TE Bvwg Beschluss 2021/5/27 W168 2237971-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.05.2021
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Entscheidungsdatum

27.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W168 2215150-1/10E

W168 2215148-1/10E

W168 2215149-1/8E

W168 2237971-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, 2.) XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China und 3.) XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei und 4.) XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , geb. XXXX , vertreten durch RA Mag. Nadja Lorenz, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.01.2019, ad 1.) Zl. 1186201909/180311167, ad 2.) Zl. 1187612800/180364872 und ad 3.) Zl. 1187612310/180364848, sowie gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 02.11.2020 ad 4.) 1267684005 / 200764569 beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerden werden die angefochtenen Bescheide behoben und die Angelegenheit wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), ein Ehepaar (im Folgenden: BF1 und BF2) aus der Provinz Xinjiang und ihre in der Türkei geborene minderjährige Tochter (im Folgenden: BF3), sind türkische bzw. chinesische Staatsangehörige, gehören der uigurischen Volksgruppe an und sind moslemischen Glaubens.

Die BF reisten am 11.04.2018 von der Türkei, wo sie sich nach ihrer Heirat von Jänner 2016 bis 2018 aufgehalten haben, über Bosnien ins Gebiet der Mitgliedstaaten und von dort am 13.04.2018 illegal ins Bundesgebiet ein. Am 13.04.2018 stellten sie Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. In einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.04.2018 führte der BF1 aus, dass er 10 Jahre in der Türkei gelebt habe und auch türkischer Staatsbürger sei. In Istanbul sei er vom chinesischen Geheimdienst von China aus per Mail sowie telefonisch kontaktiert und aufgefordert worden, als Agent zu arbeiten. Bei Verweigerung dieser Anweisung wäre der BF1 den Drohungen zufolge getötet worden. Zudem wolle er erwähnen, dass er in den Jahren 2013 sowie 2014/2015 in China auf Besuch gewesen sei und im Jahr 2015 aufgrund eines unbegründeten Verdachtes 43 Tage inhaftiert worden sei. In der Haft sei ein hochrangiger Militärangehöriger an ihn herangetreten und habe ihm angeboten, freigelassen zu werden, falls er in der Türkei für sie arbeite. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben.

Die BF2 gab im Rahmen der Einvernahme am selben Tag zu Protokoll, dass sie ihren Ehemann im Jahr 2015 kennengelernt habe und er von der Türkei nach China für die geplante Hochzeit zurückgekehrt sei. Da sie einen Ausländer geheiratet habe, sei sie in weiterer Folge von Polizisten abgeholt und zwei Tage lang befragt worden. Da ihre Familie eine Kaution in Höhe von ca. 30.000 Yuan bezahlt habe, woraufhin sie ihren Ehemann geheiratet habe und das Land verlassen habe. Im Jahr 2016 sei ihr Bruder festgenommen worden, da sie sich ins Ausland begeben habe und nicht mehr zurückgekehrt sei. Ihre Familie habe erneut denselben Geldbetrag für die Kaution bezahlt, ihr Bruder sei jedoch nach seiner Freilassung im Jahr 2017 erneut verhaftet worden. Sein derzeitiger Aufenthaltsort sei unbekannt. Der Ehemann der BF2 sei ebenfalls verhaftet worden und nach terroristischen Aktivitäten befragt worden. Da die BF auch in der Türkei stetig durch Anrufe der chinesischen Polizei bedroht worden seien, hätten sie sich in ein sicheres Land begeben wollen. Sie wolle auch für ihre minderjährige Tochter um Asyl ansuchen. Bei einer Rückkehr würde sie festgenommen bzw. getötet werden. Die BF2 könne einen Aufenthaltstitel für die Türkei vorweisen.

Im Rahmen der Erstbefragung wurden folgende Dokumente der BF2 sichergestellt:

-chinesischer Reisepass der BF2 sowie türkischer Reisepass des BF1 sowie der BF3

-türkischer Aufenthaltstitel der BF2

-Flugtickets

1.3. In Rahmen seiner Einvernahme am 10.10.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) brachte der BF1 vor, dass er nicht in ärztlicher Behandlung stehe und keine Medikamente einnehme. Er sei gemeinsamen mit einem blinden chinesischen Staatsbürger eingereist, der ihm und seiner Familie die Einreise ermöglicht habe, indem er sein Flugticket bezahlt habe.

Auf Aufforderung, seinen Lebenslauf zu schildern, gab der BF an, dass seine Tochter, die BF3 die türkische Staatsbürgerschaft habe und sowohl er als auch seine Frau für diese obsorgeberechtigt seien. Er gehöre der Volksgruppe der Uiguren an und sei sunnitischer Moslem. Der BF1 sei vor seiner Einreise in der Türkei bereits zahlreiche Male im Ausland gewesen und habe und habe unter anderem Verwandte in Australien besucht und in Algerien als Dolmetscher gearbeitet. Im Herkunftsstaat würden sich nach wie vor seine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester aufhalten. Sein Vater sei ebenfalls in der Türkei wohnhaft. Nach einem Aufstand im Jahr 2009 hätten einige Uiguren in der Türkei die Staatsbürgerschaft erhalten. Befragt, ob er noch Kontakt mit seiner Familie in China habe, erklärte der BF1, dass sie 2017 immer Kontakt gehabt hätten, sie nunmehr die Angehörigen nicht mehr erreichen könnten, da er sie via Internet nicht mehr kontaktieren könne. Von Bekannten habe er vernommen, dass sein Onkel und mehrere Familienmitglieder festgenommen worden seien.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte der BF, dass er in Österreich keine Verwandte habe, auch sonst keine familiären oder privaten Bindungen im Bundesgebiet habe und Leistungen aus der Grundversorgung beziehe. Er besuche gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Deutschkurs.

Zur Frage, ob er in seinem Heimatland oder in einem anderen Land strafbare Handlungen begangen habe oder sich bereits in Haft befunden habe, entgegnete der BF, dass er nur einmal auf bloßen Verdacht, Verbindungen zu einer Terrorgruppierung zu haben, festgenommen worden sei. Die Frage, ob sein Vater noch in der Türkei wohnhaft sei und er dort unbehelligt leben könne, wurde vom BF bejaht und ausgeführt, dass er aufgrund seines hohen Alters nicht mehr als Gefahr angesehen werde. Im Herkunftsland sei er Dolmetscher gewesen und habe sich weder politisch betätigt noch als Mitglied einer Partei in Erscheinung getreten. Die Frage, ob er persönlich jemals Probleme mit den Behörden seines Herkunftslandes gehabt habe, wurde verneint.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF1 aus, dass er in China im Jahr 2015 für 43 Tage inhaftiert worden sei. Am 40ten Tag sei ein Polizist an ihn herangetreten und habe ihm angeboten, freizukommen, falls er in der Türkei Informationen über die Uiguren sammle und an die Chinesen weitergebe. Er habe den Vorschlag akzeptiert und habe sich nach der Hochzeit mit seiner Ehefrau in die Türkei begeben, wo er oftmals angerufen worden sei und Informationen verlangt worden seien. Da er den Chinesen keine Details weitergeleitet habe, sei er in weiterer Folge bedroht und sowohl sein Onkel als auch seine zwei Brüder seien verhaftet worden. Da er nach wie vor keine Informationen preisgegeben habe, sei er telefonisch mit dem Tod bedroht worden, weswegen er die türkische Polizei aufgesucht habe, die jedoch untätig geblieben sei. Nach einiger Zeit sei ihm durch den blinden Mann die Möglichkeit eröffnet worden, das Land zu verlassen. Seine Frau sei im Heimatland ebenfalls bedroht worden, habe jedoch nicht dieselben Fluchtgründe. Zur Frage, wie oft er bedroht worden sei, erwiderte der BF, dass er seit Jänner 2016 von dem erwähnten Mann, der im Gefängnis an ihn herangetreten sei, oftmals angerufen worden sei. Er gehe davon aus, dass der Mann in der Türkei Personen bestochen habe, um seinen Aufenthaltsort zu ermitteln. Zur Frage, weshalb seine Frau bedroht worden sei, entgegnete der BF, dass sie auch für die Chinesen arbeiten hätte sollen. Sie habe den Inhalt seiner Drohtelefonate zwar nicht genau mitbekommen, jedoch gewusst, dass auch er bedroht worden sei. Befragt, ob er wisse, weshalb seiner Ehegattin genau gedroht worden sei, erklärte der BF, dass sie von Demonstrationen Fotos machen und anschließend nach China übermitteln hätte sollen, was unter Uiguren üblich sei. Die Frage, ob er in der Türkei persönlich bedroht worden sei, wurde vom BF1 verneint. Er sei sowohl im Jahr 2015 in einem Gefängnis als auch im Jahr 2016 in China bedroht worden, über den Verbleib seiner verhafteten Familienmitglieder habe er keine näheren Informationen. Der Bruder seiner Ehefrau sei 2016 sowie 2017 verhaftet worden, gegen Bezahlung einer Kaution jedoch wieder freigekommen. Zur Frage, ob er in Erwägung gezogen habe, sich an einen anderen Ort innerhalb seines Herkunftslandes zu begeben, gab der BF an, dass er darüber nicht nachgedacht habe, da er sowieso gefunden werde. Bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland habe er Angst, vor den Chinesen getötet zu werden. Auf Vorhalt, dass er bereits seit zwei Jahren von den Chinesen in der Türkei Drohungen erhalte, ihm jedoch dennoch nichts passiert sei, entgegnete der BF, dass sich die Beziehungen zwischen China und der Türkei verbessert hätten und sich daher die Gesamtsituation verändert habe. Es habe jedenfalls einige Fälle verschwundener Uiguren gegeben. Zur Frage, ob ihm im Fall der Rückkehr in die Türkei etwas von Seiten staatlicher Behörden drohen würde, erklärte der BF, dass er möglicherweise in der Türkei aufgrund seiner Asylantragstellung in Österreich festgenommen werden würde.

Die BF2 gab im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme am selben Tag an, dass sie nicht in ärztlicher Behandlung stehe und keine Medikamente einnehme. Auf Aufforderung, ihren Lebenslauf anzugeben, brachte sie vor, nach dem Schulabschluss studiert und im Anschluss daran als Lehrerin für Computertechnik sowie Chinesisch gearbeitet zu haben. Sie habe ihren Ehemann 2014 kennengelernt, der nach einer Rückkehr in die Türkei 2015 in China wegen eines terroristischen Verdachtes verhaftet worden sei. Die BF2 sei ebenfalls zwei Tage inhaftiert worden, da ihre Familie jedoch eine Kaution in Höhe von 30.000 Yuan bezahlt habe, sei sie freigelassen worden. Ihr Mann sei nach einiger Zeit ebenfalls aus der Haft entlassen worden und im Jänner 2016 seien sie gemeinsam in die Türkei gereist. Befragt, weshalb ihre Ehegatte China verlassen habe, entgegnete die BF2, dass er zu Studienzwecken in die Türkei gereist sei.

Die Frage, ob sie aus China geflüchtet sei, wurde von der BF2 verneint, sie führte jedoch aus, dass sie aufgrund ihrer Heirat mit einem Ausländer Angst vor einem weiteren Aufenthalt gehabt habe. Da die chinesische Regierung eine strenge Vorgangsweise gegen jene Personengruppe habe, die im Ausland Kontakte pflegen würden, wäre es möglich gewesen, dass man ihren Ehemann in die Türkei zurückschicke oder sie selbst verhafte, da es für eine Inhaftierung seitens der chinesischen Behörden keine triftigen Gründe geben müsse. Befragt, wo sich ihre Angehörigen befinden würden, erklärte die 2BF, dass ihre Mutter, ihre zwei Brüder sowie seine beiden Schwestern in Kashgar mitsamt ihren Familien leben würden. Zur Frage, was man ihr gesagt habe, als sie in China verhaftet worden sei, erwiderte die BF2, dass sie gefragt worden sei, woher sie ihren Mann kenne und welchen Kontakt sie zu ihm gepflegt habe. Ihr Ehegatte sei erst nach eineinhalb Monaten wieder freigelassen worden. Befragt, ob sie in China jemals persönlich bedroht worden sei, gab die BF2 an, dass sie in der Türkei von Chinesen bedroht worden sei. Im Sommer 2016 sei ihr Bruder in China festgenommen worden und die BF2 zu einer Rückkehr in das Heimatland aufgefordert worden, um ihrem Bruder zur Freilassung zu verhelfen. Obwohl ihre Familie eine Kaution bezahlt habe, weswegen ihr Bruder freigelassen worden sei, habe die BF2 weitere Drohanrufe erhalten, in denen ihr angeordnet worden sei, für die Chinesen zu arbeiten und Informationen über die Uiguren weiterzugeben. Nachdem sie abgelehnt habe, sei ihr Bruder im Sommer 2017 erneut festgenommen worden, woraufhin sie erneut zur Weitergabe von Informationen aufgefordert worden sei. Zurzeit seien ihr zum Verbleib ihres Bruders keine näheren Informationen bekannt. Die Frage, ob sie seit 2017 noch Kontakt zu ihrer Familie habe, wurde bejaht und ausgeführt, dass sie über das Internet mit ihren Angehörigen in Kontakt sei. Befragt, wann die Chinesen zum ersten Mal Kontakt zu ihr aufgenommen hätten, entgegnete die BF2, dass sie den ersten Anruf nach der Festnahme ihres Bruders im Sommer 2016 erhalten habe. Es hätten sich danach verschiedene Männer gemeldet, die von ihr gefordert hätten, Uiguren in den Türkei auszuspionieren. Zur Frage, ob ihr Mann auch Anrufe erhalten habe, erwiderte die 2BF, dass er sie zwar über Drohungen informiert habe, sie jedoch nichts Näheres darüber wisse.

Zu den Lebensumständen in Österreich befragt, gab die BF an, dass sie neben ihrer mitgereisten Familie keine weiteren Verwandte habe. Sie beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und wohne mit ihrem Ehemann und ihrem Kind in einem Asylheim. Ansonsten besuche sie zweimal in der Woche einen Deutschkurs.

Die Frage, ob sie in ihrem Heimatland strafbare Handlungen begangen habe, vorbestraft sei oder sich bereits in Haft befunden habe, wurde von der BF verneint. Sie sei ebenfalls nicht politisch tätig gewesen, habe keiner politischen Partei angehört und habe keine Probleme mit den Behörden ihres Heimatlandes gehabt.

Zum Fluchtgrund befragt, führte die BF2 aus, dass sie ihre Fluchtgründe bereits angegeben habe. Sie wolle noch ergänzen, dass derzeit 1000 Uiguren in der Türkei inhaftiert seien und viele davon auch nach China zurückgeschoben worden seien. Aufgrund der verbesserten Beziehungen zwischen der Türkei und China könne man der türkischen Regierung nicht mehr vertrauen, weshalb die BF2 sich entschieden habe, in ein sicheres Land zu flüchten. Befragt, welcher Erwerbstätigkeit ihr Ehegatte in der Türkei nachgegangen sei, erklärte die BF2, dass er Gewürze aus dem Iran verkauft habe. Zur Frage, ob sie jemals erwogen habe, an einen anderen Ort in ihrem Heimatland zu ziehen, um den Problemen zu entgehen, gab die BF2 an, dass sie nicht an eine Verbesserung der Lage geglaubt habe. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland befürchte sie, als Zwangsprostituierte arbeiten zu müssen. Befragt, wovor sie bei einer Rückkehr in die Türkei Angst habe, gab die BF2 an, dass sie Chinesen bei der Polizei verleumden würden, dass sie einer Terrorgruppierung angehöre. Auf Vorhalt, dass ihre Tochter türkische Staatsangehörige sei und auf die Frage, weshalb sie in China mit ihr festgenommen werden sollte, entgegnete die BF2, dass sie Angst habe, dass ihre Tochter aufgrund ihrer Obsorge ebenfalls nach China geschickt werde. Bei einer Rückkehr nach China würde sie voraussichtlich bereits am Flughafen festgenommen werden.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden ein türkischer Meldezettel, ein Inlandspass, ein chinesischer Reisepass, eine chinesische Heiratsurkunde, eine türkische Heiratsurkunde sowie ein Universitätsdiplom in Kopie übermittelt.

1.4. Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge des BF1 sowie der BF3 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF1 und der BF3 wurden gemäß §§ 57 AsylG Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen sie Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen des BF1 und der BF3 gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig seien. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des BF1 und der BF3 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der BF2 auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Der BF2 wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF2 gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei. Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der BF2 gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend wurde im Bescheid des BF1 ausgeführt, dass das Vorbringen des BF1 nicht nachvollziehbar sei, dass ihn die chinesischen Behörden erst im Jahr 2015 festgenommen und inhaftiert hätten, da er sich bereits im Jahr 2013 und 2014 ohne jegliche Zwischenfälle in seinem Heimatland aufgehalten habe. Hätte die chinesische Regierung gedacht, dass er tatsächlich terroristische Verbindungen habe, weil er 2013 seinen Vater in die Türkei mitgenommen habe, so hätte er 2014 nicht ohne Probleme ausreisen dürfen. Naheliegend wäre gewesen, wenn er aufgrund der Beschuldigungen schon 2014 inhaftiert worden wäre, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Es erwecke den Anschein, dass der Gefängnisaufenthalt des BF1 in China Teil einer konstruierten Geschichte sei, um die telefonischen Bedrohungen von China rechtfertigen zu können. Der BF1 sei seinen Angaben zufolge von Juli 2015 bis Jänner 2016 in China gewesen und habe nach seiner Entlassung aus der Haft unbehelligt bis zu seiner Ausreise in die Türkei leben können. Er habe in weiterer Folge erklärt, dass er bei seiner Ausreise wieder von demselben Polizisten bedroht worden sei, der auch während seiner Inhaftierung an ihn herangetreten sei und es sei derselbe Polizist gewesen. Es entbehre jedoch jeder realen Grundlage, dass der Polizist genau gewusst habe, wann, wo und mit welchem Verkehrsmittel der BF1 China wieder verlassen habe. Die Behauptung des BF1, dass sich die türkische Polizei nicht mit seiner Anzeige auseinandergesetzt habe, könne nicht nachvollzogen werden, da es im vorgebrachten Fall um Spionage handeln würde.

Im Bescheid der BF2 wurde festgehalten, dass an ihrem Vorbringen nicht nachvollziehbar sei, weshalb sie 2015 plötzlich von der chinesischen Polizei festgehalten worden sei, weil sie einen Ausländer heiraten habe wollen. Die BF2 sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet gewesen, weshalb sich die Frage stelle, woher die Polizei von der bevorstehenden Verehelichung gewusst habe. Die BF2 habe China auf legalem Weg verlassen, um mit ihrer Familie in der Türkei zu leben. Die BF2 habe China völlig unbehelligt verlassen können, was sicherlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn sie von den Behörden verfolgt worden wäre. Es sei kein Grund ersichtlich, dass der Bruder der BF2 wegen ihr verhaftet werden hätte sollen, weshalb ihre Angaben nicht glaubhaft seien. Die Frage in der Einvernahme, ob sie aus China geflüchtet sei, habe sie verneint und angegeben, dass sie Angst vor einem weiteren Verbleib in China gehabt habe, weil sie einen Ausländer geheiratet habe. Zudem habe sie erklärt, dass sie in China nie persönlich bedroht worden sei, weshalb es nicht nachvollziehbar sei, weshalb man 2016 ihren Bruder in China verhaftet habe und erst wieder freilasse, wenn sie wieder nach China zurückkehre. Es wäre für die BF2 und ihren Mann auch möglich gewesen, den Drohanrufen in der Türkei durch einen Wechsel der Telefonnummer sowie einer Veränderung des Wohnortes möglich gewesen, um unangenehmen Telefongesprächen aus dem Weg zu gehen. Das Vorbringen der BF2 werde daher, aufgrund des Gesamtbildes ihrer Angaben, als nicht asylrelevant und glaubhaft gewertet.

1.5. In der durch den bevollmächtigten Rechtsberater der BF dagegen erhobenen vollumfänglichen, fristgerecht eingebrachten gleichlautenden Beschwerden wurde ausgeführt, dass ausgeschlossen werden könne, dass die BF aufgrund ihrer erzwungenen Spionagetätigkeit und ihrer Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen den chinesischen Behörden bekannt seien, müsse mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass dem BF1 eine Verfolgung durch den chinesischen Geheimdienst drohe und der türkische Staat nicht willens sei, ihn zu schützen. Die Verfolgung der BF habe ihren Ursprung in der uigurischen Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihrer politischen Gesinnung. Die Behörde habe es unterlassen, den entscheidungswesentlichen Sachverhalt durch entsprechendes Nachfragen festzustellen und habe es nicht für notwendig gehalten, entsprechende Beweismittel entgegenzunehmen. Es wäre der Behörde leicht möglich gewesen, weitere Ermittlungen anzustellen und somit den tatsächlichen asylrelevanten Fluchtgrund der BF festzustellen. Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und würden sich nicht mit dem konkreten Fluchtvorbringen der BF auseinandersetzen. In den Bescheiden des BF1 und der BF3 bleibe die Volksgruppenzugehörigkeit gänzlich unerwähnt, weshalb sich die Behörde nicht mit der erforderlichen persönlichen Situation der BF auseinandersetze. Im Bescheid der BF2 würden relevante Passagen der Länderberichte der Staatendokumentation fehlen, wie etwa Religionsausübung in Xinjang, wonach gemäß der Gesetzeserlassung im April 2017, wonach gemäß Gesetzeserlassung im April 2017 das religiöse Leben der dort lebenden Muslime noch weitere Einschränkungen erfahren habe. Unter anderem hätten Berichte von der Behörde herangezogen werden müssten, die verdeutlichen würden, welchen Gefahren die BF in der Türkei bzw. China ausgesetzt gewesen seien und bei einer Rückkehr wären. Es wurde auf mehrere Länderberichte verwiesen, die über systematische Unterdrückungen, Massenverhaftungen und Verschwinden von muslimischen Uiguren berichten würden. Es sei nicht auszuschließen, dass die BF1 und der BF3 infolge diplomatischen Drucks vonseiten Chinas aus der Türkei nach China abgeschoben bzw. ausgeliefert werden würden, wo ihnen Folter und die Hinrichtung drohen würden. Es sei offenkundig, dass die BF in China aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Uiguren sowie als Muslime aufgrund ihrer Religion bei nicht vorhandenen staatlichen Schutz asylrechtlich relevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen seien und im Falle ihrer Rückkehr nach China wieder wären. Diese drohende Verfolgung habe sich durch den mehrjährigen Aufenthalt in der streng muslimischen Türkei nochmals verschärft. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei somit ohne jeglichen Zweifel mangelhaft und die daraus resultierende rechtliche Beurteilung erweise sich als sachlich nicht gerechtfertigt und entbehre jeglicher Grundlage. Die Behörde stütze ihre Feststellungen zur Situation in der Türkei auf Länderberichte, die sich in keinster Weise auf das Fluchtvorbringen des BF1 und der BF2 beziehen würden. Zudem habe die Behörde zu den Themenkomplexen der Situation von Personen bzw. Aktivistinnen, die sich für die muslimische Minderheit der Uiguren einsetzen würden, keine bzw. nicht ausreichende Länderfeststellungen eingeholt. Die Länderfeststellungen in den Bescheiden würden zwar allgemeine Aussagen über China beinhalten, würden sich jedoch nicht bzw. nur oberflächlich mit dem von der BF geschilderten Vorbringen befassen und seien daher als Begründung zur Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz unzureichend. Die Länderberichte seien somit nicht dazu geeignet, das Vorbringen der BF abschließend und umfassend beurteilen zu können. Die Behörde habe ihre Ermittlungspflicht also nicht voll wahrgenommen und das Verfahren damit mit groben Mängeln belastet. Die belangte Behörde habe die Anträge der BF auf internationalen Schutz abgewiesen, weil sie ihr Vorbringen nicht als asylrelevant erachtet und für unglaubwürdig halte. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. Die Beweiswürdigung betreffend die Lage im Herkunftsland der BF1 und BF3 sei offenkundig völlig unzureichend. Es sei auffällig, dass die Behörde das Vorbringen der BF hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zur Minderheit der Uiguren und der chinesischen Verfolgung in der Türkei sowie ihrer möglichen Ausweisung nach China in keinster Weise würdige. Die Beweiswürdigung der belangten Behörde sei somit ohne jeglichen Zweifel mangelhaft und die daraus resultierende rechtliche Beurteilung erweise sich als sachlich nicht gerechtfertigt und entbehre jeglicher Grundlage. Die Behörde habe sich somit bloß in oberflächlicher und unzureichender Weise mit den Anträgen der BF auf internationalen Schutz auseinandergesetzt, die Situation der BF im Falle einer Rückkehr überhaupt nicht gewürdigt und dadurch das Verfahren mit schweren Mängeln behaftet. In den vergangenen Jahren hätten BF1 und BF2 mehrmals an Demonstrationen teil, die gegen die Uiguren-Politik Chinas gerichtet gewesen sei. Den BF stehe aufgrund der mangelnden Schutzwilligkeit der chinesischen Behörden gegenüber muslimischen Uiguren auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde sei mangelhaft gewesen, da der im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht erhoben worden sei. Das BFA habe es insbesondere unterlassen, genauere Ermittlungen zum Privat-und Familienlebender BF anzustellen. Die BF2 habe für die Türkei eine Aufenthaltskarte, die im Jänner 2019 ausgelaufen sei, wodurch ihre Aufenthaltsberechtigung erloschen sei. Wie aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation hervorgehe, werde eine Aufenthaltskarte nicht automatisch verlängert, weshalb diese Person nach einem Aufgriff abgeschoben werde und bei Ankunft bereits Inhaftierung sowie Misshandlung drohe. Die angefochtenen Bescheide seien daher inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass durch eine Rückkehrentscheidung die BF in ihren Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werden würden. Die belangte Behörde habe eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zu dem Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung in unterschiedliche Herkunftsstaaten zulässig wäre. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Beschwerde wurden ein Foto über die Teilnahme an einer Demonstration, ein Zeitungsartikel in türkischer Sprache sowie ein Personalausweis des BF1 angeschlossen.

Am XXXX wurde die BF4 geboren.

1.6 Mit Bescheid des BFA vom 02.11.2020 wurde der Antrag der 4. BF § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gem. § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF 4 in die Türkei zulässig sei, sowie die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Beweiswürdigend wurde festgestellt, dass eine aktuelle, gegen die BF4 gerichtete Verfolgung weder im gesamten Verfahren festgestellt werden habe können noch seien im Verfahren sonstige Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine Verfolgung für wahrscheinlich erscheinen hätten lassen. Die Mutter der BF4 habe ausgeführt, dass die Familie wegen Probleme des Vaters in der Türkei das Heimatland verlassen habe. Dieser Grund für das Verlassen des Heimatlandes sei nicht glaubwürdig gewesen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die BF4 persönlicher Verfolgung durch ihren Herkunftsstaat ausgesetzt gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland die Türkei sei nicht davon auszugehen, dass die BF4 einer allgemeinen exzeptionellen Gefährdungslage, die praktisch jeden betreffen würde, ausgesetzt wäre. Mangels Anzeichen beachtenswerter psychischer/physischer Problemstellungen sei der BF4 eine Rückkehr in die Türkei (in eine soziokulturelle und sprachlich vertraute Umgebung) zumutbar. Aus dem Inhalt der Länderfeststellungen ergebe sich zudem, dass die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln im Herkunftsstaat gewährleistet sei. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass die BF4 in keine existentielle Notlage im Herkunftsstaat komme. Betreffend der Situation der Rückkehr wurde festgehalten, dass sich die BF bei einer Rückkehr in der Obhut der gesetzlichen Vertreterin befinden würde. Die BF würde über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat aufweisen, bzw. hätte diese bei einer Rückkehr Unterkunfts – und Unterstützungsmöglichkeiten, bzw. wären beide Eltern berufstätig.

Gegen diesen Bescheid der wurde fristgerecht am 18.11.2020 Beschwerde erhoben und ausgeführt, dass sich die belangte Behörde bei der Beurteilung der Rechtsfrage, ob der minderjährigen BF4 der Status der Asylberechtigten bzw. subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei, aufgrund des Vorliegens eines Familienverfahrens auf das Vorbringen der Eltern. Es wurde auf die Beschwerde der BF1-BF3 verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchteil A): Stattgebung der Beschwerden und Zurückverweisung

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063):

"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). So verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idgF das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).

2.2. Es ist zunächst festzuhalten, dass das Bundesamt es im gegenständlichen Fall gänzlich verabsäumt hat, insbesondere auch auf die zu den Fluchtgründen der BF hinsichtlich willkürlicher Verhaftungen von Seiten der chinesischen Regierung weiterführende Ermittlungen vorzunehmen, das Vorbringen der BF bezüglich Verfolgung von im Ausland lebender Uiguren eingehend zu prüfen und aktuelle Länderfeststellungen zugrunde zu legen.

Bereits diesbezüglich sind dem Bundesamt sohin zweifellos grobe Ermittlungsmängel anzulasten, die zudem durchaus geeignet sind, ein anderes Verfahrensergebnis herbeizuführen.

2.3. Das Bundesamt hat es aber auch im Verfahren der BF trotz wiederholter Einvernahmen völlig unterlassen, auf das erstattete Fluchtvorbringen der BF1 und der BF 2 bzw. die Rückkehrbefürchtungen insbesondere der BF 2 als Staatsbürgerin der VR - China in angemessener Weise einzugehen. Dies zeigt sich bereits daran, dass das Bundesamt in seiner Entscheidung – unter gänzlicher Außerachtlassung der getroffenen Länderfeststellungen in den bekämpften Bescheiden - davon ausging, dass das Vorbringen der BF in den Einvernahmen insgesamt nicht als glaubhaft erachtet werden könne, sich jedoch mit den Länderberichten, insbesondere der Lage von Angehörigen der Volksgruppe der Uiguren, in keinster Weise auseinandersetzte, bzw. wurden keine ergänzenden Recherchen zum Vorbringen der BF hinsichtlich der angegebenen Bedrohungen der BF in der VR China bzw. im Ausland durchführt. Bereits aus den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid der BF2 zur Provinz Xinjang geht jedenfalls hervor, dass die chinesischen Behörden mit Härte gegen ethnischen Separatismus vorgehen würden und China bereits seit Jahren im Exil lebende uigurische Separatisten für eine Reihe von Angriffen in Xinjang verantwortlich mache. Zudem würden den Länderfeststellungen zufolge willkürliche Verhaftungen oder Hausarrest ohne gerichtliche Verfahren häufig vorkommen. Abklärungen bzw. ausreichende Feststellungen, warum mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit im gegenständlichen Verfahren eine diesbezüglich asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, wurden insgesamt nicht vorgenommen, bzw. sind solche den angefochtenen Bescheiden des BFA nicht zu entnehmen.

Insgesamt wurde nicht, bzw. jedenfalls nicht ausreichend, wie auch durch die BF vorgebracht, abgeklärt, ob diese, insbesondere die BF2, bereits leidglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur uigurischen Minderheit, oder etwa bereits auch aufgrund des langen Auslandsaufenthaltes des BF1 besonders in den Fokus der chinesischen Behörden geraten wäre, bzw. hinkünftig geraten könnte. Auf das Vorbringen der BF, wonach Angehörige dieser nunmehr in China Repressalien unterworfen wären, geht die Behörde nicht ein, bzw. sind auch diesbezüglich keine Ermittlungen und Abklärungen vorgenommen worden.

Dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des BF sind ferner keine Ermittlungen und ausreichenden Abklärungen zu entnehmen, wonach mit verfahrensgegenständlich maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass diese wie ausgeführt aufgrund ihrer Eheschließung mit einem ausländischen Staatsbürger Repressalien durch das chinesische Regime zu vergegenwärtigen hätte.

Auch den Ausführungen der belangten Behörde, wonach kein Grund ersichtlich wäre, dass der Bruder der BF2 wegen ihrer Ausreise verhaftet worden sei, kann basierend auf dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes insgesamt nicht gefolgt werden, zumal aus den Ausführungen nicht ersichtlich ist, dass dieserart Schlüsse auf konkreten und aktuellen Länderberichten zur Situation der uigurischen Minderheit beruhen. Bereits im Hinblick auf die selbst in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Ausführungen wonach es in der VR – China ein umfassendes Überwachungssystem gibt, viele Arbeitseinheiten des Ministeriums für Staatssicherheit mit der Beschaffung von Informationen von in-und ausländischen Bürgern befasst sind, beruhen die diesbezüglichen Ausführungen des BFA auf unbelegten Vermutungen, bzw. hätten konkret auf den gegenständlichen Einzelfall bezogene weitergehende Abklärungen, insbesondere hinsichtlich der aktuellen und konkreten Situation der uigurischen Minderheit in der VR – China, so eine Person der Familie wie die BF2 von einer Ausweisung in die VR – China betroffen sein sollte, bedurft.

Hinsichtlich der Ausführungen der BF, wonach diese wie angegeben, insbesondere auch wegen der Zugehörigkeit zur uigurischen Minderheit, auch außerhalb Chinas einer abzuklärend asylrelevanten Bedrohung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt gewesen wären, wurden keinerlei konkrete Abklärungen und Ermittlungen vorgenommen. Alleine sich berufend auf die nunmehrige Staatsbürgerschaft des BF1, Türkei wurden die angegebenen Befürchtungen des BF1, als auch der BF2 als chinesische Staatsbürgerin, als unglaubwürdig gewürdigt, bzw. verneint, ohne jedoch hierzu auch nur ansatzweise Ermittlungen zu unternehmen, ob es zu diesbezüglichen Bedrohungen von Personen uigurischen Ursprungs in der Türkei gekommen wäre.

Die belangte Behörde hat weiters keinenerlei konkrete Abklärungen, Ermittlungen oder ausreichende Nachfragen in Bezug auf das das Vorbringen des BF1 vorgenommen, wonach sich die Beziehungen zwischen der Türkei und China verbessert hätten, bzw. in der Türkei Personen uigurisch - chinesischer Abstammung verschwunden wären.

Die Schlussfolgerung, dass es unwahrscheinlich wäre, dass der BF1 als türkischer Staatsbürger bei einem Besuch in China festgenommen und inhaftiert werde, nicht ohne auch einzelfallbezogen konkretisiert weitere Abklärungen und Ermittlungen mit den Länderfeststellungen zu China hinsichtlich insb. der Lage der uigurischen Minderheit in China in Einklang bringen. Das Bundesamt hat es dazu auch komplett vermieden, zur Inhaftierung des BF1 irgendwelche Fragen zu stellen. Auch die Argumentation in der Beweiswürdigung, wonach dem BF1 die unbehelligte Ein-und Ausreise aus China möglich gewesen sei, lässt vollkommen außer Acht, dass er seinen Angaben zufolge gerade für seinen Einsatz als Spion bzw. Verbindungsmann im Ausland unter Druck gesetzt werden sollte.

Zum Vorbringen des BF1, dass man Uiguren im Ausland als Spione einsetze bzw. viele Uiguren einfach verschwunden seien, wurden keinen weiteren Recherchen veranlasst bzw. eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen unterlassen. Es ist ferner nicht ersichtlich, dass die Behörde sich mit der von der BF angegebenen Situation der Uiguren in China seit 2016 bzw. der Situation von uigurischen Personen im Ausland näher auseinandergesetzt und entsprechende weitere Ermittlungen vorgenommen hätte. Aus aktuellen Berichten geht jedenfalls hervor, dass der chinesischen Regierung in Hinblick auf die uigurische Minderheit in China jedenfalls Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzulasten sind und sich die Maßnahmen seitens der chinesischen Regierung auch auf die Unterdrückung und Verfolgung von im Ausland lebende Uiguren erstrecken.

Bezogen auf das Verfahren der BF4 ist festzuhalten, dass es aus dem gegenständlichen Bescheid nicht ersichtlich ist, bzw. wurden diesbezüglich keine Ermittlungen und Abklärungen vorgenommen, aufgrund welcher konkreter Anhaltspunkte die belangte Behörde davon ausgeht, dass der BF2 als chinesische Staatsbürgerin, die zum Zeitpunkt der Entscheidung im Verfahren des BF4 über kein aufrechtes Aufenthaltsrecht mehr in der Türkei verfügt, als Mutter von 2 minderjährigen Kindern, insbesondere der BF4, einem fast Neugeborenen, und der Zugehörigkeit zur uigurischen Minderheit bzw. ihren vorgebrachten Verfolgungsbefürchtungen dennoch möglich ist, ihr Familienleben in China oder in der Türkei ohne allfällig unzumutbar lange Unterbrechungen gemeinsam fortsetzen zu können. Diesbezüglich ist auch festzuhalten, dass der Ehemann der BF2, der BF1, als auch der beiden Kinder (BF3 und BF4) die Abschiebungen in die Türkei gem. 52 Abs. 9 FPG für zulässig ausgesprochen wurden, wohingegen hinsichtlich der BF2, als Mutter ihrer beiden minderjährigen Kinder, insbesondere des Neugeborenen BF4, die Abschiebung in die VR – China für zulässig erklärt worden ist.

Zutreffend verweist das BFA zwar auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in der bereits wiederholt Fälle behandelt wurden, in denen Familienangehörigen mit unterschiedlicher Staatsangehörigkeit bei Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet bzw. bei Erlassung von Rückkehrentscheidungen die Gefahr einer Trennung drohte. Der Verwaltungsgerichtshof verlangte in diesen Fällen jedoch jeweils eine aktualisierte und jeweils ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob sämtliche Familienmitglieder unter dem Blickwinkel des durch Art. 8 EMRK geschützten Rechtes auf Familienleben - nach allfälliger vorübergehender Trennung – konkret die Möglichkeit haben, ihr gemeinsames Familienleben in einem von mehreren Herkunftsstaaten der Familienmitglieder (oder einem anderen in Betracht kommenden Staat) zu führen (vgl. etwa VwGH vom 15. Dezember 2011, 2010/18/0248, und vom 25. Oktober 2012, 2011/21/0270). Eine solcherart aktualisiert konkrete, als auch ausreichende Auseinandersetzung mit dieserart verfahrenswesentlichen Frage ist dem angefochtenen Bescheid des BF4 jedoch nicht zu entnehmen, bzw. hat das BFA diesbezüglich keine, bzw. jedenfalls keine ausreichenden Ermittlungen und Abklärungen vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide enthalten jedenfalls keine, jedenfalls keine ausreichenden und aktualisierten Ausführungen, Abwägungen und Erörterungen hinsichtlich eines diesbezüglich möglichen Eingriffes gem. Art. 8 EMRK, hinsichtlich der Gefahr, der Zumutbarkeit oder Zulässigkeit einer allfälligen Trennung, bzw. sind diesen Bescheiden keine Ausführungen zu entnehmen, ob und wie konkret zum gegenständlichen Zeitpunkt der Entscheidung im Verfahren des BF4 die Fortsetzung des Familienlebens außerhalb Österreichs möglich ist. Ferner wurden auch hierauf bezogen keine Feststellungen dahingehend getroffen, aus welchen Umständen das BFA ableitet, dass eine Trennung der BF2 von ihren minderjährigen Kindern, insbesondere der fast neugeborenen BF4 unter den Gesichtspunkten des Kindeswohles im Rahmen einer ausführlichen Prüfung von Art. 8 EMRK zumutbar und in weiterer Folge auch zulässig ist. Eine allfällige Trennung einer Mutter von ihrem Neugeborenen ist nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedenfalls nur unter besonderen, außergewöhnlichen Umständen vertretbar. Überdies wurde nicht konkret geprüft, welcher Staat tatsächlich für die BF gegenwärtig als gemeinsame Rückkehrmöglichkeit im Familienverband infrage käme, um die Trennung der minderjährigen BF3 und BF4 von ihrer Mutter zu vermeiden.

Konkrete Abklärungen, wonach in den Verfahren der BF4, und der BF 3 unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK aktuell von einer Zulässigkeit einer nach der Staatsangehörigkeit getrennten Abschiebung in die Türkei bzw. China ausgegangen werden könnte, dies zumal die BF2 als gesetzliche Vertreterin und Mutter dieser gemeinsam mit ihrem Ehegatten den BF1 die Obsorge für die minderjährige BF3 und BF4 innehat, bzw. ob eine solche Abschiebung aktuell auch dem Kindeswohl entsprechen würde, wurden insgesamt ausreichend aktualisiert jedenfalls nicht vorgenommen.

Durch die Unterlassung der Vornahme von diesbezüglich verfahrenswesentlich ausreichenden Abklärungen liegt im Ergebnis auch keine zur Beurteilung des gegenständlichen Vorbringens im Beschwerdeverfahren ausreichend verwertbaren Ermittlungsergebnisse vor, da es das Bundesamt letztlich – trotz wiederholter Einvernahmen – im Wesentlichen verabsäumt hat, die oben angeführten notwendigen Ermittlungen und Abklärungen vorzunehmen.

2.4. Bereits unter diesen Gesichtspunkten leiden die angefochtenen Bescheide unter besonders gravierenden Ermittlungsmängeln, zumal das Bundesamt die abzuklärend asylrelevanten und für die gegenständliche Verfahren zentralen Befürchtungen der BF weitgehend ignoriert hat, hierzu keine, jedenfalls qualifiziert keine ausreichenden Ermittlungen vorgenommen hat, sodass auch nicht mehr bloß von einer Ergänzung des bereits durch das Bundesamt festgestellten Sachverhaltes auszugehen ist (vgl. dazu etwa VwGH 03.05.2018, Zl. Ra 2017/19/0585). Es war daher angesichts der gravierenden Ermittlungssäumnisse davon auszugehen, dass das Bundesamt im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt hat.

Eine Nachholung des in den angeführten Punkten notwendigerweise durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist und weil eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen die angefochtenen Bescheide des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurückzuverweisen. Das Bundesamt wird erstmals inhaltlich auf die bereits zuvor zusammengefassten Umstände im Verfahren der BF auf das Fluchtvorbringen der BF einzugehen haben. Hinsichtlich des BF1 wird das Bundesamt diese unter Nachfragen erstmals ausführlich und detailliert zu den Gründen und Begleitumständen seiner Inhaftierung zu befragen haben. Unter Zugrundelegung der sich daraus ergebenden Informationen wird die Glaubwürdigkeit des individuellen Vorbringens unter Einholung geeigneter sowie aktueller länderkundlicher Informationen zu beurteilen sein, wobei in diesem Zusammenhang auch die in der Beschwerde dargetanen Länderinformationen und Vorbringen nachvollziehbar zu würdigen sein werden. Insbesondere werden auch landeskundliche Ermittlungen – allenfalls durch einen Sachverständigen - hinsichtlich der aktuellen Situation der Uiguren in China bzw. im Ausland aufhältiger bzw. willkürlicher Verhaftungen von Uiguren bzw. deren Einsatz als Spione anzustellen sein.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B):

3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.2. Unter Punkt II.2. wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausgeführt, dass im Verfahren vor dem Bundesamt notwendige Ermittlungen unterlassen wurden. Betreffend die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG im gegenständlichen Fall liegt keine grundsätzliche Rechtsfrage vor, weil mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, bereits Judikatur vorliegt, und vor diesem Hintergrund auch das gegenständliche Verfahren zu entscheiden war.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Familienverfahren individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W168.2237971.1.00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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