TE Vwgh Beschluss 2021/11/18 Ra 2021/18/0318

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.2021
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §18 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des G M, vertreten durch Mag. Gudrun Stangl, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schottenring 19, diese vertreten durch Dr. Erich Gmeiner, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Apostelgasse 36/10, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 2021, W246 2214558-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein der Volksgruppe der Hazara zugehöriger afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 9. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er und seine Schwester von den Taliban gefangen genommen und anschließend wieder freigelassen worden seien. Nach seiner Freilassung sei eine Bombe neben ihm explodiert und er sei ins Krankenhaus gekommen. Letztlich hätten die Taliban ihn aufgefordert, erneut zu ihnen zu kommen. Der Revisionswerber wies zudem auf seine starke Hörminderung hin.

2        Mit Bescheid vom 17. Jänner 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. August 2021 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers betreffend die Versagung des Status des Asylberechtigten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und erklärte die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Das BVwG führte begründend - soweit hier maßgeblich - aus, der Revisionswerber habe eine gegen ihn gerichtete Verfolgung aufgrund der von ihm behaupteten Vorfälle seitens der Taliban nicht glaubwürdig darlegen können, und verneinte außerdem eine Gruppenverfolgung in Hinblick auf die Volksgruppe der Hazara. Zudem würden dem Revisionswerber keine asylrelevanten Verfolgungshandlungen aufgrund seiner Behinderung drohen.

5        Die gegenständliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe es unterlassen, ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, und damit keine vollständige Aufklärung des Sachverhalts vorgenommen. Die Einholung eines Gutachtens wäre notwendig gewesen, um festzustellen, dass beim Revisionswerber eine starke Behinderung vorliege, weshalb eine entsprechende Behandlung und Therapie notwendig wären. Eine derartige Behandlung sei in Afghanistan nicht gewährleistet, weshalb dem Revisionswerber der Status des Asylberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Zudem sei hervorgekommen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers den Tatsachen entspreche. Es liege noch keine Rechtsprechung zu der Frage vor, ob bei Anzeichen einer Behinderung zwingend ein Sachverständigengutachten einzuholen sei.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Die Revision bringt vor, dass das BVwG ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Feststellung einer starken Behinderung des Revisionswerbers hätte einholen müssen. Dazu ist festzuhalten, dass das BVwG unter Berücksichtigung der umfangreichen vom Revisionswerber vorgelegten medizinischen Unterlagen sowie nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck feststellte, dass der Revisionswerber u.a. an einer Schilddrüsenunterfunktion, einer chronischen Mittelohrentzündung an beiden Ohren und einer starken Hörminderung leide, sich aber trotz Hörminderung verständigen könne. Zudem leide er an Depressionen und sei auch medizinisch behandelt worden. Das BVwG gelangte unter Berücksichtigung der vorliegenden persönlichen Umstände und der Länderberichte zur Lage von Personen mit Behinderungen in Afghanistan zum Ergebnis, dass dem (volljährigen) Revisionswerber (mit Berufserfahrung) keine asylrelevante Verfolgung „in Form von schwerwiegenden Verletzungen grundlegender Menschenrechte bzw. eine Entziehung jeglicher Existenzgrundlage“ aufgrund seiner Behinderung drohe.

11       Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 26.11.2019, Ra 2019/14/0276, mwN). Welche konkreten Tatsachen sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten und vom BVwG nicht berücksichtigt worden seien, legt die Revision in ihrem Zulassungsvorbringen indessen nicht dar (vgl. VwGH 22.2.2021, Ra 2020/18/0537, mwN).

12       Zum Vorbringen der Revision, das BVwG habe es unterlassen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass im Verfahren kein darauf gerichteter Beweisantrag gestellt wurde. Das Revisionsvorbringen ist daher vor diesem Hintergrund dahingehend zu verstehen, dass der Revision zufolge das BVwG von Amts wegen ergänzende Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Revisionswerbers hätte tätigen sollen.

13       Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, begründet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern stellt eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 7.6.2021, Ra 2021/18/0192). Dass dem BVwG bei dieser Beurteilung ein vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifender wesentlicher Verfahrensmangel unterlaufen wäre und dem BVwG unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Beweisergebnisse die amtswegige Einholung eines psychiatrischen Gutachtens „erforderlich“ im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 erscheinen musste, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.

14       Die Ausführungen im Zulässigkeitsvorbringen der Revision dahingehend, dass eine entsprechende Behandlung des Revisionswerbers in Afghanistan nicht möglich wäre, legen nicht dar, dass das BVwG unter Berücksichtigung der vorliegenden persönlichen Umstände sowie vor dem Hintergrund der in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur Lage von Personen mit Behinderungen in Afghanistan, zu Unrecht das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner Behinderung (über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hinaus) verneinte. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Revisionswerber jedoch ohnedies bereits unter Berücksichtigung seiner körperlichen Einschränkungen mit Bescheid des BFA zuerkannt und war nicht mehr Gegenstand des weiteren Verfahrens.

15       Schließlich vermag die Revision mit ihrem Vorbringen gegen die Beweiswürdigung des BVwG nicht darzulegen, dass die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts, welches sich mit seinem Vorbringen zu seinen körperlichen Beeinträchtigungen auseinandersetzte, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2021/18/0091, mwN).

16       Da das BVwG somit in nicht zu beanstandender Weise eine drohende Verfolgung des Revisionswerbers aufgrund seiner Behinderung im Herkunftsstaat im asylrechtlichen Sinne verneint hat, braucht auf die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen eine solche einem Konventionsgrund zuzuordnen wäre, nicht näher eingegangen zu werden.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 18. November 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021180318.L00

Im RIS seit

10.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.12.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten