Entscheidungsdatum
15.09.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W212 2238660-1/7E
W212 2238661-1/7E
W212 2238664-1/7E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle StA Syrien, alle vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes Für Fremdenwesen und Asyl vom 29.12.2020, Zlen.: 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX , zu Recht beschlossen:
A)
I. Die Beschwerden der BF2 und des BF3 werden gemäß § 28 Abs. 1, § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.
II. Der Beschwerde des BF1 wird gemäß § 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
1. Verfahrensgang
1. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind die leiblichen Eltern des, in Österreich geborenen, Drittbeschwerdeführers (BF3). Alle sind syrische Staatsangehörige. Die BF2 ist die gesetzliche Vertreterin des BF3.
2. Der BF1 und die BF2 stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 20.08.2020 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.
Laut EURODAC-Treffermeldung erfolgte seitens des BF1 und der BF2 zuvor am 08.01.2020 eine erkennungsdienstliche Behandlung in Bulgarien.
3. Am 20.08.2020 fanden die Erstbefragungen des BF1 und der BF2 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
Der BF1 gab zunächst an, er leide an keinen Beschwerden oder Krankheiten, die ihn an der Einvernahme hindern würden. Er habe seinen Herkunftsstaat im Jänner 2020 verlassen und sich zunächst vier Monate in der Türkei aufgehalten. Danach sei er dreieinhalb Monate zu Fuß und mit PKW durch unbekannte Länder gereist und schließlich am 20.08.2020 in Österreich eingereist. In Bulgarien sei er etwa 15 Tage lang eingesperrt gewesen. Nachdem er freigelassen wurde, sei er weitergezogen. Einen Asylantrag habe er dort nicht gestellt. Er sei zusammen mit seiner Ehefrau, der BF2, von Syrien nach Österreich gekommen. In Österreich würden sich auch zwei seiner Brüder befinden. Zu seinem Fluchtgrund befragt, erklärte der BF1, er habe Angst als Soldat kämpfen zu müssen und im Krieg zu sterben. Der BF1 legte eine Kopie seines syrischen Reisepasses vor.
Die BF2 gab an, sie sei im siebten Monat schwanger, leide aber an keinen Beschwerden oder Krankheiten, die sie an der Einvernahme hindern würden. Sie habe sich bis November 2019 in Syrien aufgehalten und sei dann mit dem BF1 zu Fuß in die Türkei gelangt, wo sie sich vier Monate aufgehalten habe. In einem unbekannten Land sei sie von der Polizei aufgegriffen worden und habe man ihr die Fingerabdrücke abgenommen. Sie sei dort etwa 20 Tage im Gefängnis gewesen. Nachdem sie freigelassen worden sei, sei sie nach etwa dreimonatiger Reise durch unbekannte Länder schließlich am 20.08.2020 in Österreich eingereist. Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab die BF2 an, sie wolle nicht im Krieg sterben. Die BF2 legte Kopien eines syrischen Reisepasses und eines nicht übersetzten Heiratsnachweises vor.
4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl richtete am 01.09.2020 ein auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Bulgarien. Mit Schreiben vom 03.09.2020 lehnte Bulgarien die Übernahme der BF1 und der BF2, mit der Begründung ab, dass dem BF1 und der BF2 am 22.05.2020 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei und dementsprechend keine Überstellung nach der Dublin III-VO stattfinden könne.
5. Nach vorheriger Übermittlung der zu Bulgarien herangezogenen Länderberichte fanden am 02.10.2020 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache und im Beisein der Rechtsberater die niederschriftlichen Einvernahmen des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt.
Der BF1 gab zunächst an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage die Einvernahme durchzuführen, nehme keine Medikamente und stehe nicht in ärztlicher Behandlung. Er habe zwei Brüder, die beide in Wien leben würden und in Österreich asylberechtigt seien. Er habe alle zehn bis 14 Tage Kontakt zu ihnen und hätten sie ihn bereits in der Flüchtlingsunterkunft besucht. Abhängigkeitsverhältnisse würden zu seinen Brüdern keine bestehen. Er sei mit der BF2 seit 13.10.2019 traditionell verheiratet und sei seine Frau auch schwanger. In Bulgarien sei er gezwungen worden einen Asylantrag zu stellen, er habe aber nicht gewusst, dass Bulgarien ein europäisches Land ist und kenne auch den Stand des dortigen Verfahrens nicht. Auf Vorhalt, er habe angegeben einen Aufenthaltstitel zu haben, erklärte der BF1, er wisse, dass er und die BF2 dort einen Aufenthaltstitel haben, es bestehe aber keine Möglichkeit dort zu leben. Den Aufenthaltstitel habe er bekommen und weggeworfen. Er und die BF2 seien etwa einen Monat in Bulgarien gewesen, 15 Tage davon seien sie in Quarantäne gewesen, danach in einem Lager. Dort habe er sich das Essen selbst organisieren müssen und monatlich 20 Leva bekommen. Nach Bulgarien könne er nicht zurückkehren, denn es herrsche dort Rassismus und die Leute seien nicht so freundlich zu Ausländern. Außerdem sei seine Frau schwanger.
Die BF2 gab an, sie fühle sich sowohl psychisch als auch physisch in der Lage die Befragung zu absolvieren. Sie stehe, bis auf die Geburtsvorbereitung, nicht in ärztlicher Behandlung und nehme nur Vitamine für die Schwangerschaft ein. Dass sie schwanger ist, habe sie in Bulgarien festgestellt, als sie etwa im zweiten Monat gewesen sei. In Bulgarien sei sie wegen ihrer Schwangerschaft nicht im Krankenhaus gewesen, da sie den dortigen Behörden von ihrer Schwangerschaft nichts erzählt habe. Der voraussichtliche Geburtstermin sei der 22.10.2020 und verlaufe die Schwangerschaft bisher gut. Ihr Mann, der BF1, habe in Österreich zwei Brüder. Mit dem BF1 sei sie sicher schon über zehn Monate traditionell verheiratet. Das genaue Datum wisse sie nicht, der BF2 habe aber eine Kopie der Heiratsurkunde. Ihr Asylverfahren in Bulgarien sei abgeschlossen und sei ihr mittels Dolmetscher mitgeteilt worden, dass sie eine positive Entscheidung erhalten habe. Sie habe auch eine schriftliche Entscheidung bekommen, diese sei aber auf dem Weg nach Österreich verloren gegangen. Sie habe nicht gewusst, dass die Fingerabdrücke einer Antragstellung gleichkommen würden und auch nicht, dass es sich bei dem Land um Bulgarien gehandelt habe. Sie sei dort etwa einen Monat zusammen mit dem BF1 gewesen und hätte dort ein Zimmer bekommen. Sie wolle lieber nach Syrien zurück als nach Bulgarien, denn das Essen dort sei sehr schlecht gewesen, der BF1 habe dort nicht arbeiten können und sie sei finanziell auch nicht unterstützt worden. Über eine etwaige Rückkehr könne sie auch nicht selbst entscheiden und müsse darüber mit dem BF1 reden.
Weder der BF1 noch die BF2 gaben hinsichtlich der Länderinformationen zu Bulgarien eine Stellungnahme ab.
Die anwesenden Rechtsberater stellten keine Fragen oder Anträge.
6. Am XXXX wurde der BF3 in Österreich geboren.
7. Am 05.11.2020 stellte die BF2, als seine gesetzliche Vertreterin, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz für den BF3.
8. Mit Schreiben vom 24.11.2020 lehnte Bulgarien das am 17.11.2020 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des BF3 übermittelte Aufnahmeersuchen ab. Im Antwortschreiben bezog sich Bulgarien auf Art. 9 Dublin III-VO und führte aus, dass aus dem Wiederaufnahmeersuchen nicht hervorgehe, dass die Eltern des BF3 schriftlich den Wunsch geäußert hätten, dass Bulgarien für den Antrag auf internationalen Schutz des BF3 zuständig sein solle.
8. Am 04.12.2020 fand, im Beisein ihres Rechtsberaters, eine weitere niederschriftliche Einvernahme der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Sie gab auf Nachfrage an, ihre Angaben gelten auch für den BF3. Sie sei psychisch und physisch in der Lage einvernommen zu werden, stehe nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente. Auch dem BF3 gehe es gut. Auf die Frage, ob sie gemeinsam mit dem BF3 nach Bulgarien reisen wolle, antwortete die BF2 mit „Ja, gemeinsam mit meinem Mann (BF1)“ und dass sie dies mit dem BF1 besprechen werde. Sie gab keine Stellungnahme zu den Länderinformationen ab und ihr Rechtsberater stellte keine Fragen oder Anträge.
9. Am 14.12.2020 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Remonstrationsbegehren an Bulgarien und führte darin die Aussage der BF2 aus ihrer zweiten Einvernahme vor der Behörde an, in welcher sie angab, gemeinsam mit dem BF3 und dem BF1 nach Bulgarien reisen zu wollen. Die bulgarische Dublinbehörde stimmte dem Aufnahmegesuch in der Folge mit Schreiben vom 28.12.2020 gemäß Art. 9 Dublin III-VO ausdrücklich zu.
10. Mit Bescheiden des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge des BF1 und der BF2 auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG und der Antrag des BF3 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen. Hinsichtlich des BF1 und der BF2 wurde ausgesprochen, dass sie sich nach Bulgarien zurückzubegeben haben, hinsichtlich des BF3, dass gemäß Art. 9 Dublin III-VO Bulgarien für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei (Spruchpunkt I.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden dem BF1 und der BF2 nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG wurde gegen die Beschwerdeführer die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Bulgarien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass aus den Angaben der Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden seien, dass sie tatsächlich Gefahr liefen, in Bulgarien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihnen eine Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Bei den Beschwerdeführern handle es sich um keine besonders vulnerablen Personen und lägen keine Anzeichen dafür vor, dass sie aktuell im besonderen Maße auf eine medizinische Versorgung angewiesen wären. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen hätten sich im Verfahren keine Hinweise ergeben, dass die Beschwerdeführer an schweren körperlichen Krankheiten oder schweren psychischen Störung leiden würden. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Umstände gehe das Bundesamt zweifelsfrei von einer ausreichend gegebenen Versorgungslage für Asylwerber in Bulgarien aus. In Österreich bestehe offensichtlich keine besondere Integrationsverfestigung der Beschwerdeführer und stelle die Außerlandesbringung keinen Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privatlebens dar.
11. Die BF2 wurde in ihrem Bescheid und im Zustellschein persönlich als Adressatin bezeichnet und nahm sie den Bescheid auch eigenhändig entgegen (AS 313). Sie wurde im Bescheid und am Zustellschein des BF3 als seine gesetzliche Vertreterin bezeichnet und übernahm diesen auch für den BF3 eigenhändig (AS 123).
12. Gegen diese Bescheide richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde der Beschwerdeführer, mit der gleichzeitig die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung begehrt wurde. Inhaltlich wurde zusammengefasst ausgeführt, die BF2 sei derzeit minderjährig und sei dies auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung gewesen. Die belangte Behörde sei auch von ihrer Minderjährigkeit ausgegangen. Da die BF2 sowohl in ihrem eigenen Bescheid, als auch in dem des BF3 als Adressatin persönlich genannt wurde, sie aber minderjährig sei, seien beide Bescheide nicht rechtswirksam zugestellt worden und würden somit keine Rechtswirkungen entfalten. Die Behörde gehe in den Bescheiden außerdem in Verkennung der Rechtslage davon aus, dass Art. 9 der Dublin III-VO anwendbar sei und Bulgarien für die Prüfung des Asylantrags des BF3 zuständig sei. Die Voraussetzungen des Art. 9 Dublin-VO seien jedoch nicht erfüllt, da die Beschwerdeführer niemals den Wunsch schriftlich kundgetan hätten, dass Bulgarien für die Prüfung des Asylantrages des BF3 zuständig sein solle. Im Gegenteil hätten der BF1 und die BF2 in ihren Einvernahmen mehrmals geäußert, sie würden auf keinen Fall nach Bulgarien zurückwollen. Hinsichtlich der Aussage der BF2, gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrem Mann nach Bulgarien reisen zu wollen, sei auszuführen, dass es sich hierbei um keinen schriftlich kundgetanen ausdrücklichen Wunsch handle und sie außerdem rechtsunkundig sei. Bulgarien sei zusammengefasst weder vertraglich noch aufgrund der Dublin-VO für die Prüfung des Antrags des BF3 zuständig, sein Bescheid daher rechtswidrig und zu beheben. Da es sich um ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG handle, seien in der Folge auch die Bescheide des BF1 und der BF2 rechtswidrig ergangen und gänzlich zu beheben. Die Behörde hätte feststellen müssen, dass die Beschwerdeführer in Bulgarien über keine gesicherte Unterkunft verfügen würden, sowie, dass die notwendige medizinische Versorgung in Bulgarien nicht gewährleistet sei. Die Beschwerdeführer, die insbesondere mit dem neugeborenen BF3 besonders vulnerabel seien, wären im Fall einer Rückkehr der Gefahr ausgesetzt, in eine Art. 3 EMRK relevante Notlage zu geraten. Das Kindeswohl werde im Bescheid des BF3 sowie der BF2 mit keinem einzigen Wort erwähnt und stünden den Beschwerdeführern in Österreich im Gegensatz zu Bulgarien adäquate Versorgungsleistungen zur Verfügung und seien diese de facto auch zugänglich. Weiters seien die von der Behörde herangezogenen Länderfeststellungen unvollständig und wurden deshalb in der Beschwerde Artikel von bordermonitoring.eu: Get Out! Zur Situation von Geflüchteten in Bulgarien vom Juni 2020 und der Süddeutschen Zeitung zur Entdeckung von mutierten COVID-19-Stämmen vom 22.12.2020 zitiert. Zudem hätte die Behörde im gegenständlichen Fall angesichts der de facto nicht existenten Versorgungs- und Unterbringungssituation in Bulgarien konkret prüfen müssen, ob die Beschwerdeführer in Bulgarien in einer angemessenen Unterkunft untergebracht wären und entsprechend versorgt werden könnten.
13. Die Beschwerdevorlage langte am 15.01.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
14. Mit den Beschlüssen, XXXX , XXXX und XXXX , vom 20.01.2021 wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
15. Mit Schriftsatz vom 27.01.2021 legten die Beschwerdeführer ärztliche Unterlagen betreffend den BF3 vor, aus welchen sich ergibt, dass der BF3 von 17.12. – 20.12.2020 im XXXX und von 11.01. – 14.01.2021 in der Klinik XXXX stationär aufhältig war. Weitere Kontrollen insbesondere eine Kardiologische Kontrolle am 21.04.2021 in der Eche/Kardio/Rheuma-Ambulanz des XXXX wurden ebenfalls empfohlen. Es wurde weiters ausgeführt, dass der Gesundheitszustand des BF3 in Bezug auf eine angeordnete Außerlandesbringung nach Bulgarien und der dort herrschenden unzulänglichen medizinischen Versorgung sowie in Verbindung mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Kindeswohl maßgeblich zu berücksichtigen sei.
Diagnosen bei Entlassung laut Patientenbrief der Klinik XXXX vom 14.01.2021:
? U07.1 COVID-19 Infektion
? H66.0 Perforierte Otitis media links
? B37.0 Mundsoor
? R14 Meteorismus
? Q21.1 ASD Typ II (Vorhofseptum, Loch in der Vorhofscheidewand)
? N43.3 Hyrozele bds.
Diagnosen laut Entlassungsbrief des XXXX vom 20.12.2020:
? N43.3 Hydrozele bds.
? R14 Meteorismus
? Q21.1 ASD Typ II (Vorhofseptum, Loch in der Vorhofscheidewand)
? R01.1. Systolikum
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der unter I. dargestellte Verfahrensgang.
Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Die BF2 war während des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und im Zeitpunkt der Bescheiderlassung minderjährig. Sie hatte keinen gesetzlichen Vertreter und war demnach nicht prozessfähig. Da sie während des Verfahrens nicht voll geschäftsfähig war, konnte sie auch den BF3 nicht gesetzlich vertreten. Die Zustellungen der jeweiligen Bescheide an die BF2 erfolgten dementsprechend nicht ordnungsgemäß.
Der BF3 war von 17.12.2020 bis 20.12.2020 im XXXX und von 11.01.2021 bis 14.01.2021 in der Klinik XXXX stationär aufhältig. Aus dem Entlassungsbrief vom 20.12.2020 bzw. dem Patientenbrief vom 14.01.2021 geht jeweils hervor, dass der BF3 an Hydrozele beidseits (Ansammlung von seröser Flüssigkeit im Hodensack), Meteorismus (übermäßig hohe Ansammlung von Darmgas), ASD Typ II (Vorhofseptum, Loch in der Vorhofscheidewand) und einer Splenomegalie (vergrößerte Milz) leidet. Im Patientenbrief der Klinik XXXX wurden weiters eine COVID-19-Infektion, Mundsoor und eine perforierte Otitis media links (akute Mittelohrentzündung) diagnostiziert und weitere Kontrollen, insbesondere, eine Kardiologische Kontrolle am 21.4.2021 in der Echo/Kardio/Rheuma-Ambulanz des XXXX empfohlen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich zweifelsfrei aus den unbedenklichen Verwaltungsakten.
Die Minderjährigkeit der BF2 während des Verfahrens und im Zeitpunkt der Bescheiderlassung ergibt sich aus der von ihr vorgelegten Kopie ihres syrischen Reisepasses, aus dem der XXXX als Geburtsdatum hervorgeht. Dieses Geburtsdatum wurde von der BF2 auch im Zuge der Erstbefragung angegeben und vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl offensichtlich nicht in Frage gestellt, da keine Altersfeststellung der BF2 stattgefunden hat und im ihrem Bescheid explizit festgehalten wurde, dass die BF2 aktuell 17 Jahre alt sei.
Die Feststellungen zur nicht ordnungsgemäß erfolgten Zustellung der Bescheide der BF2 und des BF3 stützen sich auf die im Verwaltungsakt befindlichen Zustellscheine, aus denen eindeutig hervorgeht, dass sowohl der Bescheid der BF2, als auch jener des BF3 eigenhändig von der BF2 übernommen und sie auch als Adressatin des Bescheides bzw. als gesetzliche Vertreterin des BF3 bezeichnet wurde.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des BF3 ergeben sich aus dem Entlassungsbrief des XXXX vom 20.12.2020 und dem Patientenbrief der Klinik XXXX vom 14.01.2021.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
§ 28 VwGVG lautet:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind dann, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt, die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl § 75 Abs 18 AsylG 2005 idF BGBGl I 2013/144).
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A) Spruchpunkt I (Zurückweisung der Beschwerden der BF2 und des BF3)
Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten insoweit sie in Frage steht, von der Behörde, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Damit wird die prozessuale Rechts- und Handlungsfähigkeit an die materiellrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit geknüpft. Es gilt der Grundsatz, dass die Rechtsfähigkeit, die Parteifähigkeit und die Handlungsfähigkeit die Prozessfähigkeit begründen (VwGH 25.05.1993, 90/04/0223). Die Handlungsfähigkeit ist die Fähigkeit durch Willenserklärung gegenüber der Behörde Rechtsfolgen auszulösen (VwGH 30.03.1993, 92/08/0183).
Für die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) ist entscheidend, ob die Partei im Zeitpunkt der betreffenden Verfahrensabschnitte in der Lage war, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (VwGH 06.07.2015, Ra 2014/02/0095; 28.04.2016, Ra 2014/20/0139; 20.02.2002, 2001/08/0192).
Gemäß § 10 Abs. 1 BFA-VG ist für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem Bundesamt, vor den Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG und in einem Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 vor dem Bundesverwaltungsgericht ungeachtet der Staatsangehörigkeit des Fremden österreichisches Recht maßgeblich. Gemäß Abs. 2 ist in Verfahren vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht jeder Elternteil für sich zur Vertretung des Kindes befugt. Widerstreiten die Erklärungen beider Elternteile bei ehelichen Kindern, ist die zeitlich frühere Erklärung relevant; ein Beschwerdeverzicht kann nicht gegen den erklärten Willen eines Elternteils abgegeben werden. Die Vertretung für das uneheliche Kind kommt bei widerstreitenden Erklärungen der Elternteile der Mutter zu, soweit nicht der Vater alleine mit der Obsorge betraut ist.
Auch im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.12.2020, Ra 2020/21/0307-13 kommt klar zum Ausdruck, dass gemäß § 10 Abs. 1 BFA-VG für den Eintritt der Handlungsfähigkeit in Verfahren vor dem BFA und daher in einem Verfahren zur Erlassung einer Aberkennung des Status des Asylberechtigten ungeachtet der Staatsbürgerschaft des Fremden österreichisches Recht maßgeblich ist. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine lex speciales zum Internationalen Privatrechts-Gesetz (so die ErläutRV zum FNG 1803 BlgNR 24. GP 12); diese Aussage bezieht sich auf § 12 IPRG, wonach die Rechts- und Handlungsfähigkeit einer Person nach deren Personalstatus (§ 9 IPRG) zu beurteilen ist. Im gegenständlichen Verfahren vor dem BFA war daher die prozessuale Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) der BF ungeachtet ihrer georgischen Staatsangehörigkeit vor dem Hintergrund des § 9 AVG – weil für den vorliegen Fall in den Verwaltungsvorschriften nichts anders bestimmt ist – nach den (österreichischen) Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen.
Gemäß § 174 ABGB steht ein verheiratetes minderjähriges Kind hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse einem Volljährigen gleich, solange die Ehe dauert.
Wird ein minderjähriges Kind im Inland gefunden und sind dessen Eltern unbekannt, so ist kraft Gesetzes der Jugendwohlfahrtsträger mit der Obsorge betraut. Dies gilt für den Bereich der Vermögensverwaltung und der Vertretung auch, wenn ein Kind im Inland geboren wird und dessen unverheiratete Mutter minderjährig ist (§ 207 ABGB).
Gemäß § 158 Abs. 2 ABGB hat ein Elternteil solange er minderjährig ist, nicht das Recht und die Pflicht, das Vermögen des Kindes zu verwalten und das Kind zu vertreten. Ein volljähriger Elternteil muss, um sein Kind vertreten und dessen Vermögen verwalten zu können, über jene Entscheidungsfähigkeit verfügen, die ein Handeln in eigenen Angelegenheiten erfordert; § 181 ist sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 2 Z 1 ZustG ist der Empfänger, die von der Behörde in der Zustellverfügung namentlich bezeichnete Person, in deren Verfügungsgewalt das zuzustellende Dokument gelangen soll.
Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt gemäß § 7 ZustG die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Ist eine Zustellverfügung unrichtig, so wird diese Unrichtigkeit auch dadruch nicht behoben, dass das Schriftstück jener Person, an die richtigerweise zuzustellen gewesen wäre, tatsächlich zugekommen ist (vgl. VwGH 7.9.1990, 89/18/0180). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann nicht heilen (vgl. VwGH 14.12.2011, 2009/01/0049).
Zunächst ist festzuhalten, dass wie bereits oben ausgeführt, die gegenständlichen Bescheide ausschließlich der nach eigenen Angaben minderjährigen BF2 zugestellt worden sind und deren Minderjährigkeit der Behörde bewusst war bzw. von ihr nicht angezweifelt wurde.
Die BF2 und der BF1 sind zwar, ihren übereinstimmenden Angaben nach, nach traditionellem Recht verheiratet, ist hierzu jedoch festzuhalten, dass gemäß § 16 Abs. 1 und 2 IPRG die Form einer Eheschließung im Inland nach inländischen Formvorschriften zu beurteilen ist. In Österreich wird die Form einer gültigen Eheschließung in § 17 Abs. 1 EheG festgelegt. Demnach wird die Ehe dadurch geschlossen, dass die Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Durch eine nach islamischen Ritus allenfalls vollzogene Trauung ist demnach auch keine nach österreichischen Gesetzen gültige Ehe zustande gekommen und können insofern auch die Rechtswirkungen des § 174 ABGB nicht auf die BF2 angewendet werden und gilt sie jedenfalls weiterhin als minderjährig.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat die Zustellung des Bescheides der BF2 in der Form vorgenommen, dass die zu diesem Zeitpunkt minderjährige BF2 persönlich im Zustellschein (AS 313) angeführt wurde. Aus der oben angeführten Darstellung ergibt sich, dass der Bescheid dem gesetzlichen Vertreter der BF2 zuzustellen gewesen wäre, jedoch keinesfalls ausschließlich der minderjährigen BF2 selbst.
Somit ist der die BF2 betreffende Bescheid vom 29.12.2020 nicht rechtswirksam erlassen worden.
Zum Bescheid des minderjährigen BF3 ist Folgendes auszuführen:
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bezeichnete die minderjährige BF2 sowohl im Bescheid als auch am Zustellschein des BF3 als dessen gesetzliche Vertreterin (AS 123). Wie oben ausgeführt, war die BF2 während des gesamten Verfahrens und im Zeitpunkt der Bescheiderlassung minderjährig und konnte dementsprechend gemäß § 158 Abs. 2 ABGB den BF3 im Verfahren nicht gesetzlich vertreten. Im Verwaltungsakt finden sich keinerlei Hinweise darauf, dass der BF1 eine Erklärung hinsichtlich der gesetzlichen Vertretung des BF3 abgegeben hat und wurde er auch von der Behörde zu keinem Zeitpunkt als dessen gesetzlicher Vertreter bezeichnet oder zum BF3 befragt.
Ebenso wie bei der BF2, hätte der Bescheid des BF3 seinem gesetzlichen Vertreter zugestellt werden müssen.
Somit ist auch der Bescheid des BF3 vom 29.12.2020 nicht rechtswirksam erlassen worden.
Im gegenständlichen Fall hat die Behörde einerseits fälschlich nicht den gesetzlichen Vertreter, sondern die prozessunfähige BF2 selbst, als Adressatin ihres Bescheides angeführt und andererseits die minderjährige und damit nicht voll geschäftsfähige BF2 als gesetzliche Vertreterin des BF3 als Empfängerin des Bescheides des BF3 angeführt. Es liegen somit in beiden Fällen Mängel im Zustellvorgang vor, die nicht geheilt werden können.
Die Beschwerden der BF2 und des BF3 wurden der BBU GmbH mitsamt den dazugehörigen Vollmachten eingebracht. Aus dem Vollmachten geht hervor, dass diese von der BF2 für sich und den BF3, als dessen gesetzliche Vertreterin, am 12.01.2021 mittels ihrer Unterschrift erteilt wurden (AS 342, 343). Jedoch war die BF2 zu diesem Zeitpunkt nach wie vor minderjährig und konnte somit die BBU GmbH nicht rechtswirksam bevollmächtigen. Gleiches gilt für die Vollmacht zugunsten des BF3, da – wie oben bereits ausführlich ausgeführt – die BF2 ihn, aufgrund ihrer eigenen Minderjährigkeit, nicht gesetzlich vertreten darf. Dieser Mangel ermächtigt nicht zur (sofortigen) Zurückweisung; es müsste vielmehr von Amts wegen seine Behebung veranlasst werden (vgl. VwGH 17.9.2003, 2001/20/0188). Da jedoch auch die Genehmigungen durch die jeweiligen gesetzlichen Vertreter nichts daran ändern würde, dass die Beschwerden unzulässig sind, weil die gegenständlichen Bescheide nicht rechtswirksam erlassen worden sind, ist davon Abstand zu nehmen, die Behebung dieses Mangels aufzutragen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann sich eine Beschwerde nur gegen einen Bescheid richten. Damit ein Bescheid rechtlich zu Stande kommt, muss er erlassen werden. Erlassen ist ein schriftlicher Bescheid durch rechtswirksame Zustellung oder durch Ausfolgung (vgl. VwGH 18.5.1994, 93/09/0115). Ist der erstbehördliche Bescheid nicht rechtswirksam erlassen worden, so ist es der Berufungsbehörde und daher gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG auch dem Verwaltungsgericht verwehrt, meritorisch über die Beschwerde abzusprechen. Ihre Zuständigkeit reicht in solchen Fällen nur so weit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 [1998] E13, 18 zu § 63 AVG; weiters VwGH 11.11.2009, 2008/23/0764).
Die Beschwerden richten sich, da die gegenständlichen Bescheide nicht rechtswirksam erlassen worden sind, gegen Erledigungen, die keinen tauglichen Anfechtungsgegenstand für eine Beschwerde sind. Daran kann auch der Umstand, dass die Beschwerden rechtzeitig erhoben worden wären nichts mehr ändern, zumal selbst bei tauglichem Anfechtungsgrund, der wie ausgeführt, nicht vorhanden ist, die Beschwerden nicht von der minderjährigen BF2 selbst, sondern durch ihren gesetzlichen Vertreter und jenen des BF3 zu erheben gewesen wären.
Die Verfahren der BF2 und des BF3 sind somit weiterhin beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig und noch nicht abgeschlossen.
Ergänzend haben seit der Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der letzten Einvernahme der BF2 wesentliche Veränderungen in Bezug auf den Gesundheitszustand des BF3 ergeben. Dieser leidet unter anderem an einem Loch in der Vorhofscheidewand des Herzens (ASD Typ II). Die Behörde wird im fortgesetzten Verfahren aufgrund aktueller Befunde oder durch Einholung eines entsprechenden medizinischen Gutachtens den Behandlungsbedarf des BF3 abzuklären haben und insbesondere zu prüfen haben, ob eine allfällig notwendige Behandlung bzw. allfällig notwendige Medikamente in Bulgarien gesichert vorhanden, dem BF3 auch tatsächlich zugänglich und für die Eltern des BF3 auch leistbar sind. Des Weiteren wird mit der BF2 zu erörtern sein, warum sie der Meinung ist, dass das Kindeswohl des BF3 nur in Österreich gewahrt werden könne und worauf konkret die Annahme gestützt wird, dass die Beschwerdeführer in Bulgarien der Gefahr ausgesetzt seien, in eine iSd Art. 3 EMRK relevante Notlage zu geraten. Die Behörde wird seine Beurteilung hinsichtlich der Unterbringungs- bzw. Versorgungssituation von Familien in Bulgarien auf aktuelle Länderfeststellungen zu stützen haben und diese der BF2, welche mittlerweile die Volljährigkeit erreicht hat, zur Kenntnis zu bringen bzw. mit ihr zu erörtern haben.
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Verfahren des BF3 grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen ist, dass in materieller Hinsicht die Zuständigkeit Bulgariens zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz vorliegt. Gemäß Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO richtet sich die Zuständigkeit für ein Kind, das nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren wird, nach der Zuständigkeit der Mutter (bzw. des Vaters oder des Vormunds des Art. 2 lit g) ohne dass ein Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeverfahren geführt werden muss. Eine analoge Anwendung dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall scheint vertretbar.
Ebenso ist festzuhalten, dass die BF2 aufgrund ihrer Minderjährigkeit keinen Asylantrag für den BF3 stellen konnte, dieser aber gemäß § 17a Abs. 3 AsylG als gestellt und eingebracht gilt, sobald die Anzeige über die Geburt beim Bundesamt einlangt oder das Bundesamt auf sonstige Weise Kenntnis von der Geburt erlangt.
Zu A) Spruchpunkt II (Stattgabe der Beschwerde)
Gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG ist das Verfahren zugelassen, wenn der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben ist. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Beim BF1 handelt es sich um den Lebensgefährten der BF2 und den Vater des BF3.
Aufgrund der seit seiner letzten Einvernahme eingetreten zeitlichen Verzögerung im Verfahren bzw. der in der Zwischenzeit eingetretenen wesentlichen Veränderungen, insbesondere hinsichtlich des Gesundheitszustandes des BF3, ist auch dem BF1 nunmehr erneut die Gelegenheit einzuräumen darzulegen, ob es gegenwärtig verfahrensrelevante Gründe gibt, die gegen eine Zuständigkeit Bulgariens sprechen könnten. Ebenso wird auch mit dem BF1 zu erörtern sein, warum er der Meinung ist, dass das Kindeswohl des BF3 nur in Österreich gewahrt werden könne und worauf konkret die Annahme gestützt wird, dass die Beschwerdeführer in Bulgarien der Gefahr ausgesetzt seien, in eine iSd Art. 3 EMRK relevante Notlage zu geraten. Die Behörde wird seine Beurteilung hinsichtlich der Unterbringungs- bzw. Versorgungssituation von Familien in Bulgarien auf aktuelle Länderfeststellungen zu stützen haben und diese dem BF1 zur Kenntnis zu bringen bzw. mit ihm zu erörtern haben.
§ 34 Abs. 4 AsylG normiert, dass die Verfahren von Familienangehörigen unter einem zu führen sind. Die Verfahren der BF2 und des BF3 sind aufgrund einer fehlerhaft erfolgten Zustellung noch in der ersten Instanz anhängig bzw. werden vor allem im Verfahren des BF3 verfahrenswesentliche ergänzende Abklärungen zu seinem Gesundheitszustand vorzunehmen sein.
Aus diesen Gründen war das Verfahren des BF1 zu beheben und zur neuerlichen Behandlung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf Judikatur des VwGH sowie auf die Rechtsprechung des BVwG stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.
Schlagworte
Bescheid Familienverfahren Minderjährigkeit RechtswidrigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W212.2238661.1.01Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021