TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/7 W131 1423969-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2021
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Entscheidungsdatum

07.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W131 1423969-2/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag Reinhard GRASBÖCK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, unvertreten, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: Bf) stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) fand am XXXX statt.

2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom XXXX wurde der Antrag des Bf auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) und dieser gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen.

3. Der Bf erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der Beschwerde stattgegeben und dem Bf gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass dem Bf Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sein drogensüchtiger Vater ihn gegen Geld bereits den Taliban versprochen hatte und der Bf - der die Einstellung der Taliban nicht teilen würde - ins Blickfeld der Taliban geraten sei, als er einem bei ihm erschienen Kommandanten bereits seinen Anschluss zusicherte und diesen durch seine Flucht nunmehr vereitelt hätte. Dieses Verhalten würde ihn in Afghanistan im erheblichen Maße gefährdet erscheinen. In diesem Fall würde daher wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der Religion bzw. der (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung vorliegen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative würde zudem – angesichts des großen Wirkungsradius und der operativen Kapazitäten der Taliban - nicht vorliegen.

5. Am XXXX wurde der Bf erneut von der belangten Behörde einvernommen.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der dem Bf mit Erkenntnis vom XXXX , Zl. XXXX , zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs.4 AsylG 2005 festgestellt, dass dem Bf die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde dem Bf der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden auch: „BFA-VG“) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden auch „FPG“) erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs.1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die vom Bf geltend gemachten Asylgründe nicht mehr vorliegen würden und von ihm nicht glaubhaft gemacht werden konnten. Angesichts der Annahme, dass die vorgebrachte Gefährdungslage im Jahr 2008 vorgelegen haben soll und nun zehn Jahre vergangen seien und der Bf seither nichts mehr erfahren habe, fehle seiner vorgebrachten Gefährdungslage nunmehr die Aktualität. Somit habe sich seine subjektive Lage im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert, dass er keine Gefährdungslage mehr zu erwarten habe und ihm eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zuzumuten sei. Dies insbesondere aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Österreich und seines damit einhergehenden massiven Zuwachses an Lebenserfahrung, wodurch er nun auch in Afghanistan seinen Lebensunterhalt alleine bestreiten könne. Es sei nun, anders als im Entscheidungszeitpunkt, im Falle seiner Rückkehr nicht mehr notwendig, dass er dort über soziale bzw. familiäre Netzwerke verfüge. Damals, im Jahr XXXX , habe ihm nicht zugemutet werden können, den Lebensunterhalt unter den schwierigen Bedingungen zu bestreiten, in Kauf zu nehmen. Überdies könne er auch auf eine Vielzahl an internationalen Einrichtungen zurückgreifen, die Rückkehrer unterstützen würden. Zudem verfüge er nach wie vor über Kontakt zu seinen in Afghanistan aufhältigen Angehörigen, die ihn bei seiner Rückkehr unterstützen können würden. Es bestehe kein Zweifel daran, dass er sich als arbeitsfähiger und gesunder Mann in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat versorgen könne, zumal dort Unterstützung durch internationale Hilfsorganisationen verfügbar sei.

7. Der Bf erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Bf nach wie vor einer Verfolgung der Taliban ausgesetzt sei, was von diesem auch mehrfach im Rahmen der Befragung bei der belangten Behörde vorgebracht worden sei. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative sei, wie im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr XXXX festgestellt worden sei, zum heutigen Entscheidungszeitpunkt für den Bf nicht zumutbar. Wie den angeführten Länderberichten zu entnehmen sei, sei es auch zu keinen wesentlichen Änderungen im Herkunftsstaat gekommen.

8. Mit Schreiben vom XXXX wurde dem Bf und der belangten Behörde der ACCORD Bericht zu „Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018“ vom Dezember 2018 zum Parteiengehör übermittelt.

9. An der am XXXX durch das Bundesverwaltungsgericht durchgeführten öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung nahm der Bf teil. Auch eine bevollmächtigte Vertreterin der Diakonie Flüchtlingsdienst nahm an der Verhandlung teil. Eine Bedienstete des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl war ebenso anwesend.
10. Mit Schreiben vom XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Länderinformationen ein. In dieser wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass weder im Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt worden sei, dass die Taliban das Interesse an der Verfolgung des Bf verloren hätten, noch eine wesentliche, dauerhafte Veränderung der spezifischen, die Herrschaft der Taliban in Afghanistan betreffenden Situation bestehe. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Bf nunmehr seit siebeneinhalb Jahren nicht mehr in Afghanistan gewesen sei. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Z 2 AsylG 2005 würden nicht vorliegen und der angefochtene Bescheid sei ersatzlos zu beheben.

11. Mit Schreiben vom XXXX wurde der belangten Behörde die Stellungnahme des Bf zur Kenntnisnahme übermittelt.

12. Mit Dokumentenvorlage vom XXXX brachte der Bf einen Lohnzettel in Vorlage.

13. Mit Schreiben vom XXXX wurde dem Bf und der belangten Behörde das Länderinformationsblatt zu Afghanistan vom 21.07.2020 sowie die Analyse der Staatendokumentation vom 21.07.2020 zum Parteiengehör übermittelt. Der belangten Behörde wurde zudem die Dokumentenvorlage der Beschwerdeführervertreterin übermittelt.

14. Mit Schreiben vom XXXX übermittelte der Bf eine Stellungnahme zu den Länderinformationen. Darin führte er im Wesentlichen aus, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor volatil sei. Soweit die belangte Behörde auf die geänderte Lage im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt sowie auf das Bestehen einer tauglichen innerstaatlichen Fluchtalternative abstelle, sei dadurch keine Änderung des Sachverhalts begründet, zumal ein Wegfall der asylrelevanten Verfolgungsgefahr gefordert sei. Ungeachtet dessen sei dem Bf schon aus Gründen der derzeitigen Verschlechterungen im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie in Afghanistan eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Dies ergebe sich vor allem aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.07.2020. Insgesamt sei aufgrund der aktuellen Länderberichte nicht mehr davon auszugehen, dass der Bf als alleinstehender Mann in großen Städten, ohne finanzielle Mittel oder höhere Berufserfahrung auf unabsehbare Zeit eine zumutbare Fluchtalternative vorfinden würde. Unter Berücksichtigung der aktuellen Lage sei eine Rückkehr des Bf nach Afghanistan angesichts der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie im Zusammenspiel mit der allgemeinen prekären Gesundheits-, Hygiene- und Versorgungslage jedenfalls nicht zumutbar.

15. Mit Schreiben vom XXXX wurde von der Landespolizeidirektion Niederösterreich eine Reisebewegung des Bf gemeldet. Laut dieser reiste der Bf für einen Monat nach Islamabad.

16. Mit Schreiben vom XXXX wird erneut eine Reisebewegung des Bf am XXXX gemeldet.

17. Am XXXX wurde ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion Wien wegen des Verdachts des Betruges betreffend Sozialleistungen beigebracht. Diesem ist unter anderem die Angabe des Mitbewohners des Bf zu entnehmen, wonach der Bf schon seit längerem in Pakistan sei und wahrscheinlich auch dort bleiben werde. Der Bf wohne nicht mehr an seiner Meldeadresse. Von den Polizeibeamten wurde festgehalten, dass der Bf laut ZMR-Auskunft seit XXXX ohne Wohnsitz im Bundesgebiet sei und sich auch nicht mehr beim AMS gemeldet habe.

18. Am XXXX wurde sowohl dem Bf als auch der belangten Behörde das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 11.06.2021, die EASO Country Guidance: Afghanistan vom Dezember 2020 und der Landinfo Report zu Afghanistan vom 23.08.2017: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne, zum Parteiengehör übermittelt.

19. Mit Schreiben vom XXXX räumte das Bundesverwaltungsgericht dem Bf und der belangten Behörde die Möglichkeit ein, sich binnen einer Woche zur Kurzinformation der Staatendokumentation vom 19.07.2021, betreffend die Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, zu äußern.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Bf führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Paschtunen an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er ist ledig und kinderlos.

Der Bf wurde in der Provinz Laghman, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern auf. Der Bf besuchte keine Schule. Der Bf erlernte keinen Beruf. Der Bf arbeitete als Feldarbeiter.

Der Vater und die Geschwister des Bf leben heute immer noch in der Provinz Laghman. Ein Onkel des Bf lebt derzeit in der Provinz Kunar.

Der Bf verließ Afghanistan im Jahr XXXX und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Bf ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Dem Bf wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten lag zugrunde, dass der Bf als Jugendlicher von seinem drogensüchtigen Vater aufgefordert worden ist, sich den Taliban anzuschließen, weil er diesen seinen Sohn bereits gegen Geld versprochen hatte. Der Bf teilte die Einstellung der Taliban jedoch nicht. Er sicherte einem bei ihm erschienenen Kommandanten seinen Anschluss zu – geriet damit in das Blickfeld der Taliban – vereitelte diesen jedoch mit seiner Flucht. Das Bundesverwaltungsgericht folgerte daraus, dass der Bf aufgrund dieser Umstände Bedarf an internationalem Schutz aus Gründen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung habe. Zudem führte es im Erkenntnis aus, dass für ihn in Afghanistan – angesichts des großen Wirkungsradius und der operativen Kapazitäten der Taliban - keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe.

Im angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde die Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen damit begründet, dass die vorgebrachte Gefährdungslage bereits zehn Jahre her sei und der Bf nichts mehr erfahren haben soll, weshalb seiner vorgebrachten Gefährdungslage die notwendige Aktualität fehle. Die genannten Gründe würden nicht mehr vorliegen, da er diese nicht habe glaubhaft habe machen können. Zudem sei ihm aufgrund des nunmehrigen Fehlens einer Gefährdungslage eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar. Dies umso mehr, als es durch seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich zu einem massiven Zuwachs an Lebenserfahrung gekommen sei, sodass er alleine seinen Lebensunterhalt in Afghanistan bestreiten könne. Außerdem habe sich die Lage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, Mazar-e Sharif, dahingehend geändert, dass nun Reintegrationsprogramme zur Verfügung stehen würden.

Es kann nicht festgestellt werden, welche nachhaltigen und wesentlichen Änderungen der rechtskräftig und glaubwürdig bereits durch das Bundesverwaltungsgericht als asylrelevant festgestellten Situation des Bf eingetreten sind.

2.       Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, in Länderinformationen sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Bf in der mündlichen Verhandlung.

Die Feststellungen zur Identität des Bf ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Bf gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Bf im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Bf, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung sowie seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Bf zu zweifeln.

Die Feststellung zur Antragstellung in Österreich ergibt sich aus dem Verfahrensakt.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Bf ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Die Feststellungen zu den Gründen der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Bf ergeben sich aus dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX .

Die Feststellungen zu den Gründen der Aberkennung des Status des Asylberechtigten ergeben sich aus dem Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX .

Die im gegenständlichen Verfahren durch die belangte Behörde angeführten Begründungen betreffend das nunmehrige Vorliegen der Voraussetzungen für eine Aberkennung beruhen zur Gänze auf einer neuerlichen Beweiswürdigung durch die belangte Behörde auf Grundlage einer Einvernahme des Bf vom XXXX über einen rechtskräftig durch das Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachverhalt. Zusammenfassend können sämtliche Ausführungen der belangten Behörde unter besonderer Berücksichtigung des Ergebnisses des Beweisverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht, in dem eine asylrelevante Bedrohung des Bf im Zusammenhang mit einer drohenden Zwangsrekrutierung des Bf als glaubhaft erkannt wurde, nicht darlegen, dass nunmehr eine diesbezüglich wesentliche und nachhaltige Änderung eingetreten ist, die eine diesbezügliche neue Beurteilung zulassen könnte. Die Ausführungen betreffend der Begründung eines nunmehrigen Wegfalles der asylrelevanten Bedrohung beruhen allesamt auf Vermutungen und unbelegten Annahmen. Dass alleine der Zeitablauf von zehn Jahren seit der vorgebrachten Gefährdungslage einen ausreichenden Grund für die Annahme des Wegfalles einer bereits als rechtkräftig glaubhaften, sowie asylrechtlich maßgeblich festgestellten Bedrohungssituation darstellt, ist insgesamt nicht ausreichend begründet dargelegt worden. Vielmehr hat die belangte Behörde auf Grundlage einer neuerlichen Einvernahme des Bf eine neue Beurteilung eines rechtskräftig festgestellten Sachverhalts vorgenommen. Zudem stützt sich die belangte in ihrer Beweiswürdigung ausschließlich auf die Einvernahme des Bf vom XXXX , ohne die Ergebnisse des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens des Bf in die Beweiswürdigung einzubeziehen. Der Argumentation der belangten Behörde zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist entgegenzuhalten, dass dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX eindeutig zu entnehmen ist, dass für den Bf - angesichts des großen Wirkungsradius und der Kapazitäten der Taliban – eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht anzunehmen ist.

Insgesamt beruht damit die von der belangten Behörde angeführte Begründung zur fehlenden Gefahrenlage des Bf in Afghanistan auf einer neuerlichen Beweiswürdigung eines rechtskräftig entschiedenen Sachverhalts, ohne dass die belangte Behörde ihren Behauptungen aktuelle und valide Beweismittel zugrunde legen konnte. Durch sämtliche Ausführungen der Behörde wurde nicht ersichtlich, dass sich die objektive und persönliche Situation des Bf, welche zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geführt hat, wesentlich und nachhaltig geändert hat.


3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1.    Zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten:

3.1.1. § 7 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„§ 7 (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat. …

(2a) Ungeachtet der in § 3 Abs. 4 genannten Gültigkeitsdauer der Aufenthaltsberechtigung ist ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten jedenfalls einzuleiten, wenn sich aus der Analyse gemäß § 3 Abs. 4a ergibt, dass es im Herkunftsstaat des Asylberechtigten zu einer wesentlichen, dauerhaften Veränderung der spezifischen, insbesondere politischen, Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind, gekommen ist. Das Bundesamt hat von Amts wegen dem Asylberechtigten die Einleitung des Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten formlos mitzuteilen. ...

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt – wenn auch nicht rechtskräftig – nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. …

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.“

Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) lautet:

„Eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A zutrifft, fällt nicht mehr unter dieses Abkommen,

1. wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt; oder

2. wenn sie nach dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat; oder

3. wenn sie eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben hat, genießt; oder

4. wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat; oder

5. wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt;

6. wenn es sich um eine Person handelt, die keine Staatsangehörigkeit besitzt, falls sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem sie ihren gewöhnlichen Wohnsitz hat. Dabei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in das Land abzulehnen, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“

3.1.2. Die belangte Behörde stützte die Aberkennung des Status des Asylberechtigten im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich auf § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG, somit den Eintritt eines der in Art. 1 Abschnitt C GFK genannten Endigungsgründe.

3.1.3. Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention), zufolge wird dieses Abkommen auf eine Person, die unter die Bestimmungen des Abschnittes A fällt, nicht mehr angewendet, wenn die Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen und sie es daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen.

Ob eine die Anwendung des Endigungsgrundes des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK rechtfertigende relevante Änderung der Verhältnisse im Herkunftsstaat eingetreten ist, hat die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht von Amts wegen zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Fluchtgeschichte bzw. der Fluchtgründe eines Asylwerbers zu prüfen, ob diese noch immer einen asylrechtlich relevanten Aspekt haben könnten (vgl. VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0121 mit Hinweis auf VwGH 19.12.2001, 2000/20/0318).

Eine entsprechende Änderung der Umstände muss sich jedoch nicht zwangsläufig nur auf eine (objektive) Veränderung der Situation im Herkunftsstaat beziehen, sondern umfasst auch eine allfällige erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung jener persönlichen Umstände des anerkannten Flüchtlings, auf Grund derer er als Flüchtling anerkannt wurde, wie etwa die Abkehr von einer im Heimatland verfolgten Religion oder politischen Gesinnung, sofern damit nach den objektiven Umständen im Herkunftsstaat eine gefahrlose Rückkehr möglich ist. Der bloße Wegfall subjektiv empfundener Furcht reicht hingegen nicht für den Eintritt des Endigungsgrunds des Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK (vgl. VwGH 29.06.2020, Ro 2019/01/0014 mit Hinweis auf VwGH 31.01.2019, Ra 2018/14/0121).

Um die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft zu bejahen, muss die Änderung der Umstände sowohl grundlegend als auch dauerhaft sein, zumal der Flüchtlingsschutz umfassende und dauerhafte Lösungen zum Ziel hat und Personen nicht unfreiwillig in Verhältnisse zurückkehren sollen, welche möglicherweise zu einer neuerlichen Flucht führen. Da eine voreilige oder unzureichende Begründung der Beendigungsklauseln ernsthafte Konsequenzen haben kann, ist es angebracht, die Klauseln restriktiv auszulegen. (vgl. UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [„Wegfall der Umstände“-Klauseln], Abs. 6 f).

3.1.4. Ein Wegfall der fluchtrelevanten Umstände wird im angefochtenen Bescheid jedoch nicht dargetan. Vielmehr wird von der Behörde argumentiert, dass auf Grundlage einer neuerlich durchgeführten Beweiswürdigung auf Basis einer neuerlichen Einvernahme, jene Fluchtgründe, aufgrund derer dem Bf der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, von diesem nicht glaubhaft gemacht habe werden können. Zudem habe sich die subjektive Lage des Bf seit dem seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend verändert, dass er keine Gefährdungslage mehr zu erwarten habe. Ihm sei eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat zumutbar. Angesichts seines langjährigen Aufenthalts in Österreich und seines damit einhergehenden massiven Zuwachses an Lebenserfahrung sei davon auszugehen, dass er seinen Lebensunterhalt in Afghanistan alleine bestreiten könne.

Dabei übersieht die belangte Behörde jedoch, wie bereits beweiswürdigend ausgeführt, dass in dieser Frage mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl. XXXX , bereits eine rechtskräftige Entscheidung existiert, an die sie gebunden ist. Dasselbe gilt für die Frage des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Wie bereits ausgeführt, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, und wurde das von der belangten Behörde auch nicht aufgezeigt, welche nachhaltigen und wesentlichen Änderungen der rechtskräftig und glaubwürdig durch das Bundesverwaltungsgericht asylrelevant festgestellten Situation des Bf nunmehr eingetreten seien. Das Erkenntnis vom XXXX , Zl. XXXX , mit dem dem Bf der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist rechtskräftig. Eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften hinreichend belegt nachhaltig und wesentlich geändert hätten, also eine wesentliche Veränderung der subjektiven bzw. objektiven Bedrohungssituation des Bf eingetreten ist bzw eine diesbezüglich neue Sache vorgelegen wäre, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gelten würde. Von einer nachträglichen Änderung der Sache wäre aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden (vgl. etwa VwGH 09.01.2020, Ra 2019/19/0496).

3.1.5. Im konkreten Fall stützt sich der angefochtene Bescheid – wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt – auf eine neue Beurteilung desselben Sachverhalts (versuchte Zwangsrekrutierung bzw. Verfolgung aufgrund der Weigerung des Bf mit einer bestimmten regierungsfeindlichen Gruppierung zusammenzuarbeiten), ohne dass eine Änderung des Sachverhalts eingetreten wäre. Dieser Neubeurteilung steht jedoch die Rechtskraft der Entscheidung vom XXXX entgegen, sodass eine Aberkennung des Asylstatus fallbezogen nicht auf § 7 Abs 1 Z 2 AsylG 2005, sohin auf das Eintreten einer der in Art 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Endigungsgründe gestützt werden kann.

3.1.6. Der Beschwerde war daher stattzugeben und es war – da die Spruchpunkte I. bis VI. auf der Aberkennung des Status des Asylberechtigten aufbauen – der angefochtene Bescheid zur Gänze ersatzlos zu beheben.

Dem Bf kommt aufgrund der Behebung des Bescheides weiterhin der Status des Asylberechtigten zu.

Zu B)     Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.


Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Asylaberkennung asylrechtlich relevante Verfolgung Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Rechtskraft Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage wesentliche Änderung Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W131.1423969.2.00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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