TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W185 2243326-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs5 Satz1
FPG §61

Spruch


W185 2243326-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Kosovo, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2021, Zl. 1094852804/210572209, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

Gemäß § 21 Abs. 5 Satz 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wird festgestellt, dass die Anordnung zur Außerlandesbringung zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides rechtmäßig war.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger aus dem Kosovo, stellte am 29.04.2021 nach irregulärer Einreise in das Bundesgebiet den verfahrensgegenständlichen Asylantrag.

Im Akt aufliegenden Eurodac-Treffermeldungen zufolge suchte der BF zuvor im Zeitraum von Mai 2012 bis September 2018 in Frankreich, in Deutschland, zwei Mal in Österreich und erneut in Frankreich um Asyl an. Am 17.07.2020 stellte der BF dann in den Niederlanden einen Antrag auf internationalen Schutz (NL“1“…).

Im Zuge der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.04.2021 gab der BF zusammengefasst an, der Einvernahme ohne Probleme folgen zu können und keine Medikamente zu benötigen. Drei seiner Brüder seine in Deutschland, seine geschiedene Gattin in Österreich aufhältig. Im Jahr 2017/2018 sei er nach einem negativen Bescheid von Österreich in den Kosovo abgeschoben worden. Er habe sich dann auch einige Monate in Serbien aufgehalten. Im Anschluss sei er illegal in die Niederlande gereist, wo er um Asyl angesucht und sich für etwa 7 Monate aufgehalten habe. Er habe die Niederlande dann verlassen müssen und sei selbständig nach Serbien gereist, wo er sich etwa 5 Monate lang aufgehalten habe. Sein Zielland sei Österreich gewesen; er habe hier bereits gearbeitet, kenne und liebe dieses Land. Vor 2 Tagen habe er Serbien verlassen und sei mittels eines PKW illegal nach Österreich gekommen. Bei der Durchreise durch Ungarn sei der BF nicht kontrolliert oder ED-behandelt worden. Er habe jedenfalls in Frankreich und in den Niederlanden Asylanträge gestellt; an weitere Asylanträge könne er sich nicht erinnern. In Frankreich und in den Niederlanden habe der Beschwerdeführer jeweils eine negative Entscheidung bekommen. Über den Aufenthalt in den genannten Ländern könne er „nichts“ sagen. Er habe großen Stress, sei vergesslich geworden und höre Stimmen, wogegen er Medikamente einnehme.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) richtete am 12.05.2021 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: „Dublin III-VO“) an Frankreich. Dies unter Bekanntgabe der Eurodac-Treffer der Kategorie „1“ mit Frankreich (2018) und den Niederlanden (2020) und den Angaben des BF, wonach er nach dem Verlassen der Niederlande für 5 Monate in Serbien aufhältig gewesen sei und in der Folge (erneut) in Österreich um Asyl angesucht habe. Es gebe keine Nachweise, dass der BF nach seiner Asylantragstellung in Frankreich das Territorium der Mitgliedstaaten wieder für mehr als 3 Monate verlassen hätte.

Am gleichen Tag richtete das Bundesamt ein Informationsersuchen gemäß Art 34 Dublin III-VO an die Niederlande.

Mit Schreiben vom 19.05.2021 teilte die niederländische Dublin-Behörde mit, dass der BF in den Niederlanden am 17.07.2020 um Asyl angesucht und am 04.08.2020 eine negative Entscheidung erhalten habe, gegen die der BF Beschwerde erhoben habe. Am 21.12.2020 habe ein Gericht die Beschwerde rk abgewiesen. Am 30.12.2020 sei der BF untergetaucht; seitdem gebe es keine Informationen den BF betreffend mehr (AS 117).

In der Folge richtete das Bundesamt am 19.05.2021 ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates an die Niederlande. Dies unter Hinweis auf die Eurodac-Treffer mit Frankreich (2018) und den Niederlanden (2020) und den Angaben des BF, wonach er nach dem Verlassen der Niederlande für 5 Monate in Serbien aufhältig gewesen sei. Es gebe keine Nachweise, dass der BF nach seiner Asylantragstellung in den Niederlanden das Territorium der Mitgliedstaaten wieder für mehr als 3 Monate verlassen hätte.

Am 20.05.2021 lehnte Frankreich die Wiederaufnahme des BF ab, da eine Zuständigkeit Frankreichs nicht bestehe, zumal die Niederlande nach Asylantragstellung des BF dort kein Wiederaufnahmegesuch an Frankreich gestellt hätten (AS 131).

Mit Schreiben vom 26.05.2021 stimmten die Niederlande der Wiederaufnahme des BF nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zu (AS 135).

Im Zuge der Einvernahme vor dem Bundesamt am 31.05.2021 gab der BF verfahrenswesentlich an, sich momentan geistig und körperlich in der Lage zu fühlen, die Einvernahme zu absolvieren. Die Frage, ob der BF an irgendwelchen Krankheiten leide und Medikamente benötige, verneinte dieser, legte unter einem jedoch medizinische Unterlagen vor. Er sei aufgrund von Magenbeschwerden eine Nacht stationär in einem Krankenhaus gewesen; dies sei aber nur „einmalig“ gewesen. Die Medikamente Risperidon 2mg und Frisium 10mg nehme er seit etwa 5 Jahren ein, da er Stimmen höre. Die Medikamente habe er in allen durchreisten Ländern und auch in Serbien, wo er lebe, erhalten und auch eingenommen. In den Niederlanden sei der BF nicht in ärztlicher Behandlung gewesen, habe dort jedoch die Medikamente bekommen und auch eingenommen. Aus medizinischen Gründen würde gegen eine Überstellung in die Niederlande seiner Ansicht nach die Tatsache sprechen, dass die Ärzte dort nicht so gut seien wie in Österreich; er glaube den Ärzten hier mehr als in den Niederlanden. Er sei bisher weder an Corona erkrankt, noch dagegen geimpft. In Österreich habe der BF keine familiären Bindungen; nur die Familie seiner Ex-Frau sei hier aufhältig. Ein Kontakt bestünde nicht. Besondere private Kontakte in Österreich habe der BF nicht. Richtig sei, dass er nach seiner Abschiebung im Jahr 2017 in Frankreich und in den Niederlanden um Asyl angesucht habe. Nach Österreich sei der BF deswegen erneut gekommen, da er als Homosexueller im Kosovo nicht leben könne und er hoffe auch, dass ihm in Österreich in Hinblick auf seine geistige Gesundheit „medizinisch geholfen“ werde. Nach Befragen erklärte der BF, in Österreich insgesamt etwa 8 Monate lang in Haft gewesen zu sein. Über Vorhalt der Zustimmung der Niederlande zu seiner Wiederaufnahme und der Absicht der Behörde, den Asylantrag des BF als unzulässig zurückzuweisen und diesen in die Niederlande zu überstellen, gab der BF zu bedenken, dass sein Asylantrag in den Niederlanden bereits abgelehnt worden sei. Es sei ihm nicht klar, warum er wieder in die Niederlande gehen dürfe. Wenn er nicht in Österreich bleiben könne, sei er bereit, in die Niederlande zurückzukehren. In den Niederlanden habe der BF keine konkreten Probleme gehabt, welche gegen eine Rückkehr dorthin sprechen würden.

Der BF legte folgende medizinisch relevanten Unterlagen vor:

-        Kopie der Medikamentenschachteln von Risperidon 2mg FTBl und Frisium 10mg FTBl inkl der Verordnung

-        Einen Laborbefund (Austrittsbefund)

-        Eine Aufenthaltsbestätigung über einen stationären Aufenthalt im Zeitraum von 25.05.2021 bis 26.05.2021 eines LKH`s, Medizinische Abteilung

-        Sowie den entsprechenden Entlassungsbrief des LKH vom 26.05.2021. Aufnahmegrund: Aufgeblähtes Abdomen und Erbrechen. Diagnose bei Entlassung: Obstipation; Medikation: 1 Beutel Molaxole bei Bedarf. Labor und Sono unauffälig.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d Dublin III-VO die Niederlande für die Prüfung des Antrags zuständig seien (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung in die Niederlande gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in den Niederlanden wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert und ungekürzt durch das Bundesverwaltungsgericht):

Zur Lage im Mitgliedsstaat:

COVID-19 Pandemie

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursacht. In den Niederlanden wurden bisher 1.674.694 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 17.895 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden. Es wurden bisher 8.840.874 Impfdosen verabreicht (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 31.05.2021).

Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 31.05.2021).

Allgemeines zum Asylverfahren

Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (AIDA 2.2017; vgl. GoN o.D.a, IND o.D.a für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        GoN – Government of the Netherlands (o.D.a): Asylum policy, https://www.government.nl/topics/asylum-policy, Zugriff 16.02.2018

-        IND – Immigration and Naturalisation Service (o.D.a): Asylum, https://ind.nl/en/asylum, Zugriff 16.02.2018

Dublin-Rückkehrer

Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren (allgemeines und erweitertes Verfahren) vor der niederländischen Einwanderungsbehörde (Immigratie-en Naturalisatiedienst – IND). Im Falle eines „take back“-Verfahrens kann der Asylwerber einen Folgeantrag stellen, der neue Elemente enthalten muss. Dieser wird wie der Folgeantrag eines Nicht-Dublin-Rückkehrers behandelt In „take charge“-Fällen kann der Rückkehrer einen Erstantrag stellen. (AIDA 2.2017).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

Non-Refoulement

Das Gesetz sieht die Freizügigkeit im Inland, die Reisefreiheit, das Recht auf Emigration und Wiedereinbürgerung vor, und die Regierung respektiert generell diese Rechte. Der Staat arbeitet mit dem Büro des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, Asylwerbern, Staatenlosen und anderen Betroffenen Schutz und Hilfe zu gewähren (USDOS 3.3.2017).

Nach einer endgültigen Ablehnung des Asylantrags ist eine Folgeantragsstellung möglich. Dies ergibt sich aus den Grundsätzen des Non-Refoulement-Prinzips der Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (AIDA 2.2017).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 – Netherland, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394769.html, Zugriff 16.02.2018

Versorgung

Gemäß Gesetz haben alle mittellosen Asylwerber ein Recht auf Unterbringung und materielle Versorgung ab Antragstellung (AIDA 2.2017). Die Zentralstelle für die Aufnahme von Asylwerbern (COA) ist für die Unterbringung und Versorgung der grundlegenden Bedürfnisse von Asylwerbern während ihres Asylverfahrens verantwortlich (COA o.D.b; vgl. AIDA 2.2017).

Asylwerber erhalten in der Regel eine monatliche finanzielle Unterstützung/Gutscheine in der Höhe von 296,24 Euro. Das wöchentliche Taschengeld variiert jedoch je nach Art der Unterbringung. Die Versorgung deckt die folgenden Leistungen und Kosten: Unterkunft; wöchentlicher Zuschuss für Nahrung, Kleidung und persönliche Ausgaben; Tickets für öffentliche Verkehrsmittel zum Besuch des Anwalts; Freizeitangebot und Bildungsaktivitäten (z.B. Vorbereitung für die Integrationsprüfung); Krankenversicherung; Haftpflichtversicherung; Sonderkosten (AIDA 2.2017).

Der Asylwerber darf für 24 Wochen im Jahr arbeiten. Daneben ist es für sie möglich, verschiedene Arbeiten in ihrer Unterbringung (z.B. Wartungs- und Reinigungsarbeiten) gegen wöchentliche Bezahlung in der Höhe von 14 Euro zu verrichten. Die Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit außerhalb des Unterbringungszentrums ist auch erlaubt (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.c).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        COA – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.b): Asylum seekers, https://www.coa.nl/en/asylum-seekers, Zugriff 16.02.2018

-        CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.c): Work and education, https://www.coa.nl/en/asylum-seekers/work-and-education, Zugriff 16.02.2018

Unterbringung

Es gibt in den Niederlanden insgesamt 106 Unterbringungszentren, mit 26.185 Plätzen. Es handelt sich dabei um:

•        Antragszentrum in Schipol (Aanmeldcentrum – AC): geschlossenes Zentrum im Grenzverfahren.

•        Zentrales Auffanglager Ter Apel (Centraal Opvanglocatie – COL): wo Asylanträge zu stellen sind. Aufenthalt max. 3 Tage.

•        4 Verfahrenszentren (Proces Opvanglocatie – POL): dient der Ruhe- und Vorbereitungsphase. Bei allgemeinem Verfahren bleibt der Asylwerber im POL.

•        Asylwerberzentren (Asielzoekerscentrum – AZC): hier werden erweiterte Verfahren geführt, aber auch Schutzberechtigte untergebracht, bis sie eine Wohnmöglichkeit finden.

•        Freiheitsbeschränkende Unterbringung (Vrijheidsbeperkende locatie – VBL): bis zwölf Wochen Unterbringung möglich, wenn der Fremde bei Organisation der Heimreise kooperiert; keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung.

•        8 Familienzentren (Gezinslocatie – GL): für Familien, die das Unterbringungsrecht verloren haben, da Kinder immer unterzubringen sind. Fokus liegt auf Rückkehr. keine geschlossene Unterbringung, aber Gebietsbeschränkung (AIDA 2.2017; vgl. CAO o.D.d).

Die Familienzentren wurden vom niederländischen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) kritisiert, da der eingeschränkte Zugang zu Versorgung mit den Regelungen über Kinderrechte nicht übereinstimmen (AIDA 2.2017).

Die zeitlich begrenzte und bedingte Unterstützung der niederländischen Regierung für abgelehnte Asylwerber gab weiterhin Anlass zur Besorgnis. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte kritisiert das Gesetz, welches die medizinische Versorgung, Bildung und Sozialhilfe für Asylwerber mit einem negativen Bescheid von deren Bereitschaft zur Rückkehr in das Herkunftsland abhängig macht (HRW 18.1.2018).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.d): Types of reception centres, https://www.coa.nl/en/reception-centres/types-of-reception-centres, Zugriff 16.02.2018

-        HRW – Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 – European Union, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422356.html, Zugriff 16.02.2018

Medizinische Versorgung

Asylwerber sind versichert und haben Anspruch auf medizinische Versorgung (GoN o.D.b). Die allgemeine medizinische Behandlung ist, soweit möglich, dieselbe wie für niederländische Bürger, erweitert um besonderes Augenmerk auf sprachliche und kulturelle Unterschiede, die Lebenssituation von Asylwerbern, das Asylverfahren und deren besondere Bedürfnisse (AIDA 2.2017; vgl. GZA o.D.a). Das Gesundheitszentrum für Asylwerber (GZA) ist die erste Anlaufstelle für Asylwerber in Gesundheitsangelegenheiten. Das GZA verfügt über zahlreiche Standorte in oder in der Nähe fast jedes Asylwerbezentrums. Ein Allgemeinmediziner, eine Krankenschwester und ein psychologischer Berater oder medizinischer Assistent stehen dort zur Verfügung (GZA o.D.b). Außerdem gibt es eine Telefon-Hotline, wo Fragen gestellt, Termine ausgemacht und Dolmetscher für die Untersuchungen bestellt werden können. Die Hotline steht rund um die Uhr bei Notfällen auch zur Verfügung (GZA o.D.c). Bei der Ankunft in Unterbringungszentrum wird eine medizinische Eingangsuntersuchung angeboten, um Behandlungserfordernisse frühzeitig zu erfassen (IND 8.2015). Eine Tuberkulosekontrolle ist jedoch für alle Asylwerber obligatorisch (COA o.D.e).

Asylwerber haben Zugang zu medizinischer Basisversorgung, darunter Zugang zu Allgemeinmedizin, Spitälern, Psychologen, Zahnmedizin (in extremen Fällen) und auf Tagesbasis Zugang zu psychiatrischen Kliniken. Es gibt eine Reihe spezialisierter Institutionen zur Behandlung von Asylwerbern mit psychischen Problemen (z.B. Phoenix). Zugang zu medizinischer Versorgung für Asylwerber in POL, COL, VBL und für Erwachsene in GL ist nur in Notfällen gewährleistet. Gesundheitsdienstleister bekommen Leistungen für irreguläre Migranten bei einer speziellen Stiftung ersetzt. Nach einer Untersuchung rief der Ombudsmann den Gesundheitsminister auf, den Zugang zu medizinischer Versorgung auch für Menschen ohne Aufenthaltstitel zu gewährleisten (AIDA 2.2017).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

-        AIDA – Asylum Information Database (2.2017): Country Report: Netherlands, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_nl_update.v_final.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        CAO – Central Organisation Shelter Asylum Seekers (o.D.e): Asylum seeker, https://ind.nl/en/asylum/Pages/Asylum-seeker.aspx, Zugriff 16.02.2018

-        GoN – Government of the Netherlands (o.D.b): Health insurance and residence permit, https://www.government.nl/topics/health-insurance/health-insurance-and-residence-permit, Zugriff 16.02.2018

-        GZA – Gzasielzoekers (o.D.a): I am asylum seeker, https://www.gzasielzoekers.nl/en, Zugriff 16.02.2018

-        GZA – Gzasielzoekers (o.D.b): About GZA, https://www.gzasielzoekers.nl/en/iamasylumseeker/aboutgza, Zugriff 16.02.2018

-        GZA – Gzasielzoekers (o.D.c): Going to the doctor, https://www.gzasielzoekers.nl/en/iamasylumseeker/goingtothedoctor, Zugriff 16.02.2018

-        IND – Immigration and Naturalisation Service (8.2015): Before your asylum procedure begins, https://ind.nl/documents/rvt_engels.pdf, Zugriff 16.02.2018

-        MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

Die Identität des BF stehe fest. Dieser sei ein volljähriger Staatsangehöriger aus dem Kosovo. Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF an schweren, lebensbedrohenden Krankheiten leiden würde, die einer Überstellung entgegenstehen würden. Er nehme seit etwa 5 Jahren Beruhigungstabletten; er höre Stimmen, sei jedoch nicht in psychiatrischer Behandlung. Die benötigten Medikamente habe der BF auch in den Niederlanden erhalten. Der BF könne keiner COVID-19-Risikogruppe zugeordnet werden. Die Niederlande hätten der Wiederaufnahme des BF nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt. Seit der Asylantragstellung in den Niederlanden im Juli 2020 habe der BF das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht wieder verlassen; entsprechende Hinweise würden nicht vorliegen. Der BF verfüge in Österreich über keine familiären oder privaten Anknüpfungspunkte. Zu seiner in Österreich lebenden geschiedenen Frau habe der BF keinen Kontakt. Der BF sei in der Vergangenheit in Österreich straffällig geworden und habe hier auch Haftstrafen verbüßt. Gegen den BF habe im Vorverfahren eine rk Rückkehrentscheidung und ein dreijähriges Einreiseverbot bestanden. Der BF habe zu den Länderfeststellungen zu den Niederlanden keine Stellungnahme abgegeben. Es sei auch keine Kritik an den Niederlanden vorgebracht worden; der BF habe angegeben, dorthin zurückkehren zu wollen. Die Unterbringung und Versorgung des BF im Falle einer Rückkehr seien gewährleistet, sein Verfahren dort werde fortgeführt. Im Zuge der Feststellung des für das Verfahren zuständigen Dublinstaates könne man sich nicht jenen Mitgliedstaat aussuchen, der seinen persönlichen Präferenzen am besten entsprechen würde. Der BF werde in den Niederlanden keiner unmenschlichen Behandlung oder Verfolgung ausgesetzt sein. Die Feststellungen zur Pandemie würden sich aus dem Amtswissen und die konkreten Daten aus den Angaben der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, ergeben, die ausführlich Daten rund um die Pandemie sammle, auswerte und zur Verfügung stelle. Die Feststellungen zum Virus SARS-Cov-2 würden sich aus dem vom BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als oberste Gesundheitsbehörde veröffentlichten Informationen ergeben. Ein schützenswertes Familienleben des BF bestehe in Österreich nicht, zumal familiäre Anknüpfungspunkte fehlen würden. Auch ein unzulässiger Eingriff in das Privatleben des BF liege nicht vor, zumal sich dieser erst wieder seit wenigen Wochen im Bundesgebiet aufhalte. Es sei davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung von Art 8 EMRK führe. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe nicht erschüttert werden können; ein zwingender Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 17 der Dublin III-VO habe sich nicht ergeben. Auch die aktuelle COVID-19-Pandemie erfordere keinen Selbsteintritt Österreichs. Der BF gehöre, wie gesagt, keiner Risikogruppe an; eine Ansteckung sei in Österreich als auch in den Niederlanden nicht auszuschließen. Ein „real risk“ einer Verletzung des Art 3 EMRK aufgrund der Pandemie drohe dem BF im zuständigen Mitgliedstaat nicht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 08.06.2021 fristgerecht eingebrachte, von der BBU GmbH verfasste, Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der BF seit 5 Jahren Risperidon und Frisium FTBl zur Behandlung seiner psychischen Probleme einnehmen müsse und hoffe, hier medizinische behandelt zu werden. Die Behörde habe sich zu Unrecht nicht näher mit den Erlebnissen des BF in den Niederlanden auseinandergesetzt; insbesondere habe dieser vorgebracht, dass dort die medizinische Versorgung nicht adäquat sei. Die herangezogenen Länderberichte seien unzureichend und auch nicht mehr hinreichend aktuell (Stand 2018). In den Niederlanden seien im Zeitraum von Juni bis August 2020 sechzig Fälle von Gewalt gegen Mitglieder der LGBTI-Community verübt worden; dies überwiegend von anderen Asylwerbern. Der BF sei aufgrund seiner Homosexualität und seiner psychischen Probleme als besonders vulnerabel anzusehen. Die Abschiebung des BF in die Niederlande würden diesen in seinen durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechten verletzen, weshalb zwingend vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen gewesen wäre. Aufgrund der Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens sei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Am 15.06.2021 wurde der BF im Behördenauftrag festgenommen. Am 21.06.2021 erklärte sich der BF mit seiner Überstellung in die Niederlande einverstanden. Am 13.07.2021 wurde der BF – ohne Vorkommnisse - auf dem Luftweg in die Niederlande überstellt.

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus dem Kosovo, reiste im April 2021 in das Bundesgebiet ein und suchte hier am 29.04.2021 (zum wiederholten Male) um internationalen Schutz an. Es liegen im Zeitraum von Mai 2012 bis September 2018 Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie „1“ mit Frankreich(zweimal), Deutschland und Österreich (zweimal) vor. Der letzte Eurodac-Treffer stammt zu den Niederlanden (17.07.2020).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl leitete Konsultationsverfahren mit Frankreich und den Niederlanden ein.

Am 20.05.2021 lehnte Frankreich die Wiederaufnahme des BF mangels eigener Zuständigkeit ab (AS 131).

Mit Schreiben vom 26.05.2021 stimmten die Niederlande der Wiederaufnahme des BF nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO letztlich ausdrücklich zu (AS 135).

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Niederlande an; aus den nach Bescheiderlassung veröffentlichten, gesamtaktualisierten Länderfeststellungen ergibt sich keine maßgeblich davon abweichende, für den BF nachteiligere Situation im Falle einer Rückkehr in die Niederlande (siehe auch weiter unten).

Konkrete, in den Personen des BF gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Überstellung in die Niederlande Gefahr laufen würde, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der BF leidet an keinen lebensbedrohenden Krankheiten. Er nimmt seit etwa 5 Jahren gegen psychische Probleme Medikamente ein; diese hat er auch in den Niederlanden erhalten. Es wurden keine psychiatrisch/psychologischen Befunde vorgelegt. Stationäre Aufenthalte waren diesbezüglich in Österreich nicht erforderlich. In den Niederlanden sind alle Krankheiten behandelbar und alle gängigen Medikamente erhältlich. Es besteht ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber in den Niederlanden, welche auch in der Praxis zugänglich ist.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründete keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des BF in die Niederlande. Die sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Der BF gehört keine Risikogruppe an. Mit Stichtag 18.10.2021 gab es in den Niederlanden insgesamt 2.793.422 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 18.656 Todesfälle (www.bing.com/covid/local/niederlande).

Besondere private, familiäre oder berufliche Bindungen des BF im Bundesgebiet bestehen nicht. Zu seiner angeblich in Österreich aufhältigen Ex-Gattin (und deren Familie) bestehen weder Kontakte noch liegen wechselseitige Abhängigkeiten vor.

Nach der negativen Entscheidung in den Niederlanden und vor Asylantragstellung in Österreich hat der BF das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht für mehr als 3 Monate wieder verlassen. Die Zuständigkeit der Niederlande ist nicht untergegangen.

Am 13.07.2021 kam es innert offener Frist zur Überstellung des BF in die Niederlande.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der wiederholten Asylantragstellungen des BF in den Mitgliedstaaten ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des BF in Zusammenschau mit den vorliegenden Eurodac-Treffermeldungen der Kategorie „1“ zu Frankreich (2x), Österreich (2x), Deutschland und den Niederlanden.

Die Feststellung bezüglich der Zustimmung der Niederlande zur Wiederaufnahme des BF nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO beruht auf dem Ergebnis des mängelfrei durchgeführten Konsultationsverfahrens, welches im Akt dokumentiert ist. Die im Rahmen des Konsultationsverfahrens vom Bundesamt kontaktierten Mitgliedstaaten Frankreich und Niederlande waren in Kenntnis aller entscheidungswesentlicher Daten.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat Niederlande resultiert aus den umfangreichen Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides und den vom Bundesverwaltungsgericht zusätzlich herangezogenen, gesamtaktualisierten Länderinformationen vom 01.10.2021. Die Situation von Dublin-Rückkehrern stellt sich demnach in den wesentlichen Belangen als unverändert dar. Verschlechterungen für Dublin-Rückkehrer, etwa im Hinblick auf den Zugang zum Asylverfahren, betreffend Refolumentschutz oder hinsichtlich Unterbringung und Versorgung, die zu einer abweichenden Beurteilung führen könnten, sind diesen Feststellungen nicht zu entnehmen. Dublin-Rückkehrer haben wie bisher Zugang zum Asylverfahren vor der zuständigen Behörde. So wie bisher können Dublin-Rückkehrer im „take-back“-Verfahren einen Folgeantrag stellen, welcher neue Elemente zu enthalten hat. Auch die Regelungen hinsichtlich Unterbringung und (medizinischer) Versorgung gewährleisten weiterhin einen hohen Standard (Näheres hiezu weiter unten).

Das Bundesamt hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in den Niederlanden auch Feststellungen zur dortigen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf Rückkehrer nach der Dublin-VO) samt dem jeweiligen Rechtschutz im Rechtsmittelweg getroffen.

Aus den im angefochtenen Bescheid in Zusammenschau mit den vom BVwG zusätzlich herangezogenen Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass das niederländische Asylwesen grobe systemische Mängel aufweisen würde. Insofern war aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere in Bezug auf die Durchführung des Asylverfahrens, die medizinische Versorgung sowie die Sicherheitslage von Asylsuchenden in den Niederlanden den Feststellungen der erstinstanzlichen Entscheidung zu folgen. Individuelle, unmittelbare und vor allem hinreichend konkrete Bedrohungen, welche den Länderberichten klar und substantiell widersprechen würden, hat der BF nicht dargetan. Eine den BF konkret treffende Bedrohungssituation in den Niederlanden wurde nicht ausreichend substantiiert vorgebracht (siehe auch unten).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF ergeben sich aus dessen diesbezüglichen Angaben und den vorgelegten medizinischen Schreiben. Der BF ist nicht immungeschwächt und gehört keiner COVID-19-Risikogruppe an. Es wurde diesbezüglich kein Vorbringen erstattet, welches geeignet wäre, den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu tangieren. Einem Bericht der zuständigen Amtsärztin vom 13.07.2021 ist weiter zu entnehmen, dass sich der BF im Zeitpunkt der Überstellung in einem guten psychischen und physischen Zustand befunden hat und uneingeschränkte Transportfähigkeit gegeben war.

Die getroffenen Feststellungen zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus ergeben sich aus unbedenklichen tagesaktuellen Berichten und Informationen (www.bing.com/covid/niederlande). Diesbezüglich wurden und werden in den einzelnen Ländern entsprechende Maßnahmen gesetzt (beispielsweise die Verhängung von Ausgangsbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen sowie teilweise die Vornahme von Grenzschließungen und Einschränkungen im Personen- und Warenverkehr), welche die Ausbreitung von Covid-19 hintanhalten und gleichzeitig die medizinische Versorgung der Bevölkerung – seien es nun eigene Staatsbürger oder dort ansässige Fremde – möglichst sicherstellen sollen. Für den Anwendungsbereich der Dublin III-VO bedeutet dies konkret, dass zahlreiche Mitgliedstaaten die Durchführung von Überstellungen temporär ausgesetzt hatten, respektive keine Dublin-Rückkehrer übernommen. Die Überstellung des BF in die Niederlande war – wie sich aus dem Akt zweifelsfrei ergibt - problemlos möglich.

Die festgestellten familiären und persönlichen Verhältnisse des BF beruhen auf den eigenen, nicht anzuzweifelnden des BF und dem Akteninhalt.

Die am 13.07.2021 erfolgte Überstellung des BF auf dem Luftweg in die Niederlande ergibt sich aus einem entsprechenden Bericht vom selben Tag.

Zum angeblichen fünfmonatigen Aufenthalt des BF in Serbien vor Antragstellung in Österreich:

Der BF hat angegeben, nach Erhalt der negativen Entscheidung in den Niederlanden das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten wieder für mehr als 3 Monate verlassen zu haben, was zu einem Untergang der Zuständigkeit der Niederlande geführt habe. Er habe sich etwa 5 Monate lang in Serbien aufgehalten, bevor er Ende April 2021 nach Österreich gekommen sei und hier am 29.04.2021 um Asyl angesucht habe. Zwar wäre nach dem Zeitrahmen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass der BF, wie er behauptet hat, nach Erhalt einer negativen Gerichtsentscheidung in den Niederlanden (Ende Dezember 2020) und vor Antragstellung in Österreich (Ende April 2021) das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten verlassen und sich für mehr als 3 Monate in Serbien aufgehalten hätte, wovon jedoch aufgrund folgender Erwägungen nicht auszugehen ist:

Vorweg ist festzuhalten, dass es sich beim BF offenkundig um einen „erfahrenen“ Asyltouristen handelt, welchem die grundsätzlichen Regelungen der Dublin-VO bis zu einem gewissen Grad geläufig sein dürften und er diese Kenntnisse, hier konkret zum Untergang der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates durch mehrmonatiges Verlassen des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten, für seine Ziele auszunützen versucht, indem er vorbringt, nach der negativen Entscheidung in den Niederlanden freiwillig nach Serbien ausgereist zu sein und sich dort für mehr als 3 Monate aufgehalten zu haben.

Nachweise für den behaupteten mehrmonatigen Aufenthalt in seiner angeblichen neuen Heimat Serbien konnte der BF nicht vorlegen. Ein solcher Aufenthalt wurde seitens des BF lediglich in den Raum gestellt, ohne hiezu nähere Ausführungen zu erstatten. In Anbetracht des behaupteten mehrmonatigen dortigen Aufenthaltes wäre zu erwarten, dass der BF zu detaillierten Angaben betreffend seinen dortigen Verbleib, wie etwa zu seinem konkreten Aufenthaltsort, zu seiner dortigen Unterkunft (Hotel, Wohnung, Unterkunft bei Bekannten etc), zur Finanzierung seines Aufenthaltes bzw Bestreitung seines Lebensunterhaltes etc., in der Lage sein müsste. All dies blieb jedoch zur Gänze im Dunkeln. Auch wäre davon auszugehen, dass sich hinsichtlich eines angeblich mehrmonatigen Aufenthalts Belege welcher Art auch immer finden müssten (etwa Tickets für öffentliche Verkehrsmittel, Telefonrechnungen, Rechnungen für Einkäufe, Mietzahlungen, Arztbesuche, Rechnungen für die benötigten Medikamente etc). Der BF hat jedoch in Hinblick darauf keinerlei Nachweise vorgelegt, was die Glaubhaftigkeit seiner diesbezüglichen Angaben jedenfalls nicht bestärkt.

Die Niederlande, die vom Bundesamt im Konsultationsverfahren explizit über die Angaben des BF zu seinem angeblichen fünfmonatigen Aufenthalt in Serbien in Kenntnis gesetzt wurden, haben zudem der Wiederaufnahme des BF nach Art 18 Abs 1 lit d Dublin III-VO ausdrücklich zugestimmt, was bei gegenteiligem Wissensstand nicht zu erwarten gewesen wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, unberührt.

Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBl I 144/2013).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn

1.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

2.       der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,

3.       …

und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

§ 21 Abs. 5 BFA-VG lautet:

§ 21 (5) Wird gegen eine aufenthaltsbeendende Maßnahme Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben und hält sich der Fremde zum Zeitpunkt der Erlassung der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet auf, so hat das Bundesverwaltungsgericht festzustellen, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig war. War die aufenthaltsbeendende Maßnahme nicht rechtmäßig, ist die Wiedereinreise unter einem zu gestatten.

§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.       dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder

2.       …

(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-Verordnung) lauten:

"Art. 3 Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Art. 7 Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Art. 13 Einreise und/oder Aufenthalt

(1)      Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.

(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

Art. 16 Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17 Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Artikel 18 Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats

(1)      Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:

a)       einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;

b)       einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

c)       einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;

d)       einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.

(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.

Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird.

In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird. In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Verfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht der Verwaltungsbehörde bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt die Zuständigkeit der Niederlande ergibt. Es war hierbei zudem eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, auf welcher Bestimmung die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaates beruht (VfGH 27.6.2012, U 462/12); dies freilich, sofern maßgeblich, unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10.12.2013 in der Rechtssache C-394/12; Shamso Abdullahi/Österreich und vom 07.06.2016 in der Rechtssache C-63/15; Mehrdad Ghezelbash/Niederlande.

Der EuGH sprach in seinem Urteil vom 10.12.2013, C-394/12, Shamso Abdullahi/Österreich Rz 60, aus, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO festgelegten Kriteriums zugestimmt hat, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC ausgesetzt zu werden.

Zudem hat der EuGH in seinem Urteil vom 07.06.2016, C-63/15, Gezelbash (Große Kammer), festgestellt, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen ist, dass [ … ] ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums [ … ] geltend machen kann.

Damit im Einklang steht das Urteil des EuGH ebenfalls vom 07.06.2016, C-155/15, Karim (Große Kammer), wonach ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten