Entscheidungsdatum
19.11.2021Norm
BBG §40Spruch
W217 2244784-1/4 E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER LL.M sowie die fachkundige Laienrichterin Verena KNOGLER BA, MA als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Thomas HOFER-ZENI, Rechtsanwalt, als vom Gericht bestellter Vertreter, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vom 21.06.2021, OB: XXXX , betreffend die Einstellung des Verfahrens auf Ausstellung eines Behindertenpasses, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Antrag vom 10.12.2020 begehrte Herr XXXX (in der Folge: „BF“), vertreten durch Dr. Thomas HOFER-ZENI als dessen gerichtlich bestellter Vertreter, beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge „belangte Behörde“ genannt) unter Beilage eines nervenärztlichen Gutachtens vom 29.03.1995 sowie eines Bestellungsbeschlusses als Sachwalter gemäß § 268 ABGB vom 21.06.2018 die Ausstellung eines Behindertenpasses.
1.1. Mit Schreiben vom 02.03.2021 wurde der BF von der belangten Behörde letztmalig für den 06.04.2021 zur Untersuchung geladen. Die Ladung erging zu Handen seines gerichtlich bestellten Vertreters, Herrn Dr. Thomas HOFER-ZENI, und enthielt folgenden Hinweis, „Sollte es aus triftigen Gründen (z.B. gesundheitliche Bedenken im Zusammenhang mit Covid 19) unmöglich sein, den genannten Termin einzuhalten, ersuchen wir, dies so rasch wie möglich unter der oben angeführten Telefonnummer bekanntzugeben. Sie erhalten dann einen späteren Termin. (…) Sollte auch dieser Aufforderung ohne triftigen Grund nicht nachgekommen werden, wird das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 BBG eingestellt.“
1.2. Mit Schreiben vom 09.04.2021 und vom 19.05.2021 erging an den BF, ebenfalls zu Handen seines gerichtlich bestellten Vertreters, das Ersuchen, innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Schreibens aktuelle Befunde in Kopie (nicht älter als ein halbes Jahr) an das Sozialministeriumservice zu übermitteln. Konsequenzen bei Nichtbeachtung wurden in diesen Schreiben nicht genannt.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.06.2021 wurde das mit Antrag vom 10.12.2020 eingeleitete Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses eingestellt. Begründend wurde auf § 41 Abs. 3 BBG hingewiesen und ausgeführt, dass der BF zur Mitwirkung im Verfahren aufgefordert worden sei. Er sei auch nachweislich über seine Mitwirkungspflicht sowie über die Konsequenzen, sollte er der Mitwirkungspflicht nicht nachkommen, informiert worden. Der schriftlichen Aufforderung habe er ohne Angabe von Gründen keine Folge geleistet.
Dagegen erhob der BF, vertreten durch seinen gerichtlich bestellten Vertreter, rechtzeitig Beschwerde. Darin wurde vorgebracht, bereits im Jahr 1991 sei beim BF eine adulte Form der progressiven Muskeldystrophie festgestellt worden. Im Zuge des im Jahr 1995 eingeleiteten Sachwalterschaftsverfahrens sei bei ihm zudem eine intellektuelle Beeinträchtigung im Sinne einer höhergradigen Debilität sowie gravierender Alkoholmissbrauch, eine unreife Persönlichkeit mit fehlenden Lebensstrategien und deutliche Kritikschwäche bei gleichzeitigem Überschätzen seiner allgemeinen Fähigkeiten diagnostiziert worden. Infolge dieser schweren Erkrankung bestünden zudem seit langer Zeit massive Verwahrlosungstendenzen. Dem BF sei es aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht möglich gewesen, die Bedeutung und Tragweite der von der belangten Behörde versandten Aufforderungen zur Mitwirkung am Verfahren zu erfassen, dies trotz intensiver Bemühungen durch den Erwachsenenvertreter sowie von diesem beauftragten Sozialarbeiter, ihm den Inhalt des Schreibens zur Kenntnis zu bringen. Der BF sei daher einerseits nur ungenügend und auf eine nicht geeignete Art und Weise auf die Folgen seines Verhaltens hingewiesen worden. Auch sei ein triftiger Grund vorgelegen, aufgrund dessen der BF den schriftlichen Aufforderungen zum Erscheinen zu einer zumutbaren ärztlichen Untersuchung nicht Folge geleistet habe. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde dem Erwachsenenvertreter die Gelegenheit geben müssen, schriftliche Unterlagen als Grundlage für ein Aktengutachten vorzulegen.
3. Am 28.07.2021 langte die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein.
4. Dieses ersuchte das Sozialministeriumservice um Auskunft, welcher triftige Grund für das Nichterscheinen des BF angegeben worden sei. In einem Antwortschreiben vom 11.08.2021 führte die belangte Behörde aus, laut ärztlichem Dienst des Sozialministeriumservice sei der BF zweimal nicht zu einem festgesetzten Untersuchungstermin erschienen. Er sei auch nicht mit dem Sozialarbeiter zu den Terminen gefahren. Ebenso seien Befunde, die für ein Aktengutachten angefordert worden seien, nicht übermittelt worden. Weitere Unterlagen bezüglich des triftigen Grundes würden im Akt nicht vorliegen. Die Kommunikation betreffend Untersuchungstermin sei über das Büro ärztlicher Dienst gelaufen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Gesetzliche Bestimmungen:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
2. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A):
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des BBG, BGBl. Nr. 283/1990 idgF, ergänzt durch die VO BGBl. II Nr. 59/2014, lauten:
„§ 1. (2) Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
...
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.
(3) Entspricht ein Behindertenpasswerber oder der Inhaber eines Behindertenpasses ohne triftigen Grund einer schriftlichen Aufforderung zum Erscheinen zu einer zumutbaren ärztlichen Untersuchung nicht, verweigert er eine für die Entscheidungsfindung unerlässliche ärztliche Untersuchung oder weigert er sich, die zur Durchführung des Verfahrens unerlässlichen Angaben zu machen, ist das Verfahren einzustellen. Er ist nachweislich auf die Folgen seines Verhaltens hinzuweisen.“
Maßgebend für die Entscheidung über den Antrag des BF auf Ausstellung eines Behindertenpasses ist die Feststellung der Art und des Ausmaßes der bei ihm vorliegenden Gesundheitsschädigungen sowie in der Folge die Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung.
Dazu hat die belangte Behörde im angefochtenen Verfahren nur ansatzweise Ermittlungen geführt.
In dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt finden sich nachstehende Aktenvermerke:
- „Anfrage einer aktenm. Gutachtenerstellung: erstellt von (...) am 07.04.2021
- Ich bräuchte für ein AG rezente Befunde. Das vorgelegte GA ist 25 Jahre alt ....; erstellt von (…) am 09.04.2021“
sowie persönliche Notizen:
- „Keinen Vorgang im BBG und BEinstG; erstellt von (...) am 17.12.2020
- Laut ÄD: AW ist 2x nicht erschienen und fährt mit Sozialarbeiter auch nicht mit. Ein aktenm. Gutachten ist aufgrund der alten Befunde nicht möglich.; erstellt von (...) am 09.04.2021
- keine neuen Befunde übermittelt Verfahren wird beendet; erstellt von (...) am 10.05.2021
- Pflegestufe 2 keine Mobilitätshilfen im engeren Sinn; erstellt von (...) am 10.05.2021“
Obwohl der belangten Behörde aufgrund des vorgelegten nervenärztlichen Gutachtens vom 29.03.1995 bekannt war, dass sich beim BF eine intellektuelle Beeinträchtigung im Sinne einer höhergradigen Debilität findet, zusätzlich auch gravierend Alkoholmissbrauch hinzukommt und eine unreife Persönlichkeit mit fehlenden Lebensstrategien und deutliche Kritikschwäche bei gleichzeitigem Überschätzen seiner allgemeinen Fähigkeiten, somit beim BF eine geistige Behinderung besteht und er zu seinem Schutze eines Sachwalters zur Einteilung seiner finanziellen Mittel sowie einer Vertretung gegenüber Behörden, Gerichten, Ämtern, privaten Vertragspartnern und Sozialversicherungsträgern bedarf (siehe „Diagnose und Gutachten“ im eingangs zitierten Gutachten), wurde der BF zwar (zweimal) zu einer Untersuchung bei einer Fachärztin für Psychiatrie geladen, die Möglichkeit eines Hausbesuches durch eine Ärztin wurde jedoch nicht in Aussicht gestellt.
Vielmehr wurde das Verfahren mit der Begründung eingestellt, der BF habe der schriftlichen Aufforderung ohne Angabe von Gründen keine Folge geleistet.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde darauf verzichtet hat, das Ermittlungsverfahren dahingehend zu erweitern, ein Sachverständigengutachten im Rahmen eines Hausbesuches durch die Fachärztin für Psychiatrie einzuholen. Die belangte Behörde hat zwar den BF zweimal zu einer ärztlichen Untersuchung geladen und in der letztmaligen Ladung vom 06.04.2021 auch auf die Rechtsfolge gemäß § 41 Abs. 3 BBG hingewiesen, dennoch hat sie in der Folge, in Kenntnis, dass der BF auch mit dem Sozialarbeiter nicht zur Untersuchung fährt, mit Schreiben vom 09.04.2021 bzw. vom 19.05.2021 zur Vorlage aktueller Befunde, die nicht älter als ein halbes Jahr sein sollten – offenkundig zur Erstellung eines Aktengutachtens - aufgefordert. Letztlich jedoch ohne auf die Rechtsfolge gemäß § 41 Abs. 3 BBG hinzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat im Falle einer Zurückverweisung darzulegen, welche notwendigen Ermittlungen die Verwaltungsbehörde unterlassen hat (Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015):
In der Terminisierung dieses Hausbesuches wäre der gerichtlich bestellte Vertreter des BF auf die Rechtsfolge der Einstellung des Verfahrens hinzuweisen, sollte der BF der Untersuchung durch die Sachverständige nicht Folge leisten.
Insgesamt ist sohin davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und weitere Ermittlungen erforderlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des BF noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In den rechtlichen Ausführungen zu Spruchteil A wurde ausführlich unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016, Ra 2014/20/0146 vom 20.05.2015, Ra 2015/08/0171 vom 27.01.2016, Ra 2015/10/0106 vom 24.02.2016) ausgeführt, warum die Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen geboten war.
Schlagworte
ärztliche Untersuchung Behindertenpass Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2244784.1.00Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021