bereits in seinem zur Steiermärkischen Gemeindewahlordnung ergangenen Erkenntnis VfSlg. 2037/1950 mit der Frage, ob jemand gegen seinen Willen in einen Wahlvorschlag aufgenommen werden dürfe, und führte dazu ua. wörtlich aus:
"Die Möglichkeit, jemanden gegen seinen Willen als Kandidaten auf eine bestimmte Parteiliste zu setzen, widerspräche dem Grundsatz der Freiheit der politischen Willensbildung und Betätigung und dem Postulat der Reinheit der Wahlen, in deren Ergebnis doch der wahre Wille der Wählerschaft zum Ausdruck kommen soll.
Daß sowohl der Bundesgesetzgeber als auch die Landesgesetzgeber, auch wenn sie dies nicht ausdrücklich hervorheben, von der Voraussetzung ausgehen, daß niemand gegen seinen Willen oder auch nur ohne sein Wissen auf die Liste einer wahlwerbenden Gruppe gesetzt werden darf, ist nicht nur aus dem Wesen der Sache zu erschließen, sondern geht auch aus der Tatsache hervor, daß alle Wahlordnungen, von der NWO angefangen über die Landtagswahlordnungen bis zu den Gemeindewahlordnungen, die in den Wahlvorschlägen der einzelnen Wählergruppen aufscheinenden Kandidaten als 'Bewerber' oder als 'Wahlwerber' bezeichnen. Der Begriff der 'Bewerbung' setzt aber auf Seite des Kandidaten das subjektive Moment der Bereitschaft zur Mandatsannahme voraus, woraus sich für die als wahlwerbende Partei auftretende Wählergruppe die Notwendigkeit ergibt, sich die Gewißheit zu verschaffen, daß bei dem von ihr vorgeschlagenen Kandidaten diese Bereitschaft vorhanden ist, und zwar im besonderen die Bereitschaft, ein auf die betreffende Wählergruppe entfallendes Mandat anzunehmen..."
Diese Rechtsauffassung vertrat der Verfassungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis VfSlg. 11732/1988 zur Salzburger Gemeindewahlordnung, in dem er ua. darlegte:
"Auch wenn §47 bzw. §95 litl GWO die Gemeindewahlbehörde nicht ausdrücklich verpflichtet, das Vorliegen der Zustimmung der im Wahlvorschlag genannten Wahlwerber zu ihrer Kandidatur zu prüfen, ist ein derartiges Einverständnis nach allgemeinen Wahlrechtsgrundsätzen unerläßlich, wie bereits im Erkenntnis VfSlg. 2037/1950 richtungweisend herausgestellt wurde (vgl. auch VfSlg. 6207/1970): Denn die Nominierung eines Kandidaten auf einer bestimmten Parteiliste ohne seine Zustimmung oder gar gegen seinen erklärten Willen widerspräche dem Grundsatz der Freiheit der politischen Willensbildung sowie dem 'Postulat der Reinheit' der Wahlen, deren Ergebnis doch den wahren Willen der Wählerschaft zum Ausdruck bringen soll..."
Der Verfassungsgerichtshof ist der Meinung, daß die wiedergegebenen Rechtsausführungen über das Erfordernis der Bereitschaft zur Mandatsannahme und damit zugleich zur Kandidatur für dieses Amt überhaupt - unabhängig von der Erstellung einer Partei-(Kandidaten-)Liste - im Grundsätzlichen auch auf die Wahl des Landeshauptmanns des Bundeslandes Kärnten übertragen werden müssen.
2.2.4. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Wahl eines vorgeschlagenen Kandidaten zum Landeshauptmann jedenfalls annahmebedürftig ist, denn eine besondere gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme des Amtes des Kärntner Landeshauptmanns gibt es nicht: Es gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz einer auf Freiheit hin orientierten Verfassung, worin Pflichten ausdrücklich normiert sein müssen, daß niemand gezwungen werden kann, eine solche Wahl auch anzunehmen (Pesendorfer, Der Landeshauptmann, 1986, S 50, FN 178; s. auch Putschögl, Wahlen zum Gemeinderat, in: Fröhler-Oberndorfer, Das österreichische Gemeinderecht, Loseblatt, 3.4, S 18; ferner Novak, Über den Amtsantritt des Bundespräsidenten, ÖZÖR 1965, S 285). So bestimmt zwar §27 Abs6 GO, daß jedes Mitglied des Landtags verhalten ist, eine Wahl in einen Landtagsausschuß anzunehmen; dies ersichtlich auf dem Boden der rechtspolitischen Überlegung, daß jemand, der mit seiner Wahl zum Abgeordneten des Landtags einverstanden ist, auch zur entsprechenden Mitarbeit in dieser gesetzgebenden Körperschaft verpflichtet sein soll. Doch findet sich in der GO für die Wahl eines Mitglieds der legislativen Gewalt in ein Regierungsamt - offenbar im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der beiden Aufgaben - keine (Sonder-)Vorschrift nach Art des §27 Abs6 GO. Jemandem, der eine derartige Wahl - zum Landeshauptmann - in Ermangelung einer zur Übernahme des Amtes verhaltenden Norm nicht anzunehmen verpflichtet ist und eine solche Wahl auch nicht annehmen will, muß es offen- und freistehen, bereits vorweg zu erklären, daß er eine vorgeschlagene Wahl nicht annehmen werde, und zwar mit der Wirkung, daß es zur Abstimmung über einen derartigen - von ihm nicht akzeptierten - Wahlvorschlag gar nicht mehr kommt.
Daraus folgt, daß es unzulässig ist, über einen Wahlvorschlag abstimmen zu lassen, der auf eine Person lautet, die erklärtermaßen zur Kandidatur und damit auch zur Übernahme des Amtes selbst von vornherein nicht bereit ist.
Da nach dem Sitzungsprotokoll der in dem von den Abgeordneten der FPÖ unterstützten Wahlvorschlag genannte Abgeordnete Dr. Peter Ambrozy unmißverständlich erklärt hatte, zur Kandidatur nicht bereit zu sein, ließ der Präsident des Landtags über diesen Wahlvorschlag (der Abgeordneten, hingegen den Umständen nach nicht eines Abgeordnetenklubs, wie von den Anfechtungswerbern in der Anfechtungsschrift, nicht mehr allerdings in der Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof - mit Beziehung auf beide Wahlvorschläge - richtig dargelegt), den er als "ungültig" ansah, zu Recht nicht abstimmen (vgl. auch VfSlg. 5008/1965; Putschögl, Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstandes (des Bürgermeisters) und der Gemeinderatsausschüsse, in: Fröhler-Oberndorfer, aaO, 3.6, S 21 f). Die Auffassung der Anfechtungswerber, der Landtagspräsident hätte (zunächst) den auf Dr. Peter Ambrozy lautenden Wahlvorschlag zur Abstimmung bringen müssen, trifft daher nicht zu.
Auf die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof vom Vertreter der Anfechtungswerber erörterte Vor- und Entstehungsgeschichte der Erklärung des Abgeordneten Dr. Ambrozy war nicht weiter einzugehen, weil der relevierten Frage angesichts der Eindeutigkeit der vom Betroffenen in der Landtagssitzung abgegebenen Äußerung keine rechtliche Bedeutung zukommt. Daraus ergibt sich zugleich, daß der Antrag der Anfechtungswerber auf zeugenschaftliche Einvernahme der Beamtin des Amtes der Kärntner Landesregierung Dr. C H darüber, in welcher Weise sie Dr. Ambrozy bzw. seinen Klub vor der in Rede stehenden Erklärung rechtlich beraten habe, für die Beurteilung des Falles unerheblich und gegenstandslos ist.
Bei dieser Sachlage kann die in der Anfechtungsschrift gleichfalls relevierte Frage, ob der Präsident des Landtags die Sitzung zulässigerweise unterbrochen hatte, bevor er über die Behandlung des Wahlvorschlags der Abgeordneten der FPÖ entschied, als hier rechtlich ohne Bedeutung auf sich beruhen, weil die insoweit von den Anfechtungswerbern behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens auf das Wahlergebnis keinesfalls von Einfluß sein konnte. Das gleiche gilt für die in der Anfechtungsschrift gerügte Vorgangsweise bei der Abstimmung darüber, ob dieser Wahlvorschlag der FPÖ "ungültig" sei, denn über diesen Wahlvorschlag durfte nach dem Gesagten im Hinblick auf die Erklärung des vorgeschlagenen Abgeordneten, zur Kandidatur nicht bereit zu sein, in keinem Fall abgestimmt werden.
2.3. Aus diesen Erwägungen war spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Wahlen, Landesregierung, Landeshauptmann, Wahlvorschlag, VfGH / VerfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1994:WI5.1994Dokumentnummer
JFT_10058794_94W00I05_00