Entscheidungsdatum
17.11.2021Norm
VwGVG 2014 §8a Abs1Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch den Richter
Mag. Schnabl über den Antrag der mj. A, geb. ***, StA. Serbien, vertreten durch deren Vater B als gesetzlicher Vertreter, beide wohnhaft in ***, ***, auf Bewilligung von Verfahrenshilfe im Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich zur GZ. LVwG-AV-1180/001-2021 betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 10.06.2021, GZ. *** und ***, folgenden
BESCHLUSS:
1. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a Abs 1 iVm
§ 31 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) dahingehend stattgegeben, dass die Antragstellerin einstweilig vom Ersatz von anfallenden Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher und Übersetzer befreit wird.
2. Im Übrigen wird der Antrag auf Verfahrenshilfe, insbesondere soweit damit die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer beantragt wird, gemäß § 8a und § 31 VwGVG abgewiesen.
3. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung:
Mit dem Bescheid der Landeshauptfrau von Niederösterreich vom 10.06.2021, GZ. *** und ***, wurde der am 09.12.2020 schriftlich eingebrachte Zusatzantrag der Antragstellerin auf Antragstellung im Inland zum Hauptantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der am 28.05.2020 schriftlich eingebrachte Antrag der Antragstellerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG abgewiesen (Spruchpunkt II.).
Begründend führte dazu die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass die Interessen des Privat- und Familienlebens der Antragstellerin nicht das öffentliche Interesse im Sinne des § 21 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 3 NAG überwiegen würden und daher ein Zulassen der Antragstellung im Inland für die Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht geboten sei und dass daher eine unzulässige Inlandsantragstellung vorliege. Die Antragstellerin wäre auch unrechtmäßig in Österreich aufhältig.
Mit Schriftsatz ihrer ehemaligen Rechtsvertreterin vom 07.07.2021 beantragte die Antragstellerin, den angefochtenen Bescheid nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufzuheben und der belangten Behörde die Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens aufzutragen, in eventu den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass der Antragstellerin der beantragte Aufenthaltstitel erteilt werde.
Begründend führte dazu die Antragstellerin zusammengefasst aus, dass ein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliege und daher eine Inlandsantragstellung aus zwingenden Gründen geboten gewesen wäre; die Familie der Antragstellerin sei zudem auch in Österreich bereits integriert.
Nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, in der die Einvernahme des Vaters der Antragstellerin als Zeugen im Beisein derer Rechtsvertreterin erfolgte und die Verhandlung zwecks Einvernahme der Mutter der Antragstellerin unter Beiziehung eines Dolmetschers für die serbische Sprache vertagt wurde, wurde von der Rechtsvertreterin das Vollmachtsverhältnis zur Antragstellerin aufgelöst.
Mit schriftlichem Antrag vom 11.11.2021, hg. eingelangt am 16.11.2021, beantragte die Antragstellerin vertreten durch ihren Vater als deren gesetzlicher Vertreter die Bewilligung von Verfahrenshilfe, da sich die Familie in einer finanziellen Notlage befinde und sich der Verfahrensverlauf der Übersicht der Familie entziehe. Im diesem Antrag angeschlossenen Vermögensverzeichnis wurden keine Erklärungen abgegeben. Im gleichzeitig von der Mutter der Antragstellerin für sich selbst gestelltem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wurde von dieser angegeben, dass das Familieneinkommen aktuell nur der AMS-Bezug des Vaters der Antragstellerin sei, Miete in der Höhe von 560,-- Euro inklusive Stromkosten zu bezahlen sei, dass die Familie der Antragstellerin kein weiteres Vermögen habe und dass vielmehr Schulden von 555,-- Euro bestehen würden.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat über diesen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wie folgt erwogen:
Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist einer Partei, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe, soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung – ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
Gemäß § 63 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist einer Partei die Verfahrenshilfe soweit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außer Stande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Als mutwillig ist die Rechtsverfolgung besonders anzusehen, wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles, besonders auch der für die Eintreibung ihres Anspruches bestehenden Aussichten, von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde.
Gemäß § 64 Abs. 1 ZPO kann die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit und ein nach Abschluss des Rechtsstreits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren die folgenden Begünstigungen umfassen:
1. die einstweilige Befreiung von der Entrichtung
a) der Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren;
(…)
c) der Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer;
(…)
3. sofern die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint, die vorläufige unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes, (…); dieser bedarf keiner Prozessvollmacht, jedoch der Zustimmung der Partei zu einem Anerkenntnis, einem Verzicht oder der Schließung eines Vergleiches. § 31 Abs. 2 und 3 sind sinngemäß anzuwenden.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Anklage zu entscheiden hat. Weiters muss nach dieser Vorschrift das Urteil öffentlich verkündet werden, jedoch kann die Presse und die Öffentlichkeit während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, oder wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder, und zwar unter besonderen Umständen, wenn die öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigten würde, in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Abs. 3 normiert schließlich, dass Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt wird, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.
Vorliegend beantragt die Antragstellerin – was sich daraus ergibt, dass bei der Rubrik „Umfang der Verfahrenshilfe“ sämtliche Optionen angekreuzt sind – die Gewährung von Verfahrenshilfe in vollem Umfang inklusive der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich anhängigen Verfahren zur GZ. LVwG-AV-1180/001-2021.
Die Voraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe für das verwaltungsgerichtliche Verfahren sind in § 8a Abs. 1 VwGVG geregelt. Die Gewährung von Verfahrenshilfe nach dieser Bestimmung ist – wie der Verwaltungsgerichtshof insbesondere in seiner Entscheidung vom 11.09.2019, Ro 2018/08/0008, ausführlich dargelegt hat – an das Vorliegen mehrerer Voraussetzungen geknüpft:
Zunächst ergibt sich aus der Anordnung des § 8a Abs. 1 VwGVG, wonach Verfahrenshilfe (nur) zu bewilligen ist, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC geboten ist, dass die Gewährung der Verfahrenshilfe nach dieser Bestimmung nicht in allen Verfahren vor den Verwaltungsgerichten in Betracht kommt, sondern dass die Gewährung von Verfahrenshilfe nach dieser Bestimmung erfordert, dass der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 GRC eröffnet ist (in diesem Sinne bereits VwGH 31.08.2017, Ro 2017/21/0004 und 0013, Rn. 34).
Weiters ist § 8a VwGVG im Übrigen insofern subsidiär, als die Bestimmung nur zur Anwendung gelangt, „soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist“. Wenn somit ein „Materiengesetz“ Regelungen enthält, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entspricht, ist § 8a VwGVG nicht anzuwenden (vgl. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0073).
Auch darf die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheinen, wobei diese Voraussetzungen jenen des § 63 Abs. 1 ZPO entsprechen. Offenbar mutwillig ist eine beabsichtigte Rechtsverfolgung dann, wenn die Partei sich der Unrichtigkeit ihres Standpunktes bewusst ist und sich dennoch in ein Verfahren einlässt, etwa weil sie dadurch einen durch die Rechtsordnung nicht geschützten Zweck verfolgt, wie z.B. eine Verfahrensverzögerung (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 63 ZPO, Rz 19). Auch die Aussichtslosigkeit muss offenbar sein, damit diese der Gewährung einer Verfahrenshilfe entgegensteht (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 63 ZPO, Rz 18). Eine in diesem Sinn offenbare Aussichtslosigkeit ist nur dann gegeben, wenn eine (beabsichtigte) Rechtsverfolgung schon ohne nähere Prüfung als erfolglos erkannt werden kann.
Diese angesprochenen Bewilligungsvoraussetzungen sind vorliegend erfüllt: Im Hinblick darauf, dass der Vater der Antragstellerin über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ verfügt und es um einen Antrag auf Familienzusammenführung mit eben dieser geht, ist zum einen davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich von Art. 47 GRC und somit auch von § 8 VwGVG eröffnet ist.
Auch enthält das NAG als das hier einschlägige Materiengesetz keine Regelungen, deren Gegenstand der Verfahrenshilfe entsprechen würde. Auch kann von einer im oben dargelegten Sinne mutwilligen und/oder aussichtslosen Rechtsverfolgung nicht ausgegangen werden, zumal insbesondere die tatsächlichen Erfolgsaussichten einer Beschwerde nicht entscheidend sind.
Als weitere Voraussetzung verlangt § 8a Abs. 1 VwGVG, dass die Verfahrenshilfe beantragende Partei außerstande sein muss, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten. Als notwendiger Unterhalt ist gemäß § 61 Abs 1 zweiter Satz ZPO jener Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und für ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Bei der Beurteilung der Vermögensverhältnisse eines Antragstellers ist sowohl auf das Einkommen als auch auf das sonstige Vermögen und bestehende Verbindlichkeiten Bedacht zu nehmen. Der notwendige Unterhalt liegt über dem Existenzminimum, jedoch unter dem standesgemäßen Unterhalt. Dabei ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls Rücksicht zu nehmen, wie etwa auf den Gesundheitszustand und die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers. Der maßgebliche, dem Antragsteller verbleibende Geldbetrag muss diesem eine seine Bedürfnisse berücksichtigende, bescheidene Lebensführung gestatten (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 63 ZPO, Rz 2 f. [Stand: 01.09.2014, rdb.at]).
Wenngleich im Sinne des § 8a Abs. 2 zweiter Satz VwGVG die Bewilligung der Verfahrenshilfe im vollen Umfang die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer einschließt, kann Verfahrenshilfe, soweit die Beigebung eines Rechtsanwaltes nicht geboten ist, auch lediglich hinsichtlich einzelner anderer Begünstigungen erteilt werden (Teilverfahrenshilfe). Insbesondere kommt im Sinn des § 64 Abs. 1 Z 1 lit. a ZPO die Bewilligung der Verfahrenshilfe etwa auch nur im Umfang der Befreiung von Barauslagen wie etwa Dolmetschgebühren in Betracht.
Bei Prüfung der Frage, ob die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts im Sinne des § 63 Abs. 1 ZPO aufgebracht werden können, ist eine Schätzung der für den Antragsteller voraussichtlich anfallenden Kosten erforderlich, wobei unter Berücksichtigung der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Umstände des Einzelfalles ein durchschnittlicher Verfahrensablauf anzunehmen ist (vgl. VwGH 25.04.2019, Ra 2017/13/0061, mwH).
Im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten können einer Verfahrenspartei allenfalls durch die Heranziehung von Dolmetschern oder Sachverständigen entstandene Barauslagen auferlegt werden. Nach den hier relevanten Bestimmungen des AVG, welche gemäß § 17 VwGVG auch im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten anzuwenden sind, sind gemäß § 74 AVG, sofern sich aus den §§ 76 bis 78 nicht anderes ergibt, die Kosten für die Tätigkeit der Behörden im Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu tragen, die Heranziehung der Beteiligten zu anderen als den in den §§ 76 bis 78 vorgesehenen Leistungen, unter welchem Titel immer, ist (abgesehen von den hier nicht relevanten Stempel- und Rechtsgebühren des Bundes) unzulässig.
Erwachsen nun der Behörde bei einer Amtshandlung Barauslagen, so hat dafür gemäß § 76 AVG, sofern nach den Verwaltungsvorschriften nicht auch diese Auslagen von Amts wegen zu tragen sind, die Partei aufzukommen, die den verfahrenseinleitenden Antrag gestellt hat; als Barauslagen gelten auch die Gebühren, die den Sachverständigen und Dolmetschern zustehen. Gemäß § 77 AVG können auch Kommissionsgebühren eingehoben werden, wenn Amtshandlungen der Behörden außerhalb des Amtes durchgeführt werden. Gebühren, die Zeugen zustehen, sind gemäß § 26 Abs. 5 VwGVG in vom Bundesverwaltungsgericht bzw. von den Landesverwaltungsgerichten geführten (Administrativ-) Verfahren von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit gehandelt hat.
Im gegenständlichen Verfahren sind zwar weder Amtshandlungen außerhalb des Gerichts noch dem Verfahren beizuziehende Sachverständige zu erwarten und wurden auch keine weiteren Zeugen als der bereits einvernommene von der Antragstellerin bisher beantragt.
Demgegenüber wurde aber von der bzw. für die Antragstellerin im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 09.09.2021 zum Zwecke der Einvernahme ihrer Mutter die Beiziehung eines Dolmetschers für die serbische Sprache beantragt, sodass davon auszugehen ist, dass jedenfalls Kosten in Form von Barauslagen für dem beizuziehenden Dolmetscher zustehenden Gebühren anfallen werden, die der Antragstellerin sodann gemäß § 76 AVG auch vorzuschreiben wären.
Vorliegend wurde im Vermögensbekenntnis glaubhaft angegeben, dass sie als vierjähriges Kind naturgemäß über keine Vermögenswerte und kein Einkommen verfügt. Im gleichzeitig für sich selbst abgegebenen Vermögensverzeichnis der Mutter der Antragstellerin wurde jedoch glaubhaft und auch mit der bereits durchgeführten Einvernahme des Vaters der Antragstellerin vereinbar angegeben, dass der Familie der Antragstellerin lediglich eine AMS-Leistung des Familienvaters zur Verfügung steht, wobei dem Ausgaben für Miete und Strom in der Höhe von 560,-- Euro monatlich und Schulden von derzeit 555,-- Euro gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund ist vorläufig davon auszugehen, dass die Antragstellerin ohne die – erwartbarer Weise insbesondere in den ihr vorzuschreibenden Gebühren für den der nächsten mündlichen Verhandlung beizuziehenden Dolmetscher bestehenden – Kosten für die Führung des Verfahrens nicht ohne Gefährdung des notwendigen Unterhaltes für sich bzw. ihre Eltern bestreiten könnte.
Somit ist dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe dahingehend (teilweise) Folge zu geben, dass die Antragstellerin einstweilig von den im gegenständlich Beschwerdeverfahren zu erwartenden Kosten der Verfahrensführung, insbesondere von der Tragung der anfallenden Dolmetschgebühren im Zuge der nächsten mündlichen Verhandlung befreit wird.
Soweit mit dem gegenständlichen Antrag aber auch Verfahrenshilfe in Form der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer beantragt wird, ist dem Antrag hingegen keine Folge zu geben, da für die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer zusätzlich zu den oben angeführten noch weitere Kriterien zu erfüllen sind. Gemäß § 64 Abs 1 Z 3 ZPO umfasst nämlich die Verfahrenshilfe die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes nur in solchen Fällen, in denen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint bzw. wenn dies im Sinne des Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 GRC geboten ist.
Zur Beurteilung, ob auf Grund des Art. 6 EMRK bzw. des Art. 47 GRC die beantragte Beigebung eines Rechtsanwaltes „geboten ist“, kommt es auch nach der Judikatur des EGMR und des EuGH darauf an, ob dies für den „effektiven Zugang“ der Partei zum Gericht unentbehrlich ist. Dabei ist insbesondere maßgeblich, ob im Verfahren – insbesondere in Hinblick auf die Komplexität des Falles – Schwierigkeiten zu erwarten sind, die es der Partei verunmöglichen, ihre Interessen ohne Unterstützung eines Rechtsanwaltes wahrzunehmen. Dabei sind die persönlichen Umstände der Partei, wie ihr allgemeines Verständnis und ihre Fähigkeiten bzw. ihre Rechtskenntnisse zu berücksichtigen. Ergänzend ist in die Erwägungen auch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Partei miteinzubeziehen.
Hinsichtlich der Frage, wann in den Verfahren der Verwaltungsgerichte auf Grund der Schwierigkeiten des Falles die Beigebung eines Verfahrenshelfers erforderlich ist, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 11.09.2019, Ro 2018/08/008) die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem VwGVG zu berücksichtigen. Dazu hat bereits der Verfassungsgerichtshof (VfGH 25.06.2015, G 7/2015) festgehalten, dass durch die in § 9 VwGVG normierten Anforderungen an eine Beschwerde, die nach den Gesetzesmaterialien so gestaltet worden sind, dass sie auch „ein durchschnittlicher Bürger (...) ohne Unterstützung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter erfüllen kann“, bzw. durch die im Verfahren der Verwaltungsgerichtsgerichte gemäß § 17 VwGVG iVm. § 13a AVG iVm. § 17 VwGVG anzuwendende Manuduktionspflicht für nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretene Parteien dem rechtspolitischen Anliegen eines auch für unvertretene Parteien einfach handhabbaren Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten Rechnung getragen wurde.
Weiters ist zu berücksichtigen, dass die Verfahren der Verwaltungsgerichte gemäß § 17 VwGVG iVm § 37 und § 39 Abs. 2 AVG vom Grundsatz der materiellen Wahrheit (Offizialprinzip, Amtswegigkeitsprinzip) beherrscht werden. Demnach hat das Gericht, soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, von Amts wegen vorzugehen und unter Beachtung der im AVG enthaltenen Vorschriften den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen und den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen (vgl. etwa VwGH 02.05.2019, Ro 2019/08/0009, mwN). Das Verwaltungsgericht hat daher grundsätzlich von Amts wegen und unabhängig vom Parteivorbringen und von den Parteianträgen den wahren Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln. Dabei hat das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht, auf das Parteienvorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen.
Über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge darf sich das Verwaltungsgericht – auch wenn eine Partei insbesondere dann, wenn die das Verfahren beendende Entscheidung wie vorliegend bei einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (auch) im Interesse der Partei liegt, eine Mitwirkungspflicht im Verfahren trifft und eine solche in besonderem Maße hinsichtlich Umständen des Privat- und Familienlebens anzunehmen ist – nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen. Das Verwaltungsgericht hat die Partei eines Verfahrens, wenn sie nicht nur ganz allgemein gehaltene, sondern einigermaßen konkrete sachbezogene Behauptungen aufgestellt hat, die nicht schon von vornherein aus rechtlichen Gründen unmaßgeblich sind, vorerst zu einer Präzisierung und Konkretisierung des Vorbringens sowie zu entsprechenden Beweisanboten aufzufordern, die dem Verwaltungsgericht nach allfälligen weiteren Ermittlungen die Beurteilung des Vorbringens ermöglichen (vgl. VwGH 30.10.2019, Ra 2018/03/0131, mwN).
Unter Berücksichtigung der Manuduktionspflicht, der auch für nicht rechtkundige Bürger grundsätzlich zu bewältigenden Einhaltung der Formvorschriften und des Amtswegigkeitsprinzips sowie der durch § 8a Abs. 1 VwGVG angeordneten ausdrücklichen Beschränkung der Gewährung der Verfahrenshilfe auf Fälle, in denen dies nach Art. 6 Abs. 1 EMRK oder Art. 47 GRC geboten ist, kommt der Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer im Verfahren der Verwaltungsgerichte Ausnahmecharakter zu (VwGH 11.09.2019, Ro 2018/08/0008).
Im gegenständlichen Fall ist nicht davon auszugehen, dass besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder außergewöhnliche, in der Person der Antragstellerin gelegene Umstände vorlägen, aufgrund derer die Beigebung eines Rechtsanwaltes vorliegend ausnahmsweise erforderlich wäre.
Zwar ist davon auszugehen, dass naturgemäß die Antragstellerin selbst, aber auch deren Vater als deren gesetzlicher Vertreter über keine maßgeblichen Kenntnisse des österreichischen Rechts verfügt, und ist weiters schon im Hinblick darauf, dass es sich um einen Antrag auf Familienzusammenführung handelt, davon auszugehen, dass der Rechtstreit für die Antragstellerin eine große persönliche Bedeutung hat.
Außergewöhnliche Umstände, die über die bei Anträgen auf Familienzusammenführung nach dem NAG aufgrund des Wunsches, mit dem zusammenführenden Familienangehörigen in Österreich zusammenleben zu können, geradezu typische große persönliche Bedeutung solcher Verfahren hinausgehen würden, wurden jedoch bisher nicht vorgebracht und sind auch nicht zu erkennen.
Auch sind keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des konkreten Falles ersichtlich. Es handelt sich vorliegend vielmehr um einen (eher) einfach gelagerten Fall, zumal es zunächst vorrangig darum geht, dass durch die Antragstellerin die zur Beurteilung des Vorliegens der Erteilungsvoraussetzungen erforderlichen aktuellen Unterlagen – insbesondere solche, aus denen die Einkommens- und Vermögensverhältnisse ersichtlich sind – vorzulegen sind und dass die Antragstellerin allenfalls der persönlichen Sphäre zuzuordnende Umstände ihres Privat- und Familienlebens für eine Interessenabwägung bekannt zu geben hat.
Abgesehen davon, dass die Antragstellerin bzw. deren in Österreich niedergelassener Vater als deren gesetzlicher Vertreter bereits im Zuge des verwaltungsbehördlichen Verfahrens immer wieder – für die Beurteilung der Erteilungsvoraussetzungen grundsätzlich relevante – Unterlagen an die Behörde übermittelt hat und dies zeigt, dass die Antragstellerin bzw. ihr gesetzlicher Vertreter grundsätzlich durchaus in der Lage ist, zweckentsprechend am Verfahren mitzuwirken und auch relevante Unterlagen vorzulegen, gilt insbesondere zu beachten, dass die Antragstellerin bislang im anhängigen Beschwerdeverfahren anwaltlich vertreten war und das aus deren Sicht notwendige Vorbringen bereits erstattet wurde und andererseits vom erkennenden Gericht sowohl in der Ladung zur öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 09.09.2021 als auch in dieser Verhandlung nochmals detailliert auf die von der Antragstellerin noch vorzulegenden Urkunden verwiesen hat.
Vor diesem Hintergrund ist kein Fall mit hoher Komplexität in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zu erkennen, zumal es vorliegend um die Beurteilung von keine besondere Komplexität aufweisenden Sachverhaltsfragen geht. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin bzw. ihr gesetzlicher Vertreter aufgrund einer geistigen Beeinträchtigung oder sonstiger persönlicher Umstände besonderer Unterstützung bedürfte, sondern ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin bzw. ihr gesetzlicher Vertreter zumindest über jene Fähigkeiten eines durchschnittlichen Rechtsschutzsuchenden im Bereich des Niederlassungsrechts verfügt, die notwendig sind, um ihr Anliegen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zweckentsprechend zu verfolgen.
Es sind daher zusammengefasst im anhängigen Beschwerdeverfahren keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten, die im Sinn der genannten Kriterien die Unterstützung einer rechtsunkundigen Partei wie der Antragstellerin bzw. ihrem gesetzlichen Vertreter durch einen Rechtsanwalt erforderlich machen würden, um den effektiven Zugang zum Gericht zu sichern, zu erkennen, noch sind hinsichtlich der Person der Antragstellerin keine besonderen Umstände hervorgekommen, aus denen sich ein besonderes Bedürfnis nach Unterstützung im Verfahren ergeben könnte.
Die Voraussetzungen der von der Antragstellerin begehrten – im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nur ausnahmsweise vorgesehenen – Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfers liegen somit nicht vor.
Somit war der verfahrensgegenständliche Verfahrenshilfeantrag, soweit mit diesem die Beigebung eines Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer beantragt wird, spruchgemäß abzuweisen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall weder vorgebracht worden noch sonst wie im Verfahren hervorgekommen. Die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich folgen der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenshilfe (insbes. VwGH 11.09.2019, Ro 2018/08/0008) und sie beinhalten eine – keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung darstellende – einzelfallbezogene Beurteilung.
Schlagworte
Fremden- und Aufenthaltsrecht; Verfahrensrecht; Verfahrenshilfe; Teilverfahrenshilfe;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.AV.1180.002.2021Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021