Entscheidungsdatum
18.11.2021Index
50/01 GewerbeordnungNorm
GewO 1994 §79 Abs1Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Dünser über die Beschwerde der AA, vertreten durch BB, Adresse 1, **** Z, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 17.12.2018, Zl ***, betreffend die Vorschreibung der Vorlage eines Sanierungskonzepts zur Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen, nach Durchführung von zwei öffentlichen mündlichen Verhandlungen,
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17.12.2018, Zl ***, wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 79 Abs 3 GewO 1994 aufgetragen, der Behörde ein Sanierungskonzept zur Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen, hervorgerufen durch die Liefervorgänge und Manipulationen mittels händisch und elektrisch betriebenen „Ameisen“ sowie elektrisch betriebenen Hubstaplern, bei den in **** Z, Adresse 2, im 1. Stock wohnhaften Nachbarn, zur Genehmigung vorzulegen.
Der vorstehend angeführte Bescheid wurde der Beschwerdeführerin zuhanden deren rechtsfreundlichen Vertreter nachweislich am 10.01.2019 zugestellt.
Gegen diesen Bescheid vom 17.12.2018, Zl ***, brachte die Beschwerdeführerin, vertreten durch BB in **** Z, mit Schriftsatz datierend vom 06.02.2019, eine Beschwerde ein und verneinte die Notwendigkeit eines Sanierungskonzeptes.
Mit Schreiben vom 15.02.2019, beim Landesverwaltungsgericht Tirol eingelangt am 01.03.2019, sowie mit Ergänzungsschreiben vom 11.03.2019, hat die belangte Behörde den Gegenstandsakt mit dem Ersuchen um Entscheidung über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 17.12.2018, Zl ***, dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat mit Schreiben vom 25.03.2019, Zl LVwG-2019/15/0431-2, ein lärm-/immissionstechnisches Gutachten in Auftrag gegeben und den Amtssachverständigen um Feststellung der Hintergrundgeräusche durch Messung sowie um Messung der durch den Betrieb bedingten Zusatzbelastung ersucht. Der Amtssachverständige übermittelte mit Eingabe vom 26.06.2019 das Gutachten datierend vom 21.06.2019.
Mit einem ergänzenden Gutachtensauftrag vom 27.08.2019, Zl LVwG-2019/15/0431-4, wurde der Amtssachverständige ersucht, den Inhalt des vorzulegenden Sanierungskonzeptes zu konkretisieren. Seitens des Landesverwaltungsgerichts Tirol erging der Hinweis, dass ein Auftrag nach § 79 Abs 3 GewO 1994 die betrieblichen Sanierungsziele möglichst genau zu umschreiben hat, die mit Hilfe des vorzulegenden Sanierungskonzepts erreicht werden müssen. Der Amtssachverständige wurde ersucht, einen bestimmten Emissionswert zu formulieren, mit welchem der Gesundheitsschutz bei den relevanten Immissionspunkten eingehalten werden kann.
Mit Eingabe vom 07.10.2019 übermittelte die Amtsärztin unter Bezugnahme auf das Ersuchen des Landesverwaltungsgerichts vom 27.08.2019, Zl LVwG-2019/15/0431-4, an den gewerbetechnischen Amtssachverständigen, die medizinische Stellungnahme vom 30.09.2019. Die Stellungnahme enthält eine Empfehlung aus medizinischer Sicht, wonach die Sanierungsmaßnahmen dazu führen sollten, dass die betriebsbedingte Erhöhung der örtlichen Verhältnisse unabhängig von der Emissionsquelle an den Immissionspunkten weniger bis maximal + 1,5 dB beträgt.
Der gewerbetechnische Amtssachverständige übermittelte seine Stellungnahme, datierend vom 25.10.2019, mit Eingabe vom 30.10.2019 an das Landesverwaltungsgericht und führte im Ergebnis aus, dass bei einer maximalen Erhöhung der örtlichen Verhältnisse von 1,5 dB, die Beurteilungspegel, welche durch den Betrieb der AA hervorgerufen werden, im Ausmaß von maximal 55,5 dB (auf der Terrasse) bzw 18 dB (in den Schlafräumen) zulässig sind.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol hat in gegenständlicher Sache am 17.12.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, dem Landesverwaltungsgericht ein konkretes Bild der Betriebsanlage dahingehend zu übermitteln, dass ausgehend von konkreten Umsatzzahlen, konkreten LKW-Fahrbewegungen und konkreten Tonnage-Angaben konkretisiert wird, wie viele und welche Manipulationsvorgänge in der Betriebsanlage tatsächlich stattfinden.
Die in der mündlichen Verhandlung aufgetragene Präzisierung der Betriebsabläufe (samt Planbeilage) wurde nach mehrmaliger Fristerstreckung mit Äußerung vom 02.06.2020 an das Landesverwaltungsgericht Tirol übermittelt und mit Schreiben vom 10.06.2020, Zl LVwG-2019/15/0431-13, an den gewerbetechnischen Amtssachverständigen mit dem Ersuchen um Neuberechnung der Lärmemissionen und Immissionen weitergeleitet. Dieser hat sich mit ergänzender Stellungnahme vom 15.10.2020 dazu geäußert.
Mit Schriftsatz vom 22.12.2020 äußerte sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen zu dem gewerbetechnischen und dem medizinischen Gutachten und teilte zusammengefasst mit, dass die im Gutachten vertretene Ansicht, wonach die Annahme einer 11-minütigen Manipulation pro Stunde für die Berechnung und Prognose für eine durchschnittliche Betriebsstunde plausibel und schlüssig sei, nicht geteilt werde. Weiters sei der Umgebungslärm nicht ordnungsgemäß und in Übereinstimmung mit den Vorgaben der ÖAL Richtlinie erhoben worden. Zudem sei der Auftrag, ein Sanierungskonzept vorzulegen, nicht gerechtfertigt und zum Schutz gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmender Interessen nicht erforderlich, dies begründet die Beschwerdeführerin mit den Ergebnissen des ihrerseits eingeholten Privatgutachtens des CC vom 12.12.2020. Abschließend führte die Beschwerdeführerin aus, dass durch den Einsatz eines neuen Hubwagens der Firma DD eine Minderung des von den Hubwagen verursachten Lärms von weit über 10 dB, eher 15 dB, im Vergleich zu den bisher im Einsatz stehenden Hubwägen erreicht werden könne.
Der vorstehend angeführte Schriftsatz der Beschwerdeführerin samt Privatgutachten wurde dem gewerbetechnischen Amtssachverständigen sowie der Amtsärztin mit Schreiben vom 18.01.2021 mit dem Ersuchen um ergänzende Stellungnahme übermittelt.
Seitens des gewerbetechnischen Amtssachverständigen wurde der Messbericht vom 12.03.2021 sowie die Stellungnahme vom 15.03.2021 beim Landesverwaltungsgericht eingereicht. Die Amtsärztin äußerte sich mit Stellungnahme vom 20.04.2021.
Am 13.07.2021 hat eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung stattgefunden in deren Rahmen sich die Amtsärztin, der gewerbetechnische Amtssachverständige, der Sachverständige CC, der Vertreter der Beschwerdeführerin und deren rechtsfreundlicher Vertreter, geäußert haben. Mit Schreiben des Landesverwaltungsgericht Tirol vom 21.07.2021 wurde den Parteien des Verfahrens die beabsichtigte weitere Vorgehensweise zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme eingeräumt, von welcher die Beschwerdeführerin Gebrauch machte, und sich mit Schriftsatz vom 03.08.2021 äußerte.
II. Sachverhalt:
Der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.12.2018, Zl ***, gemäß § 79 Abs 3 GewO 1994 aufgetragen, ein Sanierungskonzept zur Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen, hervorgerufen durch die Liefervorgänge und Manipulationen mittels händisch und elektrisch betriebenen „Ameisen“ sowie elektrisch betriebenen Hubstaplern, bei den in **** Z, Adresse 2, im 1. Stock wohnhaften Nachbarn, zur Genehmigung vorzulegen.
Im Vorfeld der Bescheiderlassung sind bei der belangten Behörde eine Vielzahl von Beschwerden eines Nachbarn eingelangt, anlässlich derer am 30.10.2018 in der Zeit von 10:30 Uhr bis 12:30 Uhr eine Hörprobe am Betriebsgelände der Beschwerdeführerin stattgefunden hat. Im Zuge der Hörprobe hat die anwesende Amtsärztin eine Stellungnahme abgegeben. Zudem wurde ein gewerbetechnischer Sachverständiger befasst. Weitere Ermittlungsschritte der belangten Behörde sind aus dem vorliegenden Akt nicht ersichtlich.
Die belangte Behörde vertritt die Rechtsansicht, dass die Vorschreibung von Auflagen nicht möglich sei, ohne die genehmigte Betriebsanlage ihrem Wesen nach zu ändern und führt dazu lediglich aus, dass die Behörde keine Sanierung des Bodenbelages bzw auch keine Reduktion der Anlieferungen bzw. Manipulationen im Betriebsgebäude und Einschränkungen der Zulieferungen von Fremdfirmen vorschreiben könne. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Frage der Wesentlichkeit hat durch die belangte Behörde in diesem Zusammenhang jedoch nicht stattgefunden, vielmehr wird der wesensverändernde Charakter der Maßnahmen postuliert. Die belangte Behörde hat insbesondere auch keine Feststellungen zur Prüfung allfälliger Alternativen bzw möglicher Optionen zur Zielerreichung getroffen.
Gegen den Bescheid vom 17.12.2018, Zl ***, hat die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben.
Im Zuge des seitens des Landesverwaltungsgerichts durchgeführten Ermittlungsverfahrens hat sich ergeben, dass mögliche Maßnahmen zur Hintanhaltung der Lärmbelästigungen bzw der gesundheitsgefährdenden Immissionsbelastungen derart gegeben sind, dass beispielsweise der Austausch des Bodenbelages im Innen- und Außenbereich bewirken würde, dass es nicht mehr zum erheblichen Grollen bzw Holpern kommen würde bzw die schienenartigen Geräusche nicht mehr in der derzeitigen Intensität wahrgenommen werden könnten. Ein Unterbleiben der Kommissionierung mit Glasflaschen im Außenbereich würde das Klirren im Außenbereich vermeiden. Eine weitere Option der Lärmreduzierung bestünde darin, dass künftig geräuschärmere Transportmittel (zB neuartige Hubwägen) zur Anwendung gelangen würden. Dadurch könnte das behördlich angestrebte Sanierungsziel erreicht werden.
Die Vornahme einer Bodenbelagssanierung und die Verwendung von alternativen Transportmitteln der Paletten würde das Problem des Geräuschpegels im Wesentlichen beseitigen. Seitens der Beschwerdeführerin wurden bereits die Transportmittel zur Manipulation innerhalb der Betriebsanlage ausgetauscht.
Diese Maßnahmen zur Lärmreduzierung beziehen sich auf einige der Kerntätigkeiten in der gegenständlichen Weinkellerei, nämlich das An-/Verliefern, Kommissionieren und Transportieren sowie die Lagerung der jeweiligen Erzeugnisse/Produkte. Durch den Austausch der aktuellen Transport-/Lagermittel durch neue lärmärmere Modelle, einer gezielten Bodenbelagssanierung und einer Kommissionierung im Innenbereich (falls durch die neuen Transportmittel und die Bodenbelagssanierung noch keine ausreichende Verbesserung erzielt werden kann) erfolgt jedoch kein Eingriff in den aktuellen Betrieb der Anlage, es handelt sich dabei um keine wesensverändernden Maßnahmen. Diese Maßnahmen wären geeignet, die Lärmsituation vor Ort sehr stark zu verbessern.
Das Sanierungsziel (Lärmreduktion) könnte durch vorstehend angeführte Maßnahmen erreicht werden.
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den Akten der belangten Behörde zur Zl *** sowie aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage.
Die Feststellungen zu den möglichen Maßnahmen, welche eine Lärmreduzierung herbeiführen können, ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen des gewerbetechnischen Amtssachverständigen und der Amtsärztin im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2021.
Die Feststellung, dass es Alternativmaßnahmen zur Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes gibt, mit welchen das angestrebte Sanierungsziel erreicht werden kann, ergeben sich ebenfalls aus den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2021.
Bezüglich der Frage, ob die Maßnahmen wesensverändernd sind, hatte das Landesverwaltungsgericht zu beurteilten, ob die Maßnahmen einen Eingriff in das bestehende Recht darstellen. Für das erkennende Gericht war durch keine der Maßnahmen ein Eingriff in das Recht der Gewerbeausübung zu erkennen, da sich die Maßnahmen in den Betriebsablauf integrieren lassen bzw keine derart tiefgreifenden Änderungen vorgenommen werden müssten, welche ein Abgehen von den bisherigen Abläufen im Betrieb darstellen würden. Daher hat das Landesverwaltungsgericht festgestellt, dass die Maßnahmen nicht wesensverändernd sind und als neue Auflagen vorgeschrieben werden können.
Dass bereits ein Austausch der Transportmittel erfolgt ist, konnte aufgrund der entsprechenden Mitteilung der Beschwerdeführerin vom 03.08.2021 festgestellt werden.
IV. Rechtslage:
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl I Nr 33/2013, idF BGBl I Nr 109/2021, lauteten samt Überschrift auszugsweise wie folgt:
„Prüfungsumfang
§ 27
Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid und die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Erkenntnisse
§ 28.
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
[…]“
Die entscheidungswesentlichen Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl Nr 194/1994, in der Fassung BGBl I Nr 61/2018, lauten samt Überschriften auszugsweise wie folgt:
„Betriebsanlagen
§ 74
(1) Unter einer gewerblichen Betriebsanlage ist jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit nicht bloß vorübergehend zu dienen bestimmt ist.
(2) Gewerbliche Betriebsanlagen dürfen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,
1. das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl Nr 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familienangehörigen oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl Nr 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; als dingliche Rechte im Sinne dieses Bundesgesetzes gelten auch die im § 2 Abs. 1 Z 4 lit. g angeführten Nutzungsrechte,
2. die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,
[…]
§ 79
(1) Ergibt sich nach Genehmigung der Anlage, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, so hat die Behörde die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben; die Auflagen haben gegebenenfalls auch die zur Erreichung dieses Schutzes erforderliche Beseitigung eingetretener Folgen von Auswirkungen der Anlage zu umfassen; die Behörde hat festzulegen, dass bestimmte Auflagen erst nach Ablauf einer angemessenen, höchstens drei Jahre, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen (zB bei Betriebsübernahmen) höchstens fünf Jahre, betragenden Frist eingehalten werden müssen, wenn der Inhaber der Betriebsanlage nachweist, dass ihm (zB wegen der mit der Übernahme des Betriebes verbundenen Kosten) die Einhaltung dieser Auflagen erst innerhalb dieser Frist wirtschaftlich zumutbar ist, und gegen die Fristeinräumung keine Bedenken vom Standpunkt des Schutzes der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen bestehen. Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.
[…]
(3) Könnte der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen nach Abs. 1 oder 2 nur durch die Vorschreibung solcher anderer oder zusätzlicher Auflagen erreicht werden, durch die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert würde, so hat die Behörde dem Inhaber der Anlage mit Bescheid aufzutragen, zur Erreichung des hinreichenden Interessenschutzes und der Begrenzung der Emissionen von Luftschadstoffen nach dem Stand der Technik innerhalb einer dem hiefür erforderlichen Zeitaufwand angemessenen Frist ein Sanierungskonzept für die Anlage zur Genehmigung vorzulegen; für dieses Sanierungskonzept ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Abs. 1) maßgebend. Im Bescheid, mit dem die Sanierung genehmigt wird, hat die Behörde, erforderlichenfalls unter Vorschreibung bestimmter Auflagen, eine dem Zeitaufwand für die vorgesehenen Sanierungsmaßnahmen entsprechende Frist zur Durchführung der Sanierung festzulegen. § 81 Abs. 1 ist auf diese Sanierung nicht anzuwenden.
[…]
§ 79a
(1) Die Behörde hat ein Verfahren gemäß § 79 Abs. 1 von Amts wegen oder nach Maßgabe des Abs. 2 auf Antrag des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie oder nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag eines Nachbarn einzuleiten.
[…]
(3) Der Nachbar muss in seinem Antrag gemäß Abs. 1 glaubhaft machen, dass er als Nachbar vor den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt ist, und nachweisen, dass er bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Betriebsanlage oder der betreffenden Betriebsanlagenänderung Nachbar im Sinne des § 75 Abs. 2 und 3 war.
(4) Durch die Einbringung des dem Abs. 3 entsprechenden Antrages erlangt der Nachbar Parteistellung. Der Nachbar ist nicht gemäß § 76 Abs. 1 AVG zur Kostentragung verpflichtet, wenn auf Grund seines Antrages andere oder zusätzliche Auflagen vorgeschrieben wurden.“
V. Erwägungen:
Zum Prüfungsumfang durch das LVwG:
Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerde vom 06.02.2019 den mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Z vom 17.12.2018, Zl ***, erteilten Auftrag zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes zur Vermeidung von gesundheitsgefährdenden Lärmbelästigungen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten.
Gegenstand des Verfahrens beim Landesverwaltungsgericht Tirol ist daher die Prüfung des von der belangten Behörde erteilten Auftrag zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes.
Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in der Sache selbst (meritorisch) zu entscheiden und nicht nur die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war. Hierbei tritt die die Angelegenheit, die zunächst von der Verwaltungsbehörde mit dem angefochtenen Bescheid entschieden worden ist, erledigende Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts an die Stelle des bekämpften Bescheides. (VwGH 29.06.2016, Ra 2016/05/0052).
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufgrund der
Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG hat die Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, und das Begehren zu enthalten. „Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol war – ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfangs – nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (vgl VwGH Ra 2014/03/0049).
Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist sohin die „Sache“ des bekämpften Bescheides (vgl VwGH 25.10.2018, Ra 2018/09/0110; VwGH 29.06.2016, Ra 2016/05/0052; mwN), im gegenständlichen Fall folglich die Rechtmäßigkeit des mit Bescheid vom 17.12.2018, Zl ***, vorgeschriebenen Sanierungskonzeptes. Eine Entscheidungsbefugnis über die konkret festzulegenden Auflagen bzw. deren Vorschreibung kommt dem Landesverwaltungsgericht Tirol nicht zu, da damit die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten wird.
Zur Möglichkeit der Vorschreibung von Auflagen versus Erforderlichkeit eines Sanierungskonzeptes:
§ 79 Abs 1 GewO ermächtigt und verpflichtet die Behörde dem Betriebsinhaber auch nach Rechtskraft des Genehmigungsbescheides zum Schutz der im § 74 Abs 2 GewO normierten Interessen andere oder zusätzliche Auflagen vorzuschreiben, wenn die bisherigen Auflagen keinen hinreichenden Schutz bieten. Dies bedeutet, dass die Behörde zu jeder Zeit Gefährdungen und unzumutbaren Belästigungen mit der Vorschreibung von anderen und/oder zusätzlichen Auflagen begegnen muss (vgl Hanusch, Kommentar zur GewO, 23. Lfg, Rz 1 zu § 79; Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO, 4. Auflage, Rz 1 und 5 zu § 79; VwGH 20.12.2017, Ra 2017/04/0109).
§ 79 Abs 3 GewO 1994 sieht die Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes für den Fall vor, dass der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs 2 GewO wahrzunehmenden Interessen nur durch die Vorschreibung solcher anderen oder zusätzlichen Auflagen erreicht werden kann, durch die die genehmigte Betriebslage in ihrem Wesen verändert würde (vgl Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/Höllbacher, GewO, 4. Auflage, Rz 1 zu § 79; vgl VwGH 12.11.1996, 94/04/0266).
Wesentlich für die Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes ist daher, dass mit Auflagen, die nicht wesensändernd sind, nicht das Auslangen gefunden werden kann. Eine „wesensverändernde“ Auflage liegt gemäß der Judikatur und der herrschenden Lehre dann vor, wenn sie in die „Substanz des verliehenen Rechtes“ eingreift, also in die Summe der im Rahmen der Gewerbeberechtigung zu verrichtenden Tätigkeiten. Zur Frage, ob sich nachträgliche Auflagen auf das Wesen der Betriebsanlage auswirken, sind entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl VwGH 15.10.2003, 2000/04/0193; VwGH 11.11.2015, Ra 2015/04/0089; 28.03.2007, 2005/04/0185; Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/ Höllbacher, GewO, 4. Auflage, Rz 8 zu § 79; Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 § 79, Rz 52 zu § 79).
Im Bescheid, mit welchem ein Sanierungskonzept vorgeschrieben wird, ist darzulegen, inwiefern ein hinreichender Schutz der Interessen des § 74 Abs 2 GewO trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht möglich ist, zudem ist darzulegen, inwiefern die Sanierung dieses Mangels Maßnahmen erfordert, die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert (vgl Stolzlechner/Müller/Seider/Vogelsang/ Höllbacher, GewO, 4. Auflage, Rz 21 zu § 79; Gruber/Paliege-Barfuß, GewO7 Rz 54 zu § 79; VwGH 21.12.2004, 2003/04/0094). Es ist daher obligatorisch der Sanierungsgrund beispielsweise durch Aufzählung der erforderlich erscheinenden Maßnahmen, die durch Auflagen nicht erreichbar sind und der Sanierungszweck (zB Lärmreduktion) anzugeben, fakultativ können konkrete Ziele wie etwa die Erreichung bestimmter Grenzwerte angegeben werden (vgl Hanusch, Kommentar zur GewO, 23. Lfg, Rz 17 und 18 zu § 79).
Der gewerbetechnische Amtssachverständige sowie die Amtsärztin haben im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2021 im Ergebnis übereinstimmend ausgeführt, dass bei Vornahme einer Bodenbelagssanierung sowie Umstieg auf geräuschärmere Transportmittel von einer Verbesserung der Lärmsituation auszugehen ist. Der gewerbetechnische Amtssachverständige hat konkret mitgeteilt, dass durch die Umsetzung dieser Maßnahmen für ihn sogar eine sehr starke Verbesserung bzw Beseitigung des wesentlichen Problems nachvollziehbar ist. Die Amtsärztin führte im Zuge der mündlichen Verhandlung aus, dass bei einem Austausch des Bodenbelages sowie Verzicht der Kommissionierung mit Glasflaschen im Außenbereich und Verwendung der geräuschärmeren Transportmittel eine Situation erreicht werden kann, welche im Bereich der Zielerreichung gemäß Sanierungskonzeptes liegen würde.
Die Voraussetzungen für ein Vorgehen gemäß § 79 Abs 3 GewO liegen folglich nicht vor, da – wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgezeigt wurde – die Vorschreibung von wesensverändernden Auflagen nicht erforderlich ist, um die gemäß § 74 Abs 2 wahrzunehmenden Interessen hinreichend zu schützen. Es kann mit formalen Nebenbestimmungen das Auslangen gefunden werden.
Durch die Vorschreibung des Austausches eines Bodenbelages, die Verwendung anderer Transportmittel für Paletten sowie eine Verlagerung der Kommissionierung mit Glasflaschen vom Außenbereich in den Innenbereich, erfolgt kein Eingriff in die Substanz des verliehenen Rechts, zumal der Betrieb entsprechend den aufrechten Betriebsanlagengenehmigungen dadurch nicht in Frage gestellt wird und dadurch kein Abgehen vom bisherigen Betriebsablauf – im Ausmaß der im § 79 Abs 3 GewO als Voraussetzung für die Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes normierten Wesentlichkeit – erforderlich ist.
Ergebnis:
Im gegenständlichen Fall vertritt die Behörde die Rechtsansicht, dass die Vorschreibung von Auflagen nicht möglich ist, da dadurch eine Änderung der Betriebsanlage in ihrem Wesen erfolgen würde und daher ein Sanierungskonzept aufzutragen ist.
Im Bescheid, mit dem ein Auftrag zur Vorlage eines Sanierungskonzeptes erteilt wird, hätte die Behörde dazulegen gehabt, inwiefern ein Schutz der Interessen des § 74 Abs 2 GewO 1994 trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht gewährleistet ist und weiters, inwiefern eine Sanierung dieser Mängel Maßnahmen erfordert, die die genehmigte Betriebsanlage in ihrem Wesen verändert (vgl VwGH 15.10.2003, 2000/04/0193).
Die belangte Behörde unterlässt jedoch Ermittlungen, welche Maßnahmen konkret getroffen werden müssten und weshalb diese Maßnahmen in Bezug auf die Betriebsanlage der Beschwerdeführerin wesensverändernd wären.
Erst im Zuge des vom Landesverwaltungsgericht Tirol durchgeführten umfangreichen Ermittlungsverfahrens hat sich schlussendlich im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2021 ergeben, dass durch Auflagen betreffend den Bodenbelag, die Verwendung von speziellen Transportmitteln sowie die Kommissionierung der Glasflaschen im Innenbereich eine entscheidende Lärmreduzierung erzielt werden kann. Die vorstehend angeführten Maßnahmen verändern die Betriebsanlage ihrem Wesen nach nicht. Es erfolgt kein Eingriff in die betrieblichen Strukturen.
Entsprechend dem Wortlaut des § 79 Abs 3 GewO 1994 scheidet die Vorschreibung eines Sanierungskonzeptes daher aus, da der hinreichende Schutz der gemäß § 74 Abs 2 GewO 1994 wahrzunehmenden Interessen nach Abs 1 durch nicht-wesensändernde Auflagen gewährleistet werden kann. Die genaue Ausgestaltung der vorzuschreibenden Auflagen hat die belangte Behörde im Zuge eines noch vorzunehmenden Ermittlungsverfahrens zu prüfen.
Der angefochtene Bescheid war daher zu beheben.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Landesverwaltungsgericht hat sich in gegenständlicher Angelegenheit bei seiner rechtlichen Beurteilung an den klaren und eindeutigen Wortlaut des § 79 Abs 1 und 3 GewO, sowie die vorhandene Judikatur des VwGH zu den im gegenständlichen Erkenntnis zitierten Bestimmungen gehalten Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Dünser
(Richter)
Schlagworte
Vorschreibung SanierungskonzeptEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2019.15.0431.23Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021