TE Bvwg Beschluss 2021/10/12 W272 2247125-1

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Veröffentlicht am 12.10.2021
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Entscheidungsdatum

12.10.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch


W272 2247125-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit unbekannt, vertreten durch Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 27.09.2021, Zahl 1285356404/211380596 zu Recht beschlossen.

A)

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), Staatsangehörigkeit unbekannt, befindet sich seit Anfang September 2021 im Bundesgebiet.

2. Am 22.09.2021 wurde der BF im Zuge eines Streifendienstes mit zwei anderen Personen angetroffen und einer Identitätsfeststellung gem. FPG unterzogen. Zwei der drei Personen konnten sich mit ukrainische Reisepässen ausweisen, diese befanden sich rechtmäßig im Bundesgebiet. Der BF sprach mit den beiden ukrainischen Staatsbürgern in polnischer Sprache. Der BF konnte sich nicht ausweisen, übergab eine Brieftasche mit einigen hundert Euro und gab bekannt, dass er im 14. Bezirk auf einer Baustelle arbeite und polnischer Staatsbürger sei. Zunächst gab er an im 16 Bezirk zu wohnen, danach, dass er obdachlos sei. Da der BF versuchte zu entkommen wurde er von den Beamten festgenommen und in den Arrestbereich der PI Tannengasse überstellt. Eine Überprüfung verlief negativ, ein EKIS-Treffer wurde nicht erzielt. Auch ein AFIS-/EURODAC-Anfrage ergab keinerlei Übereinstimmung. Der BF wurde in das PAZ HG überstellt. Die Polizeibeamten hielten fest, dass sie vermuten, da der BF in polnischer Sprache mit zwei Ukrainern sprach, dass er zur polnischen Minderheit in der Ukraine gehöre. Das BFA sprach mit Schreiben vom 22.09.2021 einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 5 und 47 Abs. 1 BFA-VG aus.

2. Am 23.09.2021 erfolgte eine niederschriftliche Befragung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Die Einvernahme erfolgte in polnischer Sprache. Der BF gab wieder, dass er gesund sei und am XXXX in XXXX geboren sei und nicht XXXX . Er befinde sich seit zwei Wochen in Österreich. Er wolle in Österreich arbeiten und hierbleiben, die Papiere der Polizei habe er nicht unterschrieben, da sie ukrainische – russische Papiere gewesen seien und er dies nicht verstehe. Er sei ledig, habe keine Sorgepflichten und schlafe auf der Straße. Er sei auch in Polen obdachlos und habe keinen Kontakt zu seiner Familie. Er habe 8 Jahre die Grundschule besucht und drei Lehrjahre als Mauerer absolviert, danach habe er am Bau gearbeitet. Er gehe schwarzarbeiten und bekomme das Geld auf die Hand, er habe noch 50 Euro, welches die Polizei habe. Er sei nicht vorbestraft und werde nicht politisch verfolgt.

3. Mit E-Mail vom 23.09.2021 wurde seitens PKZ Drasenhofen mitgeteilt, dass eine Anfrage bezüglich des BF an das Kontaktbüro in XXXX weitergeleitet wurde und die polnische Grenzbehörde in XXXX mitteilte, dass eine Person mit den angegebenen Daten des BF nicht in der polnischen Datenbank aufscheine.

4. Am 23.09.2021 wurde um 15:15 die Einvernahme fortgesetzt und dem BF mitgeteilt, dass keine Daten bezüglich seiner Person in den polnischen Datenbanken bestehen. Der BF gab wieder, dass er es sich nicht erklären könne, zumal er in der XXXX geboren sei. Dem BF wurde daraufhin mitgeteilt, dass gegen ihn Schubhaft verhängt werden und davon ausgegangen wird, dass er ukrainischer Staatsbürger sei. Ein vorgelegtes ukrainisches Papier unterschrieb der BF nicht. Er beharrte darauf, dass er polnischer Staatsbürger sei. Die Dolmetscherin konnte nicht ausschließen, dass der BF polnischer Staatsbürger sei. Daher werde zur Sicherung des Verfahrens die Schubhaft verhängt. Es wurde ihm mitgeteilt, dass wenn er polnischer Staatsbürger sei, gegen ihm eine Ausweisung gem. § 66 FPG erlassen werde.

5. Mit Mandatsbescheid vom 23.09.2021 wurde gegen den BF gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Sicherung der Abschiebung angeordnet. Es wurde festgestellt, dass der BF angebe polnischer Staatsbürger zu sein, aber seine Identität nicht feststehe. In den polnischen Datenbanken scheinen die von ihm angegebenen Daten nicht auf, es liege der Verdacht nahe, dass er zur polnischen Minderheit in der Ukraine gehöre. Da Fluchtgefahr bestehe, sei die Schubhaftnahme gerechtfertigt.

6. Mit E-Mail vom 24.09.2021 wurde versucht ein HRZ-Verfahren zu starten. Ein Ergebnis lag nicht vor.

7. Mit gegenständlichen Bescheid vom 27.09.2021 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I). Gemäß 3 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß 3 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in die Ukraine, gemäß § 46 FPG, zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß 3 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG, die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) Gegen den BF wurde ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 6 FPG erlassen. In der Zustellung des Bescheides wurde die Staatsangehörigkeit als ungeklärt angegeben. Festgestellt wurde, dass die Identität des BF nicht feststehe und er bis dato unter den von ihm angegebenen Daten nicht identifiziert werden konnte. Der BF habe bis dato keine Schritte unternommen, um seine Identität zu bestätigen. Er habe bis dato nicht versucht sich ein neues Personaldokument zu beschaffen. Aus dem vorliegenden Sachverhalt gehe die Behörde davon aus, dass der BF ukrainischer Staatsbürger sei, da er mit zwei ukrainischen Staatsbürgern in polnischer Sprache gesprochen habe. Trotz mehrmaliger Anfragen, habe die Identität nicht festgestellt werden können.

8. Mit Schreiben vom 27.09.2021 teilte die nationale Polizei der Ukraine mit, dass der BF in den Datenbanken des Migrationsdienstes, der Polizei und des Grenzdienstes der Ukraine nicht aufscheine. Die Migrationsdatenbank beinhalte nicht die Informationen aus den temporär besetzten Gebieten der Autonomen Republik Krim, der Stadt Sewastopol, der Teile der Regionen Donetsk und Lugansk. Die Überprüfung der Grenzüberquerung sei nur aus den letzten fünf Jahren möglich.

9. Gegen den Bescheid brachte der BF fristgerecht Beschwerde ein und brachte vor, dass er polnischer Staatsbürger sei und daher eine Abschiebung in einen Drittstaat nicht möglich sei, weiters werde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde angeregt, zumal der Bescheid auch ein Einreiseverbot in die EU beinhalte und der BF nicht nach Polen reisen könnte. Allein aufgrund der Tatsache, dass der BF mit zwei ukrainischen Staatsbürger sprach und dies auf Polnisch, begründe nicht die Vermutung, dass der BF Ukrainer sei. Auch die Tatsache, dass bei den polnischen Grenzbehörden keine Daten vorhanden sind, vermag auch nicht zu begründen, dass der BF ukrainischer Staatsangehöriger sei. Da der BF kein Drittstaatsangehöriger sei, sei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtswidrig.

10. Am 07.10.2021 langte der Akt beim BVwG ein.

11. Am Tag der Entscheidung wurde dem Richter ein Einvernahme des BF durch das BFA vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der im Verfahrensgang festgeschriebene Sachverhalt wird festgestellt.

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Seine Identität steht nicht fest. Seine Staatsangehörigkeit steht nicht fest.
Der BF beherrscht die polnische Sprache.

Der BF wurde am 22.09.2021 in Österreich durch einen Streifendienst der LPD Wien einer Identitätskontrolle unterzogen. Eine Identität konnte nicht festgestellt werde. Der BF wurde unmittelbar in Verwahrungshaft und danach am 23.09.2021 in Schubhaft genommen.

Der BF befindet sich derzeit in Schubhaft.

Der BF ist nicht selbsterhaltungsfähig, hat keine Verwandten und Bekannte im Bundesgebiet. Er hat EUR 50,00 an Geldmittel.

Eine erste Kontaktaufnahme mit polnischen und ukrainischen Behörden bezüglich einer Identitätsfeststellung verlief negativ.

Dem BF war es nicht möglich selbständig nach seiner Identitätsfeststellung neue Dokumente bei der polnischen Botschaft zu besorgen.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen ergeben sich aus den Akten des BFA – der Mitteilung der polnischen und ukrainischen Behörden und des Bundesverwaltungsgerichtes sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister, das Grundversorgungssystem, der Mitteilung der LPD Wien, der Einvernahme des BF und der Beschwerde.

Dass sowohl die angefragten polnischen als auch die ukrainischen Behörden keine Bestätigung der Identität abgaben, ergibt sich aus den im Akt aufliegenden E-Mails.

Dass der BF nicht selbsterhaltungsfähig ist, keine Geldmittel besitzt, keine Unterkunft und keine Verwandten und Bekannten im Bundesgebiet ergibt sich aus seinen Aussagen vor dem BFA am 23.09.2021 und der Effektenmitteilung.

Aufgrund der unmittelbaren Verwahrungshaft und anschließenden Schubhaft, war es dem BF nicht möglich selbständig an die polnische Botschaft heranzutreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt (vgl. auch VwGH 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) und dazu festgehalten, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."

Gemäß § 18. Abs. 1 AsylG haben das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich vor diesem Hintergrund in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt aus folgenden Gründen als mangelhaft:

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterließ zu dieser entscheidungswesentlichen Frage jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit:

So führte es zwar eine Anfrage bei polnischen Grenzbehörden und der nationalen ukrainischen Polizei bezüglich der Identität des BF durch, unterließ jedoch jede weiteren Verfahrensschritte. So wurde auch das Ergebnis der ukrainischen Behörden im Bescheid nicht berücksichtigt, oder wurde dieses Ergebnis nicht abgewartet, dies führt auch zu einem schwerwiegenden Verfahrensmangel bzw. nur ansatzweisen Ermittlung der Staatsangehörigkeit des BF.

Die Behörde stützte so die Abschiebung des BF in die Ukraine allein darauf, dass der BF mit zwei ukrainischen Staatsbürgern, jedoch in polnischer Sprache gesprochen hat. Eine Einvernahme der beiden ukrainischen Staatsbürger wurde durch die Behörde nicht durchgeführt, obwohl die Polizei, wie im Protokoll festgehalten, die Identität der beiden Staatsbürger kannte. So zeigt sich, dass die Behörde nicht einmal ansatzweise versuchte die Staatsangehörigkeit festzustellen.

Weiters warf die Behörde den BF vor, dass er nicht versuchte bei der Identitätsfeststellung mitzuwirken bzw. nicht versuchte bis dato, sich ein neues Personaldokument zu beschaffen. Dies vermochte der BF jedoch nicht, da er seit der Identitätsfeststellung am 22.09.2021 unmittelbar in Verwahrungshaft und anschließend in Schubhaft genommen wurde. Die Behörde hat es jedoch unterlassen, sich im Zuge eines HRZ- Verfahrens mit den polnischen Behörden in Österreich, hier wäre eine Vorführung zur polnischen Botschaft möglich gewesen, Kontakt aufzunehmen um eine Identitätsfeststellung durchzuführen. Dass der BF nicht bereit gewesen sei, sich vor den polnischen Behörden in Österreich vorführen zu lassen und hier einer eingehenden Befragung zu unterziehen, wurde nicht seitens der Behörde vorgebracht und konnte aus dem Verwaltungsakt nicht abgeleitet werden. Auch wurde die Einvernahme des BF hinsichtlich seines Lebens in Polen ebenfalls nicht ansatzweise durchgeführt. So stellte die Behörde keine einzige Frage über sein Leben in Polen bezüglich – Schule, Wohnorte, Namen der Familie, Arbeitsstellen usw.

Auch weder die vom Bundesamt im bekämpften Bescheid vorgenommene Beweiswürdigung noch die rechtliche Beurteilung leistet bezüglich der Zuordnung des BF als ukrainischer Staaatsbürger eine nachvollziehbare und konkrete Zuordnung, zumal auch der Adressat des Bescheides mit Staatsangehörigkeit ungeklärt angegeben wurde. Somit ist aber festzustellen, dass dem bekämpften Bescheid für sich genommen – wie auch in der Beschwerde zurecht gerügt wurde – letztlich auch kein schlüssiger individueller Begründungswert zukommt.

Die Frage des Herkunftsstaates des BF erscheint dem erkennenden Gericht somit nicht schlüssig geklärt. Zur Abklärung der tatsächlichen Herkunft des BF erscheint auch die Beiziehung eines länderkundlichen Sachverständigen durchaus angebracht.

Zusammengefasst ist festzustellen, dass sich das Bundesamt in unzureichender und im Ergebnis untauglicher Weise mit der Frage der Staatszugehörigkeit des BF auseinandergesetzt hat. Im gegenständlichen Fall erweist sich daher der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesen zugrundeliegende Verfahren inbesonders in gravierender Weise als mangelhaft. Die entscheidenden Ermittlungshandlungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind (umso mehr es sich gegenständlich um ein von dieser von Amts wegen eingeleitetes Verfahren handelt), wären demnach nahezu zur Gänze erstmals durch das Verwaltungsgericht zu tätigen. Die dargetanen Mängel lassen sohin im Ergebnis nur die Feststellung zu, dass das Bundesamt völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist.

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten und insbesondere des Umstandes, dass die beschwerdeführende Partei vom Bundesamt zwar einmal hinsichtlich der relevanten Aspekte ihrer Rückkehrsituation konkret einvernommen wurden, aber nicht zur Staatszugehörigkeit und damit, ob überhaupt eine Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 2 Z. 1 möglich ist, kann auch ausgeschlossen werden, dass zur Behebung der Mängel (lediglich) „ergänzende“ Ermittlungen durch das Bundesverwaltungsgericht vorzunehmen wären (vgl. etwa VwGH 15.11.2018, Zl. Ra 2018/19/0268-9).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG damit auch lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte. Damit liegen auch keine brauchbaren Ermittlungsergebnisse vor, die im Zusammenhalt mit einer mündlichen Verhandlung bloß zu vervollständigen wären, weil noch überhaupt kein entscheidungserhebliches Verwaltungsverfahren durch die Behörde geführt wurde, das (nur) zu ergänzen wäre. Es zeigt sich auch durch die am Tag der Entscheidung dem Richter vorgelegtes Einvernahmeprotokoll, dass die Behörde das Ermittlungsverfahren nicht abgeschlossen hat.

Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes gegen eine Kassation der angefochtenen Bescheide sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen. Dass das Bundesverwaltungsgericht einen möglichen Grund zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten infolge einer amtswegigen Einleitung eines Aberkennungsverfahrens durch die belangte Behörde erstmals auf Sachverhaltsebene festzustellen und einer rechtlichen Beurteilung zu unterziehen hätte, kann nicht als im Sinne des Gesetzes gelegen erachtet

Auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG macht das Bundesverwaltungsgericht von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird in der Folge zu ermitteln haben, welcher Staatsangehörigkeit der BF angehört und danach ein entsprechendes Verfahren zu führen haben, wie auch von der Behörde selbst in der Einvernahme des BF am 23.09.2021 (Niederschrift 2, Seite 4) bekanntgeben, ob eine Rückkehrentscheidung oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG in Frage kommt.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an das Bundesamt zurückzuverweisen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheids und die Zurückverweisung der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung eines neuen Bescheids ergeht in Entsprechung der gefestigten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Die Zurückverweisung ist im vorliegenden Fall auf jene Auslegung des Asylaberkennungsgrunds des § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK gestützt, die der Verwaltungsgerichtshof grundlegend in seinem Erkenntnis vom 23.10.2019, Ra 2019/19/0059, traf.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Rückkehrentscheidung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W272.2247125.1.00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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