TE Vfgh Erkenntnis 2021/9/27 E4337/2020

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Veröffentlicht am 27.09.2021
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Index

40/01 Verwaltungsverfahrensgesetze außer Finanz- und Dienstrechtsverfahren

Norm

B-VG Art144 / Allg
EMRK Art10
AVG §34 Abs3
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit betreffend die Verhängung einer Ordnungsstrafe wegen beleidigender Schreibweise durch die Formulierungen "arrogantes Verhalten" sowie "Inkompetenz"; Sachlichkeit der rechtfertigenden Kritik im Kontext des Verfahrensablaufes

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Burgenland ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid der Landespolizeidirektion Burgenland vom 21. September 2020 wurde über den Beschwerdeführer gemäß §34 Abs3 AVG eine Ordnungsstrafe in der Höhe von € 200,– verhängt, die mit dem angefochtenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland vom 28. Oktober 2020 bestätigt wurde.

Die der Ordnungsstrafe zugrunde liegende Eingabe des Beschwerdeführers an die Landespolizeidirektion Burgenland – ein Einspruch in einem Verwaltungsstrafverfahren – erfolgte per E-Mail und weist nachstehende von der Behörde und dem Landesverwaltungsgericht Burgenland als beleidigende Schreibweise qualifizierte Passagen auf:

"Meine Wortwahl war angemessen gegenüber dem arroganten Verhalten des Beamten Herrn R[…] in der Einlaufstelle" sowie

"Und wenn sie mit der Wahrheit nicht umgehen können so tut mir das nicht wirklich leid denn wenn ich drei mal den Beamten erklären muss was ich möchte und brauche und jedesmal das falsche erhalte gibt es dafür nur ein Wort 'Inkompetenz'".

2. In seinem Erkenntnis führte das Landesverwaltungsgericht Burgenland unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ordnungsstrafen aus, dass der Beschwerdeführer mit seiner Wortwahl in seiner Eingabe an die Behörde den Boden sachlicher Kritik überschritten habe und seine Ausführungen beleidigend im Sinne des §34 Abs3 AVG seien.

Es sei evident, dass die in der schriftlichen Eingabe gewählte Ausdrucksweise herabsetzend und verunglimpfend und zum Zweck einer entsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig sei. Die Formulierungen seien daher nicht auf die Sache beschränkt. Vielmehr sei die dahinterstehende Kritik nicht in einer den Mindestanforderungen des Anstandes entsprechenden Form, die im Verkehr mit Behörden geboten sei, dargebracht worden, sondern habe diese deutlich überschritten. Von einer gerechtfertigten Kritik könne bei Verwendung der Worte "arrogantes Verhalten des Beamten Herrn R[…]" sowie "dessen 'Inkompetenz'" daher nicht mehr gesprochen werden. Die Ausführungen des Beschwerdeführers seien mit einer Ordnungsstrafe zu ahnden, um ihn in Zukunft von der Setzung eines weiteren ordnungswidrigen Verhaltens gegenüber Behörden abzuhalten und damit den Anstand im schriftlichen Verkehr mit Behörden zu wahren.

3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer die als beleidigende Schreibweise qualifizierten Formulierungen in einem Einspruch gegen eine Strafverfügung vorgebracht habe, die gegen ihn wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber den Mitarbeitern der Landespolizeidirektion Burgenland ergangen sei. Er habe damit lediglich sein Verhalten, das zur Strafverfügung geführt habe, rechtfertigen wollen, indem er dargelegt habe, dass er sich in einem bei der Landespolizeidirektion Burgenland anhängigen Verwaltungsverfahren von einem Mitarbeiter unrichtig betreut gefühlt sowie sein Verhalten als anmaßend und hochmütig empfunden habe. Auch sei das Verfahren seiner Ansicht nach nicht korrekt abgewickelt worden, weshalb er die fachliche Kompetenz des Mitarbeiters bezweifelt habe. Der Beschwerdeführer habe somit lediglich Kritik an dem von ihm als unrichtig und rechtswidrig empfundenen Behördenverhalten geäußert, was in einer demokratischen Gesellschaft möglich sein müsse.

4. Dem Ersuchen des Verfassungsgerichtshofes gemäß §20 Abs3 VfGG, die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorzulegen, wurde nach Ablauf der Vorlagefrist Folge geleistet.

II. Rechtslage

§34 AVG lautet wie folgt:

"Ordnungsstrafen

§34. (1) Das Verwaltungsorgan, das eine Verhandlung, Vernehmung, einen Augenschein oder eine Beweisaufnahme leitet, hat für die Aufrechterhaltung der Ordnung und für die Wahrung des Anstandes zu sorgen.

(2) Personen, die die Amtshandlung stören oder durch ungeziemendes Benehmen den Anstand verletzen, sind zu ermahnen; bleibt die Ermahnung erfolglos, so kann ihnen nach vorausgegangener Androhung das Wort entzogen, ihre Entfernung verfügt und ihnen die Bestellung eines Bevollmächtigten aufgetragen werden oder gegen sie eine Ordnungsstrafe bis 726 Euro verhängt werden.

(3) Die gleichen Ordnungsstrafen können von der Behörde gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen.

(4) Gegen öffentliche Organe und gegen Bevollmächtigte, die zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt sind, ist, wenn sie einem Disziplinarrecht unterstehen, keine Ordnungsstrafe zu verhängen, sondern lediglich die Anzeige an die Disziplinarbehörde zu erstatten.

(5) Die Verhängung einer Ordnungsstrafe schließt die strafgerichtliche Verfolgung wegen derselben Handlung nicht aus."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung.

2. Nach Art10 Abs1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Vom Schutzumfang dieser Bestimmung, die das Recht der Freiheit der Meinung und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten und Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden einschließt, werden sowohl reine Meinungskundgaben als auch Tatsachenäußerungen, aber auch Werbemaßnahmen erfasst (VfSlg 14.218/1995, 17.586/2005, 20.014/2015 und 20.340/2019).

Art10 Abs2 EMRK sieht allerdings im Hinblick darauf, dass die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes und der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten oder zur Gewährleistung des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.

3. Ein verfassungsrechtlich zulässiger Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung muss sohin, wie auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgesprochen hat (s zB EGMR 26.4.1979, Fall Sunday Times, EuGRZ1979, 390; 25.3.1985, Fall Barthold, EuGRZ1985, 173), gesetzlich vorgesehen sein, einen oder mehrere der in Art10 Abs2 EMRK genannten rechtfertigenden Zwecke verfolgen und zur Erreichung dieses Zweckes oder dieser Zwecke "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein (vgl VfSlg 12.886/1991, 14.218/1995, 14.899/1997, 16.267/2001 und 16.555/2002).

Nach §34 Abs3 AVG können von der Behörde Ordnungsstrafen gegen Personen verhängt werden, die sich in schriftlichen Eingaben einer beleidigenden Schreibweise bedienen. Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt weiterhin nicht, dass diese Bestimmung als eine Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit gelten kann, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung notwendig ist und daher unter dem Blickwinkel des Art10 EMRK unbedenklich ist (so schon VfSlg 13.035/1992 mwN).

4. Die angefochtene Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland kann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit demnach nur dann verletzen, wenn es §34 Abs3 AVG in dem Sinne denkunmöglich angewendet hat, dass es dieser Bestimmung einen verfassungswidrigen, insbesondere Art10 Abs2 EMRK widersprechenden Inhalt unterstellt hat.

5. Dies wirft die Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Burgenland hier zu Recht vor:

Ausgehend von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 13.035/1992 dargelegt, dass eine beleidigende Schreibweise im Sinne des §34 Abs3 AVG dann vorliegt, wenn eine Eingabe ein unsachliches Vorbringen enthält, das in einer Art gehalten ist, die ein ungeziemendes Verhalten gegenüber der Behörde darstellt. Eine solche Vorschrift dient der Wahrung des Anstandes im Verkehr mit Behörden (vgl etwa auch neuere Entscheidungen des VwGH 1.9.2017, Ra 2017/03/0076, und 20.3.2014, 2012/08/0014).

Nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland hat der Beschwerdeführer mit den Ausführungen in seiner Eingabe den Boden sachlicher Kritik verlassen und die den Mindestanforderungen des Anstandes im Verkehr mit der Behörde entsprechende Form deutlich überschritten.

Mit dieser Einschätzung verkennt das Landesverwaltungsgericht Burgenland, dass der Beschwerdeführer mit seinen Ausführungen lediglich sein – wie der Beschwerde zu entnehmen ist – ihm als ungebührlich vorgeworfenes Verhalten gegenüber der Behörde in seinem Einspruch gegen die Strafverfügung begründen bzw rechtfertigen wollte, womit sich die Ausführungen des Beschwerdeführers im gegebenen Kontext ihrem Inhalt nach nicht als unsachlich erweisen.

Der Verfassungsgerichtshof vermag auch in den Formulierungen des Beschwerdeführers keine die Mindestanforderungen des Anstandes überschreitende Form zu erkennen. Den gewählten Formulierungen "arrogant" und "Inkompetenz" kommt zwar eine negative Bedeutung zu, sie beschreiben jedoch unter den gegebenen Umständen aus der Sicht des Beschwerdeführers das Verhalten bzw die Vorgehensweise eines Mitarbeiters der Behörde, die ein den Beschwerdeführer betreffendes Verwaltungsverfahren führte, und sind keine Formulierungen, die die gebotene Form im schriftlichen Verkehr mit Behörden derart überschreiten, dass sie als "beleidigende Schreibweise" im Sinne des §34 Abs3 AVG zu qualifizieren wären. Derartige Formulierungen mit verfahrenspolizeilichen Maßnahmen zur Wahrung des Anstandes im Behördenumgang zu belegen, ist in einer demokratischen Gesellschaft zur Aufrechterhaltung der Ordnung nicht notwendig; sie sind vielmehr hinzunehmen (vgl auch VfSlg 13.035/1992; VwGH 20.3.2014, 2012/08/0014, und 27.10.1997, 97/17/0187).

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Ordnungsstrafe, Verwaltungsverfahren, Meinungsäußerungsfreiheit, Ehrenbeleidigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E4337.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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