Entscheidungsdatum
17.09.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W277 2156045-1/21E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch XXXX , gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:
A) Der Beschwerde von XXXX wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Nach § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in Österreich am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am XXXX durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts erstbefragt (AS 1). Hierbei gab er an, aus der Stadt XXXX zu stammen und im Herkunftsstaat acht Jahre lang die Grundschule besucht zu haben. Im Zuge eines Gymnasiumbesuches habe er die englische Sprache erlernt und in XXXX drei Jahre lang als Englischlehrer in einer Privatschule gearbeitet.
Es sei dem Clan der XXXX zugehörig.
Sein Vater XXXX sei vor XXXX Jahren im XXXX an einer Krankheit verstorben. Seine Mutter XXXX , sei circa XXXX Jahre alt und lebe im gemeinsamen Haushalt mit dem XXXX Bruder des BF, XXXX e, und der XXXX , schwangeren Ehefrau des BF, XXXX , in der Stadt XXXX im Stadtteil XXXX .
Zu den Fluchtgründen brachte er vor, dass er Somalia verlassen habe, weil in seiner Heimat Bürgerkrieg herrsche. Er habe Somalia auch verlassen, weil es dort keine Sicherheit gebe. Dies sei sein einziger Fluchtgrund.
Der BF sei von der Stadt XXXX nach XXXX gereist, wo er einen „berühmten Schlepper“ in einem Kaffeehaus getroffen hätte. Am XXXX sei er mit einem von einem Schlepper organisierten, somalischen Reisepass einer anderen Person vom Flughafen in XXXX in die XXXX gereist. Diesen Reisepass, in welchem ein „Visum XXXX “ gewesen wäre, habe er am Flughafen in XXXX dem Schlepper zurückgeben müssen, welcher mit ihm mitgereist sei. Nach einer Aufenthaltsdauer von drei Monaten in XXXX habe er sich zur Weiterreise entschlossen und sei Anfang XXXX schlepperunterstützt mittels eines Schlauchbootes XXXX ausgereist. Ebendort habe er sich einen Monat bzw. 7 Tage aufgehalten. Die Reisekosten hätten sich auf XXXX belaufen.
2. Am XXXX wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen (AS 95 ff.). Hierbei gab er an, aus der Stadt XXXX zu stammen und ebendort die Schule „ XXXX “ besucht zu haben. Er sei dem Clan der XXXX und dem Subclan XXXX zugehörig. Seine Clanangehörigen seien großteils als Lehrer oder auch Geschäftsleute tätig.
Im Herkunftsstaat habe der BF drei Jahre lang als Lehrer gearbeitet. Vor seiner Ausreise hätte (sinngemäß) seine Familie genug zum Leben gehabt, da sein Halbbruder selbstständig gewesen wäre und der BF durch seine berufliche Tätigkeit seine Familie versorgen haben könne (AS 98).
Er habe am XXXX in XXXX geheiratet. Seine Ehefrau und Sohn, welcher nach seiner Einreise in das Bundesgebiet geboren worden wäre, würden in XXXX leben. Er habe nach seiner Ausreise erfahren, dass auch seine Familie nach XXXX geflüchtet sei. Die Mutter des BF sei aufgrund von XXXX verstorben. Wo sich sein jüngerer Bruder aktuell aufhalte, sei unbekannt. Weitere Familienangehörige würden nicht im Herkunftsstaat leben.
Er habe gegenwärtig monatlichen, fernmündlichen Kontakt zu seinen Familienangehörigen (AS 98). Zu seinem XXXX Halbruder und seinem XXXX Bruder habe er keinen Kontakt mehr.
Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, seinen Herkunftsstaat wegen „eines Clanproblems“ verlassen zu haben (AS 98). Sie hätten Probleme mit Clanangehörigen der XXXX gehabt, die ihnen ihr Grundstück wegnehmen und dieses bebauen wollten.
Der Halbbruder des BF sei von einem Freund angerufen worden, welcher ihm gesagt hätte, dass er „Arbeit“ für ihn habe. Bei dieser Arbeitsstelle habe der Halbbruder gesehen, dass es sich um ein Grundstück der Familie gehandelt hätte. Es sei zu einem Streit gekommen. Die XXXX hätten dem Halbbruder gesagt, dass er „nur ein XXXX “ sei und als Minderheit verhindern wolle, dass die XXXX dort bauen. „Der Mann“ habe den Halbbruder des BF auf den Boden geworfen. Der Halbbruder habe einen „Hammer von der Baustelle“ dem Mann nachgeworfen und diesen am Kopf verletzt. Der stark blutende Mann sei in ein Krankenhaus gebracht worden. Der BF sei von einem Freund seines Bruders über diesen Vorfall informiert worden. Der BF sei zu dem Grundstück gegangen, sei jedoch vom Freund des Bruders darüber informiert worden, dass er sich nicht mehr auf dem Grundstück aufhalten solle.
Zwei Tage nach dem Vorfall sei „der Mann“ verstorben. Am selben Tag habe ihn der Bruder des Verstorbenen angerufen und ihm gesagt, dass er sich rächen und seine „Familie ausrotten“ werde, weil der Halbbruder des BF verschwunden sei.
Die Älteren seines Clans hätten gesagt, dass sie nichts mehr tun könnten, „diese Leute“ ihn töten würden und er besser flüchten sollte.
Seine Flucht habe er im XXXX aus XXXX angetreten. Er habe seine Ehefrau, seine Mutter und seinen jüngeren Bruder in eine andere Ortschaft bzw. einem anderen Stadtteil zu einem Freund seines Vaters gebracht, und sei dann mit einem LKW von dort nach XXXX geflüchtet. Er sei mit einem gefälschten Reisepass nach XXXX geflogen. Seine Ausreisekosten hätten XXXX betragen. Diesen Betrag hätte er durch eigene Erwerbstätigkeit im Herkunftsstaat erspart.
Bei der Erstbefragung sei er nervös, unkonzentriert und durcheinander gewesen. Seine Angaben seien nicht vollständig protokolliert worden (AS 97). Er habe sich bei der Befragung „nicht so persönlich“ dargestellt. Er habe mit dem Dolmetscher nicht so gut kommunizieren können.
3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) In Spruchpunkt II. wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm in Spruchpunkt III. die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt (AS 105 ff.).
Folgende Feststellungen wurden im Wesentlichen dem Bescheid zugrunde gelegt:
Die Identität des BF stehe nicht fest. Der BF sei somalischer Staatsangehöriger, gehöre dem Hauptclan XXXX und dem Subclan XXXX an. Er sei nach seinen Angaben verheiratet und habe einen Sohn. Seine muslimische Religionszugehörigkeit habe klar verifiziert werden können.
Es hätten sich keine medizinisch belegbaren Tatsachen ergeben, die die Annahme rechtfertigen würden, dass der BF Opfer von Folter geworden sei oder er durch die Geschehnisse in Zusammenhang mit den die Flucht auslösenden Ereignissen traumatisiert sein könnte.
In der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des BF nicht glaubhaft gewesen wären und er keiner asylrelevanten Verfolgung im Herkunftsstaat ausgesetzt sei. Es sei davon auszugehen, dass seine Ausreise wirtschaftlich motiviert gewesen wäre.
Die Angaben zu seinem Fluchtgrund seien nicht konsistent, zumal er bei einem Vergleich seiner Angaben in der Erstbefragung und bei der niederschriftlichen Einvernahme beim BFA unterschiedliche Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates angegeben habe. Der BF hätte mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er bei der Erstbefragung keinerlei Einschränkungen gehabt habe und ihm die Rückübersetzung verständlich war. Es gäbe keinen Grund zur Annahme, dass der BF zum Zeitpunkt der Erstbefragung eingeschüchtert oder aus anderen Gründen verwirrt und verstört gewesen wäre. Der BF habe seine Zeit im Bundesgebiet dazu genutzt, seinen Fluchtgrund zu überdenken und vor dem BFA einen neuen, überarbeitenden Fluchtgrund argumentiert. Eigenartig erscheine, dass der Bruder des BF, welcher die Auseinandersetzung mit dem „ XXXX “ gehabt hätte, in vorauseilendem Gehorsam verschwunden sei und auch der BF und seine Familie auf Anraten der „Ältesten“ widerstandlos das Weite gesucht hätten.
4. Das BFA stellte dem BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.
5. Mit Schriftsatz vom XXXX erhob der BF, vertreten durch seine damalige, rechtsfreundliche Vertretung, der XXXX g, binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde (207 ff.). Hierbei wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die XXXX „immer noch mit eine der schwächsten Gruppen in Somalia“ darstelle und diese „anfällig gegenüber Ausbeutung, Übergriffe, Kriminalität, sexuelle Gewalt, etc.“ seien. Obwohl die „ XXXX traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, unterstützt“ werden würden, komme der „Clanschutz auf einer sehr niedrigen Ebene der Clan - Hierarchie zur Anwendung“. Es reiche somit nicht aus, einem größeren Clan anzugehören, um Clanschutz zu erhalten.
6. Mit Schriftsatz vom XXXX legte der BF eine Beschwerdeergänzung und eine Bevollmächtigungsanzeige betreffend eine rechtsfreundliche Vertretung durch XXXX nach. Hierbei brachte er im Wesentlichen vor, dass die in der Niederschrift der Erstbefragung enthaltenen, fluchtgrundbezogenen Angaben des BF, nämlich:
„Ich habe Somalia verlassen, weil in meiner Heimat Bürgerkrieg herrscht. Weil dort keine Sicherheit herrscht, habe ich Somalia verlassen. Das ist mein einziger Fluchtgrund. Andere Gründe habe ich nicht.“
in keiner Weise seinen tatsächlichen Fluchtgründen entsprechen und die Protokollierung sei dezidiert falsch. Der BF sei bei der Erstbefragung aus den folgenden Gründen daran gehindert worden, seine wahren Fluchtgründe zu Protokoll zu geben: Er sei verängstigt gewesen, unter großer Panik gestanden und habe sich vor einer zeitlich unbefristeten Inhaftierung gefürchtet. Weiters sei der BF durch einen uniformierten Polizeibeamten der XXXX befragt worden, was nicht dazu beigetragen habe, sein Vertrauen in die Einvernahmesituation zu stärken und ihn zu veranlassen, offensiv dafür zu kämpfen, dass tatsächlich alle relevanten, fluchtbezogenen Umstände in der Niederschrift festgehalten werden würden. Eines solchen “kampfähnlichen“ Bemühens hätte es in der Tat bedurft. Darüber hinaus sei der Dolmetscher „ein Problem“ gewesen. Dieser habe den BF befragt, welche Probleme es denn in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia aktuell gäbe. Er habe den BF dezidiert nicht nach seinen eigenen, individuellen, fluchtkausalen Problemen befragt. Der Dolmetscher hätte den BF wiederholt mit dem Bemerken unterbrochen, dass der BF zu einem späteren Zeitpunkt die Gelegenheit erhalten werde, seine Fluchtgründe im Detail darzulegen. Auch sei die Einvernahme unter großem zeitlichen Druck durchgeführt worden.
Die psychische Konstitution des BF bei der Erstbefragung sei derartig schlecht gewesen, dass er vergessen hätte, im Rahmen der Aufzählung seiner Familienangehörigen im Herkunftsstaat seinen Halbbruder väterlicherseits namens XXXX anzuführen.
Der BF mache einen überaus integren, seriösen und glaubwürdigen Eindruck. Im Informationsgespräch zu seinen Fluchtgründen habe er überzeugend, sicher und authentisch gewirkt.
Die belangte Behörde habe seine beweiswürdigende Beurteilung zentral auf das Argument einer „Auswechslung“ des Fluchtgrunds nach der Erstbefragung gestützt. Es habe seine Pflicht zur Stellung von Ergänzungs- und Präzisierungsfragen gemäß § 18 AsylG verletzt.
Das Einvernahmeprotokoll vom XXXX habe den Eindruck erweckt, dass der Organwalter „nicht sonderlich daran interessiert gewesen wäre, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu ergründen“. Weiters würden die Formulierungen auf S. 4, letzter Absatz, und S. 5, erster Absatz, den Eindruck erwecken, dass die Übersetzungen des BF nicht präzise erfolgt wären.
Der BF habe als Lehrer in einer kleinen Privatschule Englisch, Somalisch und Mathematik unterrichtet und hierbei XXXX pro Monat verdient. Dies sei ausreichend gewesen, um „seine Mutter, seinen jüngeren Bruder und seine Ehefrau zu ernähren“. Der 32- jährige Halbbruder habe Fertigkeiten und Fähigkeiten im Bereich des Baus von Häusern gehabt, und einerseits als Bauarbeiter und andererseits als Verkäufer gearbeitet.
Der BF gehöre dem Minderheitenclan der XXXX an, welche in der Stadt XXXX einen schwachen und zur Selbstverteidigung nicht fähigen Clan bilde.
Die Familie des BF habe ein unbebautes Grundstück an der Straße von XXXX nach XXXX durch den Vater des BF geerbt, welches aufgrund seiner zentralen Lage für eine Bebauung als Gewerbegrund ideal geeignet habe.
Konkret hätten es nicht „die XXXX , sondern ein mächtiger XXXX Geschäftsmann aus XXXX namens XXXX “ das Grundstück der Familie des BF abgesehen. Hiervon habe der BF erst circa einen Monat vor dem „Tötungsereignis am XXXX “ erfahren. Es habe sich um Gerücht gehandelt, dass XXXX das Grundstück habe bebauen wollen. Die angesehenen Männer des Clans des BF hätten versucht, durch Verhandlungen den XXXX -Geschäftsmann von seinem Vorhaben abzubringen, dies sei ihnen jedoch nicht gelungen, weil er nicht bereit gewesen wäre, die Besitzrechte der Familie des BF anzuerkennen.
Zu dem Halbbruder habe der BF nur losen Kontakt gepflegt, weil dieser an einem anderen Ort gewohnt habe. Der Halbbruder habe den Geschäftsmann XXXX mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen oder einen Hammer gegen den Kopf geworfen.
Der BF selbst sei kein Augenzeuge gewesen, als sein Halbbruder den XXXX -Geschäftsmann am XXXX ermordet habe, sondern ein Freund namens XXXX habe ihm telefonisch davon berichtet.
Der BF habe seinem Halbbruder am selben Tag sein unverantwortliches Verhalten telefonisch vorgeworfen und verlangt, dass er zurückkehre und die Verantwortung übernehme. Dies habe sein Halbbruder aber nicht getan.
Am XXXX sei der XXXX -Geschäftsmann verstorben und der BF sei am gleichen Tag von dessen Bruder namens XXXX angerufen und mit dem Tod bedroht worden. Am selben Tag sei der BF im Haus eines alten Freundes seines Vaters „untergetaucht“. Weil der BF am Stärksten gefährdet gewesen wäre, habe er zunächst nur sich selbst in Sicherheit bringen müssen. Nach seiner Flucht hätten aber auch seine Familienangehörigen flüchten müssen. Am XXXX sei sein Sohn XXXX in XXXX geboren worden.
Der BF sei konkret damit bedroht, von der Familie des getöteten XXXX in einem Akt der Selbstjustiz in Form eines Racheaktes getötet zu werden. Der BF laufe Gefahr wegen seiner Zugehörigkeit zu einem schwachen Minderheitenclan, sowie wegen seiner Zugehörigkeit zur Familie seines Halbbruders durch Angehörige des getöteten XXXX verfolgt zu werden.
Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG.
7. Am XXXX stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der subsidiären Schutzberechtigung gemäß § 8 AsylG.
7.1. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.
8. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , Zl XXXX wurde das Asylverfahren des BF gemäß § 24 Abs. 2 AsylG eingestellt, da ab dem XXXX weder eine aufrechte Wohnsitz-, noch eine Obdachlosenmeldung im Bundesgebiet vorlag und weiters der BF seinen Aufenthaltsort nicht bekannt gegeben hat. Der BF habe sich dem Verfahren entzogen, sowie seine Mitwirkungspflichten gemäß § 13 Abs. 2 BFA-VG, §§ 15 und 15a AsylG verletzt.
9. Am XXXX stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 8 Abs. 4 AsylG.
9.1. Mit Bescheid des BFA vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum XXXX erteilt.
10. Mit Verfahrensanordnung vom XXXX wurde das Asylverfahren des BF fortgesetzt.
11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somali durch, an welcher der BF sowie seine rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen. Mit Schriftsatz vom XXXX teilte das BFA vorab mit, dass ein informierter Vertreter aus dienstlichen und personellen Gründen nicht an der Verhandlung anwesend sein könne. Das BFA ist folglich nicht erschienen.
Der BF wurde ausführlich zu seiner Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihm Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den ins Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichte Stellung zu nehmen.
11.1. Vorgelegt und in den Akt als Beilage ./A genommen wurde ein Kurzarztbrief des Landeskrankenhauses XXXX vom XXXX , welchem die Diagnose XXXX am Untersuchungstag zu entnehmen ist. Unter dem Titel „empfohlene Medikation“ sind die Medikamente XXXX angeführt.
Vorgelegte Reisepasskopien der Somalischen Republik, der
- XXXX und lautend auf: XXXX ,
- XXXX und lautend auf XXXX , geboren am XXXX , sowie,
- XXXX und lautend auf XXXX , geboren am XXXX ,
wurden als Beilage ./B in den Akt genommen.
Weiters wurde folgendes als Beilage ./C in den Akt genommen:
- Schriftsatz des BFA vom XXXX zu GZ XXXX , welchem zu entnehmen ist, dass nach Abschluss der erforderliche Erhebungen Einreiseanträgen der Angehörigen des BF stattgegeben werde und die österreichische Vertretungsbehörde in Addis Abeba ersucht werde, diesen ein Visum für die Einreise in das Bundesgebiet zu erteilen,
- Antrag auf Familienverfahren-Erstbefragung der Landespolizeidirektion Vorarlberg vom 06.09.2021 der Asylwerberin XXXX , geboren am XXXX .
12. Das Bundesverwaltungsgericht führte eine Strafregisterabfrage durch. Es scheint keine Verurteilung auf.
II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF
1.1.1. Der BF ist ein volljähriger, somalischer Staatsangehöriger, sunnitisch-muslimischen Glaubens. Der BF ist dem Clan der XXXX und dem Subclan XXXX zugehörig.
1.1.2. Der BF wurde in der Stadt XXXX (andere Schreibweise im Akt: XXXX ) geboren, und hat bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat ebendort gelebt. Er hat im Herkunftsstaat eine XXXX lang eine Schule besucht und durch eine berufliche Tätigkeit seinen Lebensunterhalt finanziert.
1.1.3. Die Mutter und der Vater des BF sind verstorben. Der Aufenthaltsort des Halbbruders väterlicherseits des BF ist ihm unbekannt.
Seine nach traditionell- muslimischen Ritus geehelichte Ehefrau XXXX , der Sohn XXXX des BF befinden sich gegenwärtig im Bundesgebiet.
1.1.4. Der BF befindet sich gegenwärtig aufgrund einer Erkrankung an XXXX in Behandlung. Der BF ist nicht akut lebensbedrohlich erkrankt.
1.1.5. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
Der BF ist einer konkreten, asylrelevanten Verfolgung bzw. Bedrohung im Herkunftsstaat Somalia ausgesetzt.
1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia
Aus den ins Verfahren eingeführten und im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (in der Folge: LIB) vom 31.03.2021 zitierten Länderberichte zur aktuellen Lage in Somalia sowie den in das Verfahren eingeführten Berichten XXXX ergibt sich entscheidungsrelevant Folgendes:
1.3.1. Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba)
Vereinfacht dargestellt werden seit Anfang 2020 die drei Regionen Jubalands de facto von drei unterschiedlichen Parteien kontrolliert: Lower Juba durch die Regierung von Jubaland und kenianische Truppen, Middle Juba durch al Shabaab und Gedo durch die Bundesarmee und äthiopische Truppen (PGN - Political Geography Now (10.2020): Somalia Control Map & Timeline - October 2020, S.13). Allerdings kontrolliert al Shabaab größere Teile von Jubaland, nämlich nicht nur die gesamte Region Middle Juba, sondern auch einen großen Teil von Lower Juba (HIPS - The Heritage Institute for Policy Studies (2021): State of Somalia Report 2020, Year in Review, S.12) und Teile von Gedo (PGN - Political Geography Now (2.2021): Somalia Control Map & Timeline - February 2021, S.1).
Der Kampf gegen al Shabaab ist in Jubaland zum Stillstand gekommen, da Jubaland und die Bundesregierung ihre militärischen Kräfte gegeneinander einsetzen (siehe unten) anstatt gegen al Shabaab. Unterdessen hat al Shabaab die Konflikte zwischen Jubaland und der Bundesregierung genutzt (HIPS 2021, S.12f). Der Konflikt zwischen ihren Gegnern öffnet al Shabaab neue Räume und hat auch zu einem Anstieg an Aktivitäten der Gruppe geführt (Mahmood, Omar (28.7.2020): Defuse tensions in key Somali region, in: Daily Nation, veröffentlicht von ICG – International Crisis Group). Nach anderen Angaben beobachtet al Shabaab in Jubaland die Vorgänge, wird aber selbst kaum aktiv. Die einzig aktive Front von AMISOM ist jene im Jubatal nördlich von Kismayo; al Shabaab ist hingegen weniger in Jubaland, als vielmehr im benachbarten Osten Kenias aktiv (BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten).
Die ganze Region und alle Bezirkshauptstädte (Buale, Jilib, Saakow) um Middle Juba stehen unter Kontrolle der al Shabaab (PGN 2.2021, S.1).
1.3.2. Bevölkerungsstruktur
Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 2.4.2020- Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.10, Zugriff 15.4.2020).
In weiten Teilen ist die Bevölkerung Somalias religiös, sprachlich und ethnisch weitgehend homogen (AA 2.4.2020 - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.12, Zugriff 15.4.2020). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 11.3.2020 - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Somalia, S.36, Zugriff 17.3.2020).
Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S.8). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (5.3.2019b): Somalia - Innenpolitik). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S.8).
1.3.2.1. Clan der XXXX
Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S.5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden.
Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.
Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S.25).
1.3.3. Clans in der Position einer Minderheit
Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S.5).
Auch Angehörige starker Clans können zu Minderheiten werden. Dies ist dann der Fall, wenn sie in einem Gebiet leben, in dem ein anderer Clan dominant ist. Dies kann Einzelpersonen oder auch ganze Gruppen betreffen. Generell gerät eine Einzelperson immer dann in die Rolle der Minderheit, wenn sie sich auf dem Gebiet eines anderen Clans aufhält. Sie verliert so die mit ihrer Clanzugehörigkeit verbundenen Privilegien. Die Position als „Gast“ ist schwächer als jene des „Gastgebers“. Im System von „hosts and guests“ sind Personen, die sich außerhalb des eigenen Clanterritoriums niederlassen, gegenüber Angehörigen des dort ansässigen Clans schlechter gestellt. Dieses System gilt auch für IDPs (SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten, S.11f/32f).
In den meisten Gegenden schließt der dominante Clan andere Gruppen von einer effektiven Partizipation an Regierungsinstitutionen aus (USDOS - US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Somalia, S.36). Auch in den von der Regierung kontrollierten Gebieten ist grundsätzlich von einer Diskriminierung hinsichtlich der Clan-/Subclan-Zugehörigkeit auszugehen. Dabei kann es sich um wirtschaftliche Diskriminierung (z.B. bei staatlichen Vergabeverfahren) handeln, aber auch um Diskriminierung beim Zugang zu Nahrungsmittelhilfe, natürlichen Ressourcen, Gesundheitsdienstleistungen oder anderen staatlichen Diensten (AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.4.2020): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, S.10), beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Gerichtsverfahren handeln (USDOS 11.3.2020, S.36). Angehörige eines (Sub-)Clans können in von einem anderen (Sub-)Clan dominierten Gebiete auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, insbesondere in Konfliktsituationen bezüglich Unfällen, Eigentum oder Wasser (AA 2.4.2020, S.12). In Mogadischu ist es im Allgemeinen schwierig, Menschen die dort aufgewachsen sind, nach Clans zu differenzieren. Es gibt keine äußerlichen Unterschiede, auch der Akzent ist der gleiche. Selbst anhand von Namen lassen sich die Menschen nicht einmal ethnisch zuordnen, da vor allem arabische Namen verwendet werden (UNFPA/DIS - UN Population Fund / Danish Immigration Service (Dänemark) (25.6.2020): Skype- Interview des DIS mit UNFPA, in: DIS (11.2020): Somalia - Health System, S.79-84).
1.3.3.1. Zum Clan der Ashraf
Ashraf werden als religiöse Clans bezeichnet. Sie beziehen ihren religiösen Status aus der von ihnen angegebenen Abstammung von der Tochter des Propheten, werden traditionell respektiert und von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt. Ein Teil der Ashraf lebt als Teil der Benadiri in den Küstenstädten, ein Teil als Clan der Digil-Mirifle in den Flusstälern von Bay und Bakool (EASO 8.2014, S. S.46f/103).
1.3.4. Al Shabaab
Die Al Shabaab hat in den von ihr kontrollierten Gebieten Verwaltungsstrukturen geschaffen (BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report, S.6) und erfüllt alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed, Abdirizak Omar / Hiiraan.com (17.8.2019): The Recent Al-Shabab Resurgence: Policy Options for Somalia). Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 2.4.2020, S.5/17). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, S.1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (9.4.2019): Somalia - Folkbokförning, medborgarskap och identitetshandlngar, S.6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher und stabil beschrieben, bei einer Absenz von Clankonflikten (BMLV - Bundesministerium für Landesverteidigung [Österreich] (25.2.2021): Interview der Staatendokumentation mit einem Länderexperten). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI - Hiraal Institute (31.5.2018): Taming the Clans: Al-Shabab’s Clan Politics, S.5). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BMLV 25.2.2021). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen (NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (3.2019): Country of Origin Information Report on South and Central Somalia, S.11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, S.2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, S.5).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des BF
2.1.1. Mangels Vorlage von Originaldokumenten konnte die Identität des BF nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich des Namens „ XXXX “ und des Geburtsdatums „ XXXX “ Verfahrensidentität vorliegt. Der im Spruch angeführte Aliasname „ XXXX “ ergibt sich aufgrund der Namensprotokollierung des im Akt befindlichen und als „Asylantrag“ bezeichneten Schriftsatzes der Landespolizeidirektion XXXX vom XXXX .
Die Feststellungen zu seiner Staats-, Religions- und Clanzugehörigkeit sowie seiner somalischen Herkunft gründen sich auf seine insoweit glaubhaften Angaben im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX (AS 1), seiner niederschriftlichen Einvernahme (AS 98) und auf seinen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (Niederschrift der mündlichen Verhandlung, in der Folge: NSV, S. 11) bzw. seinen Sprachkenntnissen der somalischen Sprache.
2.1.2. Die Feststellungen zum Geburts- und Aufenthaltsort des BF bis zu seiner Ausreise, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung sind seinen diesbezüglich stringenten Angaben in der Erstbefragung, der niederschriftlichen Einvernahme und der mündlichen Verhandlung zu entnehmen (AS 1, AS 98, NSV S. 10f).
Bei dem Beschwerdevorbringen, dass sich Situation in dem von XXXX entfernten „Heimatbezirk XXXX “ verschlechtert hätte und die Rückkehrsituation des BF XXXX zu prüfen sei (AS 217), ist unzweifelhaft von einem offenkundigen Schreibfehler auszugehen, zumal der BF zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens angab an einem anderen Ort als XXXX im Herkunftsstaat gelebt zu haben (AS 1, AS 98, NSV S. 11).
2.1.3. Es haben sich keine Hinweise ergeben, an seinen Angaben zu seinen Eltern zu zweifeln (AS 1, AS 98). Dass dem BF der aktuelle Aufenthaltsort seines Halbbruders väterlicherseits nicht bekannt ist, ergibt sich aus seinen diesbezüglich konstanten Angaben im behördlichen Verfahren (AS 99), sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG (NSV S. 13).
Dass der BF nach traditionell-muslimischen Ritus eine Frau geehelicht hat, sowie Vater von zwei Kindern ist, welche gegenwärtig im Bundesgebiet aufhältig sind, ergibt sich aus den vorgelegten Schriftsätzen des BFA vom 17.07.2021 (./C), welchen sinngemäß zu entnehmen ist, dass die durchgeführten Erhebungen ergeben haben, dass es sich bei XXXX , XXXX , geboren am XXXX , sowie, XXXX , geboren am XXXX , um seine Familienangehörigen handelt.
2.1.4. Weder den Angaben des BF in der niederschriftlichen Einvernahme, noch den von ihm vorgelegten medizinischen Befunden konnte entnommen werden, dass der BF an einer schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit leidet (AS 51, AS 53, AS 55, AS 73, AS 97). Auch gab der BF in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG an, an keiner akut lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden (NSV S. 9). Dass der BF sich gegenwärtig aufgrund einer XXXX in Behandlung befindet ist dem vorgelegten Kurzarztbrief des Landeskrankenhauses XXXX vom XXXX (./A) zu entnehmen.
2.1.5. Dass der BF strafgerichtlich unbescholten ist, ist einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister zu entnehmen.
2.2. Zum Fluchtvorbringen des BF
2.2.1. Der BF gab in seiner Erstbefragung am XXXX als Fluchtgrund an, dass er Somalia verlassen habe, weil in seiner Heimat Bürgerkrieg herrsche. Er habe Somalia auch verlassen, weil es dort keine Sicherheit gebe (AS 1).
In seiner niederschriftlichen Einvernahme am XXXX brachte der BF zu seinem Fluchtvorbringen vor, dass er das Land wegen eines Clanproblems verlassen habe. Die XXXX hätten das Grundstück seiner Familie bebauen wollen. Es sei deswegen zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung des Halbbruders mit den XXXX gekommen, welcher einem Clanangehörigen einen Hammer nachgeworfen und diesen am Kopf verletzt hätte. Seinen Verletzungen sei der Angegriffene nach zwei Tagen erlegen. Der Bruder des Verstorbenen habe dem BF gedroht, dass sich an seiner Familie rächen zu wollen, da der Halbbruder des BF verschwunden sei. Die Clanältesten im Herkunftsort hätten dem BF nicht helfen können, und ihm zur Flucht geraten (AS 99).
In der Beschwerdeergänzung präzisierte der BF seine Angaben insofern, als der Bruder einen „ XXXX – Geschäftsmann“ namens XXXX getötet hätte (AS 208).
In einer Gesamtbetrachtung ist das Fluchtvorbringen glaubhaft. Der BF war in seinen Schilderungen der Vorfälle präzise, weshalb davon auszugehen ist, dass der Halbbruder tatsächlich einen Mann getötet und geflüchtet ist.
2.2.2. Dass die XXXX , wie in der Beschwerdeergänzung vorgetragen, ein schwacher, zur Selbstverteidigung nicht fähiger Clan wäre, der in XXXX eine Minderheit darstelle, konnte den Länderinformationen nicht entnommen werden (OZ 4, S. 8). Auch ergibt sich aus Länderberichten nicht, dass im Herkunftsstaat Clanangehörige der XXXX durch Angehörige anderer Clans verfolgt werden würden.
Den unter II.1.3.3. zitierten Länderberichten ist zu entnehmen, dass die XXXX als religiöser und traditionell respektiert Clan von den Clans, bei welchen sie leben, geschützt werden (II.1.3.3., LIB S. 126). Es ist daher entgegen der Angaben des BF davon grundsätzlich auszugehen, dass jener Clan der XXXX , bei dem sie gelebt haben, ihn bei Clanproblemen beschützen hätten können (AS 99).
Der BF brachte jedoch in seiner Beschwerdeergänzung keine systematische Verfolgung seiner Person als Zugehöriger zum Clan der XXXX durch die XXXX vor. Vielmehr gab er an, von der Familie des Getöteten, welche dem Clan der XXXX zugehörig sind, Rache zu befürchten. In einer derartigen Situation ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen, dass der Clan der XXXX einem Angehörigen der XXXX helfen würde. Seine Angaben betreffend die Angst vor einer persönlichen Rache durch die Familie des Getöteten sind folglich nachvollziehbar.
2.2.3. Dem aktuellen LIB ist zu entnehmen, dass die Stadt XXXX unter Kontrolle der al Shabaab steht und bei einer Absenz von Clankonflikten als relativ sicher und stabil beschrieben wird. XXXX duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Zudem versucht Al Shabaab, zu enge Bindungen zu Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt auch bei Streitigkeiten. Weiters wird XXXX gleichzeitig auch als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte handhabt und diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (II.1.3.4., LIB S. 58, OZ 4, S. 9).
Im gegenständlichen Fall ergibt sich der Fluchtgrund jedoch nicht aus einem Clankonflikt in XXXX per se, bei welchem XXXX auf ihrem Gebiet vermitteln könnte, sondern um die Verfolgung des BF als Einzelperson aufgrund einer vorangegangenen Auseinandersetzung mit Todesfolge, welche von einem Familienmitglied verursacht wurde. Es kann mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht davon ausgegangen werden, dass XXXX den BF in XXXX beschützen würde bzw. könnte. Auch waren seine Schilderungen, dass die Clanältesten ihm zur Ausreise geraten haben und er von diesen keinen Schutz erwarten kann, glaubhaft.
2.3. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Somalia
Die Feststellungen zur maßgeblichen, aktuellen Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aus den im aktuellen Länderinformationsblatt wiedergegebenen und zitierten Länderberichten. Diese gründen sich auf den jeweils angeführten Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG ebenso kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, zumal auch ihnen nicht substantiiert entgegengetreten wurde. Die konkret den Feststellungen zugrundeliegenden Quellen wurden unter Punkt II.1.3.f. zitiert.
Auch ist der BF den in das Verfahren eingeführten, unter I.1.3. zitierten Berichten XXXX nicht entgegengetreten (NSV S. 25f)
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt A)
3.1.1 Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
3.1.2. Flüchtling iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist demnach, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.“
Der zentrale Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK somit die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.1.3. Das individuelle Vorbringen eines Asylwerbers ist ganzheitlich unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens zu würdigen (vgl. VwGH 26.11.2003, Ra 2003/20/0389).
3.1.4. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an (vgl. jüngst etwa VwGH 30.09.2015, Ra 2015/19/0066). Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der BF bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher BF im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass sie im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. des VwG) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 13.12.2016, Ro 2016/20/0005); die entfernte Gefahr einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.1.5. Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
3.1.6. Der BF war hinsichtlich seiner vorgebrachten Fluchtgründe persönlich glaubwürdig, seine Darstellungen widerspruchsfrei bzw. in den Erklärungen plausibel und es ist auch kein gesteigertes Fluchtvorbringen zu erkennen.
Aus seinen substantiierten Schilderungen zu seinen Ausreisegründen ist es nachvollziehbar, dass eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung gegeben ist und im Falle seiner Rückkehr nach XXXX in Somalia eine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr durch die Familie eines getöteten Geschäftsmannes bzw. auch deren Clanverwandte ebendort droht. Erschwerend kommt zur Situation des BF im Herkunftsort hinzu, dass der Getötete dem Mehrheitsclan der XXXX in der Stadt XXXX angehört, und somit ein Schutz des BF als Clanangehöriger der XXXX durch den Clan der XXXX nicht erwartet werden kann. Auch kann im gegenständlichen Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit weder ein Schutz durch die XXXX , noch durch XXXX in XXXX angenommen werden.
Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt aufgrund des dem Beschwerdeführer zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia nicht in Betracht (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).
Es haben sich keine Hinweise auf das Bestehen von Asylausschlussgründen iSd. § 6 AsylG 2005 ergeben.
Aufgrund des Bestehens einer aktuellen, maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, ist dem BF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird diese Entscheidung mit der Feststellung verbunden, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.2. Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter 3.1. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen
Es ist somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung Clanzugehörigkeit Flüchtlingseigenschaft individuelle Verhältnisse Minderheiten Schutzunfähigkeit SchutzunwilligkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W277.2156045.1.00Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021