TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/6 W286 2186622-1

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Veröffentlicht am 06.10.2021
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Entscheidungsdatum

06.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch


W286 2186621-1/19E
W286 2186622-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX und 2. XXXX , geb. XXXX , beide StA. Irak, beide vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Dr. Lennart BINDER, gegen die Spruchpunkte I.-VI. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1. 12.01.2018, Zl. 1089441705-151452832 und 2. 12.01.2018, Zl. 1089443100-151453308, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin, beide irakische Staatsangehörige, stellten jeweils am 28.09.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 29.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes jeweils die niederschriftliche Erstbefragung der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin statt.

Am 05.10.2017 fand jeweils eine Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) statt.

3. Mit Bescheiden jeweils vom 12.01.2018, 1. Zl. 1089441705-151452832 und 2. Zl. 1089443100-151453308, wies die belangte Behörde den Antrag der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (jeweils Spruchpunkt I.), erkannte ihnen jeweils den Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (jeweils Spruchpunkt II.), erteilte jeweils keinen Aufenthaltstitel ais berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG (jeweils Spruchpunkt III.), erließ jeweils eine Rückkehrentscheidung (jeweils Spruchpunkt IV.), stellte jeweils die Zulässigkeit der Abschiebung gem. § 46 FPG fest (jeweils Spruchpunkt V.) und setzte die Frist für die freiwiliige Ausreise jeweils mit 14 Tagen fest (jeweils Spruchpunkt VI.). Die belangte Behörde erachtete das Fluchtvorbringen jeweils als nicht glaubhaft, ging mit näherer Begründung von einer Rückkehrmöglichkeit der Erstbeschwerdeführerinund der Zweitbeschwerdeführerin an den Herkunftsort aus und ging unter Zugrundelegeung einer jeweils weder besonders schützenswerten noch besonders herausragenden Integration vom Überwiegen der öffetnlichen Interessen an einer Ausweisung der Beschwerdeführerinnen aus.

4. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin erhoben dagegen – vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdiankonie GmbH und mit identem Schriftsatz – fristgerecht Beschwerde, die sich im Wesentlichen darauf stützt, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin „vorwiegend wegen ihrer politisch-weltanschaulichen, den Grundsätzen der Baath-Partei verpflichteten Gesinnung, ihrer Zugehörigkeit zur sunnitischen Minderheitsbevölkerung, als auch wegen ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe alleinstehender Frauen, die noch dazu aus eigenem ihren Lebensunterhalt mit einer Tätigkeit, die westlichen Grundsätzen folgt, bewerkstelligen können, ihr Heimatland verlassen“ hätten.

5. Die belangte Behörde legte die Beschwerden am 20.02.2018 dem Bundesverwaltungsgericht vor. Das Beschwerdeverfahren wurde am 01.03.2021 der zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

6. Am 19.08.2021 stellten die Beschwerdeführerinnen Fristsetzungsanträge.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin sowie zu ihrem familiären Hintergrund

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie gehört der Volksgruppe der Araber an uns ist sunnitischen Bekenntnisses. Sie ist irakischer Staatsangehörigee und stammt aus der Stadt Bagdad, wo sie zeit ihres Lebens im Stadtteil XXXX (auch: XXXX ) lebte. (Protokoll der mV S. 11, 13, Beilage ./A).

Die Erstbeschwerdeführerin hat nach neunjährigem Schulbesuch die Schule mit dem Pflichtschulabschluss abgeschlossen. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Berufsausbildung zur Friseurin absolviert. Die Erstbeschwerdeführerin übte zeit ihres Lebens im Irak keine Erwerbstätigkeit aus. (Protokoll der mV S. 11)

1.1.2. Die Zweitbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Sie gehört der Volksgruppe der Araber an uns ist sunnitischen Bekenntnisses. Sie ist irakischer Staatsangehörigee und stammt aus der Stadt Bagdad, wo sie zeit ihres Lebens im Stadtteil XXXX (auch: XXXX ) lebte. (Protokoll der mV S. 33, 34).

Die Zweitbeschwerdeführerin begann mit sechs Jahren den Schulbesuch und absolvierte die Grundschule, die Mittelschule und schloss das Gymnasium ab. Danach studierte sie Wirtschaft und schloss mit dem akdademischen Grad „Bachelor“ ab. (Protokoll der mV S, 34, 35, 38). Die Zweitbeschwerdeführerin übte zeit ihres Lebens im Irak keine Erwerbstätigkeit aus. (Protokoll der mV S. 35)

1.1.3. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin betrieben zu keinem Zeitpunkt einen Friseur- bzw. Beauty-Salon in Bagdad. (Protokoll der mV S. 11f und 39f)

1.1.4. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin finanzierten im Irak ihren Lebensunterhalt durch Zuwendungen ihrer Familie – sie lebten vom Einkommen ihres Vaters und nach dessen Ableben von der Pension ihrer Mutter und die finanzielle Unterstützung ihrer erwerbstätigen Geschwister. Die Familie der Beschwerdeführerinnen war finanziell sehr wohlhabend und stabil (Protokoll der mV S. 12, 13 36)

1.1.5. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin sind ledig und haben keine Kinder. Sie lebten bereits im Irak von der Geburt bis zur Ausreise zusammen im Elternhaus und teilen sich auch jetzt in ihrer Unterkunft in Österreich ein Zimmer. (Protokoll der mV S. 11, 23, 34, 36)

1.1.6. Die Schwester der Beschwerdeführerinnen, XXXX und deren Ehegatte leben in Bagdad im Stadtviertel XXXX . Die vier Töchter der beiden (Nichten der Beschwerdeführerinnen) leben ebenso in der Stadt Bagdad.

XXXX hat an der Universität XXXX gearbeitet und ist jetzt Pensionistin. Ihr Ehegatte war an derselben Universität Professor. Eine Nichte arbeitet in Bagdad im Magistrat als Beamtin, sie hat einen Magister in Englisch abgeschlossen. Eine weitere Nichte hat dasselbe Studium mit einem Bachelor abgeschlossen und arbeitet auch im selben Bereich. Die dritte Nichte hat Architektur studiert, die vierte Nichte arbeitet als Bankangestellte. Die drei letztgenannten Nichten sind verheiratet.

Eine weitere Schwester der Beschwerdeführerinnen, XXXX , lebt in den USA. Deren Sohn, XXXX , lebt gemeinsam mit seiner Familie in Österreich und hat einen Schutzstatus nach § 57 AsylG.

(Protokoll der mV S. 14f, 3, Erkenntnis des BVwG zu XXXX et al)

1.1.7. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin reisten gemeinsam im August 2015 aus dem Irak aus. (Protokoll der mV S. 15)

1.2. Zum Fluchtvorbringen und zu den Rückkehrbefürchtungen der Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführerin

1.2.1. Die Erstbeschwerdeführerin war kein Mitglied der Baath-Partei. Sie stand und steht der Baath-Partei nicht nahe. Niemand unterstellt der Erstbeschwerdeführerin ein Naheverhältnis zur Baath-Partei und eine entsprechende politische Gesinnung.

(Protokoll der mV S.25 ff, 27, AS 67, 69, 71, 15 im Akt der Erstbeschwerdeführerin, EASO Country Guidance Iraq Common analysis and guidance note, January 2021, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen aus Mai 2019; EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen März 2019; IRAQ A Bitter Legacy: Lessons of De-Baathifi cation in Iraq, Miranda Sissons and Abdulrazzaq Al-Saiedi, März 2013)

1.2.2. Die Zweitbeschwerdeführerin war kein Mitgleid der Baath-Partei. Sie stand und steht der Baath-Partei nicht nahe. Niemand unterstellt der Zweitbeschwerdeführerin ein Naheverhältnis zur Baath-Partei und eine entsprechende politische Gesinnung.

(Protokoll der mV S. 40 und 41, 7 und 8, AS 67, 69 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin, EASO Country Guidance Iraq Common analysis and guidance note, January 2021, UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen aus Mai 2019; EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen März 2019; IRAQ A Bitter Legacy: Lessons of De-Baathifi cation in Iraq, Miranda Sissons and Abdulrazzaq Al-Saiedi, März 2013)

1.2.3. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin wurden nicht von ihnen unbekannten Personen überfallen. Sie wurden weder wegen einer Verbindung zur Baath-Partei noch wegen des Betreibens eines Friseur- bzw. Beautysalons bedroht. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin wurden auch aus keinem anderen Grund bedroht. Weder unbekannte, vermummte Personen, noch irgendwelche anderen Akteuere bedrohen die Beschwerdeführerinnen.

1.2.4. Die Beschwerdeführerinnen werden im Irak nicht von Behörden oder der Regierung oder sonstigen Akteuren gesucht und bedroht. Sie sind nicht aufgrund ihrer Eigenschaft als sunnitische Araberinnen einer Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt. (EASO Country Guidance Iraq Common analysis and guidance note, January 2021, S. 68 und 69)

1.2.5. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Lebensweise etabliert und verinnerlicht, aufgrund der sie in Bagdad als Frau exponiert und gefährdet ist. Sie führt kein Leben, das „westlichen Grundsätzen“ folgt.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat keine Lebensweise etabliert und verinnerlicht, aufgrund der sie in Bagdad als Frau exponiert und gefährdet ist. Sie führt kein Leben, das „westlichen Grundsätzen“ folgt.

1.3. Zum Leben der Beschwerdeführerinnen in Österreich und zur Rückkehrsituation in Bagdad

1.3.1. In Österreich leben die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin von der Grundversorgung und zusätzlichen karitativen Zuwendungen. Keine der Beschwerdeführerinnnen übte oder übt eine Erwerbstätigkeit aus, um den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Beide sind nicht selbsterhaltungsfähig. Keine der beiden hat nennenswerte Schritte in Richtung einer beruflichen Integration unternommen. (GVS-Auszüge, Protokoll der mV S. 21, 38).

1.3.2. Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Österreich unbescholten (jeweils Strafregisterauszug).

1.3.3. Die Erstbeschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat eine degenerative Kniegelenkserkrankung. Die Erstbeschwerdeführerin bedarf deshalb keiner in einer ständigen medizinischen Behandlung. Die Erstbeschwerdeführerin ist doppelt gegen das Corona-Virus geimpft und gehört keiner Covid-Risikogruppe an. (Protokoll der mV S. 22; Beilage ./1 zum Verhandlungsprotokoll)

Die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Die Zweitbeschwerdeführerin ist doppelt gegen das Corona-Virus geimpft und gehört keiner Covid-Risikogruppe an. (Protokoll der mV S. 39)

1.3.4. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über nur ganz rudimentäre Deutschkenntnisse. Sie versteht die deutsche Sprache auf einfachstem Niveau nicht sinnerfassend und kann Fragen auf einfachstem Niveau in deutscher Sprache nicht beantworten.

Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt über nur ganz rudimentäre Deutschkenntnisse. Sie versteht die deutsche Sprache auf einfachstem Niveau nicht sinnerfassend und kann Fragen auf einfachstem Niveau in deutscher Sprache nicht beantworten.

1.3.5. Zu ihrem in Österreich lebenden erwachsenen Neffen haben die beiden Beschwerdeführerinnen nur sporadisch persönlichen Kontakt. (Protokoll der mV S. 23). Darüber hinaus haben sie in der Flüchtlingsunterkunft, in der sie leben, nur oberflächliche Bekanntschaften gemacht und haben zu niemandem ein Naheverhältnis. (Protokoll der mV S. 22, 39).

1.3.6. Die Beschwerdeführerinnen leben seit September 2015 in Österreich.

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin haben am 12.12.2017 an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen (AS 307 und 308 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin). Am 10.11.2017 und 13.11.2017 haben beide an dem Workshop „Kompetenz und Beratung“ teilgenommen. (AS 309 und 310 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin).

Die Erstbeschwerdeführerin und die Zweitbeschwerdeführerin waren und sind in Österreich nicht erwerbstätig, sie besuchen keine Kurse oder Ausbildungen, sind nicht Mitglied in Vereinen und haben hier keine starken sozialen oder kulturellen Bindungen. Sie haben lediglich oberflächlichen Kontakt zu den Menschen, die in der gleichen Flüchtlingsunterkunft leben. Außer Einkaufengehen oder Gesprächen mit Heimbewohnern, die aber ständig wechseln, haben die Beschwerdeführerinnen in Österreich keine sozialen oder sonstigen Aktivitäten. Sie verlassen das Flüchtlingsheim einmal wöchentlich. Die Beschwerdeführerinnen haben keine Bindung an ihren Aufenthaltsstaat Österreich. (Protokoll der mV S. 20 ff und 37ff und S. 41).

1.3.7.1. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, konkret an ihren Heimatort Bagdad, werden die Beschwerdeführerinnen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten unmittelbaren persönlichen und konkreten Bedrohung oder Gefährdung oder einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihnen ihre Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für sie die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

Die Beschwerdeführerinnen werden bei einer Rückkehr in ihre Heimatstadt Bagdad von ihren dort lebenden Verwandten finanziell und sozial unterstützt.

Die Beschwerdeführerinnen besitzen in Bagdad noch ein Haus, das vermietet wird. (AS 69 im Akt der Zweitbeschwerdeführerin).

1.3.7.2. Es gibt eine sichere Flugverbindung von Europa in die irakische Hauptstadt Bagdad. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Kontrolle an einem Checkpoint einer Gefährdung ausgesetzt sind. Auf diesem Weg können die Beschwerdeführerinnen die Stadt Bagdad sicher, praktisch und legal erreichen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Irak:

Die Feststellung der maßgeblichen Situation im Irak basiert auf Auszügen der folgenden vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten Länderberichte und Positionspapiere:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über den Irak, generiert am 11.03.2021

?        UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019

?        EASO Country Guidance Iraq Common analysis and guidance note, January 2021, Beilage

?        EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen, März 2019

?        EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Sicherheitslage, Oktober 2020

?        EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Akteure, die Schutz bieten können, November 2018

?        EASO Irak Zentrale sozioökonomische Faktoren für Bagdad, Basra und Erbil, September 2020

?        DFAT COUNTRY INFORMATION REPORT IRAQ, 17 August 2020

?        IRAQ A Bitter Legacy: Lessons of De-Baathifi cation in Iraq, Miranda Sissons and Abdulrazzaq Al-Saiedi, März 2013

?        WHO Iraq Covid 19 Situation Report, Stand 02.06.2021

?        UNHCR Ability of Persons Originating from Formerly ISIS-Held or Conflict-Affected Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Internal Relocation, 01.2021,

?        Explosive Hazards Risk Level on Roads in Anbar, Baghdad, Diyala, Erbil, Kirkuk, Ninewa and Salah Al-Din Governorates 1-28 February 2021

?        WHO Situation Report Week 27 05.-11.07.2021

Daraus ergibt sich auszugsweise:

1.4.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Auszug)

Sunnitische Araber

Letzte Änderung: 14.05.2020

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

?        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

Ex-Ba‘athisten

Letzte Änderung: 14.05.2020

Die Arabische Sozialistische Ba‘ath-Partei war kurzzeitig im Jahr 1963 und dann zwischen 1968 und 2003, bis zum Fall von Saddam Hussein, die herrschende Partei des Irak (EB o.D.). Mit der neuen Verfassung von 2005 wurde die Ba‘ath Partei verboten (WI 3.3.2016). Nach dem Fall des Regimes Saddam Husseins durchlief der Irak eine Ent-Ba‘athifizierung, die die Auflösung der Ba‘ath-Partei und verschiedener, mit ihr verbundener Organisationen umfasste. Es kam zu Verhaftungen ehemaliger hochrangiger Parteimitglieder, sowie zur Säuberung des Staatsapparates, der Streitkräfte und der öffentlichen Verwaltung (UKHO 1.2020; vgl. ICTJ 3.2013). Im Zuge der Ent-Ba‘athifizierung wurden mit Wirkung vom 16.4.2003 alle militärischen Dienstgrade und Titel annulliert, Wehrpflichtige und Mitarbeiter entlassen. In späterer Zeit konnten manche Ba‘ath Mitglieder wieder in den Dienst genommen werden, oft nach einem „Rehabilitationskurs“, die Kriterien für die Wiedereinsetzung waren jedoch unklar (ICTJ 3.2013). Schrittweise aufeinander folgende Gesetze zur Entfernung von Ba‘athisten aus dem öffentlichen Dienst basierten auf „Schuld durch Assoziation“ anstatt individuell begangener und nachgewiesener Verbrechen (EUISS 10.2017).

Einige mittel- bis hochrangige Ba‘athisten sind für schwere, unter dem Saddam Regime begangene Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Darüber hinaus wird berichtet, dass einige frühere Ba‘athisten Verbindungen zum Islamischen Staat (IS) oder zu anderen aufständischen Organisationen, wie der „Armee der Männer des Naqshbandi-Ordens“ (JRTN, Jaysh Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiyya) haben (UKHO 1.2020).

Obwohl viele Mitglieder der Baath-Partei schiitisch waren, waren Sunniten in den oberen Rängen der Partei, im Militär und in den Sicherheitsdiensten überproportional vertreten. Sunniten stellen die Ent-Ba‘athifizierung wiederholt als „Ent-Sunnifizierung“ dar und beklagen, dass der Prozess zu einem Instrument konfessioneller Politik geworden ist (ICTJ 3.2013). Eine Vielzahl von ehemaligen Mitgliedern der seit 2003 verbotenen Ba‘ath-Partei ist, soweit nicht ins Ausland geflüchtet, häufig aufgrund der Anschuldigung terroristischer Aktivitäten in Haft. Viele von ihnen haben weder Zugang zu Anwälten noch Kontakt zu ihren Familien (AA 12.1.2019).

Das 2006 verabschiedete irakische „Ent-Ba‘athifizierungs"-Gesetz verbietet ehemaligen Mitgliedern der Partei und des Regimes, führende Positionen, einschließlich Parlamentssitze, zu bekleiden (Anadolu 2.4.2018). Vormalige Ba‘athisthen, zumeist Sunniten, sind daher von einer Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen (CEIP 25.2.2010; vgl. Anadolu 2.4.2018). 2008 hat das irakische Parlament das generelle Verbot für vormalige Ba‘athisten in Regierungspositionen zu arbeiten aufgehoben. Hochrangige Ba‘athisten blieben von Regierungspositionen ausgeschlossen (NYT 13.1.2008). Im Jahr 2016 stimmte das Parlament für die Verabschiedung eines Gesetzes, das „Entitäten, die sich zu Rassismus, Terrorismus, Sektierertum oder konfessionellen Säuberungen bekennen oder diese fördern", wie die Ba‘ath-Partei, jegliche politische Aktivität im Land verbietet (MEE 31.7.2016).

Es gab Vorfälle, bei welchen vormalige Regierungsmitglieder des Ba‘ath Regimes sowie Angehörige der Ba‘ath Partei zu Zielen von Übergriffen auf Eigentum und Gewaltakten wurden, in einigen Fällen auch von Morden. Oft sind die Gründe für diese Übergriffe nicht bekannt und können auch aufgrund einer angenommen IS-Angehörigkeit erfolgen, bzw. einen Stammes-, konfessionellen oder beruflichen Tathintergrund haben (UNHCR 5.2019). Allerdings berichteten etwa sunnitische Stammesführer über Übergriffe von PMF wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Regime von 2003 (CEIP 3.3.2016).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        Anadolu Agency (2.4.2018): Candidates barred from Iraq polls for Baath Party links, https://www.aa.com.tr/en/middle-east/candidates-barred-from-iraq-polls-for-baath-party-links/1106380, Zugriff 13.3.2020

?        CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (3.3.2016): The Sunni Predicament in Iraq, https://carnegie-mec.org/2016/03/03/sunni-predicament-in-iraq-pub-62924, Zugriff 13.3.2020

?        CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (25.2.2010): De-Baathification As A Political Tool: Commission Ruling Bans Political Parties and Leaders, https://carnegieendowment.org/2010/01/26/de-baathification-as-political-tool-commission-ruling-bans-political-parties-and-leaders-pub-24778, Zugriff 13.3.2020

?        EB - Encyclopaedia Britannica (o.D:) Ba?th Party, https://www.britannica.com/topic/Bath-Party, Zugriff 13.3.2020

?        EUISS - European Union Institute for Security Studies (10.2017): Meet Iraq’s Sunni Arabs: A strategic profile, https://www.iss.europa.eu/sites/default/files/EUISSFiles/Brief%2026%20Iraq%27s%20Sunnis_0.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        ICTJ - International Center for Transitional Justice (3.2013): A bitter legacy: Lessons of De-Baathification in Iraq, https://www.ictj.org/sites/default/files/ICTJ-Report-Iraq-De-Baathification-2013-ENG.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        MME - Middle East Eye (31.7.2016): Iraqi parliament votes to ban the Baath party, https://www.middleeasteye.net/news/iraqi-parliament-votes-ban-baath-party, Zugriff 13.3.2020

?        NYT - New York Times, The (13.8.2008): Iraq eases ban on ex-officials of Baath Party, https://www.nytimes.com/2008/01/13/world/africa/13iht-iraq.1.9169518.html, Zugriff 13.3.2020

?        UKHO - UK Home Office (1.2020): Country Policy and Information Note Iraq: Ba’athists, https://www.ecoi.net/en/file/local/2024163/Iraq_-_Baathists_-_CPIN_-_v2.0_-_January_2020_-_EXT.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        WI - Washington Institute (3.3.2016): The Future of the Iraqi Ba'ath Party, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/the-future-of-the-iraqi-baath-party, Zugriff 13.3.2020

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Letzte Änderung: 14.05.2020

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 4.3.2020). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.1.2019). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 21.6.2019).

Auch Frauen, die in politischen und sozialen Bereichen tätig sind, darunter Frauenrechtsaktivistinnen, Wahlkandidatinnen, Geschäftsfrauen, Journalistinnen sowie Models und Teilnehmerinnen an Schönheitswettbewerben, sind Einschüchterungen, Belästigungen und Drohungen ausgesetzt. Dadurch sind sie oft gezwungen, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder aus dem Land zu fliehen (UNHCR 5.2019). Im Jahr 2018 gab es einige Morden an Frauen, die in der Öffentlichkeit standen und als gegen soziale Gebräuche und traditionelle Geschlechterrollen verstoßend wahrgenommen wurden, darunter Bürgerechtlerinnen und Personen, die mit der Beauty- und Modebranche in Verbindung standen (FH 4.3.2020; vgl. UNHCR 5.2019).

Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe ist, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine „frühe Ehe" für sie vor (GIZ 1.2020b).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020b): Gesellschaft, https://www.liportal.de/irak/gesellschaft/, Zugriff 13.3.2020

?        UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (5.2019): International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/5cc9b20c4.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

Grundversorgung und Wirtschaft

Letzte Änderung: 14.05.2020

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).

Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.1.2019). Sie deckt nur etwa 60% der Nachfrage ab, wobei etwa 20% der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 17.9.2019). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.1.2019).

Wasserversorgung

Etwa 70% des irakischen Wassers haben ihren Ursprung in Gebieten außerhalb des Landes, vor allem in der Türkei und im Iran. Der Wasserfluss aus diesen Ländern wurde durch Staudammprojekte stark reduziert. Das verbleibende Wasser wird zu einem großen Teil für die Landwirtschaft genutzt und dient somit als Lebensgrundlage für etwa 13 Millionen Menschen (GRI 24.11.2019).

Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Insbesondere Dammprojekte der irakischen Nachbarländer, wie in der Türkei, haben großen Einfluss auf die Wassermenge und Qualität von Euphrat und Tigris. Der damit einhergehende Rückgang der Wasserführung in den Flüssen hat ein Vordringen des stark salzhaltigen Wassers des Persischen Golfs ins Landesinnere zur Folge und beeinflusst sowohl die Landwirtschaft als auch die Viehhaltung. Das bringt in den besonders betroffenen südirakischen Gouvernements Ernährungsunsicherheit und sinkenden Einkommensquellen aus der Landwirtschaft mit sich (EPIC 18.7.2017).

Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).

Nahrungsmittelversorgung

Etwa 1,77 Millionen Menschen im Irak sind von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen, ein Rückgang im Vergleich zu 2,5 Millionen Betroffenen im Jahr 2019 (USAID 30.9.2019; vgl. FAO 31.1.2020). Die meisten davon sind IDPs und Rückkehrer. Besonders betroffen sind jene in den Gouvernements Diyala, Ninewa, Salah al-Din, Anbar und Kirkuk (FAO 31.1.2020). 22,6% der Kinder sind unterernährt (AA 12.1.2019).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurden unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020)

Trotzdem ist das Land von Nahrungsmittelimporten abhängig (FAO 31.1.2020). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (UNFAO) schätzt, dass der Irak zwischen Juli 2018 und Juni 2019 etwa 5,2 Millionen Tonnen Mehl, Weizen und Reis importiert hat, um den Inlandsbedarf zu decken (USAID 30.9.2019).

Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019)

Das Sozialsystem wird vom sogenannten „Public Distribution System“ (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen (K4D 18.5.2018; vgl. USAID 30.9.2019). Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schwerer Ineffizienz gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch nur sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 11.3.2020).

[Anm.: Informationen zum Unterkünften können dem Kapitel 21 Rückkehr entnommen werden.]

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        EPIC - Enabling Peace in Iraq Center (18.7.2017): Drought in the land between two rives, https://www.epic-usa.org/iraq-water/, Zugriff 13.3.2020

?        Fanack (17.9.2019): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 18.2.2020

?        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (31.1.2020): Country Briefs, Iraq, http://www.fao.org/giews/countrybrief/country.jsp?code=IRQ, Zugriff 13.3.2020

?        FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020c): Irak - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 13.3.2020

?        GRI - Global Risk Insights (24.11.2019): Water Shortage and Unrest in Iraq, https://globalriskinsights.com/2019/11/water-shortage-and-unrest-in-iraq/, Zugriff 13.3.2020

?        HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2022678.html, Zugriff 13.3.2020

?        HRW - Human Rights Watch (22.7.2019): Irak: Wasserkrise in Basra, https://www.hrw.org/de/news/2019/07/22/irak-wasserkrise-basra, Zugriff 13.3.2020

?        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020

?        IOM - Internationale Organisation für Migration (o.D.): Iraq 2019, Humanitarian Compendium, https://humanitariancompendium.iom.int/appeals/iraq-2019, Zugriff 13.3.2020

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?        K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        OHCHR - Office of the High Commissioner for Human Rights (11.9.2019): Committee on the Rights of Persons with Disabilities discusses the impact of the armed conflict on persons with disabilities in Iraq, https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24976&LangID=E, Zugriff 13.3.2020

?        Rudaw (16.2.2020): ISIS caused massive spike in Iraq’s poverty rate, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/160220201, Zugriff 13.3.2020

?        USAID - Unites States Agency for International Development (30.9.2019): Food Assistance Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/iraq/food-assistance, Zugriff 13.3.2020

?        USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

?        WB - World Bank, The (12.2019): Unemployment, youth total (% of total labor force ages 15-24) (modeled ILO estimate), Iraq, https://data.worldbank.org/indicator/SL.UEM.1524.ZS?locations=IQ, Zugriff 13.3.2020

?        WB - World Bank, The (19.4.2019): Republic of Iraq, http://pubdocs.worldbank.org/en/300251553672479193/Iraq-MEU-April-2019-Eng.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        WKO - Wirtschaftskammer Österreich (18.10.2019): Die irakische Wirtschaft, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 13.3.2020

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 14.05.2020

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).

Quellen:

?        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020

?        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020

?        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf, Zugriff 13.3.2020

?        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 13.3.2020

1.4.2. EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Irak: Gezielte Gewalt gegen Individuen März 2019 (Auszug)

1.7 Ehemalige Mitglieder der Baath-Partei

Von 1968 bis 2003 regierte die arabisch-sozialistische Baath-Partei den Irak. Die Baathisten waren 1963 kurzzeitig an die Macht gekommen und hatten sie 1968 wiedererlangt. Seit dieser Zeit konzentrierte sich die Macht der Partei unter dem irakischen Führer Saddam Hussein.419 Die Partei folgte einer säkularen arabisch-nationalistischen Ideologie, und durch die Baath-Partei konzentrierte sich die Macht über das Land unter der Kontrolle einer „kleinen Elite, die durch Familien- und Stammesverbindungen verbunden war“ und weniger durch ideologische Überzeugungen. In den achtziger Jahren waren etwa 10 % der irakischen Bevölkerung Mitglieder der Partei.420 Die Baath-Partei wurde als „brutales autoritäres Regime“ beschrieben, das die Regierung und die militärischen Institutionen durchdrang, um die Macht über die Bevölkerung zu bewahren.421 Saddam Hussein und die Baath-Partei benutzten Gewalt, Tötung, Folter, Hinrichtung und verschiedene Formen der Unterdrückung, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Ein besonders bekannter Vorfall war der Giftgasanschlag auf das nordkurdische Dorf Halabja, der im Jahr 1988 verübt wurde. Dabei wurden 5 000 Menschen getötet und 10 000 irakische Kurden verletzt. Sie waren verdächtigt worden, dem Regime gegenüber nicht loyal zu sein.422

Nach dem Zusammenbruch des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003 wurde die Baath-Partei durch die 2005 verabschiedete neue Verfassung effektiv verboten.423 Ein vom irakischen Parlament im Juli 2016 verabschiedeter Gesetzesentwurf untersagt der arabisch-sozialistischen Baath-Partei formell, „jegliche politische, kulturelle, intellektuelle oder soziale Aktivität unter egal welchem Namen oder durch gleich welche medialen Kommunikationsmittel.“424

1.7.1 Der ISIL und ehemalige Baathisten

Renad Mansour berichtete, dass trotz eines verfassungsrechtlichen Verbots425 Reste der ehemaligen Baath-Partei im Jahr 2016 während des ISIL-Konflikts noch aktiv waren. Wie er erklärte, war „die Partei in zwei Richtungen gespalten“, und er merkte an,

dass „die erste Gruppe Anhänger von Izzat Ibrahim ad-Duri, dem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden von Saddams Kommandorat der irakischen Revolution, waren sowie vom Naqshbandi-Orden, einer Sufi-Sekte des sunnitischen Islams, die im Norden des Irak verbreitet war. Die zweite Gruppe wird von Mohammed Younis al-Ahmed angeführt, dem Chef der al-Awda, einer baathistischen Untergrundbewegung im Irak. Auf beide Gruppen wurden seitens der Zentralregierung Kopfgelder ausgesetzt, weshalb sie über illegale Netzwerke operieren. Beide Gruppen weisen gemeinsame Beziehungen zum ISIL auf.“426

[…]

Reuters berichtete in einem Artikel im Dezember 2015, dass ehemalige Beamte aus der Saddam-Zeit ein maßgeblicher Faktor für den Aufstieg des ISIL waren. Mehreren Quellen zufolge verstärkten die Baathisten die Spionagenetzwerke des ISIL und dessen Taktiken am Schlachtfeld und waren für das Überleben seines selbsternannten Kalifats maßgeblich. Laut Hisham al-Hashimi, einem irakischen Analysten, der mit der irakischen Regierung zusammengearbeitet hat, wurden aus den 23 Portfolios des ISIL – die mit Ministerien vergleichbar sind – drei der wichtigsten von ehemaligen Funktionären des Saddam-Regimes geführt, nämlich Sicherheit, Militär und Finanzen. Der Zusammenschluss der Baathisten mit dem ISIL ist eine vorteilhafte Verbindung, wie Reuters feststellt: „Ehemalige Baathisten, die mit dem ISIS zusammenarbeiten, wurden von Selbsterhaltung und einem gemeinsamen Hass auf die von Schiiten geführte Regierung im Irak getrieben.“432 Die Washington Post berichtete, dass die Anwerbung ehemaliger Baath-Funktionäre eine bewusste Strategie war, die unter der Aufsicht von ISIL-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi umgesetzt wurde.433 Der New York Times zufolge ermöglichte die Vereinigung mit den Baathisten, dass sich der ISIL zu einem „Hybrid aus Terroristen und einer Armee“ entwickeln konnte.434

1.7.2 Ent-Baathifizierung

Ein Bericht des International Center for Transitional Justice442 vom März 2013 definiert den Prozess der Ent-Baathifizierung im Irak als eine Reihe rechtlicher und administrativer Maßnahmen, die kurz nach dem Sturz des Saddam-Regimes im April 2003 mit dem Ziel eingeführt wurden, die Baath-Partei nicht erneut an die Macht gelangen zu lassen. Die Ent-Baathifizierung folgte einer breiten Strategie, durch die hochrangige Mitglieder der Baath-Partei aus dem öffentlichen Dienst beseitigt und die irakischen Streitkräfte und Sicherheitsdienste aufgelöst werden sollten. Während die schiitischen Parteien den Prozess unterstützten, sahen die Sunniten die Ent-Baathifizierung schließlich als „ein sektiererisches Instrument, das dazu eingesetzt würde, die Sunniten an einer Teilnahme am öffentlichen Leben zu hindern.“443 Die Ent-Baathifizierung als solche erwies sich als „äußerst verfehlter Prozess“, der die irakische Politik polarisierte und zu „einer deutlichen Instabilität im irakischen Militär und in der Regierung“444 beitrug. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass durch die Ent-Baathifizierungsmaßnahme im Mai 2003 insgesamt 400 000 Wehrpflichtige, Offiziere und Regierungsbeamte arbeitslos geworden sind.445 Nach Ansicht des GICJ hatte die Ent-Baathifizierung zur Folge, dass das Sektierertum legitimiert wurde, was bleibende negative Auswirkungen auf den Irak hatte.446 Human Rights Watch berichtete im Jahr 2015, dass es aufgrund der „historischen Animositäten“ zwischen den Schiiten und den Baath-Anhängern „scheint, als hätten die regierungsnahen Streitkräfte, die an militärischen Operationen gegen den IS beteiligt waren, den IS quasi mit der Baath-Partei zusammengeführt“, wobei der ISIL und die Kräfte, „die gegenüber der aufgelösten Baath-Partei loyal waren, sowie pensionierte ranghohe Offiziere, die unter Saddam Hussein gedient hatten“, miteinander vermengt wurden.447

Im Folgenden werden weitere Beispiele für den Umgang mit ehemaligen Baathisten gebracht.448

• Im März 2015 verbreiteten Milizkämpfer die Information, dass sie das in der Provinz Salah al-Din gelegene Dorf al-Dur niedergebrannt und zerstört hätten. Den Angaben der Milizmitglieder zufolge waren die Bewohner des Dorfes Baathisten und ISIL-Leute.449 Zur Zerstörung von Eigentum und dem Niederbrennen von Gebäuden durch Milizen kam es auch in den Dörfern al-Alam und al-Bu Ajil, angeblich weil die Einwohner mit de m ISIL kollaboriert hätten.450 Es wurde von erzwungenem Verschwinden und von Tötungen durch KH- und AAH-Truppen berichtet.451

• Im April 2015 plünderten Angehörige von Milizen, die mit Regierungstruppen verbündet waren, in den frisch befreiten Gebieten von Tikrit die Häuser von Zivilisten. „In den ersten 48 Stunden der Befreiung der Stadt Tikrit wurden im Stadtteil Zuhor, in der Itibba-Straße, in der Arbaeen-Straße sowie in den Stadtteilen Qadisiya, al-Asri und Shuhadaa mehrere Geschäfte und Häuser geplündert und in Brand gesetzt. Vom Nachmittag des 3. April bis in den Morgen des 4. April wurden angeblich weitere 700 Häuser geplündert und niedergebrannt. 200 weitere Häuser sollen in die Luft gesprengt worden sein – insbesondere die Häuser von ehemaligen Offizieren der irakischen Armee unter Saddam Hussein.“452

• Am 17. April 2015 wurde im Dorf al-Sankar im Bezirk Abu al-Khaseeb (Provinz Basra) ein sunnitischer Scheich aus dem Stamm al-Ghanim vor seinem Haus erschossen. Der Scheich war Berichten zufolge unter dem Regime von Saddam Hussein im Geheimdienst tätig gewesen.453

• Am 27. September 2015 wurde ein ehemaliges Mitglied der Baath-Partei in der Gegend von al-

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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