Entscheidungsdatum
22.11.2021Norm
BEinstG §14Spruch
W261 2246958-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Maga Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Dr. Anton EHM und Mag. Thomas MÖDLAGL, Rechtsanwälte in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 26.08.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer stellte am 31.05.2021 erstmals einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.
2. Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Facharztes für Augenheilkunde und einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Unfallchirurgie ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 30.06.2021 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte der medizinische Sachverständige für Augenheilkunde die Funktionseinschränkung „vorgeburtliches Trauma mit Augenzittern und Abfall der zentralen Sehschärfe rechts auf 0,5 und links auf < 0,5“, Position 11.02.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 40 von Hundert (v.H.) fest. In dem aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 22.06.2021 erstellten Gutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Unfallchirurgie vom selben Tag stellte diese die Funktionseinschränkungen „degenerative Veränderung der Wirbelsäule,“ Position 02.01.02 der Einschätzungsverordnung mit einem GdB von 30 % und eine „Fußdeformität rechts“, Position 02.05.35 der Einschätzungsverordnung mit einem GdB von 20 % fest. In der Gesamtbeurteilung, durchgeführt am 01.07.2021 von der Ärztin für Allgemeinmedizin und Fachärztin für Unfallchirurgie, wird der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 v.H. festgestellt, weil das Leiden 1 (die Augenerkrankung) durch die weiteren Leiden nicht erhöht werde, weil kein ungünstiges Zusammenwirken vorliege.
3. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer diese Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 02.07.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
4. Der Beschwerdeführer brachte am 15.07.2021 (Datum des Einlanges) eine Stellungnahme ein und legte medizinische Befunde vor, wonach er bereits zumindest seit 30.11.2020 wegen seiner psychischen Erkrankungen in Behandlung sei. In dieser Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, dass die Leiden zwar keinen medizinischen Einfluss aufeinander hätten, jedoch im Zusammenwirken deutlich negativen Einfluss auf sein Leben hätten. Im November 2018 sei es aufgrund seiner Einschränkungen seiner Sehkraft zu einem Unfall gekommen, der zu einem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt geführt habe. Er habe zunehmend Probleme bei der Ausübung seines Berufes, sowohl durch die Einschränkungen seiner Sehkraft als auch wegen der zunehmenden Einschränkungen der Beweglichkeit, welche zu einer Depression und Angstattacken geführt hätten. Diese seien bereits im Oktober 2020 festgestellt worden und nehme er seit März 2021 Antidepressiva, weswegen die diesbezüglichen Ausführungen im medizinischen Gutachten nicht richtig seien. Er ersuche auch um Korrektur der Händigkeit, er sei Linkshänder und nicht Rechtshänder.
5. Die belangte Behörde ersuchte die befasste medizinische Sachverständige aus den Fachbereichen Allgemeinmedizin und Unfallchirurgie um die Erstellung eines Gutachtens aufgrund der Aktenlage. In deren Gutachten aufgrund der Aktenlage führte die medizinische Sachverständige aus, dass als neues Leiden 4 eine rezidivierende depressive Störung, Position 03.06.01 mit einem GdB von 20 % vorliege. Der Gesamtgrad der Behinderung betrage 40 v.H., weil das Leiden 1 durch die weiteren Leiden nicht erhöht werde, da kein ungünstiges Zusammenwirken bestehe.
6. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer diese Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 29.07.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.08.2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten und führte begründend aus, dass das medizinische Beweisverfahren einen Grad der Behinderung von 40 v.H. ergeben habe, und somit die Voraussetzungen zur Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nicht gegeben seien. Die belangte Behörde übermittelte mit dem Bescheid das ärztliche Sachverständigengutachten vom 29.07.2021 an den Beschwerdeführer.
8. Der Beschwerdeführer erhob durch seine bevollmächtigten anwaltlichen Vertreter gegen diesen Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass die von diesem vorgelegten medizinischen Befunden nicht ausreichend gewürdigt worden seien. So sei im medizinischen Sachverständigengutachten vom 29.07.2021 zu entnehmen, dass die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen ohne objektivierbare Wurzelkompressionszeichen bestehen sollen, dies sei unrichtig und werde durch die von diesen vorgelegten Unterlagen bestätigt. Der von ihm beauftragte orthopädische Sachverständige habe zusammenfassend in seinem Gutachten vom 18.05.2021 dezidiert ausgeführt, dass eine Neuroforameneinengung C5/C6 beidseits, links größer rechts, mit Schwindelattacken bestehe. Gleiches sei auch dem MRT-Befund der HWS vom 02.03.2021 zu entnehmen. Zudem habe er angegeben, dass ihm regelmäßig die Hände und Arme einschlafen und die Gegenstände, die er trage oder halte, aus der Hand fallen würden. Es würden daher seines Erachtens jedenfalls objektivierbare Wurzelkompressionszeichen bestehen und hätte dieses Leiden unter Position 02.01.03 mit zumindest 50 % eingestuft werden müssen. Es würden radiologische Veränderungen und klinische Defizite sowie maßgebliche Einschränkungen im Alltag bestehen. Die Verbindung des Augenleidens mit der depressiven Störung führe zu einer negativen Leidensbeeinflussung, vor allem mit den Problemen aufgrund des vorgeburtlichen Traumas. Die ständige Angst zu erblinden, da seine Sehschärfe regelmäßig abnehme, habe seines Erachtens erst zur Ausprägung der rezidivierenden depressiven Störung geführt. Er sei der Ansicht, dass er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes jedenfalls dem Personenkreis der begünstigten Behinderten anzugehören habe, und daher sei der von ihm bekämpfte Bescheid mit den dargestellten Mängeln behaftet. Der Beschwerdeführer beantragte, den angefochtenen Bescheid zu beheben und festzustellen, dass er aufgrund seines am 31.05.2021 eingelangten Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten diesen Personenkreis seit dem 31.05.2021 angehöre und der Grad der Behinderung 50 v.H. betrage, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde I. Instanz zurückzuverweisen.
9. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 01.10.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
10. Das BVwG führte am 05.10.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat. Aus dem am selben Tag eingeholten Auszug aus dem AJ Web ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in einem aufrechten Dienstverhältnis als Angestellter steht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,
1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.
Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).
Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:
Der Beschwerdeführer leidet neben seinem unbestrittenen Augenleiden (Leiden 1) unter anderem an degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und einem psychischen Leiden, welche durch Befunde objektiviert wurden.
Der Beschwerdeführer bringt zurecht vor, dass er gleichzeitig mit seinem Antrag ein orthopädisches Sachverständigengutachten vorlegte, wonach radiologische Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule attestiert werden. Die vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde angeführten Beschwerden, wonach seine Hände taub seien und immer wieder einschlafen würden, schilderte der Beschwerdeführer auch in der Anamnese bei der Untersuchung durch die medizinische Sachverständige aus den Fachbereichen Allgemeinmedizin und Unfallchirurgie am 22.06.2021. Wiewohl er bei dieser Untersuchung angab, dass die Sensibilität der oberen Extremitäten bei der Untersuchung ungestört sei jedoch leicht ziehende Schmerzen in den Händen bestehen würden, setzte sich die medizinische Sachverständige nicht nachvollziehbar mit der Frage auseinander, wie sich diese Beschwerden im Alltag des Beschwerdeführers auswirken. Sie stellt fest, dass die mit Leiden 1 verbundenen funktionellen Einschränkungen mäßig seien. Für die Einschätzung dieses Leidens, bei welchen von der medizinischen Sachverständigen zurecht mit fortgeschrittenen radiologischen Veränderungen festgestellt wurden, ist es nach Position 01.02.02 als auch nach Position 02.01.03 der Einschätzungsverordnung wichtig, dass nachvollziehbar festgestellt wird, wie sich die funktionellen Einschränkungen im Alltag des Beschwerdeführers auswirken. Nachdem dies nicht nachvollziehbar begründet wird, ist das medizinische Sachverständige vom 22.06.2021 in diesem Punkt nicht schlüssig und nachvollziehbar. Nachdem diese Begründung im Gutachten aufgrund der Aktenlage vom 29.07.2021 für Leiden 1 von der medizinischen Sachverständigen übernommen wurde, gilt dies auch für dieses Gutachten.
Der Beschwerdeführer leidet auch an einem psychiatrischen Leiden, welches von der medizinischen Sachverständigen aus dem Fachbereichen der Allgemeinmedizin und Unfallchirurgie im medizinischen Sachverständigengutachten in deren Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage vom 29.07.2021 als neues Leiden 4. „Rezidivierende depressive Störung“ nach Position 03.06.01 mit einem Grad der Behinderung von 20 % festgestellt wurde.
Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Hinzu kommt, dass die Beurteilung der Funktionseinschränkungen aufgrund eines psychiatrischen Leidens nach der Einschätzungsverordnung nicht in einem Aktengutachten festgestellt werden kann.
Es ist aus den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen, wie die medizinische Sachverständige zur Feststellung kam, dass dieses Leiden unter medikamentöser Therapie stabil sei und der Beschwerdeführer sozial integriert sei. Insbesondere wurde nicht erhoben, ob beim Beschwerdeführer schon soziale Rückzugstendenzen hat oder ob es ihm schwerfällt, die Arbeitstätigkeit aufrecht zu erhalten, was für eine Einschätzung dieses Leidens nach den Positionen 03.06.01 und 03.06.02 der Einschätzungsverordnung erforderlich gewesen wäre. Für beides gibt es Hinweise in den vom Beschwerdeführer mit Eingabe vom 15.07.2021 vorgelegten medizinischen Befunden. Der Grad der sozialen Integration bzw. bestehende Rückzugstendenzen sind ausschlaggebend dafür, ob ein GdB von 20 % bis 40 % (Position 03.06.01) bzw. 50% (Position 03.06.02) festzustellen ist, wobei bei letzterer Position auch die Frage der Arbeitsfähigkeit zu hinterfragen gewesen wäre. Die medizinische Sachverständige begründete nicht, weswegen sie dieses Leiden als rezidivierende Störung leichten Grades nach der Einschätzungsverordnung qualifizierte, und nicht, wie dies aus der Ambulanzkarte Psychiatrie des Sanatoriums XXXX vom 07.07.2021 als depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, feststellte.
Das Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel enthalten somit konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtungen Psychiatrie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde medizinische Sachverständigengutachten der Fachrichtungen Psychiatrie/Neurologie und Orthopädie/Unfallchirurgie basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers einzuholen und die Ergebnisse unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben. Die Einzelgutachten sind in Form einer Gesamtbeurteilung zusammenzufassen, wobei das Gutachten aus dem Fachbereich der Augenheilkunde vom 30.06.2021 miteinzubeziehen sein wird.
Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird der Beschwerdeführer mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.
Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall des Beschwerdeführers noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen zurückzuverweisen.
Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Ermittlungspflicht Grad der Behinderung Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung SachverständigengutachtenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2246958.1.00Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
09.12.2021