TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W272 2236288-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2021
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Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W272 2236288-2/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 20.05.2021, Zl. XXXX zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt VI. zu lauten hat,

„Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Enthaftung“,
als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, stellte am 17.08.2005 einen Antrag auf Gewährung von Asyl im Familienverfahren. Beigelegt wurde die Geburtsurkunde der Tochter.

2. Am 13.09.2005 fand eine niederschriftliche Befragung vor dem Bundesasylamt statt. Der BF gab an in XXXX geboren zu sein, der tschetschenischen Volksgruppe und dem muslimischen Glauben anzugehören. Er war im Besitz einer Karte gemäß § 19 AsylG gültig ab 11.12.2002. Seine Eltern seien verstorben. Er habe sieben Jahre die Schule in Bamut besucht, spreche Tschetschenisch als Muttersprache und Russisch. Seine Lebensgefährtin, mit der er nach moslemischem Brauch verheiratet sei und seine minderjährige Tochter, seien bereits anerkannte Flüchtlinge und in XXXX aufhältig. Dem BF wurde im Zuge der Befragung mitgeteilt, er werde den Status des Asylberechtigten in Österreich erhalten, da seine leibliche Tochter ebenfalls diesen Status innehabe.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.09.2005 wurde dem Asylantrag des BF vom 08.09.2005 gemäß § 7 AsylG 1997 stattgegeben und ihm in Österreich Asyl gewährt. Es wurde festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Zugehörigkeit des BF zur Kernfamilie seine Tochter, XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Russische Föderation, die als anerkannter Flüchtling in Österreich lebe, feststehe. Da dem Antrag auf Asylgewährung vollinhaltlich Rechnung getragen wurde, könne gemäß § 58 Abs. 2 AVG eine nähere Begründung entfallen. Der Bescheid erwuchs mit 03.10.2005 in Rechtskraft.

4. Aus der Asylwerberinformationsdatei des BMI ist ersichtlich, dass der BF am 07.09.2002 in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei und am 11.09.2002 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Die Anträge wurden gemäß § 7 und § 8 AsylG mit Bescheid vom 27.05.2003 abgewiesen. Die Bescheide liegen nicht vor. Ein Wiedereinsetzungsantrag sei mit 16.06.2004 gestellt worden und liegt ebenfalls nicht im Akt auf. Eine Berufung sei mit 16.07.2004 gestellt worden und ist ebenfalls nicht aufliegend. Das Verfahren sei mit 14.12.2006 eingestellt worden.

5. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , GZ XXXX vom 17.01.2012, rechtskräftig 20.01.2012 wurde der BF gemäß §§ 15, 127, 130 1. Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Mit dem Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ XXXX vom 09.04.2012, wurde die bedingte Strafnachsicht der Strafe widerrufen.

6. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , GZ XXXX vom 09.04.2013, rechtskräftig am 30.07.2013, wurde der BF gemäß § 228 Abs. 1 StGB, § 223 Abs. 2 StGB, §§ 15, 146 StGB, § 127 StGB, §§ 15, 127 StGB sowie §§ 127, 130 1. Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

7. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX , GZ XXXX vom 17.06.2015, rechtskräftig am 23.06.2015 wurde der BF gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

8. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX , GZ XXXX vom 21.09.2015, rechtkräftig am 25.09.2015 wurde der BF gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

9. Am 06.03.2020 wurde das gegenständliche Aberkennungsverfahren gegen den BF eingeleitet.

10. Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX , GZ XXXX vom 16.06.2020, rechtskräftig am 22.06.2020 wurde der BF gemäß §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

11. Am 16.07.2020 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem BFA, wo der BF zunächst angab, wegen seiner Suchtmittelabhängigkeit in Behandlung zu sein und deswegen täglich Medikamente, nämlich Compensan, einnehme. Es sei sein Ziel die Therapie innerhalb von sechs Monaten zu beenden. Er habe auch schon zwei Therapien gehabt, sei aber rückfällig geworden. Er lebe von Arbeitslosengeld. In Österreich habe er den Beruf des Gärtners gelernt. Verwandte habe er keine und sei er nunmehr auch geschieden. Seit einem Monat habe er eine Freundin, deren Nachname ihm unbekannt sei. Er habe drei Kinder, XXXX , XXXX , und XXXX , die alle bei der Kindesmutter in Wien leben würden. Ein- oder zweimal im Monat treffe er sie. Er spiele Volleyball, Fußball und Basketball mit Freunden, aber in keinem Verein. Nach Hinweis des BFA, dass aufgrund seiner Straffälligkeit die Zuerkennungsvoraussetzungen geprüft werden und sich die Lage in seinem Herkunftsstaat mittlerweile geändert habe, erklärte der BF, er könne nicht zurückfahren, es gebe dort nur Probleme. Der Präsident hasse Leute aus Europa und aus Österreich sowieso. Er lebe in Österreich, habe niemandem wehgetan und seine Straftaten nur unter Medikamenteneinfluss verübt. Er wolle seine Therapie beenden und wieder arbeiten gehen. Er sei 1999 das letzte Mal in seinem Herkunftsland gewesen und habe dort keine Verwandten. Als Tschetschene sei man nirgends in Russland sicher und schon gar nicht in Tschetschenien. Sobald er in Russland ankomme, werde er vom FSB nach Tschetschenien geschickt und als Verräter könne dort alles mit ihm gemacht werden. Eine konkrete Bedrohung bestehe für im Herkunftsland, weil seine Familie, nicht der BF persönlich, am Krieg teilgenommen haben. Außerdem gebe es ein Instagramfoto von ihm mit einem Kreuz und nacktem Oberkörper. Er lebe in Österreich schon länger als in Tschetschenien und 80 % seiner Freunde seien hier. Österreich sei seine zweite Heimat und habe er hier einen Beruf gelernt.

12. Am 12.08.2020 fand eine zeugenschaftliche Einvernahme von XXXX statt, die zunächst angab, russische Staatsbürgerin, Tschetschenin und Muslima zu sein. Sie lebe mit ihren vier Kindern zusammen. Zum Vater der ersten drei Kinder, dem BF, habe sie keinen Kontakt. Er habe noch entfernte Verwandte wie Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, im Herkunftsstaat. Sein Vater sei an einer Krankheit gestorben, mit der Mutter habe er keinen Kontakt. Sie seien geschieden, weil der BF drogen- und spielsüchtig gewesen sei. In den neun Jahren seit der Scheidung habe er nur rund drei Mal persönlichen Kontakt mit den Kindern gehabt. Ansonsten nur telefonischen Kontakt über ihre Schwester. Warum er BF Tschetschenien verlassen habe und ob er dort einer Bedrohung ausgesetzt sei, wisse sie nicht. Er würde dort nichts verstehen und dass er gerne trinke und rausgehe, wäre dort ein Problem. Die Kinder hätten kein Problem damit, wenn der BF nicht mehr in Österreich wäre, denn er sei ja nicht für sie da.

13. Im Verwaltungsakt liegt eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Russische Föderation (Tschetschenien) Opiatmissbrauch, Compensan vom 04.09.2020 auf.

14. Mit Bescheid vom 18.09.2020 erkannte das BFA dem BF den mit Bescheid vom 15.09.2005, Zahl 05 12.757-EAST Ost, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI).

Begründend wurde ausgeführt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass der BF zu befürchten hätte, in der Russischen Föderation aufgrund einer der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe verfolgt zu werden oder aktuell einer relevanten Bedrohungssituation für Leib und Leben ausgesetzt zu sein. Weitere Feststellungen zur Aberkennung des Asylstatus wurden nicht getroffen. Beweiswürdigend wurde festhalten, dass der BF den Asylstatus aufgrund eines Familienverfahrens in Hinblick auf den Schutzstatus der Tochter XXXX zuerkannt wurde. Eigene Fluchtgründe habe er nicht vorgebracht. Daher gehe die Behörde von keinem eigenen Fluchtgrunde aus. Da der Asylstatus der Tochter nunmehr nach Wegfall der Fluchtgründe abzuerkennen sei, entbehre auch der Schutzstatus des BF eine weitere Grundlage. Zudem habe der BF keine glaubhaften, persönlichen Gründe vorgebracht, die seinen Asylstatus weiter rechtfertigen würden. In rechtlicher Sicht wurde nach Zitierung des § 7 Abs. 1 AsylG 2005 ausgeführt, dass im konkreten Fall die Umstände gem. Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 der GFK die zur Asylzuerkennung geführt haben, nicht mehr vor. Es war daher gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

15. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 16.10.2020 durch seine bevollmächtigte Rechtsberaterin vollinhaltlich Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Auch weisen die Länderberichte daraufhin, dass sich die Situation für Tschetschenien im Herkunftsstaat kaum geändert haben. Weiters fehlen Ermittlungen dazu, was mit dem BF aufgrund der angeblichen Konversion (Foto: bei Instagram) geschehen würde, auch nur eine unterstellte Konversion würde zur Verfolgung führe. Bezüglich der COVID-Situation habe sich die Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt. Weiters sei der BF im Herkunftsland ohne Familienangehörige und nunmehr seit 15 Jahren in Österreich integriert, wo seine Kinder leben und er zwar straffällig wurde, jedoch vollständige Reue zeigte und kein besonders schweres Verbrechen beging. Auch habe der BF aufgrund seiner Tochter Asyl erhalten und gehe nun von einer Änderung aus, da ein Aberkennungsverfahren eingeleitet wurde. Auch müsse bei dem Aberkennungsgrund „Wegfall der Umstände“ sorgfältig der grundlegende Charakter der Veränderung im Heimat- oder Herkunftsland beurteilt und dargestellt werden, warum dieser nicht länger existiere.

16. Die für den 23.12.2020 anberaumte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wurde auf den 26.01.2021 vertagt.

17. Am 13.01.2021 erfolgte eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX , dass gegen den BF gemäß §§ 12 3. Fall, 15, 105 Abs. 1, 106 Ab. 1 Z 1, 106 Abs. 3 StGB Anklage erhoben wurde.

18. Am 25.01.2021 wurde die, auf den 26.01.2021 vertagte, mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht abberaumt.

19. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts, GZ W272 2236288-1/18E, vom 29.01.2021 wurde der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen (Spruchpunkt A) und die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Die Behörde legte weder in den Feststellungen noch in den Begründungen dar, wodurch eine Änderung im Herkunftsstaat eingetreten sei. Im Statusaberkennungsverfahren habe keine entsprechende Einvernahme zum Umstand der Zuerkennung des Asylstatus stattgefunden. Weshalb die von der Tochter des BF abgeleitete Gefährdung nicht mehr vorliege, sei in keiner Weise im Bescheid konkretisiert worden. Wenn sich die Behörde außerdem auf die Aberkennung des Status des Asylberechtigten der Tochter des BF bezieht, so sei dieser Status noch nicht aberkannt, sondern befinde sich noch im laufenden Verfahren.

20. Mit gegenständlichem Bescheid vom 20.05.2021 wurde dem BF der ihm mit Bescheid vom 15.09.2005, Zahl: 05 12.757-EAST Ost zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend ausgeführt wurde, dass dem BF der Asylstatus im Familienverfahren ohne eigene Fluchtgründe in Hinblick auf den Schutzstatus seiner Tochter zuerkannt worden sei. Deren Schutzstatus leite sich, ebenfalls ohne eigene Fluchtgründe, im Familienverfahren vom Asylstatus ihrer Mutter ab. Der Mutter sei der Asylstatus wegen Vorkommnissen im Zuge des 2. Tschetschenienkrieges von 1999 bis 2006 erteilt worden. Der BF habe in der Erstbefragung am 13.09.2005 keinerlei eigene Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich nur auf seine Vaterschaft zu seiner asylberechtigten Tochter bezogen. Die Behörde gehe deshalb davon aus, dass der BF keine eigenen Fluchtgründe habe, die einen weiteren Asylstatus rechtfertigen würde. Da der Asylstatus seiner Tochter nunmehr rechtskräftig aberkannt worden sei, entbehre der Schutzstatus des BF einer weiteren Grundlage. Im Zuge seines Parteiengehörs im Aberkennungsverfahren habe der BF zudem keine glaubhaften persönlichen Gründe vorgebracht, die seinen Asylstatus weiter rechtfertigen könnten. Sein Vorbringen, wonach er wegen Instagramfotos mit nackten Oberkörper und einem Kreuz in der Russischen Föderation bedroht wäre, begründe keine asylrelevante Verfolgung. Seine Befürchtung, vom FSB sofort an die tschetschenischen Behörden ausgeliefert zu werden, könne durch die Länderfeststellungen nicht bestätigt werden. Da nach den Länderfeststellungen keine allgemeine Gefahr festgestellt werden konnte, gehe die Behörde davon aus, dass dem BF in seinem Herkunftsstaat keine Gefahr drohe, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der BF habe kein aufrechtes Familienleben in Österreich und überwiegen die Gründe, die für eine Rückkehrentscheidung sprechen. Dem BF war daher gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG der Status des Asylberechtigten abzuerkennen.

21. Gegen den gegenständlichen Bescheid brachte der BF durch seine bevollmächtige Rechtsvertretung fristgerecht am 24.06.2021 gegen die Spruchpunkte IV. – VI. (Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung, Frist für die freiwillige Ausreise) Beschwerde ein. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren und die Feststellungen mangelhaft seien. Der BF könne auf einen mehr als 15-jährigen Aufenthalt in Österreich zurückblicken, weise soziale und familiäre Bezüge im Bundesgebiet auf und sei sein Lebensmittelpunkt zweifelsfrei in Österreich. Die „Zehn-Jahres-Grenze“ des Aufenthaltes sei verwirklicht. Aufgrund des langen rechtmäßigen Aufenthaltes, seiner Sozialkontakte, insbesondere zu seinen hier lebenden Kindern habe er ein erhebliches privates und familiäres Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Durch seine Deutschkenntnisse sei er auch sprachlich verankert. Nach der letztmaligen Entlassung aus der Strafhaft am 18.01.2021 sei ihm vor allem an einer Verbesserung der Beziehung zu seinen Kindern gelegen. Die aktuelle Untersuchungshaft des BF gehe auf einen Tatvorwurf aus dem Frühjahr 2020 zurück und ist er hinsichtlich des Vorwurfs des Diebstahls vollumfänglich geständig und sei dies auf einen kurzen Moment der Schwäche verbunden mit einem Rückfall zurückzuführen. Den Tatvorwurf der gefährlichen Drohung streite er gänzlich ab. Im vorliegenden Fall sei die Fortführung des Privat- und Familienlebens des BF in Österreich höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Die Behörde habe es bis dato unterlassen, dem BF den Inhalt der Zeugenaussage seiner Ex-Frau zur Kenntnis zu bringen, obwohl sie diese der Entscheidung maßgeblich zugrunde legt. Auch habe sich die belangte Behörde erneut nicht mit dem Persönlichkeitsbild des BF auseinandergesetzt, obwohl es einer ausführlichen Interessensabwägung zwischen den privaten und öffentlichen Interessen bedürfe.

Gegen die Spruchpunkte I. – III. wurde keine Beschwerde erhoben und erwuchsen diese demnach mit 25.06.2021 in Rechtskraft.

22. Mit Urteil des Landesgerichts des Strafsachen XXXX , GZ XXXX vom 19.07.2021, rechtskräftig am 23.07.2021 wurde der BF gemäß § 297 Abs. 1 2 Fall StGB zu einer Freiheitstrafe im Ausmaß von 22 Monaten verurteilt.

23. Am 24.09.2021 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch.

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Vorverfahrens zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und Schriftstücke, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister, sowie der mündlichen Verhandlung, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist am XXXX in XXXX geboren, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit und Moslem. In seinem Herkunftsland besuchte der BF sieben Jahre die Schule und machte den Führerschein. In Österreich erlernte er den Beruf des Gärtners. Er spricht Tschetschenisch als Muttersprache, Russisch und etwas Englisch und Serbokroatisch. Sein Deutsch ist sehr gut.

Der BF reiste am 07.09.2002 in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid vom 27.05.2003 abgewiesen wurde. Am 16.06.2004 wurde ein Wiedereinsetzungsantrag und am 16.07.2004 eine Berufung eingebracht. Am 14.12.2006 wurde das Verfahren eingestellt. Die Bescheide sowie die Anträge des BF sind nicht im Akt aufliegend.

Der BF stellte am 17.08.2005 einen Asylantrag im Familienverfahren. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.09.2005 wurde ihm, als leiblichem Vater seiner asylberechtigten Tochter, XXXX , der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Deren Asylstatus stützt sich wiederum auf den Schutzstatus ihrer Mutter, XXXX , bei der die Zuerkennung von Asyl aufgrund vom Vorkommnissen in Zusammenhang mit dem 2. Tschetschenienkrieg erfolgte und auch in Bezug auf ihre eigene Mutter.

Am 27.09.2019 wurden die Aberkennungsverfahren der Tochter und der Ex-Frau des BF eingeleitet. Am 06.03.2020 leitete das BFA, aufgrund seiner strafgerichtlichen Verurteilungen und der geänderten Lage im Herkunftsstaat, auch gegen den BF ein Aberkennungsverfahren ein. Mit Bescheid des BFA vom 12.02.2021, rechtskräftig am 08.05.2021, wurde der Tochter des BF als Bezugsperson in seinem Familienverfahren der Status der Asylberechtigten aberkannt. Die Ex-Ehefrau und die Kinder sind im Besitz eines Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“.

Der BF ist derzeit gesund, er leidet an keiner lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden physischen oder psychischen Erkrankung. Seine Suchtmitteltherapie hat der BF abgeschlossen und nimmt derzeit keine Drogen oder Medikamente.

Der Beschwerdeführer hat Arbeits- bzw. Berufserfahrung in Österreich, nämlich bei:

?         XXXX ; Verein für gemeinnützige Beschäftigung als geringfügig Beschäftigter ab 10.03.2021 kürzer als einen Monat;

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter ab 13.10.2018 kürzer als einen Monat;

?         XXXX als Arbeiter von 13.09.2018 bis 26.09.2018;

?         XXXX jeweils als geringfügig Beschäftigter und jeweils kürzer als einen Monat in verschiedenen Zeiträumen zwischen November 2017 und August 2020;

?         XXXX als Arbeiter am 06.06.2011;

?         XXXX als Arbeiter von 21.07.2010 bis 24.09.2010;

?         XXXX als Arbeiter am 08.07.2010 und am 16.07.2010;

?         XXXX als Arbeiter von 16.06.2008 bis 15.08.2009;

?         XXXX als Arbeiter von 31.08.2006 bis 07.12.2006, von 06.02.2007 bis 14.03.2007, von 14.05.2007 bis 16.05.2007 und von 11.06.2007 bis 22.06.2007;

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 23.06.2006 bis 30.06.2006 und als Arbeiter am 20.06.2006;

Der BF wurde in Österreich sechsmal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt:

Die erste Verurteilung erfolgte am 17.01.2012 durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX , GZ XXXX . Der BF hat zu mehreren Zeitpunkten zwischen Oktober und Dezember 2011 in XXXX fremde bewegliche Sachen in einem EUR 3.000,00 nicht übersteigenden Gesamtwert mit dem Vorsatz weggenommen bzw. wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wobei er Diebstähle in der Absicht beging, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Er hat dadurch das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 1. Fall und 15 StGB begangen und wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Als mildernd wurden das reumütige Geständnis und die bisherige Unbescholtenheit gewertet. Erschwerend war kein Umstand. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX , GZ XXXX , vom 09.04.2013 wurde die bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe angesichts der Täterpersönlichkeit, der Tatumstände und seines Vorlebens, widerrufen.

Die zweite Verurteilung erfolgte am 09.04.2013 durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX , GZ XXXX . Der BF hat in XXXX und anderen Orten des Bundesgebietes am 06.06.2011 bewirkt, dass gutgläubig ein Recht, ein Rechtsverhältnis oder eine Tatsache in einer inländischen öffentlichen Urkunde unrichtig beurkundet wurde, indem er der Zulassungszweigstellte eine verfälschte Vollmacht vorlegte und so eine Zulassung und die Ausfolgung von Kennzeichentafeln bewirkte; am 06.06.2011 in XXXX eine falsche Urkunde, nämlich eine Vollmacht, im Rechtsverkehr zum Beweise eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht; zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2011 mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, durch die (konkludente) Vorgabe, nicht im Besitze eines (angemeldeten) PKW zu sein, obwohl dieser in seinem Eigentum stand, die Verantwortlichen des Flüchtlingsreferates Kärnten zur Weitergewährung der staatlichen Förderung in Höhe von EUR 180,00, mithin zu einer Handlung verleiten versucht, die die Republik Österreich in einem unbekannten, EUR 3.000,00 nicht übersteigenden Betrag am Vermögen schädigen sollte; am 13.07.2012 in XXXX eine fremde bewegliche Sache, nämlich Bekleidungsstücke, im Gesamtwert von EUR 627,00 mit dem Vorsatz weggenommen, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; am 01.12.2012 in XXXX fremde bewegliche Sachen, nämlich Bekleidungsstücke, im Gesamtwert von EUR 204,94 mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, um sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; in der Absicht sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat, zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen Jänner und Februar 2013 in XXXX , eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, fremde bewegliche Sachen in einem EUR 3.000,00 nicht übersteigenden Gesamtwert, mit dem Vorsatz teils weggenommen, teils wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Der BF hat hierdurch das Vergehen der mittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs. 1 StGB, das Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB, das Vergehen des versuchten Betruges nach §§ 15, 146 StGB, das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB, das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB sowie das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 1. Fall StGB teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuches nach § 15 StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Als mildernd wurden das umfassende, reumütige und der Wahrheitsfindung dienliche Geständnis, dass es teilweise beim Versuch blieb, die Sicherstellung des Diebsgutes sowie dass der BF zum Teil auch unter ihn enthemmenden Drogeneinfluss stand, gewertet. Erschwerend waren dagegen eine einschlägige Vorabstrafung, der rasche Rückfall und das Zusammentreffen von vier Vergehen mit einem Verbrechen.

Die dritte Verurteilung erfolgte am 17.06.2015 durch das Bezirksgericht XXXX , zu GZ XXXX . Der BF hat am 22.04.2015 in XXXX fremde bewegliche Sachen, nämlich Bekleidungsstücke, in einem Gesamtwert von EUR 173,75 mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Er hat hierdurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Als mildernd wurde der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist und als erschwerend die zwei einschlägigen Vorstrafen gewertet.

Die vierte Verurteilung erfolgte am 21.09.2015 durch das Bezirksgericht XXXX , zu GZ XXXX . Der BF hat am 21.07.2015 in XXXX fremde bewegliche Sachen, nämlich Bekleidungsstücke und eine Reisetasche im Gesamtwert von EUR 117,96 mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Er hat hierdurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Als mildernd wurden das reumütige Geständnis und der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, gewertet. Erschwerend waren die drei einschlägigen Vorverurteilungen.

Die fünfte Verurteilung erfolgte am 16.06.2020 durch das Bezirksgericht XXXX , zu GZ XXXX . Der BF hat am 14.04.2020 in XXXX versucht eine fremde bewegliche Sache in einem EUR 5.000,00 nicht übersteigenden Wert, nämlich ein Parfum im Wert von EUR 58,90, mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch die Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Er hat hierdurch das Vergehen des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Mildernd wurden das reumütige Geständnis und dass kein Schaden entstanden ist gewertet. Erschwerend die vier auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorverurteilungen und das Vorliegen der Rückfallsqualifikation.

Die sechste Verurteilung erfolge am 19.07.2021 durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX , zu GZ XXXX . Der BF hat in XXXX am 10.07.2020 zu einer von einem unbekannt gebliebenen Mittäter begangenen versuchten schweren Nötigung dadurch beigetragen, dass der den unmittelbaren Täter in seinem bereits gefassten Tatentschluss bestärkte und ihm sein Mobiltelefon zur Verfügung stellte und dieser sodann unter Verwendung dieses Mobiltelefons drei Opfer durch gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Unterlassung, nämlich die westliche Lebensführung einzustellen bzw. aufzugeben, zu nötigen versucht hat; am 29.03.2021 in XXXX versucht eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Sonnenbrille im Wert von EUR 250,00 mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; am 13.08.2020 im Zuge seiner Beschuldigteneinvernahme im Verfahren XXXX bzw. XXXX einen anderen dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzte, indem er – obwohl er wusste, dass diese Verdächtigung falsch ist – angab, dass sein Mobiltelefon jeder, der dort anwesend war, nehmen hätte können und auch damit telefonieren habe können, ohne dass er es merke und dadurch die gefährliche Drohung mit dem Tode durch Unterlassung sohin das Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 und 3 StGB durch die Genannten begangen worden wäre und diese somit falsch verdächtigte. Er hat hierdurch das Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 12 3. Fall, 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 und 3 StGB in der Form der Beitragstäterschaft, das Vergehen des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB in Form des Versuchs sowie das Verbrechen der Verleumdung gemäß § 297 Abs. 1 2. Fall StGB begangen und wurde zu einer Freiheitsstrafe von 22 Monaten verurteilt. Erschwerend wurde das Zusammentreffen von zwei Verbrechen mit einem Vergehen, die ungerechtfertigte Belastung von zwei Personen sowie die fünf einschlägigen Vorabstrafungen gewertet, mildernd, dass es beim Diebstahl beim Versuch geblieben ist und das Geständnis beim Diebstahl und bei der Verleumdung.

Die Verurteilungen des BF beruhen auf der gleichen schädlichen Neigung und richten sich gegen das Rechtsgut des Eigentums und zuletzt auch gegen die Freiheit und die Ehre. Zwischen den ersten vier und der fünften Verurteilung verhielt sich der BF fünf Jahre lang wohl, setzte aber in der Folge weniger als einen Monat nach der fünften Verurteilung eine erneute Tathandlung.

Seit 08.05.2021 befindet sich der BF in Untersuchungshaft und nun in Strafhaft. Zuletzt wurde er am 18.01.2021 aus der Strafhaft entlassen, die er am 18.08.201 angetreten ist. Zwei Monate nach seiner Entlassung setzte er bereits die nächste Tathandlung. Weiters befand sich der BF von 20.12.2011 bis 10.01.2011, von 10.1.2012 bis 17.01.2012, von 05.02.2013 bis 24.01.2014 und von 09.11.2015 bis 08.07.2016 in Strafhaft.

Der BF ist in Tschetschenien aufgewachsen, hat dort die Schule besucht und den Führerschein gemacht. Er kennt die tschetschenische Kultur, sowie die kulturellen und sozialen Gegebenheiten in der Russischen Föderation.

Die Eltern des BF sind verstorben. Ob er noch Verwandte in der Russischen Föderation hat, konnte nicht festgestellt werden.

Der BF kritisierte zu keinem Zeitpunkt die Anhänger des derzeitigen Präsidenten Ramsan Achmatowitsch Kadyrow und trat auch nicht gegen diesen auf.

Der BF ist geschieden und Vater von drei minderjährigen Kindern. Seine frühere Lebensgefährtin, nach islamischem Recht, und seine Kinder sind in Österreich aufenthaltsberechtigt. Der BF wohnt nicht in einem Haushalt mit seinen Kindern und hatte über Jahre keinen Kontakt mit ihnen. Das letzte persönliche Treffen war im Jahr 2016. Erst seit kurzer Zeit steht er in unregelmäßigem telefonischen Kontakt zu den Kindern. Seine Kinder sind 16, 14 und zehn Jahre alt. Eine finanzielle Abhängigkeit besteht nicht. Auch zu seiner geschiedenen Frau besteht kein Kontakt mehr. Weitere Verwandte hat der BF in Österreich nicht.

Der BF gab an, er habe viele Freunde in Österreich, wobei er keine Namen nannte. Er betreibt verschiedene Sportarten, jedoch nicht in einem Verein.

1.2 zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Die Umstände für die Zuerkennung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben sich wesentlich geändert.

Es wird festgestellt, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit, der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner Gefährdung ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass er konkret Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa bzw. Österreich aufgehalten hat, deshalb in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in keine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Es ist dem BF möglich und zumutbare sich in anderen Städten in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien wie Moskau oder andere große Städte als innerstaatliche Fluchtalternative wahrzunehmen. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise und vorhandener Coronapandemie bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken (Tschetschenien).

Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten in seinem Herkunftsland Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Da der BF keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und keine Vorerkrankungen ist nicht davon auszugehen, dass der BF durch eine etwaige Erkrankung an das COVID-19 Virus eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden würde. Er fällt nicht unter die COVID-19-Risikogruppen.

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen (Auszug Gesamtaktualisierung, Version 3 vom 11.06.2021):

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021

Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).

Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).

Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).

Moskau:

In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).

St. Petersburg:

Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).

Tschetschenien:

An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).

Dagestan:

An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

Tschetschenien

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2020). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).

In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).

Nordkaukasus

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffne

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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