Entscheidungsdatum
08.10.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W109 2200812-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias 01.01.2001), StA. Afghanistan, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 30.05.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.03.2021 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 17.08.2016 stellte der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 17.08.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Nangarhar, habe drei Jahre die Schule besucht und zuletzt als Landarbeiter gearbeitet. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, in der Heimatregion sei die Sicherheitslage sehr schlecht. Taliban und Daesh seien dort sehr aktiv. Er sei einmal von den Taliban entführt und aufgefordert worden, mit ihnen zu kämpfen. Er habe aber kein Talibanmitglied werden wollen. Kurz vor seiner Flucht, hätte er seine Eltern nach Kabul gebracht, damit sie dort in Sicherheit seien. Er habe Angst gehabt, von den Taliban gefunden zu werden und sei deshalb geflüchtet. Ihr Haus sei angegriffen worden, seine Eltern hätten sogar einen Drohbrief bekommen.
Am 23.02.2018 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Taliban hätten ihn unter Druck gesetzt. Er sei mehrere Male wegen seines Schulbesuchs durch sie geschlagen worden. Er habe dann die Schule aufgeben und eine Koranschule besuchen müssen. Dort habe es einen Gelehrten gegeben, der über den heiligen Krieg gepredigt und für die Taliban gearbeitet habe. Dem Beschwerdeführer habe nicht gefallen, was dort gesagt worden sei. Sie hätten ihn unter Druck gesetzt. Er habe dann einfach entschieden, die Koranschule nicht mehr zu besuchen, ohne etwas zuhause zu sagen. Der Gelehrte sei dann nach etwa zwei Wochen zu ihnen nachhause gegangen und habe den Grund wissen wollen. Als er nachhause gekommen sei, hätten die Eltern gefragt, warum er von der Koranschule ferngeblieben sei. Er habe ihnen erzählt, was sie dort von ihm wollten und dass er Angst habe. Die anderen Burschen hätten einfach geschwiegen. Er sei dann im Dorf unterwegs gewesen, als er den Gelehrten angetroffen habe. Als er auf ihn einreden habe wollen, habe er ihn zurückgewiesen. Er habe dann gesagt, der Beschwerdeführer sei respektlos und er werde sich an ihm rächen. Jemand anderer habe diesen Gelehrten verraten, die Nationalarmee sei eingeschritten und habe den Gelehrten gefasst. Die Taliban hätten gedacht, dass der Beschwerdeführer dahinterstecke. Zuerst sei ein Drohbrief gekommen und kurz darauf ein zweiter. Die Taliban hätten in den Drohbriefen geschrieben, der Beschwerdeführer habe den Gelehrten verraten. Sie würden ihn nicht am Leben lassen. Der Gelehrte sei im Dorf angesehen und habe zwei Gesichter gehabt. Auf der einen Seite habe er die Taliban unterstützt und auf der anderen so getan, als wäre er ein einfacher Prediger. Sie hätten dem Beschwerdeführer gesagt, er solle sich am heiligen Krieg beteiligen. Es sei ungewiss gewesen, ob sie ihn zum Kämpfen geschickt oder anders verwendet hätten. Etwa 20 Tage nachdem der Gelehrte verhaftet worden sei, seien zwei Fahrzeuge vorgefahren und hätten den Beschwerdeführer und einen Freund zu Boden geworfen, sie seien bewaffnet gewesen. Sie hätten um Hilfe gerufen. Sie hätten den Freund geschlagen, sich auf den Beschwerdeführer gestürzt und ihn gefesselt. Sie hätten sie mit dem Auto weggebracht und in ein Zimmer gesperrt. Die Eltern und Nachbarn hätten das der Nationalarmee gemeldet. Etwa eine Woche später habe die Nationalarmee eine Operation durchgeführt. Als der Beschwerdeführer Schüsse gehört habe, habe er versucht, sich zu befreien. Die Soldaten hätten das Zimmer gestürmt und den Beschwerdeführer gefragt, ob er Talib sei. Er habe verneint und gesagt, von wo er herkomme. Sie hätten ihn zum Fahrzeug gebracht und ihn auf der Fahrt zum Heimartort entfesselt. Die Nationalarmee hätte ihn unter Verdacht gehabt und sei gelegentlich zur Kontrolle gekommen. Der Gelehrte sei freigekommen. Dann habe er einen zweiten Drohbrief erhalten. Sie hätten geschrieben, sich würden ihn erwischen und mit ihm abrechnen. Die Taliban hatten sich in den Bergen und in abgelegenen Regionen verschanzt. Dennoch seien sie nachmittags durch die Dörfer gezogen. Etwa zwei bis drei Wochen später hätten die Eltern beschlossen, nach Jalalabad zu ziehen. Dort habe sie jemand verraten. Sie hätten ein Drohschreiben bekommen. Die Taliban hätten überall verdeckte Leute. Dann hätten sie entschieden, dass sie nach Kabul wollten. Er habe dort ca. ein Monat verbracht. Man habe ihn auch dort aufgespürt. Der Gelehrte habe Rache geschworen. Über Bekannte und Verwandte habe die Gefahr bestanden, verraten zu werden. Die Eltern hätten ihm dann gesagt, er solle Kabul verlassen, weil er auch dort nicht in Sicherheit sei. Die Eltern seien in der Heimat (Nangarhar) zurückgeblieben, sie hätten ihn alleine nach Kabul geschickt.
Am 12.03.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Sicherheitslage in der Provinz Nangarhar sei schlecht. In Nangarhar würden besonders viele Kinder zwangsrekrutiert. Auch der IS rekrutiere in Nangarhar. In der Provinz Nangarhar würden besonders viele Kinder in Koranschulen radikalisiert. Mitglieder der Taliban würden dem Beschwerdeführer unterstellen, die Machenschaften seines Lehrers in der Koranschule an staatliche Seite verraten zu haben. Er werde im Fall einer Rückkehr von den Taliban aus politischen/religiösen Gründen verfolgt. Er sei bereits konkret ins Blickfeld der Taliban geraten. Aufgrund der landesweiten Aktivitäten sei im Falle einer Verfolgung durch regierungsfeindliche Kräfte eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht verfügbar. Der Beschwerdeführer habe keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Eine Neuansiedelung für einen alleinstehenden Minderjährigen ohne familiäres Netzwerk bringe jedenfalls immer eine drohende Art. 3 EMRK Verletzung mit sich. Die Versorgungslage sei miserabel.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 30.05.2018, zugestellt am 15.06.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft, der Beschwerdeführer habe lückenhafte und unplausible Angaben gemacht. Er habe widersprüchliche Angaben zur Erstbefragung gemacht. Eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz sei unzumutbar, jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul verfügbar.
3. Am 12.07.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die belangte Behörde habe sich nicht mit der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers auseinandergesetzt. Aus höchstgerichtlicher Judikatur werde eindeutig, dass Widersprüche aus der Erstbefragung besonders im Fall von Minderjährigen keine Unglaubwürdigkeit begründen. Die Behörde habe sich nicht mit dem Vorbringen anhand von relevanten Länderinformationen bezüglich Zwangsrekrutierung auseinandergesetzt. Dass die Aussagen des Beschwerdeführers vage gewesen seien, lasse sich dem Einvernahmeprotokoll nicht entnehmen. Die angeführten Widersprüche seien nicht ersichtlich. Die Länderberichte würden bestätigen, dass in Nangarhar ein reales Risiko der Zwangsrekrutierung bestehe. Der Beschwerdeführer sei aufgrund des von ihm gesetzten Verhaltens als politischer Gegner der radikalen Gruppierung der Taliban und des IS anzusehen. Ihm drohe aus politischen Gründen Verfolgung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Es sei in Afghanistan unmöglich, unterzutauchen. Der Beschwerdeführer könne aufgrund der Sicherheitslage nicht nach Nangarhar zurückkehre, Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul seien für junge Rückkehrer ohne Familie prekär. Die Behörde habe das Alter des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt. Der Beschwerdeführer sei gut integriert.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 03.12.2018, 163 Hv 84/18w, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall. Abs. 2a SMG, 15 SMG zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.
Mit Strafverfügung vom 13.12.2018 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 81 Abs. 1 SPG, § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 WLSG eine Geldstrafe von gesamt EUR 600,– verhängt.
Mit Straferkenntnis vom 02.01.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 82 Abs. 1 SPG, § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG eine Geldstrafe von gesamt EUR 190,– verhängt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 04.03.2019, 161 Hv 52/18z, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs. 2a SMG unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 03.12.2018, 163 Hv 84/18w, schuldig gesprochen. Von der Verhängung einer Zusatzstrafe wurde abgesehen und ihm nachträglich die Weisung erteilt, sich einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung zu unterziehen.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 12.10.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
Mit Ladung vom 04.02.2021 (OZ 13) brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende Länderberichte in das Verfahren ein:
• Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020,
• EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020
• EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020
• EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020
• UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien)
• EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance)
Weiters wurde dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Am 08.03.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, seine bevollmächtigte Rechtsvertreterin und ein Dolmetscher für die Sprache Pashtu teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat von den Taliban verfolgt, aufrecht und brachte eine schriftliche Stellungnahme in Vorlage, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, eine innerstaatliche Fluchtalternative sei aus individuellen Gründen, sowie insbesondere aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer verfüge nur über eine geringe Schulbildung, keine Fachausbildung oder relevante Berufserfahrung und sei nicht von einem sozialen Unterstützungsnetzwerk auszugehen. Mit Schreiben vom 12.04.2021 (OZ 16) brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Stand 01.04.2021 (in der Folge Länderinformationsblatt)
in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote (Basisbildungskurs, Workshops, etc.)
? Empfehlungsschreiben
? Therapiebestätigung der Boje
? Bestätigung eines Boxclubs
? Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau A2
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Er bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu. Er spricht auch Dari und Deutsch auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Der Beschwerdeführer ist gesund.
Der Beschwerdeführer stammt aus einem Dorf in der Provinz Nangarhar, Distrikt Shurkrod, wo er mit seinen Eltern im eigenen Haus lebte. Der Vater des Beschwerdeführers war Landwirt und bewirtschaftete ein eigenes Grundstück. Der Beschwerdeführer hat vier Jahre die Schule und zwei Jahre die Koranschule besucht und in der Landwirtschaft gearbeitet.
Der Beschwerdeführer hat keine Geschwister. Seine Eltern waren zuletzt in Nangarhar aufhältig, Kontakt besteht nicht. Der Beschwerdeführer hat zwei Onkel väterlicherseits, einen Onkel mütterlicherseits, zwei Tanten väterlicherseits und zwei Tanten mütterlicherseits. Sie alle leben in der Herkunftsprovinz.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 03.12.2018, 163 Hv 84/18w, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall. Abs. 2a SMG, 15 SMG zu einer unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt.
Der Beschwerdeführer hat am 29.10.2018 in Wien, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem Mittäter, vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Marihuana, auf einer öffentlichen Verkehrsfläche im unmittelbaren Nahebereich von zumindest zehn Personen, öffentlich gegen Entgelt, indem der Mittäter die Suchtgiftübergabe durchführte und der Beschwerdeführer die Übergabe abdeckte und Aufpasserdienste leistete,
I. überlassen, und zwar
1. Zwei Gramm in zwei Angriffen zum Gesamtpreis von EUR 20,–
2. Zwei Gramm an einen Käufer zum Preis von EUR 20,–
II. 3,2 g zu überlassen versucht, indem sie das Suchtgift an einen szenetypischen Ort zum unmittelbaren Weiterverkauf bei sich führten und nach Abnehmern Ausschau hielten.
Mildernd wurde berücksichtigt, dass es beim Versuch blieb, die untergeordnete Rolle bei der Tatbegehung und das Alter unter 21, erschwerend die Tatwiederholung.
Mit Strafverfügung vom 13.12.2018 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 81 Abs. 1 SPG, § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 WLSG eine Geldstrafe von gesamt EUR 600,-- verhängt.
Mit Straferkenntnis vom 02.01.2019 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 82 Abs. 1 SPG, § 1 Abs. 1 Z 2 WLSG eine Geldstrafe von gesamt EUR 190,-- verhängt.
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 04.03.2019, 161 Hv 52/18z, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgift nach § 27 Abs. 2a SMG unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 03.12.2018, 163 Hv 84/18w, schuldig gesprochen. Von der Verhängung einer Zusatzstrafe wurde abgesehen und ihm nachträglich die Weisung erteilt, sich einer ambulanten Entwöhnungsbehandlung zu unterziehen.
Der Beschwerdeführer hat am 26.05.2018 in Wien auf einer öffentlichen Verkehrsfläche in Anwesenheit von mehr als 20 Personen und somit unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet war, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, Suchtgift anderen gegen Entgelt
1. Überlassen, indem er einem Käufer drei Baggies mit 3,4g Cannabiskraut um EUR 30,– verkaufte;
2. Angeboten, indem er dem Käufer Ecstasy Tabletten (MDMA) zum Kaufen anbot;
3. Zu überlassen versucht, indem er weitere sechs Baggies mit Cannabiskraut und sieben Stück Ecstasytabletten (MDMA) an einem bekannten Suchgiftmittelplatz zum Verkauf bereit mit sich führte.
Mildernd wurden das Geständnis und der bisher ordentliche Lebenswandel, erschwerend die Tatwiederholung und das Zusammentreffen von Vergehen gewertet.
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise im August 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Er hat laufend Deutschkurse besucht. In den Jahren 2016-2018 hat der Beschwerdeführer zudem an einigen Workshops teilgenommen und einen Basisbildungslehrgang besucht. Im Dezember 2019 hat der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung, Sprachniveau A2 bestanden. Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2017 Mitglied in einem Boxclub, wo er regelmäßig am Training teilnimmt. In seiner Freizeit spielt der Beschwerdeführer außerdem Fußball und besucht ein Fitnessstudio. Diese Aktivitäten sind jedoch aktuell aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht möglich, weswegen der Beschwerdeführer zum Sport in den Park geht. Außerdem hat der Beschwerdeführer in Österreich soziale Kontakte geknüpft. Der Beschwerdeführer ist nicht erwerbstätig und bezieht Grundversorgung. Er möchte eine Lehre bzw. Ausbildung als Automechaniker machen.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer von den Taliban gezwungen wurde, in eine Koranschule zu gehen und dort hätte rekrutiert werden sollen. Es wird auch nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer von den Taliban entführt und festgehalten wurde, weil diese ihm unterstellt haben, dass er den in der Koranschule tätigen Mullah an die afghanischen Sicherheitsbehörden verraten hat.
1. 3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv und haben Afghanistan von 1996 bis 2001 regiert. Seit 2001 haben sie einige Grundprinzipien bewahrt, u. a. eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts in den von ihr kontrollierten Gebieten.
Seit dem Beginn des Abzuges internationaler Truppen am 01.05.2021 konnten die Taliban ihre Gebietskontrolle zunehmend ausweiten. So standen am 03.06.2021 90 Distrikte unter ihrer Kontrolle, während sich mit Stand 19.07.2021 229 Distrikte in Händen der Taliban befanden. Im Juli wurden auch wichtige Grenzübergänge erobert. Ende Juli/Anfang August kämpfte die Regierung gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gar und Kandahar. Im August 2021 beschleunigte sich der Vormarsch der Taliban, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen. Am 15.08.2021 haben die Taliban größtenteils friedlich Kabul eingenommen, alle Regierungsgebäude und Checkpoints der Stadt besetzt, den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der afghanische Präsident war zuvor außer Landes geflohen. Die Taliban lehnen die Demokratie und ihren wichtigsten Bestandteil, die Wahlen, generell ab. Ende August 2021 kündigten die Taliban an, eine Verfassung auszuarbeiten, jedoch haben sie sich zu den Einzelheiten des Staates, den ihre Führung in Afghanistan errichten möchte, bislang bedeckt gehalten. Im September 2021 kündigten sie die Bildung einer „Übergangsregierung“ an. Entgegen früherer Aussagen handelt es sich dabei nicht um eine „inklusive“ Regierung unter Beteiligung unterschiedlicher Akteure, sondern um eine reine Talibanregierung. Darin vertreten sind Mitglieder der alten Talibanelite, die schon in den 1990er Jahren zentrale Rollen besetzte, ergänzt mit Taliban-Führern, die im ersten Emirat noch zu jung waren, um zu regieren. Die allermeisten sind Paschtunen. Bezüglich der Verwaltung haben die Taliban Mitte August 2021 nach und nach die Behörden und Ministerien übernommen. Sie riefen die bisherigen Beamten und Regierungsmitarbeiter dazu auf, wieder in den Dienst zurückzukehren, ein Aufruf, dem manche von ihnen auch folgten.
Mit dem Vormarsch der Taliban haben Kampfhandlungen und konfliktbedingte Todesopfer drastisch zugenommen. Zwischen 01.01.2021 und 30.06.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Mitte August wurden über 3.750 zivile Opfer dokumentiert. Im Mai und Juli führte die Zunahme von Kampfhandlungen zu über 23.000 konfliktbezogenen Vorfällen, das sind beinahe doppelt so viele wie im Zeitraum Jänner bis April. Im Jahr 2021 wurden 550.000 Menschen intern vertrieben, 400.000 davon zwischen 01.05.2021 und Mitte August. Seit der Beendigung der Kämpfe zwischen den Taliban und den afghanischen Streitkräften ist die Zahl der zivilen Opfer deutlich zurückgegangen. Im August und September kam es zu Lokalen Kampfhandlungen, z.B. in Maidan Wardak und Daikundi. Anfang September kam es zudem zu schweren Kampfhandlungen im Panjshir-Tal, das die Taliban schließlich einnahmen.
Bereits vor der Machtübernahme intensivierten die Taliban gezielte Tötungen von wichtigen Regierungsvertretern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten Die Taliban kündigten nach ihrer Machtübernahme an, dass sie keine Vergeltung an Anhängern der früheren Regierung oder an Verfechtern verfassungsmäßig garantierter Rechte wie der Gleichberechtigung von Frauen, der Redefreiheit und der Achtung der Menschenrechte üben werden. Es gibt jedoch glaubwürdige Berichte über schwerwiegende Übergriffe von Taliban-Kämpfern, die von der Durchsetzung strenger sozialer Einschränkungen bis hin zu Verhaftungen, Hinrichtungen im Schnellverfahren und Entführungen junger, unverheirateter Frauen reichen. Einige dieser Taten scheinen auf lokale Streitigkeiten zurückzuführen oder durch Rache motiviert zu sein; andere scheinen je nach den lokalen Befehlshabern und ihren Beziehungen zu den Führern der Gemeinschaft zu variieren. Es ist nicht klar, ob die Taliban-Führung ihre eigenen Mitglieder für Verbrechen und Übergriffe zur Rechenschaft ziehen wird. Auch wird berichtet, dass es eine neue Strategie der Taliban sei, die Beteiligung an gezielten Tötungen zu leugnen, während sie ihren Kämpfern im Geheimen derartige Tötungen befehlen. Einem Bericht zufolge kann derzeit jeder, der eine Waffe und traditionelle Kleidung trägt, behaupten, ein Talib zu sein, und Durchsuchungen und Beschlagnahmungen durchführen. Die Taliban-Kämpfer auf der Straße kontrollieren die Bevölkerung nach eigenen Regeln und entscheiden selbst, was unangemessenes Verhalten, Frisur oder Kleidung ist. Frühere Angehörige der Sicherheitskräfte berichten, dass sie sich weniger vor der Taliban-Führung als vor den einfachen Kämpfern fürchten würden. Es wurde von Hinrichtungen von Zivilisten und Zivilistinnen sowie ehemaligen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Personen, die vor kurzem Anti-Taliban-Milizen beigetreten waren, berichtet. Während die Nachrichten aus weiten Teilen des Landes aufgrund der Schließung von Medienzweigstellen und der Einschüchterung von Journalisten durch die Taliban spärlich sind, gibt es Berichte über die Verfolgung von Journalisten und die Entführung einer Menschenrechtsanwältin.
Die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban auf die humanitäre Lage sind noch nicht klar. Bedingt durch im Jahr 2021 signifikant höhere Anzahl ziviler Opfer und Vertreibungen ist mit höherem humanitärem Bedarf zu rechnen. UN-Generalsekretär Guterres spricht von einer humanitären und ökonomischen Krise und warnt vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung.
Die Banken bleiben geschlossen. Die Vereinigten Staaten haben der Taliban-Regierung den Zugang zu praktisch allen Reserven der afghanischen Zentralbank in Höhe von 9 Mrd. $ verwehrt, die größtenteils in den USA gehalten werden. Auch der Internationale Währungsfonds hat Afghanistan nach der Eroberung Kabuls durch die Taliban den Zugang zu seinen Mitteln verwehrt. Die afghanische Währung ist auf ein Rekordtief gefallen. Dies hat die Preise in die Höhe getrieben. Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Öl und Reis sind innerhalb weniger Tage um bis zu 10-20 % gestiegen.
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.
Bereits die erhöhte Konfliktintensität der letzten Monate hat zu Störungen in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitig zu höherem Bedarf unter Verwundeten und intern Vertriebenen geführt. Die Konflikteskalation hat in Kombination mit Dürre und Überflutungen, der Coronavirus-Pandemie und konfliktbedingten Störungen des Zugangs zu humanitärer Hilfe die Lage im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung verschlechtert, über 9,1 Millionen Menschen sind akut von Mangelernährung betroffen. Der Zugang zu humanitärer Unterstützung bleibt weiter schwierig. Humanitäre Organisationen fürchten um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen, weswegen mit einer Unterbrechung ihrer Arbeit zu rechnen ist, bis Bedingungen mit den Taliban verhandelt sind. IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Muttersprache und sonstigen Sprachkenntnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben, die auch die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde legte. Die Feststellung zum spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum des Beschwerdeführers beruht auf dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachten zur Tatsachenfeststellung bezüglich Unterscheidung Minder- vs. Volljährigkeit (AS 49 ff.), dem der Beschwerdeführer nicht entgegentrat (AS 129). Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer sein Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau A2 vorgelegt (Beilage zu OZ 15).
Zu seinem Gesundheitszustand gab der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 an, er habe Probleme mit seinem Bein, konnte hierzu jedoch keinerlei medizinische Unterlagen in Vorlage bringen und gab auch lediglich an, er nehme manchmal Schmerzmittel (OZ 15, S, 4). Eine relevante gesundheitliche Beeinträchtigung ist hierdurch jedoch nicht belegt, sondern lediglich unsubstantiiert behauptet.
Die Feststellungen zu Lebensverhältnissen und Lebenswandel des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat beruhen auf seinen plausiblen Angaben.
Dass er keine Geschwister hat, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, ebenso, dass seine Eltern in der Herkunftsprovinz verblieben sind, sowie, dass er seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr zu ihnen hat. Die Feststellungen zu den weiteren Verwandten des Beschwerdeführers in Afghanistan beruhen auf seinen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 23.02.2018 (AS 135), die er in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 bestätigte (OZ 15, S. 6).
Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen und Verwaltungsstrafen des Beschwerdeführers beruhen auf dem im Akt einliegenden Strafregisterauszug, den ebenso aktenkundigen gekürzten Urteilsausfertigungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien (OZ 2 und 5) und der Strafverfügung bzw. dem Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien (OZ 3 und 4). Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bestätigte der Beschwerdeführer überdies, die Verwaltungsstrafen bezahlt zu haben (OZ 15, S. 8).
Das Antragsdatum des Beschwerdeführers ist aktenkundig, wobei Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise nicht hervorgekommen sind. Zu seinen Deutschkursen, Workshops etc. hat der Beschwerdeführer Teilnahmebestätigungen vorgelegt (AS 149 ff., Beilage zu OZ 15). Zum Boxclub hat der Beschwerdeführer ebenso eine Bestätigung vorgelegt (AS 197). Seine weiteren Freizeitaktivitäten hat der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 glaubhaft beschrieben (OZ 15, S. 7-8) und plausibel angegeben, dass seine sportlichen Aktivitäten aktuell nicht möglich sind. Hier gab er auch glaubhaft an, bereits Kontakte geknüpft zu haben und beschrieb seine beruflichen Pläne (OZ 15, S. 9). Dass der Beschwerdeführer Grundversorgung bezieht und nicht erwerbstätig ist, hat er selbst in der mündlichen Verhandlung bestätigt (OZ 15, S. 7) und geht dies auch aus dem im Akt einliegenden aktuellen Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem hervor.
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Im Hinblick auf das Fluchtvorbringen teilt das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis die Einschätzung der belangten Behörde, der zufolge dieses nicht glaubhaft ist. So erweist sich das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers als inkonsistent, widersprüchlich und vor dem Hintergrund der Länderberichte als nicht plausibel.
Zunächst ist den UNHCR-Richtlinien zu entnehmen, dass einerseits Fälle von Zwangsrekrutierung von Kindern zu einem großen Teil unzureichend erfasst würden, jedoch Rekrutierung und Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet würden. Im Hinblick auf regierungsfeindliche Kräfte berichtet UNHCR weiter, diese würden in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium oder die Bevölkerung ausüben würden, verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern nutzen, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Minderjährigen- und Zwangsrekrutierung, insbesondere a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 59-60). Die EASO Country Guidance berichtet, die Taliban würden nur in Ausnahmefällen auf Zwangsrekrutierung zurückgreifen. Sie würden etwa versuchen, Angehörige der ANS zu rekrutieren und wenn sie akut unter Druck stehen würden. Die Konsequenzen, wenn man nicht gehorcht, seien im Allgemeinen sehr ernst und würden eine Bedrohung der Familie, schwere körperliche Gewalt und die Ermordung umfassen. Relevant für ein Risiko der Zwangsrekrutierung sind der EASO Country Guidance zufolge das Alter, ein militärischer Hintergrund, Herkunftsregion und Präsenz der Taliban, erhöhte Konfliktintensität, die Position des Stammes im Konflikt und eine schwache sozioökonomische Stellung der Familie (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.6. Persons fearing forced recruitment by armed groups, Buchstabe a. Forced recruitment by the Taliban, S. 64). Das Länderinformationsblatt weist allerdings darauf hin, dass der Begriff der Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert wird und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sei nicht immer gewalttätig (Kapitel Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen, Abschnitt Taliban).
Aus dem vom Beschwerdeführer selbst mit seiner Beschwerde (in englischer Sprache) in das Verfahren eingebrachten EASO COI Report: Rekrutierung durch bewaffnete Gruppen von September 2016 geht hervor, dass die Taliban Religionsschule in Pakistan und Afghanistan nutzen würden, um Kinder zu rekrutieren und militärisch auszubilden. Eltern hätten in vielen Fällen angegeben, nicht mitbekommen zu haben, dass ihre Kinder eine militärische Ausbildung erfahren hätten (5.2.1.2 Schulen und Madrassas, S. 49). Die Schilderung des Beschwerdeführers, der zufolge er persönlich von den Taliban unter Druck gesetzt und mehrfach wegen seines Schulbesuchs geschlagen worden und schließlich eine Koranschule habe besuchen müssen, findet allerdings keine Deckung im eben zitierten Bericht. So wird hier geschildert, dass arme Familie insofern unter Druck gesetzt würden, ihre Kinder in Madrassas zu schicken, als dort Unterricht, Verpflegung und Unterbringung kostenlos seien. Eltern würden stillschweigend ermutigt. Ein weiterer Grund sei, dass wegen des Konfliktes viele Schulen geschlossen würden und die Entsendung eines Sohnes in die Madrassas einer Familie auch Schutz vor Taliban-Angriffen geben könne (5.2.1.2 Schulen und Madrassas, S. 49). Konkret zu Nangarhar wird zwar berichtet, dass die Taliban möglicherweise auf Gemeinschaften einen gewissen Druck ausüben müssen, damit diese in Form von Geld oder Kämpfern einen Beitrag leisten. Beschrieben wird jedoch, dass die Taliban an die lokalen Führer der Gemeinschaften herantreten und diese um Geld, Lebensmittel, andere Versorgungsgüter und Rekruten bitten (Kapitel 1.5.5 Nangarhar, S. 24-24). Der vom Beschwerdeführer beschriebene unmittelbare Zwang, zu Indoktrinationszwecken eine Koranschule zu besuchen, findet darin aber ebenso keine Deckung.
Auch die vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Festnahme des Mullahs geschilderten Ereignisse scheinen vor dem Hintergrund der Länderberichte als nicht plausibel. Zwar geht aus den UNHCR-Richtlinien hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte Zivilisten angreifen, die der Zusammenarbeit oder der „Spionage“ für regierungsnahe Kräfte, darunter die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte, verdächtigt werden (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe c) Zivilisten, die mit den afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräften/regierungsnahen Kräften verbunden sind oder diese vermeintlich unterstützen, S. 48). Auch die EASO Country Guidance berichtet von Angriffen auf Personen, die als die Regierung unterstützend oder als Spione wahrgenommen werden. Diese würden bedroht oder getötet (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.2 Government officials, including judges, prosecutors, and judicial staff; and those perceived as supporting the government, S. 59-60). Aus dem EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 geht im Detail hervor, dass mutmaßliche Spionage mit der Hinrichtung geahndet wird (Kapitel 2.6.2.2 Personen, denen die Unterstützung der Regierung oder Spionage angelastet werden, S. 28-29). Aus den Schilderungen des Beschwerdeführers ist allerdings nicht zu entnehmen, warum er überhaupt entführt und festgehalten worden sein will. So wäre vor dem Hintergrund der Länderberichte anzunehmen, dass der Beschwerdeführer nachdem er den Mullah verraten haben soll, der Spionage bezichtigt und hingerichtet würde. Der Beschwerdeführer behauptet jedoch, er sei mitgenommen und festgehalten worden, ohne in diesem Kontext ein abseits einer Bestrafung für den Verrat stehendes gegen seine Person gerichtetes Begehren angeben zu können, während eine Bestrafung in der Schilderung des Beschwerdeführers nicht stattfindet. Er gibt lediglich an, wenig zu essen bekommen zu haben (OZ 15, S. 6), ansonsten macht der Beschwerdeführer keine Angaben zur behaupteten einwöchigen Gefangenschaft. Auch, dass die Taliban, nachdem der Beschwerdeführer von Soldaten der Regierung befreit worden war, nochmals einen Drohbrief schicken, in dem sie dem Beschwerdeführer drohen, mit ihm abzurechnen und er nochmals zwei bis drei Wochen im Herkunftsdorf verblieb, obwohl er gleichzeitig behauptet, die Taliban seien nachmittags durch die Dörfer gezogen (AS 133), scheint nicht plausibel, insbesondere, wenn sich die Taliban – wie der Beschwerdeführer in seiner weiteren Erzählung behauptet – sogar die Mühe machen sollen, ihn auch in Jalalabad (OZ 15, S. 7) und später in Kabul aufzuspüren (AS 133).
Weiter erstattet der Beschwerdeführer kein im Kern gleichbleibendes Vorbringen. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme am 29.01.2018 durch die belangte Behörde noch an, der Freund, mit dem er unterwegs gewesen sei, sei von den Taliban brutal geschlagen und dann freigelassen worden. Dies sei gewesen, bevor ihn die Taliban weggebracht hätten (AS 134). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.03.2021 gab der Beschwerdeführer dagegen an, sie beide seien geschlagen und an einen unbekannten Ort mitgenommen worden (OZ 15, S. 6). Weiter gibt der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme an, sein Freund habe die Polizei informiert (AS 135), während er in der mündlichen Verhandlung schildert, seine Eltern und die Nachbarn seien bei der Armee gewesen und hätten dort Anzeige erstattet (OZ 15, S. 6). Weiter ist der Darstellung des Beschwerdeführers in der in der niederschriftlichen Einvernahme zufolge die gesamte Familie nach Jalalabad gezogen (AS 133), während der Beschwerdeführer kurz später in derselben Einvernahme bereits wieder angibt, seine Eltern seien in Nangarhar zurückgeblieben (AS 133) und auch in der mündlichen Verhandlung schildert, seine Eltern hätten ihn nach Jalalabad geschickt (OZ 15, S. 7).
Im Hinblick auf die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers im Fluchtzeitpunkt sowie im Zeitpunkt der niederschriftlichen Einvernahme ist anzumerken, dass an das Fluchtvorbringen Minderjähriger hinsichtlich der „Dichte“ und des Blickwinkels, unter dem die Schilderung erfolgt, keine normalen Maßstäbe angelegt werden dürfen. Allerdings ist die Inkonsistenz der Angaben des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der Länderberichte und insbesondere die Widersprüchlichkeit in wesentlichen Teilen des Handlungsablaufes mit der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht zu erklären.
Im Ergebnis kommt das Bundesverwaltungsgericht daher zu dem Schluss, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist.
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan sowie zur aktuellen Lage unter der Herrschaft der Taliban beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Version 5, Stand 16.09.2021, insbesondere Kapitel Politische Lage, Sicherheitslage, Grundversorgung und Wirtschaft und Medizinische Versorgung, auf dem EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation update von September 2021, auf der ACAPS, Afghanistan. Humanitarien impact and trends analysis von 23.08.2021 und der UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan von August 2021.
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Art. 6 Statusrichtlinie definiert als Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, den Staat (lit. a), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) und nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet Staatlichkeit der Verfolgung den Missbrauch einer aus der Gebietshoheit folgenden Herrschaftsmacht zum Zweck der Verfolgung oder, bei Vornahme von Verfolgungshandlungen durch Private, die Nichtausübung der Gebietshoheit zum Schutz vor Verfolgung (VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
Der Verwaltungsgerichtshof differenziert in ständiger Judikatur zwischen der per se nicht asylrelevanten Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei von der Verfolgung, die an die tatsächliche oder unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist daher, mit welcher Reaktion durch die Milizen aufgrund einer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, gerechten werden muss und ob in ihrem Verhalten eine (unterstellte) politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (19.04.2016, VwGH Ra 2015/01/0079 mwN).
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes reicht für die Annahme einer asylrechtlich relevanten Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung aus, dass eine solche politische Gesinnung zumindest unterstellt wird (vgl. etwa VwGH 06.05.2004, 2002/20/0156).
Gegenständlich konnte der Beschwerdeführer wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, nicht glaubhaft machen, dass die Taliban mit einem Rekrutierungsbegehren an ihn herangetreten sind bzw. ihn infolge eines ihm unterstellten Verrates verfolgt haben. Eine Verfolgungsgefahr im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung konnte der Beschwerdeführer daher nicht glaubhaft machen.
Im Ergebnis war die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides daher spruchgemäß abzuweisen.
3.2. Zur Stattgebung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (VwGH 30.01.2018, Ra 2017/20/0406).
Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 bzw 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes grundsätzlich nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüberhinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein „real risk“ vorliegt, wenn stichhaltige Gründe („substantial grounds“) dafürsprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko im Sinne des Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen („in the most extreme cases“) diese Voraussetzung erfüllt (EGMR 28.11.2011, 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen („special distinguishing features“), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (EGMR 28.11.2011, 8319/07; 11.449/07, Sufi und Elmi, Rz 217).
Auch im ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, 59.166/12, JK et al gg Schweden, beschäftigte sich der EGMR mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte insbesondere aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (Rz 91, 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (Rz 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (Rz 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (Rz 98).
Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art 15 lit. c Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) und umfasst – wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat – eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als „willkürlich“ erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (EuGH 17.02.2009, C-465/07, Elgafaji; 30.01.2014, C-285/12, Diakité).
Auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes sind von diesen Erwägungen getragen: Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0486).
Außerdem kann die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2016/01/0307 mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben sich die Asylbehörden und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht außerdem mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Die Verpflichtung hierzu finde sich auch im einschlägigen Unionsrecht (VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114).
UNHCR geht in seiner „UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan“ von August 2021 von einer rapiden Verschlechterung der Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes aus, zeigt sich besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, fordert alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes sicherzustellen. UNHCR hält es zudem nicht für angemessen, afghanische Staatsangehörige und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedelungsperspektive zu verwehren. Aufgrund der volatilen Situation in Afghanistan und die sich abzeichnende humanitäre Notlage fordert UNHCR die Staaten dazu auf, zwangsweise Rückführungen von afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan auszusetzen. Ein Moratorium solle bestehen bleiben, bis sich die Situation im Land stabilisiert habe und geprüft worden sei, wann die geänderten Umstände im Land eine Rückkehr in Sicherheit und Würde erlauben würde. Die Hemmung von zwangsweisen Rückführungen stelle eine Mindestanforderung dar, die bestehen bleiben müsse, bis sich die Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Afghanistan signifikant verbessert habe, sodass eine Rückkehr in Sicherheit und Würde von Personen, bei denen kein internationaler Schutzbedarf festgestellt wurde, gewährleistet werden kann.
Gegenständlich ist den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat zu entnehmen, dass es zuletzt zu einer starken Zunahme ziviler Opfer und einer Steigerung der Gewaltintensität gekommen ist, sowie dass die Lage im Herkunftsstaat seit Machtergreifung der Taliban höchst unübersichtlich und prekär ist. Insbesondere zeichnet sich im Hinblick auf die Versorgungslage eine Zuspitzung der Situation ab.
Daraus ergibt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auch unter Berücksichtigung der Position von UNHCR, dass die derzeitige Lage in Afghanistan für die Beschwerdeführenden die akute Gefahr einer Verletzung von Art. 2 bzw. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention mit sich bringt bzw. dass eine für die Beschwerdeführenden als Zivilperson ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts nicht auszuschließen ist. Eine Rückführung würde somit einen Verstoß gegen Art. 2 und 3 EMRK darstellen. Diese Beurteilung bezieht sich auf das gesamte Staatsgebiet.
Im Hinblick auf die strafgerichtlichen Verurteilungen und Verwaltungsübertretungen des Beschwerdeführers ist anzumerken, dass diese keinen der in § 8 Abs. 3a iVm 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorgesehenen Gründe für den Ausschluss von der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten verwirklichen.
Im Ergebnis war der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. daher stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.
3.2.1 Zur befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die Gültigkeitsdauer aus Anlass der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltsberechtigung sowie bei der Erteilung der verlängerten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ausgehend vom Entscheidungszeitpunkt festzulegen ist (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Den Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.04.2016, Ra 2015/05/0069 dahingehend präzisiert, dass bei Kollegialorganen der Zeitpunkt der Willensbildung (Beschlussfassung) und bei monokratischen Organen jener der Erlassung (Zustellung oder mündliche Verkündung) der Entscheidung maßgeblich ist (siehe auch Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 29 VwGVG [Stand 15.2.2017, rdb.at], Rz 17). Darauf, dass die rechtlichen Wirkungen eines Erkenntnisses (des Einzelrichters) erst mit dessen Zustellung eintreten, hat der Verwaltungsgerichthof auch im Zusammenhang mit der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 hingewiesen (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0281).
Auch gegenständlich entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, weswegen datumsmäßige Festlegung der einjährigen Gültigkeit