TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/11 W195 2247099-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W195 2247099-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch die XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.09.2021, XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

I.1 vorhergehendes Verfahren:

I.1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 15.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung gab der BF, welcher der hinduistischen Glaubensgemeinschaft angehört, zu seinen Fluchtgründen an, er habe mit seinem Vater eine Fischzucht betrieben. Nachdem sein Vater 2013 verstarb seien alle Verwandten nach Indien gezogen, da es in Bangladesch auf Grund der Religion immer wieder zu Verfolgung und Misshandlungen gekommen sei.

I.1.2. Im Rahmen der Einvernahme des BF vor dem BFA am 22.11.2017 gab dieser zu Protokoll, dass es ihm nicht so gut ginge. Die Gegenpartei übe Druck auf seine Mutter aus, welche sich in Bangladesch aufhalten würde. Er habe sich über einen Bekannten, der nach Bangladesch gereist sei, verschiedene Dokumente sowie einen Laptop nach Österreich bringen lassen. Die Mutter und ein Cousin väterlicherseits hätten dies für ihn machen lassen. Er habe gehört, dass man sich Dokumente schicken lassen solle, wenn man ein Interview beim BFA habe.

In Bangladesch würden seine Mutter, seine verheiratete Schwester sowie Tanten, Onkel und eine Cousine wohnen. Außerhalb des Heimatlandes habe er keine Verwandten. Der BF sei ledig und habe keine Kinder. Er habe Kontakt zu seiner Familie und zu Freunden in Bangladesch.

Der BF gab an, keine Schulausbildung zu besitzen. Er habe seinem Vater bei der Fischzucht geholfen, er sei Fischzüchter (Teich gemietet, Fische gefüttert und anschließend verkauft).

Sein Vater sei am 04.04.2013 an einem Herzinfarkt verstorben, „nachdem sie Geld entwendet haben und Gift an unsere Fische fütterten“. Der BF habe sodann noch im April 2013 das Land verlassen.

Er sei über Indien bis nach Griechenland gereist, wo er einen Asylantrag stellte. Er sei ein halbes Jahr im Gefängnis gewesen, dann habe er einen Zettel erhalten, auf dem stand, dass er Griechenland innerhalb von drei Monaten verlassen müsse. Diesen Zettel habe er weggeschmissen. Er sei nach Österreich gekommen, habe eine Nacht am Bahnhof verbracht und nach Italien gegangen. Dort sei er ca. 2 Monate gewesen, er wollte dann nach Deutschland, wurde aber an der Grenze aufgegriffen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, dass es zwar nicht gegen ihn, aber gegen seinen Vater eine Anzeige gab. „Die Polizei und die Leute“ würden jedoch den BF suchen und Geld verlangen. Er sei niemals verhaftet, angehalten oder festgenommen worden. Er hatte in seiner Heimat keine Probleme mit den Behörden, er sei kein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen. Er sei jedoch von staatlicher Seite wegen seiner politischen Gesinnung und wegen der Religion verfolgt worden.

Konkret nachgefragt führte der BF aus, dass er gut mit dem Vater zusammengearbeitet habe. Es habe im Dorf Personen gegeben, die die Religionsausübung der Hindu unterbinden wollten. Er habe deshalb auch keine Schulausbildung erhalten. Nachdem die Fische im Teich vergiftet worden waren seien sie zur Polizei gegangen und hätten ein „General Diary“ (ein Vorfallsbericht) gegen die ihnen bekannten Personen, die das gemacht hätten, eingebracht. Die Polizei habe gesagt, dass sie sich der Sache annehmen werde und dass sie veranlassen werde, dass ein Vergleich zustande käme. Daraufhin sei die Familie von Anhängern der regierenden Awami-League geschlagen worden. Man habe sie aufgefordert das Land zu verlassen und die Besitztümer zu überlassen. Es seien dann „die guten Muslime“ gekommen und hätten die anderen gefragt, weshalb sie geschlagen werden; diese meinten, sie hätten die bengalische Staatsbürgerschaft und sollten bleiben dürfen; dann sei es zu Streitereien zwischen den Muslimen gekommen. Für den angerichteten Schaden hätte die Familie letztlich nach zwei Monaten Geld bekommen sollen, aber sie erhielten es nicht; es sei wieder zu einer Schlägerei gekommen. Die Familie sei wieder zur Polizei gegangen: Daraufhin habe es einen Brandanschlag auf die Küche gegeben, welche ebenfalls bei der Polizei angezeigt worden wäre. Einer von der Awami-League habe gemeint, dass Anhänger der BNP den Brandanschlag verübt hätten, was der BF aber bezweifle, weil diese die „guten Muslime“ gewesen seien. Sie seien dann von den Anhängern der Awami-League aufgefordert worden, die BNP-Anhänger anzuzeigen, was sie aber nicht gemacht hätten. Nach einer Schutzgelderpressung durch die Polizei wurde der Streit beendet und neue Fische im Teich ausgesetzt. Es kam zur Schlichtung mit den Muslimen.

Der Vater habe sodann einen Herzinfarkt erlitten; nachdem er nach drei, vier Tagen später vom Spital nach Hause kam, sei er „noch ein, zwei Jahre im Bett“ gewesen und verstarb 2013. Der BF habe sodann mehr arbeiten müssen, weil sie behauptet haben, dass der Vater Schulden gehabt habe und er Geld zahlen oder das Haus überschreiben müsse. Ein anderes Mal sei er mitgenommen worden und wurde für vier oder fünf Tage in ihrem Haus festgehalten und geschlagen. Er sei dann von den guten Muslimen mitgenommen worden, habe Medikamente bekommen und sei bei einem von ihnen untergebracht worden. In der Nacht sei er dann mit seiner Mutter illegal über die Grenze nach Indien gebracht worden. Seine Mutter sei später zurück nach Bangladesch gegangen.

Der BF sei am 15.09.2015 nach Österreich eingereist. Er würde zweimal wöchentlich in einen Alphabetisierungskurs gehen. Er lebe von der Grundversorgung. Er sei auch nicht Mitglied in einem Verein oder dergleichen. Er habe keine Verwandten oder Freunde hier. Er habe eine Lehre zum Restaurantfachmann begonnen, diese jedoch wieder abgebrochen.

I.1.3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.12.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

Konkret sei das Fluchtvorbringen, nämlich eine Verfolgung wegen seines Glaubens oder wegen seiner politischen Gesinnung, unglaubwürdig. Der BF hätte zwischen der Ersteinvernahme und der Einvernahme vor dem BFA eine massive Steigerung des Fluchtgrundes konstruiert, insbesondere die Verfolgung als Hindu und die Unterscheidung zwischen den „guten“ (das wären BNP-Anhänger) und den „schlechten“ Muslimen (welche Anhänger der Awami-League seien). Nach dem LIB wäre es jedoch genau umgekehrt, nämlich die BNP-Anhänger würden gegen Hindus, Awami-League-Anhänger für die Hindus sein. Die Unglaubwürdigkeit der Antworten ergäbe sich aber auch aus der zögerlichen Beantwortung der gestellten Fragen, welche oft wiederholt werden mussten. Es sei erkennbar, dass eine auf religiösen Fluchtgründen aufbauende Geschichte um eine politische Komponente angereichert worden sei. Darüber hinaus sei auch nicht erkennbar, dass der BF tatsächlich verfolgt worden sei bzw. er einen ausreichenden Rückhalt in der Dorfbevölkerung habe. Widersprüchlich seien oft die zeitlichen Angaben in der Fluchtgeschichte gewesen. Das unmittelbare Fluchtgeschehen erstrecke sich über einen Zeitraum von vier Jahren. Es sei unklar, weshalb die Mutter und die Schwester, die angeblich Opfer gewesen seien, wieder nach Bangladesch zurückkehrten.

Bemerkt wurde auch, dass die vorgelegten Dokumente erst erstellt wurden, als der Termin zur Einvernahme vor dem BFA bekannt gegeben worden waren; es gäbe Schreib- und Grammatikfehler im „Nationality Certificate“ und es sei eigenartig, dass die Geburtsurkunde erst am 21.11.2016 ausgestellt worden sei, zu einem Zeitpunkt, in dem sich der BF bereits in Österreich befand. Die Urkunden seien nach Aussage des BF von seiner Mutter und einem Cousin beschafft worden, weshalb ihnen keine Beweiskraft zukäme.

I.1.4. Mit Schriftsatz vom 04.01.2018 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch den XXXX vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes wurde dabei - zusammengefasst - begründend ausgeführt, das BFA habe den Sachverhalt nicht gründlich ermittelt. Es habe das BFA nicht wahrgenommen, dass der BF als Hindu einer religiösen Minderheit angehöre, welche in Bangladesch besonders gefährdet sei. Die Erstbefragung diene lediglich der Feststellung der wichtigsten Daten und sei auch die Protokollierung in der „dritten Person“ eigenartig gewählt worden. Er habe in der Einvernahme sehr wohl durch detailliertes Vorbringen eine hohe Glaubwürdigkeit erzielt. Die Fluchtgeschichte würde auch zu den im LIB beschriebenen Verfolgungen aus religiösen Gründen passen.

Es wurden die Anträge gestellt, dem BF Asyl bzw. subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die erste Instanz zurückzuverweisen, in eventu, dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu gewähren sowie, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

I.1.5. Mit Schreiben vom 05.01.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.1.6. Eine mit Ladung vom 24.11.2020 für den 11.12.2020 anberaumte Verhandlung musste kurzfristig nach Beginn aus gesundheitlichen Gründen (angeblich laut dem nicht erschienenen und dann per Handy befragten, sich in Wien aufhaltenden BF: wegen „Husten und Fieber“) auf den 18.01.2021 verschoben werden.

I.1.7. Der BF legte eine Bestätigung eines in Innsbruck niedergelassenen Arztes für Allgemeinmedizin vor, der zu Folge der BF „anamnestisch … vom 09.12.2020 bis 11.12.2020 an ‚Zahnschmerzen und soweit beurteilbar Fieber‘ “ litt.

I.1.8. Am 14.12.2020 reichte das BFA eine Anfrage des AMS hinsichtlich Verfahrensstand nach.

I.1.9. Ebenfalls am 14.12.2020 langte vom BF ein deutschsprachiger 5-seitiger Schriftsatz ein, welchem bengalisch-sprachige Unterlagen zu angeblich 6 Strafverfahren gegen den BF beigefügt waren.

Diesem Schriftsatz war eine Kurzfassung der behaupteten Strafverfahren zu entnehmen sowie Anträge hinsichtlich einer vor-Ort Recherche, der vollständigen Übersetzung der Unterlagen, eine Identitätsfeststellung sowie der Antrag, an Stelle des „ XXXX “ die „ XXXX “ mit der Rechtsvertretung zu beauftragen, weil der ‚ XXXX keine ordentliche Rechtsberatung‘ durchführe, sowie eine Verlängerung der Frist zum Länderbericht, weil der XXXX diesen nicht hergegeben habe.

I.1.10. Das Bundesverwaltungsgericht ließ die vom BF am 14.12.2020 vorgelegten bengalisch-sprachigen Dokumente kurzfristig in die deutsche Sprache übersetzen und langte diese Übersetzung am 04.01.2021 im BVwG ein.

I.1.11. Der XXXX legte mit Wirksamkeit vom 31.12.2020 die Rechtsvertretung zurück.

I.1.12. Die XXXX legte am 11.01.2021 die Vollmacht des BF zur Rechtsvertretung vor.

I.1.13. Mit der (neuen) Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 29.12.2021 wurde dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand November 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den nunmehr 18.01.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.1.14. Die XXXX legte neuerlich eine Vollmacht schriftlich vor.

I.1.15. Am 18.01.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

Eingangs wurde festgehalten, dass der BF gesund ist, obwohl er „wegen seines Kopfes“ ein ärztlich verschriebenes Medikament ( XXXX ; laut Internet: gegen Weichteilrheumatismus, Gelenksentzündungen, „Hexenschuss“, Gicht, Migränekopfschmerzen; Menstruationsbeschwerden) einnehme. Dieses Medikament nehme der BF seit fünf Jahren.

Mit seiner Mutter habe der BF alle 15 bis 20 Tage Kontakt. Sie und seine Schwester leben in Bangladesch. Sie würden ihn monatlich mit Geldleistungen unterstützen und bekäme der BF € 250 von der Sozialhilfe. Er würde seine Familie vermissen; seine Schwester sei nicht verheiratet. Der BF habe keine Verwandten in Österreich, er habe auch keine Kinder und keine Beziehung.

Zu seinen Deutschkenntnissen musste in der Verhandlung festgestellt werden, dass diese vollkommen unzureichend sind. Der Sprachwortschatz war extrem begrenzt und eine Unterhaltung faktisch nicht möglich. Dem seit 2015 im Bundesgebiet aufhältigem BF war es nur schwer möglich zu sagen, was er gerne isst oder in welcher Stadt er wohnt.

Der BF selbst begründete seine sehr schwachen Sprachkenntnisse damit, dass er „weder lesen noch schreiben“ könne. Zu seiner Schulausbildung befragt, gab der BF an, dass er „nur in die 2. Klasse“ (VS 8) gegangen sei und dass er als Hindu diskriminiert worden sei „und deshalb geht man nicht in die Schule“ (VS 9). Er habe auch keine Berufsausbildung erhalten. Er habe der Chefin des Lagers in Österreich gesagt, dass er einen Kurs machen möchte, aber es gäbe nur „A1, A2 und B1“ Kurse.

Zu seinen Aktivitäten in Österreich befragt gab der BF an, dass er „zu Hause“ sei und „spazieren gehe“. Er habe in Österreich „eine einjährige Ausbildung“ gemacht, welche er aber dann abgebrochen habe. Konkret nachgefragt meinte der BF, man habe ihm die Ausbildung als „Kellner“ angeboten, aber er sei dann nur als „Reinigungskraft“ (Tellerwäscher) in einem Restaurant engagiert gewesen. Die Arbeiterkammer hätte € 5.000 für den BF erstritten, er habe dann gekündigt und seitdem arbeite er nichts. Er wolle nicht Reinigungskraft sein, sondern Kellner. Gefragt, wie er als Kellner ohne Deutschkenntnisse arbeiten wolle, meinte der BF, er würde die Teller in die Küche bringen sowie das Gericht zu Tisch bringen. Er wolle keine Reinigungskraft sein, deshalb kündigte er.

Seine Zukunft in Österreich stelle er sich so vor, dass er ein asiatisches Restaurant eröffnen würde. Er „bräuchte die Sprache nicht“ (VS 8).

In Österreich hätte der BF italienische und indische Freunde. Ein italienischer Freund würde ihn einstellen, wenn er Papiere bekäme. Er hätte in einem indischen Restaurant eine „einjährige Ausbildung“ gemacht (s. zwei Absätze weiter oben).

Gegen den BF würde es Anzeigen geben. Zwar lebe er in Österreich seit fünf Jahren, aber es würden immer wieder kriminelle Strafverfahren gegen ihn eingeleitet. In Bangladesch gäbe es einen Gegner namens XXXX , der behauptet, dass der Vater ihm noch Geld schuldete. Die Verfahren, die gegen den BF eingeleitet worden seien, seien alle „politisch“ motiviert. Seine Mutter sei eine ältere Dame und seine Schwester würde sich damit nicht auskennen (VS 10). Es seien drei bis vier neue Strafverfahren gegen den BF eingeleitet worden, wegen Schutzgelderpressung „und was weiß ich. Ich weiß es nicht mal“. Da er sie nicht lesen könne, könne er leider nichts sagen. Seine Mutter habe es ihm zwar gesagt, dass behauptet werde, dass er von Armen Schutzgeld erpresst habe. Diese Anzeigen würden seit ca. einem Jahr bestehen (VS 11). Gegen Ende des Verfahrens ersuchte der BF, dass man seine Anzeigen überprüfen möge. Darauf hingewiesen, dass der BF selbst nichts Konkretes zu den Anzeigen ausführte, wurde er noch gefragt, woher er diese überhaupt habe. Seine Mutter habe sie ihm organisiert. Seine Mutter kenne einen Rechtsanwalt, welcher andere Rechtsanwälte und Personen kenne, die ebenso in das Verfahren verwickelt seien. Über diesen Umweg habe die Mutter die Informationen erhalten (VS14). Der Herr XXXX behaupte, dass der Vater ihm noch Geld schulde und wollte die Übertragung der Grundstücke. Auf diesem Grundstück befände sich noch das Haus der Familie, aber die eine Hälfte sei zerstört, es wären nur mehr zwei Zimmer vorhanden.

Er sei seit 2015 nicht mehr in Bangladesch gewesen. Es würden jedoch in den Anzeigen Zeugen aufgeführt, die das Gegenteil behaupten würden. Für 10.000 Taka würde die Polizei, wenn man sie besticht, Menschen umbringen.

Der BF hätte in Bangladesch keinen Anwalt beauftragt, Anwälte hätten in seinem Fall Angst davor selbst ermordet zu werden oder dass eine Anzeige gegen sie erstattet werde. Es ginge auch nicht ums Geld, das erforderliche Geld hätte seine Familie.

Gefragt, weshalb diese Anzeigen gegen den BF erstattet werden gab dieser an, dass vor zwei bis drei Jahren zwei Personen ermordet wurden und er als Zeuge angeführt wurde. Seitdem er als Zeuge angeführt werde, würde er mit Strafverfahren bedroht werden. Der XXXX , Mitglied der Awami League, hätte ihn als Zeugen angeführt (VS 11). Die Anzeigenverfasser seien Freunde des Herrn XXXX , die der BF nicht kenne. Er sei seit fünf Jahren in Österreich, er habe die Straftaten nicht begangen (VS 15).

In seinem Dorf gäbe es ca 10 bis 15 Hindu-Häuser von insgesamt 120 Häusern. Schon vor seiner Flucht hätte man die hinduistischen Rituale und Feste nicht feiern können. Die Hindus würden als Minderheit verfolgt werden, diskriminiert und beschimpft als Götzendiener.

Gefragt, ob der BF wisse, wo der nächstgelegene Hindu-Tempel zu seiner Wohnstätte (Innsbruck) gelegen sei, meinte dieser, es gäbe in Österreich keine Hindu-Tempel (Anmerkung: dies ist sachlich falsch). Er würde seinen Glauben im Herzen praktizieren.

Im weiteren Verlauf der Verhandlung wurde auf den aktuellen Länderbericht sowie die Auswirkungen der Corona-Pandemie eingegangen. Der BF meinte dazu lediglich, „es wäre vielleicht besser, wenn ich an dem Corona-Virus sterben würde.“ Dann wiederholte er stereotyp, dass man die fünf Anzeigen gegen ihn überprüfen sollte.

Der vorsitzende Richter ging sodann auf die vom BF vorgelegten bengalischsprachigen Dokumente ein, deren Übersetzung in die deutsche Sprache kurzfristig beauftragt worden war und welche am 04.01.2021 dem BVwG in deutscher Sprache übermittelt wurden. Mit diesen Anzeigen wurde dem BVwG vom BF auch eine deutschsprachige Eingabe übermittelt. Nachgefragt meinte der BF, es habe dies ihm „jemand von Deutschland geschrieben“, ein Freund aus Deutschland.

Da die Rechtsberatung des BF von dieser Eingabe keine Kenntnis hatte wurde ihr Einsicht in das Dokument gegeben.

Über nochmalige Nachfrage gab der BF an, die Person habe „ XXXX “ geheißen, und würde Bengali sprechen. Diese Person hätte in Innsbruck „vor ca. einem Monat“ Urlaub gemacht, nachgefragt: „Trotz der Corona-Regeln?“: „Ja, nur für 1-2 Tage, dann ist er wieder zurück“. Wo dieser Herr gewohnt habe wisse der BF nicht, er hätte die Stellungnahme in einem Internet-Café gemacht. Geld habe er dafür keines angenommen.

Der BF hätte dieser Person „diktiert, was er schreiben solle“. Der vorsitzende Richter zitierte sodann aus dem Punkt 4 der Anträge, der u.a. enthält, dass der XXXX „keine ordentliche Rechtsberatung“ durchführe und der BF verlange, „als Rechtsberatungsorganisation die XXXX zuzuweisen“ Auf Grund dieses schriftlichen Begehrens ersuchte der Richter, dass der BF erläutern möge, was er über die XXXX wisse. Darauf antwortete der BF: „Als ich meine Dokumente vorlegte, nahmen sie mir meine Dokumente. Als sie die Ladung bekamen, informierten sie mich nur über die Ladung. Es gab kein Vorbereitungsgespräch“. Da diese Antwort nicht stimmig schien wurde der BF, der sodann meinte, er habe über den XXXX gesprochen, zum dritten Mal gefragt, was er über die XXXX wisse, worauf der BF antwortete: „Darüber weiß ich nichts“ (VS 18).

Der BF führte noch aus, dass der XXXX ihn schlecht behandelt habe und er bei der Kälte im Winter, als er zu ihnen gegangen sei, „weggeschubst“ wurde.

Die Vertreterin der XXXX , welche vormals beim XXXX beschäftigt war, gab dazu an, dass der BF „mehrmals kontaktiert“ wurde und „erst kurzfristig vor der Verhandlung … für den XXXX erreichbar“ war. Es sei ein Dolmetsch organisiert worden, doch der Klient sei zum vereinbarten Termin nicht erschienen und sei auch telefonisch nicht erreichbar gewesen. Hinsichtlich des Vorfalles in Innsbruck könne sie jedoch keine Ausführungen machen, da sie nicht vor Ort gewesen sei (VS 18).

Auf Grund der Reaktionen und der Antworten des BF war deutlich ersichtlich, dass dieser vom Inhalt der in seinem Namen verfassten Stellungnahme vom 14.12.2020 keine Ahnung hatte, nämlich weder von den angeführten Anzeigen noch von den Anträgen.

Die vorgelegten Unterlagen, in denen der BF auch namentlich erwähnt wird, beinhalteten folgende Anzeigen (in den Klammerausdrücken ist der (strafrechtliche) Tatvorwurf stichwortartig dargestellt):
Anzeige 1: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum XXXX
(Entführung, Schutzgelderpressung, Waffenbedrohung, Brandvernichtung eines LKW)
Anzeige 2: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum XXXX
(Raubüberfall; unsittliches Berühren)
Anzeige 3: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum XXXX
(Schutzgelderpressung; Gewaltanwendung)
Anzeige 4: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum XXXX
(Schutzgelderpressung, schwere Körperverletzung)
Anzeige 5: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum: XXXX
(gewerbsmäßiger Betrug)
Anzeige 6: Vorfalldatum XXXX ; Anzeigedatum: XXXX
(Besitz von Molotowcocktails, Sprengmittel, Waffen)

Sowohl die Vorfalldaten (ausgenommen Anzeige 5; bei dieser Anzeige gibt es vier Jahre Differenz zwischen Vorfall und Anzeige) als auch alle Anzeigedaten stammen aus einer Zeit, als sich der BF bereits im Bundesgebiet aufhielt. Eine sich auf politische oder religiöse Tätigkeit bezogene Anzeige liegt nicht vor, sondern beziehen sich alle Anzeigen auf ein behauptetes strafrechtliches Verhalten des BF.

I.1.16. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.02.2021, W 195 2182372-1/23E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Unter anderem wurde darin festgestellt:

„Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der hinduistischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali. Seine Identität steht nicht fest und wird der Name nur als Bezeichnung der Verfahrenspartei verwendet.

Der BF ist in Bangladesch geboren und aufgewachsen und hat zuletzt dort gewohnt. Er hat in seinem Heimatland zwei Klassen in der Schule absolviert. Danach hat er seinem Vater in der Fischzucht geholfen.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. In Bangladesch halten sich die Mutter und eine Schwester sowie andere Verwandte auf (andere Aussage bei der Ersteinvernahme: alle wären nach Indien geflüchtet), sein Vater ist 2013 verstorben. Seine Mutter würde ihn derzeit von Bangladesch aus finanziell unterstützen. Der BF hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie in Bangladesch.

In Österreich bekäme er die soziale Unterstützung, er wohne im Lager. Er ginge spazieren, habe italienische und indische Freunde. Er habe eine „einjährige Ausbildung“ in einem indischen Restaurant gemacht, diese dann aber abgebrochen und gekündigt, weil man ihn als Reinigungskraft einsetzte, der die Teller putzt, und nicht als Kellner. Erst als sich die Arbeiterkammer darum gekümmert habe, dass der BF entlohnt werde, habe er € 5.000 erhalten.

Die Deutschkenntnisse des 2015 illegal ins Bundesgebiet eingereisten BF sind schlichtweg katastrophal, eine Unterhaltung ist nicht möglich, weil der Sprachwortschatz extrem begrenzt ist. Der BF möchte in Österreich ein asiatisches Restaurant eröffnen und vermeint, dafür die deutsche Sprache nicht zu brauchen.

Ein Integrationswille oder Integrationsbemühen ist nicht erkennbar.

Der BF hat weder Verwandte noch eine Beziehung in Österreich.

Der BF ist arbeitsfähig und nicht vorbestraft. Der BF nimmt seit fünf Jahren Medikamente XXXX ) „gegen das Zittern“ von Kopf und Körper vor dem Einschlafen, aber er gab keine lebensbedrohliche Krankheit an.

Festgestellt wird, dass der BF aus „gesundheitlichen Gründen“ nicht zur Verhandlung vor dem BVwG am 11.12.2020 erschien. Festgestellt wird, dass der BF dazu angab, er habe „Husten und Fieber“, während dessen im Attest des Arztes festgehalten ist, dass der BF an „Zahnschmerzen und soweit beurteilbar Fieber“ gelitten habe. Das BVwG sieht in diesen Entschuldigungsgründen einen Wiederspruch, welcher der Glaubwürdigkeit des BF schadet.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Nicht festgestellt werden kann eine konkrete Verfolgung des BF aus politischen oder religiösen Gründen in Bangladesch.

Der BF hat vor dem BFA politische, aber auch allgemein religiöse Gründe als Fluchtgrund angegeben.

Festgestellt wird, dass der BF in der Verhandlung vor dem BVwG am 18.01.2021 angab, dass er die vorgelegten Anzeigen von seiner Mutter erhalten habe und er nicht sagen könne, welche Anzeigen es gegen ihn gäbe, da er nicht lesen könne. Dies behaupteten Anzeigen bestünden seit ca einem Jahr wegen Schutzgelderpressung.

Die Anzeigen gegen den BF seien nach seinen Überlegungen politisch motiviert, weil ein Anhänger der Awami-League behaupte, dass der verstorbene Vater des BF Geld schulde und man ihm deshalb die Grundstücke überschreiben müsse. Aus den Ausführungen des BF ist nicht erkennbar, welche politische Komponente diese Anzeigen aufweisen, ist doch die Mitgliedschaft des genannten „Gegners“ bei einer politischen Partei nicht der Haupttenor des Vorbringens, welches sich um behauptete Geldschulden und Grundstücksstreitigkeiten dreht.

Es wird nicht festgestellt, dass der BF Mitglied einer politischen Partei in Bangladesch war.

Die gegen ihn in diesem Zusammenhang eingebrachten Verfahren bezeichnet der BF als „falsche Verfahren“, weil sie erst später, nach seiner Anwesenheit in Österreich erhoben wurden. Der BF selbst gab an, dass er die behaupteten Straftaten nicht gemacht haben könne.

Der BF behauptete, dass Rechtsanwälte in Bangladesch aus Angst nichts mit seinen Angelegenheiten zu tun haben wollen; dennoch habe er alle Unterlagen von einem Rechtsanwalt, der guten Kontakt zur Mutter habe, erhalten.

Festgestellt wird, dass die behaupteten Anzeigen gegen den BF nicht politisch motiviert sind. Festgestellt werden Grundstücksstreitigkeiten, in denen die Familie mit anderen Dorfbewohnern verstrickt sind.

Festgestellt wird, dass die Vorlage der Anzeigen, welche der BF nach eigenen Aussagen bereits 2019 zugeschickt bekam, dem BVwG erst nach der ersten Verhandlung vor dem BVwG, welche am 11.12.2020 stattfand, vorlegte, verbunden mit dem Ersuchen um Übersetzung in die deutsche Sprache und Überprüfung. Das BVwG erkennt in dieser späten Vorlage den Versuch des BF, weitere Verfahrensverzögerungen zu bewirken, hat aber dennoch die Unterlagen zeitgerecht vor der Verhandlung am 18.01.2021 auf Staatskosten übersetzen lassen und damit eine inhaltliche Beurteilungsmöglichkeit der vorgelegten Dokumente geschaffen.

Der BF legte diese bengalischen Urkunden gemeinsam mit einer „Stellungnahme“ vor, die sicher nicht von ihm verfasst wurde und deren Inhalt ihm nachweislich nicht geläufig ist.

Festgestellt wird, dass der BF lediglich eine allgemeine Verfolgung von Hindus in Bangladesch ausführte und keine konkrete gegen ihn gerichtete Verfolgung von staatlichen Autoritäten aus religiösen Gründen darlegte.

Es wird festgestellt, dass der BF nicht von staatlichen Autoritäten oder Institutionen in Bangladesch verfolgt wird. Der BF wird nicht von Behörden oder Gerichten gesucht und er kann im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch allfälligen Behelligungen durch ein Ausweichen innerhalb seines Herkunftslandes entgehen.

Festgestellt wird, dass der BF keine Glaubwürdigkeit besitzt hinsichtlich seiner Anschuldigung, dass der XXXX ihn unzureichend beraten habe und man ihm die „ XXXX “ zuweisen solle, wie er in seiner Stellungnahme vom 14.12.2020 angeblich verlangte. Der BF erklärte in der Verhandlung vor dem BVwG, dass er „Nichts“ über die „ XXXX “ wisse. Es ist somit gänzlich unglaubwürdig, dass ein Bekannter, den der BF durch Zufall in Innsbruck kennen lernte und der die bengalische Sprache spricht, in fehlerfreiem Deutsch eine Stellungnahme abfasste, welche „der BF ihm diktiert“ habe. Es ist somit davon auszugehen, dass diese Stellungnahme nicht authentisch das Begehren des BF widergibt. Darüber hinaus erschütterte die Rechtsvertreterin der XXXX , welche vormals Mitarbeiterin des XXXX war, durch konkrete, vom BF unwidersprochene, Angaben zur Rechtsberatung des BF dessen Vorbringen, sodass auch diesbezüglich das Vorbringen des BF als nicht glaubwürdig beurteilt werden muss.“

I.1.17. Gegen diese Entscheidung wendete sich der BF mit einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

I.1.18. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 29.04.2021, XXXX , die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

I.2. gegenständliches Verfahren

I.2.1. Am 16.07.2021 stellte der BF eine (Nachfolge-)Antrag auf internationalen Schutz und gab dazu an, dass er am 15.09.2015 bewusst nicht an den wahren Sachverhalt seines Fluchtgrundes mitgewirkt habe. Er sei homosexuell und könne nunmehr offen darüber reden. Seine Homosexualität sei ihm seit 2012 bekannt.

I.2.2. Am 27.07.2021 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem BFA.

Im Zuge dieser Einvernahme gab der BF – zusammengefasst – an, dass er einen neuen Asylgrund habe: er sei bereits in Bangladesch homosexuell gewesen. In seiner Familie bzw. in Bangladesch wisse jedoch niemand über seine Homosexualität bescheid.

Befragt, ob seine Homosexualität der Grund für seine Ausreise aus Bangladesch gewesen sei, verneinte dies der BF ausdrücklich (AAS 85f).

Der BF möchte auch nicht, dass jemand wisse, dass er homosexuell sei (AAS86).

In Österreich habe er 2018 mitbekommen, dass Homosexualität nicht strafbar sei (AAS 87). Er habe jedoch über seine Homosexualität im ersten Asylverfahren nicht gesprochen, weil er nicht gewusst habe, dass Homosexualität in Österreich legal sei.

I.2.3. Am 03.08.2021 erfolgte eine neuerliche Einvernahme des BF vor dem BFA. Dabei gab der BF u.a. an, dass er seit zwei Monaten Mitglied der XXXX sei. Er habe sich über Landsleute von Bangladesch darüber informiert. Er habe sich zweimal informiert, aber an keiner Veranstaltung teilgenommen. Man habe ihm geraten einen neuerlichen Asylantrag zu stellen.

Zu seinen homosexuellen Partnern machte der BF keine genauen Angaben, nannte jedoch konkrete Namen. Wenn der BF in Wien ist, habe er mit ihm sexuellen Kontakt, andere Partner gäbe es jedoch nicht. Der BF wisse nicht, weshalb sein angeblicher Partner ihn in einem anderen Verfahren nicht genannt habe.

I.2.4. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wies dieses sowohl den Antrag auf internationalen Schutz vom 16.07.2021 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich subsidiären Schutzes gemäß § 68 Abs 1 AVG zurück. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung getroffen, sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch zulässig ist und es wurde ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt.

Begründend führte das BFA, soweit entscheidungsrelevant, aus, dass der BF erstmalig im nunmehrigen Verfahren dargestellt habe, homosexuell zu sein. Diese Neigung habe der BF bereits 2012 gehabt, niemand in Bangladesch wüsste davon, und sei dies auch nicht der Fluchtgrund gewesen.

Der BF habe nicht im ausreichenden Ausmaß im seinerzeitigen Verfahren mitgewirkt. Er wusste zwar (zeitgerecht vor der Entscheidung), dass Homosexualität in Österreich straffrei sei, habe diesen Asylgrund jedoch nicht vorgebracht.

I.2.5. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde des BF, welcher nunmehr durch die XXXX vertreten wird.

In der Beschwerde wird im Wesentlichen dargelegt, dass der BF früher nicht über seine Homosexualität reden konnte und es ihm unmöglich gewesen sei, diesen Asylgrund vorzubringen.

Es wurde deshalb die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

I.2.6. Am 06.10.2021 legte das BFA die Beschwerde sowie die Verfahrensakten vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 02.02.2021 rechtskräftig festgestellte Sachverhalt (s. I.1.16) wird als gegeben angesehen.

Festgestellt wird, dass der BF nunmehr behauptet, seit 2012 homosexuell zu sein.

Festgestellt wird, dass der BF nach seinen Angaben Bangladesch nicht wegen seiner Homosexualität verlassen hat und dies nach seinen Angaben für ihn kein Fluchtgrund war.

Festgestellt wird, dass der BF nicht haben will, dass jemand etwas von seiner Homosexualität erfährt.

Festgestellt wird, dass der BF behauptet in Österreich einen homosexuellen Freund zu haben.

Festgestellt wird, dass der BF den Fluchtgrund der Homosexualität im Vorverfahren nicht vorgebracht hat.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Beweis wurde erhoben durch die vorgelegten Akten des Administrativverfahrens, insbesondere die zitierten Niederschriften zur Einvernahme des BF, den angefochtenen Bescheid sowie die Beschwerde des durch die XXXX vertretenen BF. Ebenso wurde Beweis erhoben durch den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes zu XXXX und dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 29.04.2021, XXXX .

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.1. Zu A) I.:

Gemäß § 68 Abs 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer in den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Voraussetzung für die Anwendung des § 68 AVG ist die Identität der der Entscheidung zugrundeliegenden Sachlage. Im gegenständlichen Fall hat der BF sich auf einen (angeblichen) Asylgrund, nämlich seine behauptete Homosexualität, bezogen, welche er im seinerzeitigen Verfahren nicht vorbrachte.

Unabhängig davon, ob der BF im ersten Asylverfahren möglicherweise – im Sinne einer Präklusion - von einem Tatsachenirrtum oder rechtlichen Irrtum ausging, wäre es Aufgabe des BFA gewesen, auf das nunmehrige erstmalige Vorbringen dahingehend einzugehen, ob das Vorbringen tatsächlich existiert und einer Beurteilung - sowohl als möglicher Fluchtgrund zur Gewährung des Status eines Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes - zuzuführen. Dabei wären die Angaben des BF entsprechend zu würdigen.

Unbestritten ist, dass der BF im ersten Asylverfahren eine (angebliche) Homosexualität nicht vorbrachte. Der BF gab auch im nunmehrigen Verfahren an, dass er nicht aus Gründen seiner nunmehr behaupteten Homosexualität sein Heimatland verlies, führte jedoch aus, dass er im Bundesgebiet homosexuelle Kontakte hat. Gleichzeitig verwies er darauf, dass er nicht will, dass man von seiner Homosexualität etwas erfährt.

Dieses Vorbringen ist jedenfalls ausreichend, um einer neuerlichen inhaltlichen Beurteilung zugeführt zu werden. Es kann somit diesbezüglich eine – rein formelle - Entscheidung, welche in Bezug auf § 68 AVG (entschiedene Sache) getroffen wurde, nicht erfolgen, weil inhaltlich über diesen möglichen Asylgrund oder zum subsidiären Schutz aus Gründen einer behaupteten „Homosexualität“ im ersten Asylverfahren keine Beurteilung und Entscheidung erfolgte.

Da somit die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides zu beheben waren, konnte auch in diesem Bescheid keine Rückkehrentscheidung, kein (befristetes) Einreiseverbot sowie keine Feststellung hinsichtlich Abschiebung oder Frist zur freiwilligen Ausreise getroffen werden. Es waren somit auch die anderen Spruchpunkte zu beheben.

Aufgabe der belangten Behörde wird es somit sein, in Anbetracht des vorgebrachten Fluchtgrundes „Homosexualität“ den Antrag des BF zu prüfen und, nicht zuletzt auf Grund des bisherigen Verfahrensverlaufes und der getroffenen Feststellungen, inhaltlich zu beurteilen.

II.3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung – konkret hinsichtlich der Anwendung des § 68 AVG - nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Folgeantrag Homosexualität non-refoulement Prüfung Rückkehrentscheidung behoben sexuelle Orientierung soziale Gruppe Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2247099.1.00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten