Entscheidungsdatum
03.11.2021Norm
AVG §74Spruch
W169 2240153-1/16E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2021, Zl. 31777003-200355006, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.10.2021, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass sich die Erlassung der Rückkehrentscheidung auf § 52 Abs. 4 Z 1 FPG idgF iVm § 9 BFA-VG idgF stützt.
II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 52 Abs. 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird insoweit stattgegeben, als die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF auf acht Jahre herabgesetzt wird.
IV. Gemäß § 55 Abs. 2 FPG idgF beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
V. Der Antrag auf Kostenersatz wird gemäß § 74 AVG idgF iVm § 17 VwGVG idgF als unzulässig zurückgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 22.11.1995 bei der Österreichischen Botschaft in Neu-Delhi einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft, welcher ihm am 12.03.1996 vom Amt der Wiener Landesregierung erteilt wurde.
2. Auf Antrag vom 13.02.1998 wurde dem Beschwerdeführer am 16.03.1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt.
3. Am 18.06.2006 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX als junger Erwachsener wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt.
4. Am 30.06.2010 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen à EUR 4,- verurteilt.
5. Auf Antrag vom 26.07.2012 wurde dem Beschwerdeführer am 21.09.2012 ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ erteilt.
6. Am 29.05.2013 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1, erster und zweiter Fall sowie Z 2, dritter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 80 Tagsätzen à EUR 4,- verurteilt.
7. Am 22.11.2017 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels.
8. Am 28.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
9. Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 03.04.2018 wurde festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 1 NAG aufgrund der Straffälligkeit des Beschwerdeführers sein unbefristetes Niederlassungsrecht beendet sei und ihm nach Rechtskraft des Bescheides ein auf drei Jahre befristeter Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgestellt werde.
10. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 10.04.2019, Zl XXXX , wurde der Beschwerdeführer für eine Probezeit von drei Jahren am 11.05.2019 bedingt aus der Haft entlassen.
11. Die vom Beschwerdeführer gegen die Rückstufung seines Aufenthaltstitels eingebrachte Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Wien mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 26.04.2019 als unbegründet abgewiesen.
12. Am 17.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgefolgt.
13. Am 12.10.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 4 Z 2 SMG und des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die mit Beschluss des Landesgerichts XXXX zur Zl XXXX gewährte bedingte Entlassung widerrufen.
14. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 09.11.2020 wurde hinsichtlich des obgenannten Urteils dem Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 1 SMG Strafaufschub bis 31.10.2022 gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme, nämlich eine stationäre psychotherapeutische Behandlung in der Dauer von sechs Monaten und einer daran anschließenden ambulanten Behandlung, zu unterziehen.
15. Mit an der Meldeadresse des Beschwerdeführers hinterlegtem Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2021 wurde dieser über die Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot verständigt und ihm Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen und eine Reihe von Fragen zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten.
16. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2021 wurde gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien festgestellt (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und schließlich einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).
17. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte nach Wiederholung der bisher getätigten Angaben im Wesentlichen vor, dass er aufgrund seiner stationären Therapie nicht vom unter Punkt I.15. genannten Schreiben des Bundesamtes Kenntnis nehmen konnte, er in Österreich integriert sei und über eine Jobzusage verfüge. Hinsichtlich seiner strafgerichtlichen Verurteilungen wurde dargelegt, dass der Beschwerdeführer lediglich einmalig wegen des Verkaufs von Suchtmitteln verurteilt worden sei und es sich zudem nur um geringe Mengen von insbesondere Marihuana und Kokain gehandelt habe, weshalb keinesfalls von einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit gesprochen werden könne. Er sei aufgrund seiner Drogenabhängigkeit in die falschen Kreise geraten. Spätestens die letzte Verurteilung habe dem Beschwerdeführer nun die Augen geöffnet und er befinde sich aufgrund des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen XXXX in Therapie. Die belangte Behörde habe, auch aufgrund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens, die Kriterien des § 9 BFA-VG unrichtig abgewogen. Der Beschwerdeführer weise zudem keine Bezugspunkte zu Indien auf, weshalb zu befürchten sei, dass er dort ohne Beschäftigung und obdachlos wäre. Beantragt wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Gewährung von Kostenersatz.
Der Beschwerde beigelegt wurden Meldezettel des Beschwerdeführers und seiner Eltern, eine Einstellungszusage vom 02.03.2021, der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX über die Gewährung von Strafaufschub (s. Punkt I.14.), eine Bestätigung des Vereins „Grüner Kreis“ vom 02.03.2021 über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in einer stationären gesundheitsbezogenen Maßnahme sowie ein Gebühreneinzahlungsbeleg.
18. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.03.2021 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
19. Am 07.10.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unentschuldigt ferngeblieben. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinem Privat- und Familienleben, seiner Straffälligkeit und seinen Verhältnissen im Herkunftsstaat befragt (s. Verhandlungsprotokoll). Der Beschwerdeführer legte seinen abgelaufenen Reisepass (Beilage ./A) seine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (Beilage ./B), ein Dienstzeugnis (Beilage ./C), einen Versicherungsdatenauszug (Beilage ./D), ein Schulzeugnis (Beilage ./E), eine e-Card (Beilage ./F) sowie zwei Zwischenberichte zu seiner stationären Therapie beim Grünen Kreis (Beilage ./G) vor. Dem Beschwerdeführer wurden die aktuellen Länderberichte vorgehalten.
20. Am 21.10.2021 legte der Beschwerdeführer einen aktuellen Versicherungsdatenauszug, einen Abrechnungsbeleg vom August 2021, ein Abschlusszeugnis einer polytechnischen Schule aus 2007, eine aktuelle ambulante Therapiebestätigung, Reisepasskopien seiner Eltern und einen Meldezettel seines Vaters vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Indien und lebte bis zu seiner Ausreise in bzw. unmittelbar angrenzend an Neu-Delhi. Er spricht die Sprachen Hindi, Englisch sowie ein wenig Punjabi. Im Herkunftsstaat besuchte er fünf Jahre die Grundschule. Der Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und gesund. Er steht im erwerbsfähigen Alter. In Indien, zum Großteil in Neu-Delhi, leben mehrere Onkel und Tanten des Beschwerdeführers mit deren Familien, denen es finanziell gut geht. Er telefoniert bis zu drei Mal im Jahr mit ihnen. Der Beschwerdeführer war vom 27.02.2017 bis 22.03.2017 in Indien aufhältig. Ihm droht in Indien keine Verfolgung.
Der Beschwerdeführer stellte am 22.11.1995 bei der Österreichischen Botschaft in Neu-Delhi einen Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft, welche ihm am 12.03.1996 vom Amt der Wiener Landesregierung erteilt wurde. Auf Antrag vom 13.02.1998 wurde dem Beschwerdeführer am 16.03.1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erteilt. Auf Antrag vom 26.07.2012 wurde dem Beschwerdeführer am 21.09.2012 ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EG“ erteilt. Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 03.04.2018 wurde festgestellt, dass gemäß § 28 Abs. 1 NAG aufgrund der Straffälligkeit des Beschwerdeführers sein unbefristetes Niederlassungsrecht beendet ist und ihm nach Rechtskraft des Bescheides gemäß § 41a Abs. 5 NAG ein auf drei Jahre befristeter Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ausgestellt wird. Die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde wurde vom Landesverwaltungsgericht Wien mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 26.04.2019 als unbegründet abgewiesen. Am 17.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit einer Gültigkeitsdauer von drei Jahren ausgefolgt.
Der Beschwerdeführer ist seit 17.04.1996 durchgehend in Österreich gemeldet und rechtmäßig in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer hat nach seiner Einreise in Österreich eine Hauptschule besucht und am 28.06.2002 seine Schulpflicht beendet, wobei er die achte Schulstufe nicht erfolgreich abschloss. Erst am 04.05.2007 legte er erfolgreich die Externistenprüfung über die achte Schulstufe ab. Der Beschwerdeführer spricht fließend Deutsch. Er hat bis zu seiner Haft in einem Fußballverein gespielt. Er hat österreichische Freunde. Der Beschwerdeführer weist folgende Arbeitsverhältnisse auf: Von 05.04.2004 bis 18.05.2004 als Arbeiter der „ XXXX “, von 07.05.2007 bis 23.07.2007 als Angestellter der „ XXXX GmbH “, von 01.03.2008 bis 27.03.2008 als geringfügig beschäftigter Mitarbeiter der „ XXXX GmbH“, von 12.01.2009 bis 23.01.2009 als Angestellter der „ XXXX GmbH“, von 07.09.2009 bis 28.09.2009 als freier Dienstnehmer der „ XXXX GmbH“, von 29.09.2009 bis 31.03.2010 war der Beschwerdeführer selbstversichert, von 27.04.2010 bis 03.05.2010 arbeitete er als Angestellter der „ XXXX GmbH“, von 08.07.2010 bis 07.10.2010 als Angestellter der „ XXXX AG“, von 04.08.2012 bis 07.10.2012 sowie am 09.10.2012 war der Beschwerdeführer erneut selbstversichert, von 08.04.2013 bis 16.04.2013 war er Arbeiter der „ XXXX GmbH“ und von 20.01.2014 bis 12.02.2015 Arbeiter bei der „ XXXX . GmbH“. Seither ging er keiner Beschäftigung nach. Erst zuletzt war er wieder vom 10.08.2021 bis 31.08.2021 als Essenslieferant geringfügig beschäftigter Arbeiter für einen Subunternehmer der Firma „ XXXX “ und verdiente hierdurch EUR 290,31,-. Von Jänner 2005 bis April 2007, August bis Oktober 2008, im März 2009, von Oktober bis November 2012, von März bis April 2015, im April 2017, von November 2019 bis April 2020, im Dezember 2020 und zuletzt im August 2021 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld. Im Übrigen bestritt der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt seit 2012 auch durch Suchtgiftverkäufe. Er lebte von seiner Einreise bis September 2021, unterbrochen durch die Zeiten seiner Haft und stationären Therapie, im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seiner Großmutter. Seither wohnt er alleine in einer Mietwohnung zu einem Mietzins von EUR 720,-, der ihm von seinen Eltern finanziert wird. Der Beschwerdeführer erhält und erhielt auch sonst finanzielle Unterstützung von seiner Familie. Sein Vater arbeitet als Chauffeur bei der indischen Botschaft in Wien, seine Mutter hatte eine Firma und ist inzwischen in Pension. Ebenso im Bundesgebiet wohnen sein Onkel und ein Cousin seines Vaters jeweils mit ihrer Familie, mit denen der Beschwerdeführer in regelmäßigem Kontakt steht. Sein Onkel importiert Waren aus Indien, der Cousin seines Vaters betreibt zwei Restaurants. Es besteht kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis. Seine Eltern, sein Onkel und der Cousin seines Vaters sind österreichische Staatsbürger.
Am 18.06.2006 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX als junger Erwachsener wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt. Der Beschwerdeführer hat einen anderen dadurch, dass er ein Messer in seine Richtung hielt, gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen. Weiters hat der Beschwerdeführer durch Versetzen von Faustschlägen einen anderen vorsätzlich am Körper verletzt. Mildernd gewertet wurden das teilweise Geständnis und die Unbescholtenheit, erschwerend war das Zusammentreffen von zwei Vergehen.
Am 30.06.2010 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 50 Tagsätzen à EUR 4,- verurteilt. Der Beschwerdeführer hat vom 27.12.2007 bis 01.04.2008 wiederholt Cannabis für den persönlichen Gebrauch erworben und besessen. Mildernd gewertet wurden das Geständnis und die Unbescholtenheit, erschwerend war kein Umstand.
Am 29.05.2013 wurde der Beschwerdeführer vom Bezirksgericht XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1, erster und zweiter Fall sowie Z 2, dritter Fall, Abs. 2 SMG zu einer Geldstrafe von 80 Tagsätzen à EUR 4,- verurteilt. Der Beschwerdeführer hat am 28.08.2012 eine geringe Menge Cannabisblüten für den Eigengebrauch erworben und besessen sowie eine Cannabispflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung angebaut. Mildernd gewertet wurde das Geständnis, erschwerend war hingegen die einschlägige Vorstrafe.
Am 28.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter und sechster Fall, Abs. 4 Z 3 SMG, des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 zweiter Fall SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer hat vorschriftswidrig Suchtgift I./ in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge 1./ anderen überlassen, nämlich zwischen Jänner 2012 und seiner Festnahme am 11.05.2017 gesamt 42 Personen insgesamt ca. 979 Gramm Kokain, 7.142 Gramm Marihuana, 33 Gramm Haschisch und 2.223 Stück Ecstasy-Tabletten, 2./ anderen verschafft, und zwar zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt im Zeitraum Februar 2017 bis März 2017 einem anderen 25 Gramm Kokain, beinhaltend den Wirkstoff Cocain in einer Reinsubsatz von zumindest 20%, indem er ein Treffen zwischen seinem Lieferanten und dem anderen organisierte, bei dem sein Lieferant das Kokain um EUR 1.500,- dem anderen übergab, der das Kokain über Anweisung des Beschwerdeführers in Empfang nahm; II./ in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, und zwar der Beschwerdeführer am 11.05.2017 Amphetamin in einer Reinsubstanz von zumindest 2.29 Gramm, MDMA in einer Reinsubstanz von zumindest 223,8 Gramm, Kokain, beinhaltend den Wirkstoff Cocain in einer Reinsubstanz von zumindest 3,68 Gramm, und Marihuana, beinhaltend den Wirkstoff Delta-9-THC in einer Reinsubstanz von zumindest 0,87 Gramm und den Wirkstoff THCA in einer Reinsubstanz von zumindest 11,34 Gramm, indem er das Suchtgift in seiner Wohnung lagerte; III./ zum ausschließlich persönlichen Gebrauch besessen, und zwar der Beschwerdeführer im Zeitraum von Anfang 2016 bis zum 10.05.2017 Marihuana, beinhaltend den Wirkstoff Delta-9-THC und den Wirkstoff THCA, sowie Kokain, beinhaltend den Wirkstoff Cocain. Bei der Strafbemessung mildernd gewertet wurden das volle und umfassende Geständnis und die Sicherstellung, erschwerend waren hingegen das Zusammentreffen von einem Verbrechen und mehreren Vergehen, die einschlägigen Vorstrafen und der lange Zeitraum. Berücksichtigt wurde, dass der Beschwerdeführer zwar eine beträchtliche Menge Suchtgifte in Verkehr gesetzt hat, aber dies über Jahre hinweg quasi unter „Polizeiaufsicht“ (laufende Telefonüberwachung ohne entsprechendes Eingreifen) geschehen ist und der Beschwerdeführer kein „Großhändler“ sondern nur ein recht aktiver, aber doch nur „Kleindealer“ war.
Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom 10.04.2019, Zl XXXX wurde der Beschwerdeführer nach Ablauf der Zweidrittelstrafe für eine Probezeit von drei Jahren am 11.05.2019 bedingt aus der Haft entlassen.
Am 12.10.2020 wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen XXXX zur Zl. XXXX wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 4 Z 2 SMG und des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die mit Beschluss des Landesgerichts XXXX zur Zl XXXX gewährte bedingte Entlassung widerrufen. Der Beschwerdeführer hat zusammen mit drei Mittätern als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift I./ anderen Personen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, und zwar A./ die drei Mittäter des Beschwerdeführers am 20.04.2020 811 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 91,5% an den Beschwerdeführer zu einem nicht mehr feststellbaren Preis, wobei sie die Tat im Hinblick auf eine das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigende Menge begingen, B./ der Beschwerdeführer im Zeitraum von Oktober 2019 bis 20.04.2020 gewerbsmäßig eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 20% Cocain in wiederholten Angriffen einer anderen Person zum Preis von EUR 70,- pro Gramm; II./ in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, erworben und besessen, und zwar der Beschwerdeführer von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis zum 20.04.2020 811 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 91,5% Cocain, 132,7 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 91,6% Cocain, 107,3 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 90,7% Cocain, 2.582 Ecstasy Tabletten mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 35,7% MDMA, 232,4 Gramm Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,14% Delta-9-THC und zumindest 14,99% THCA, 138,3 Gramm Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 1,92% Delta-9-THC und zumindest 25,15% THCA und ein braunes Pulvergemisch mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 3,03% Acetylcodein, 50,3% Heroin und 1,18% Monoacetylmorphin. In den Entscheidungsgründen führte das Strafgericht zur kriminellen Vereinigung aus, dass die Angeklagten aufgrund ihrer tristen finanziellen Lage und der Beschäftigungslosigkeit sowie der Lukrativität des Suchtgifthandels den Entschluss fassten, ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Suchtgift im Rahmen einer kriminellen Vereinigung zu bestreiten. Dazu schlossen sich die vier Angeklagten zusammen, um im Rahmen dieses Zusammenschlusses über einen längeren Zeitraum, und zwar mehrere Jahre, wiederholt Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz zu verüben, insbesondere jeweils die Grenzmenge übersteigende Suchtgiftquanten anderen zu überlassen. Beim Beschwerdeführer mildernd gewertet wurden das reumütige Geständnis und die Sicherstellung des Suchtgifts, erschwerend gewertet wurden hingegen die einschlägigen Vorstrafen, das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen und die mehrfache Deliktsqualifikation.
Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 09.11.2020 wurde hinsichtlich des obgenannten Urteils dem Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 1 SMG Strafaufschub bis 31.10.2022 gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme, nämlich eine stationäre psychotherapeutische Behandlung in der Dauer von sechs Monaten und einer daran anschließenden ambulanten Behandlung zu unterziehen.
Der Beschwerdeführer war vom 29.12.2020 bis 27.06.2021 beim Verein „Grüner Kreis“ in stationärer psychotherapeutischer Therapie untergebracht. Der Beschwerdeführer war gut in die therapeutische Gemeinschaft integriert und bemüht, ein aktives Mitglied zu sein. Die ihm zugedachten Aufgaben- und Verantwortungsbereiche nahm er gewissenhaft wahr und hinsichtlich seiner Freizeitgestaltung fand er neue Beschäftigungsfelder. Er nutzte das Angebot der Gruppen- und Einzeltherapie. Es kann von einem Therapieeinstieg gesprochen werden, die kurze Therapiedauer erlaubte aber keine Festigung dieser Fähigkeiten. Der Beschwerdeführer befindet sich nun seit August 2021 für 18 Monate in ambulanter Therapie. Er muss einmal monatlich einen Harntest abgeben und telefoniert einmal wöchentlich mit seiner Psychotherapeutin in Form einer Gesprächstherapie.
Der Beschwerdeführer ist in etwa seit seinem 20. Lebensjahr drogenabhängig. Er beschreibt sich aktuell als nicht mehr abhängig. Der Beschwerdeführer hat sich bereits vor dem Landesverwaltungsgericht Wien im April 2019, somit vor seiner letzten strafgerichtlichen Verurteilung, als nicht mehr abhängig bezeichnet.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:
1. COVID-19
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
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2. Sicherheitslage
Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).
Indien und Pakistan
Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).
In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).
Indien und China
Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).
Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).
Indien und Bangladesch
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).
Indien und Nepal
Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).
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3. Rechtsschutz / Justizwesen
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 23.9.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (USDOS 30.3.2021; vgl. AA 23.9.2020). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung, vor Gericht häufig nicht frei aussagen (AA 23.9.2020). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 23.9.2020; vgl. FH 3.3.2021).
Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 3.3.2021). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberste Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 9.2020).
Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre. Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen erlaubt die Inhaftierung ohne Anklage oder aufgrund von vage definierten Vergehen (FH 3.3.2021). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei mit Todesstrafe bedrohten Delikten, soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 23.9.2020).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 23.9.2020).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem bzw. zwei Jahren (in Fällen des Public Safety Act) ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind nicht bekannt (AA 23.9.2020).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es ist nicht unüblich, dass Häftlinge misshandelt werden, in einigen Fällen sogar mit Todesfolge. Folter durch Polizeibeamte, Armee und paramilitärische Einheiten bleibt häufig ungeahndet, weil die Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 23.9.2020).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities Prevention Act (UAPA)", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 30.3.2021).
Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein. Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben ges