TE Bvwg Erkenntnis 2021/11/30 W250 2248610-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

30.11.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §40 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwG-AufwErsV §1 Z3
VwG-AufwErsV §1 Z4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2
VwGVG §35 Abs3

Spruch


W250 2248610-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

I.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch die Caritas Wien der Erzdiözese Wien, gegen seine Festnahme am 10.11.2021 sowie die Anhaltung im Rahmen der Festnahme zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Festnahme am 10.11.2021 sowie gegen die Anhaltung im Rahmen der Festnahme wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 40 Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Festnahme am 10.11.2021 sowie die Anhaltung am 10.11.2021 bis 15.00 Uhr für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV hat der Bund dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von € 767,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der Behörde auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

II.

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Iran, vertreten durch die Caritas Wien der Erzdiözese Wien, gegen die Anhaltung in Beugehaft seit 10.11.2021:

A)

I. Die Maßnahmenbeschwerde gegen die Anhaltung des Beschwerdeführers in Beugehaft seit 10.11.2021 wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 3 VwGVG iVm § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

III. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge als BF bezeichnet) stellte am 12.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) vom 18.08.2016 gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 – AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass Ungarn zur Prüfung des Antrages zuständig sei, die Außerlandesbringung des BF angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Ungarn zulässig sei. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 04.11.2016 statt, gleichzeitig wurde das Asylverfahren zugelassen.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 28.11.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vollinhaltlich abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise bestimmt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 09.12.2019 abgewiesen.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.02.2020 wurde dem BF gemäß § 46 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG iVm § 46 Abs. 2b FPG iVm § 57 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG aufgetragen, bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde ein Reisedokument einzuholen und dies dem Bundesamt innerhalb einer Frist von vier Wochen nachzuweisen. Dieser Bescheid wurde dem BF am 28.02.2020 durch Hinterlegung zugestellt und erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

4. Der BF kam der Verpflichtung zur Einholung eines Reisedokumentes nicht nach, weshalb das Bundesamt mit Schreiben vom 03.06.2020 dem BF eine neuerliche Frist von zwei Wochen setzte, widrigenfalls eine Zwangsstrafe in der Dauer von zwei Wochen verhängt werde. Dieses Schreiben wurde dem BF am 09.06.2020 zugestellt. Mit Bescheid vom 10.07.2020 erließ das Bundesamt eine Vollstreckungsverfügung und verhängte die angedrohte Haftstrafe in der Dauer von zwei Wochen über den BF. Dieser Bescheid wurde dem BF am 11.07.2020 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zugestellt und sofort vollzogen.

5. Am 15.07.2020 stellte der BF einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, woraufhin er aus der Zwangsstrafe entlassen wurde. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 17.09.2020 wurde der Asyl-Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG vollinhaltlich wegen entschiedener Sache zurückgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, gegen ihn wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei sowie festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Unter einem wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Dieser Bescheid wurde dem BF am 18.09.2020 durch Hinterlegung im Akt zugestellt, da der BF an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig war und eine neuerliche Abgabestelle ohne Schwierigkeiten nicht festgestellt werden konnte.

6. Am 09.04.2021 wurde der BF von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen, gemäß § 40 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG festgenommen und dem Bundesamt zur Einvernahme vorgeführt. Im Zuge seiner Einvernahme am 10.04.2021 gab der BF dem Bundesamt unter anderem seine Telefonnummer bekannt und gab an, dass er an seiner ehemaligen Meldeadresse aufhältig sei und nicht wisse, dass er dort nicht mehr gemeldet sei. Das Formblatt für die Erlangung eines Heimreisezertifikates weigerte er sich auszufüllen. Noch am selben Tag wurde der BF aus der Anhaltung entlassen.

7. Am 17.08.2021 wurde der BF neuerlich von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen. In der diesbezüglich dem Bundesamt von einer Landespolizeidirektion übermittelten Sachverhaltsdarstellung wurde angeführt, dass der BF an seiner ehemaligen Meldeadresse in XXXX wohnhaft und auch aufhältig sei. Dies sei bei einer Wohnsitzüberprüfung festgestellt worden. Dem BF wurde am 17.08.2021 die mit 09.01.2021 datierte Androhung einer weiteren Zwangsstrafe in der Dauer von drei Wochen zugestellt, wobei ihm neuerlich eine Frist von zwei Wochen zur Erfüllung der mit Bescheid vom 25.02.2020 auferlegten Verpflichtung eingeräumt wurde.

8. Am 09.09.2021 erließ das Bundesamt neuerlich einen Bescheid über die Zwangsstrafe, ein Versuch, diesen Bescheid an den BF zuzustellen erfolgte nicht. Stattdessen erließ das Bundesamt ebenfalls am 09.09.2021 einen Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z. 4 BFA-VG.

9. Am 08.10.2021 wandte sich der BF im Wege seines Bevollmächtigten an das Bundesamt um Dokumente zu erlangen, die beim Meldeamt vorgelegt werden können. Daraufhin forderte das Bundesamt den BF auf, bei der Behörde vorzusprechen.

10. Am 10.11.2021 wurde der BF beim Bundesamt auf Grund des Festnahmeauftrages vom 09.09.2021 festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum eingeliefert. Im Polizeianhaltezentrum wurde dem BF der Bescheid über die Zwangsstrafe vom 09.09.2021 um 15.00 Uhr zugestellt und in Vollzug gesetzt. Seither wird der BF in Beugehaft angehalten.

11. Am 24.11.2021 erhob der BF durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter Maßnahmenbeschwerden gegen die Festnahme sowie seine Anhaltung. Begründend führte er im Wesentlichen aus, dass er seit 29.07.2019 an der Adresse XXXX , durchgehend wohnhaft sei. Dennoch habe er weder von der Entscheidung im Asyl-Folgeverfahren noch von der Androhung der Beugehaft vom 17.08.2021 noch vom Bescheid vom 09.09.2021, mit welchem die Zwangsstrafe vollstreckt werde, Kenntnis erlangt. Der BF erhebe ausdrücklich eine Maßnahmenbeschwerde gegen die Festnahme und seine Anhaltung, da der Bescheid vom 09.09.2021 dem BF nicht zugestellt worden sei, weshalb dieser Bescheid keinerlei Rechtswirkung entfalte. Sowohl die Festnahem als auch die Anhaltung entbehre einer bescheidmäßigen Grundlage und könne als bloßes Verwaltungshandeln Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde sein.

Der Vollstreckungsbescheid vom 09.09.2021 sei nicht ordnungsgemäß erlassen worden. In der Empfängerbezeichnung des Bescheides sei vermerkt, dass der BF über keine Meldeadresse verfüge. Der BF sei jedoch im Zeitpunkt der Entscheidung an der oben genannten Adresse aufrecht gemeldet gewesen und habe dort auch gewohnt. Der Bescheid sei dem BF jedoch an seiner Wohnadresse nicht zugestellt worden weshalb mangels ordnungsgemäßer Zustellung der Bescheid als nicht erlassen und nicht rechtswirksam anzusehen sei.

Des weiteren fehle auf dem Bescheid vom 09.09.2021 die Unterschrift des Genehmigenden, wodurch ein wesentliches Bescheidmerkmal nicht vorhanden sei. Da der Bescheid auch keine Beglaubigung im Sinne des § 18 Abs. 4 AVG aufweise, könne der gegenständliche Bescheid selbst bei ordnunsgemäßer Zustellung keine Rechtswirksamkeit entfalten.

Der BF beantragte eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen und die am 10.11.2021 erfolgte Festnahme sowie die bisherige Anhaltung für rechtswidrig zu erklären und das Bundesamt zum Kostenersatz für Pauschalkosten und Gebühren zu verpflichten.

12. Das Bundesamt legte am 25.11.2021 den Verwaltungsakt vor und gab dazu eine Stellungnahme ab, aus der sich im Wesentlichen ergibt, dass der BF seit 27.07.2020 über keine Wohnsitzmeldung mehr im Zentralen Melderegister verfüge, weshalb eine postalische Bescheidzustellung mangels bekanntem Wohnsitz nicht möglich gewesen sei. Der Bescheid sei durch persönliche Zustellung am 10.11.2021 dem BF übergeben worden. Hinsichtlich der fehlenden Unterschrift führte das Bundesamt aus, dass der im Akt befindliche Originalbescheid sowohl eine von Hand gefertigte Unterschrift sowie eine Amtssignatur aufweise. Der an das Polizeianhaltezentrum elektronisch versandte Bescheid weise eine Amtssignatur auf, die auf der Zustellbestätigung auch sichtbar sei. Dabei gehe die erhobene Beschwerde ins Leere. Die Entlassung des BF aus der Beugehaft sei für den 01.12.2021 geplant.

Das Bundesamt beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen bzw. als unzulässig zurückzuweisen und den BF zum Kostenersatz zu verpflichten.

13. Auf Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichtes übermittelte der Rechtsvertreter des BF am 26.11.2021 die dem BF übergebene Bescheidausfertigung, die aus fünf Seiten bestehe, wobei Seite 6, welche aus Zustellbestätigung und Amtssignatur bestehe, dem BF nicht übergeben worden sei. Am 29.11.2021 teilte der Rechtsvertreter des BF dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass dem BF die letzte Seite des Bescheides am 27.11.2021 ausgefolgt worden sei.

Am 26.11.2021 erhob der BF Bescheidbeschwerde an das Bundesamt, wobei er ausdrücklich darauf hinwies, dass diese in eventu für den Fall gestellt werde, dass das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid vom 09.09.2021 als ordnungsgemäß erlassen beurteile. Die Bescheidbeschwerde wurde vom Bundesamt bisher dem Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter I.1. bis I.13. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.02.2020 wurde der BF verpflichtet, aus eigenem ein Reisedokument bei der für ihn zuständigen Vertretungsbehörde einzuholen. Dieser Bescheid ist in Rechtskraft erwachsen.

1.3. Der BF verfügt zwar seit 27.07.2020 über keine Meldeadresse im Bundesgebiet, nannte jedoch dem Bundesamt am 10.04.2021 sowohl die Adresse seines Wohnortes als auch seine Telefonnummer. Mit Sachverhaltsdarstellung vom 17.08.2021, beim Bundesamt eingelangt am 24.08.2021, teilte die Landespolizeidirektion XXXX dem Bundesamt den Wohnort des BF mit und gab dazu ergänzend an, dass diesbezüglich auch eine Wohnsitzüberprüfung stattgefunden hat.

1.4. Das Bundesamt versuchte nicht, die mit Bescheid vom 09.09.2021 erlassene Vollstreckungsverfügung am Wohnort des BF zu vollstrecken.

1.5. Der BF wurde am 10.11.2021 auf Grund eines vom Bundesamt am 09.09.2021 gemäß § 34 Abs. 3 Z. 4 BFA-VG erlassenen Festnahmeauftrages festgenommen.

1.6. Am 10.11.2021 um 15.00 Uhr wurde dem BF der Bescheid des Bundesamtes vom 09.09.2021 zugestellt. Seither wird der BF gemäß § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz – VVG in Beugehaft angehalten. Der dem BF zugestellte Bescheid enthält eine Amtssignatur.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes, dem vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie aus den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes die Beschwerden des BF gegen die Bescheide des Bundesamtes vom 18.08.2016 und vom 28.11.2017 betreffend. Einsicht genommen wurde in die Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister sowie in das Grundversorgungs-Informationssystem.

2.2. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.02.2020 auferlegten Verpflichtung beruht auf der im Verwaltungsakt einliegenden Urschrift dieses Bescheides.

2.3. Die Feststellungen zu den Meldedaten des BF ergeben sich aus dem Zentralen Melderegister. Dass der BF dem Bundesamt am 10.04.2021 sowohl seine Adresse als auch seine Telefonnummer bekannt gegeben hat, ergibt sich aus dem diesbezüglichen Einvernahmeprotokoll. Aus der im Verwaltungsakt einliegenden Sachverhaltsdarstellung einer Landespolizeidirektion vom 17.08.2021, die laut behördlichem Eingangsstempel am 24.08.2021 beim Bundesamt einglangt ist, ergibt sich, dass der BF an der in diesem Schreiben genannten Adresse aufhältig und postalisch erreichbar ist.

2.4. Im Verwaltungsakt findet sich kein Hinweis darauf, dass das Bundesamt versucht hat, die mit Bescheid vom 09.09.2021 erlassenen Vollstreckungsverfügung (Bescheid über eine Zwangsstrafe) zu vollstrecken. Vielmehr wurde noch am 09.09.2021 ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 Abs. 3 Z. 4 BFA-VG erlassen.

2.5. Dass der BF am 10.11.2021 auf Grund des erlassenen Festnahmeauftrages vom 09.09.2021 festgenommen wurde ergibt sich aus dem diesbezüglichen Aktenvermerk im Verwaltungsakt sowie aus der Stellungnahme des Bundesamtes vom 25.11.2021, in der ausdrücklich auf den genannten Festnahmeauftrag im Zusammenhang mit der erfolgten Festnahme Bezug genommen wird.

2.6. Dass dem BF am 10.11.2021 der Bescheid des Bundesamtes vom 09.09.2021 zugestellt wurde, ergibt sich aus der diesbezüglich vom BF unterfertigten Übernahmebestätigung. Das Polizeianhaltezentrum, in dem die Beugehaft vollzogen wird, teilte auf Anfrage durch das Bundesverwaltungsgericht mit, dass dem BF am 10.11.2021 der gesamte Bescheid samt der Übernahmebestätigung ausgefolgt worden sei und dem BF zusätzlich am 27.11.2021 die Seite 6 dieses Bescheides nochmals ausgefolgt worden sei. Der Bescheid vom 09.09.2021 besteht aus sechs Seiten, wobei sich auf der letzten Seite die Übernahmebestätigung sowie die Amtssignatur befinden. Der BF hat am 10.11.2021 entsprechend der im Akt einliegenden Kopie die auf der letzten Seite des Bescheides befindliche Übernahmebestätigung eigenhändig unterschrieben, sodass feststeht, dass der dem BF zugestellte Bescheid auch eine Amtssignatur enthielt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil I. – Spruchpunkt A.I. – Festnahme

Gemäß § 40 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einen Fremden, gegen den ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 BFA-VG besteht, zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen.

Das Bundesamt hat am 09.09.2021 gemäß § 34 Abs. 3 Z. 4 BFA-VG einen Festnahmeauftrag gegen den BF erlassen, wobei ein Festnahmeauftrag entsprechend dieser Bestimmung dann erlassen werden kann, wenn eine aufgrund eines Bescheides gemäß § 46 Abs. 2b FPG erlassene Vollstreckungsverfügung nicht vollzogen werden konnte oder der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2b FPG, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung einer Bewilligung gemäß § 46 Abs. 2a FPG bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.

Aus dieser Gesetzesbestimmung ergibt sich unmissverständlich, dass ein Festnahmeauftrag zur Vollziehung einer Vollstreckungsverfügung, die aufgrund eines Bescheides gemäß § 46 Abs. 2b FPG erlassen wurde, erst dann erlassen werden kann, wenn die Vollstreckungsverfügung nicht vollzogen werden konnte. Das Bundesamt hat jedoch keinen Versuch unternommen die Vollstreckungsverfügung vom 09.09.2021 zu vollziehen, sondern stattdessen ohne Vollstreckungsversuch einen Festnahmeauftrag erlassen. Dabei hatte der BF selbst dem Bundesamt seine Wohnadresse bekannt gegeben und wurde das Bundesamt wenige Tage vor Erlassung des Festnahmeauftrages vom tatsächlichen Wohnort des BF durch eine Landespolizeidirektion in Kenntnis gesetzt.

Die Festnahme des BF am 10.11.2021 erfolgte daher auf Grundlage eines rechtswidrig erlassenen Festnahmeauftrages, weshalb der Maßnahmenbeschwerde stattzugeben und die Festnahme des BF am 10.11.2021 sowie die Anhaltung im Rahmen der Festnahme für rechtswidrig zu erklären waren.

3.2. Zu Spruchteil II. – Spruchpunkt A.I. – Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde

Der BF wird auf Grund der mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.09.2021 erlassenen Vollstreckungsverfügung, die dem BF am 10.11.2021 zugestellt wurde, in Beugehaft gemäß § 5 Verwaltungsvollstreckungsgesetz – VVG angehalten. Im Verfahren wurden keine Mängel festgestellt, die zu einer Nichtigkeit dieser Vollstreckungsverfügung führen.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 07.10.2020, G 164/2020-14, festgehalten, dass tatsächliche, auf Grund einer Vollstreckungsverfügung gesetzte Vollstreckungsmaßnahmen keine Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG darstellen. Tatsächliche Vollstreckungsmaßnahmen sind nur dann mit Maßnahmenbeschwerde an ein Verwaltungsgericht anfechtbar, wenn sie ohne vorangehende Vollstreckungsverfügung gesetzt werden oder über eine solche hinausgehen. Die bescheidmäßige Verhängung einer Zwangsstrafe ist mit Bescheidbeschwerde anfechtbar.

Da im vorliegenden Fall vom BF ausdrücklich eine Maßnahmenbeschwerde erhoben wurde, er ausführlich begründet hat, weshalb er im konkreten Fall keine Bescheidbeschwerde erhebt und er überdies in eventu eine Bescheidbeschwerde bei der belangten Behörde eingebracht hat, war über die Maßnahmenbeschwerde abzusprechen.

Da das Verfahren ergeben hat, dass der BF auf Grund einer Vollstreckungsverfügung gemäß § 5 VVG in Beugehaft angehalten wird und die Dauer der Anhaltung bisher der Vollstreckungsverfügung nicht widerspricht, war die Maßnahmenbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist oder (Z 3) wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen. In der Beschwerde finden sich auch keine substanziellen Hinweise auf einen möglicherweise unvollständig ermittelten entscheidungsrelevanten Sachverhalt.

3.4. Zu Spruchteil I. und Spruchteil II, – jeweils Spruchpunkte A.II. und A.III. – Kostenentscheidungen

Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen die Festnahme als auch gegen die Anhaltung in Beugehaft Beschwerde erhoben. Dabei stellen die Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Festnahme einerseits und hinsichtlich der Anhaltung in Beugehaft andererseits unterschiedliche Verfahren dar. Sowohl der BF als auch das Bundesamt haben einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt.

Der BF ist auf Grund der Stattgabe der Beschwerde gegen seine Festnahme am 10.11.2021 obsiegende Partei, weshalb er Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang hat. Der belangten Behörde gebührt als unterlegener Partei in diesem Verfahren kein Kostenersatz.

Da die Beschwerde gegen die Anhaltung des BF in Beugehaft als unzulässig zurückgewiesen wurde, ist die belangte Behörde in diesem Verfahren obsiegende Partei, weshalb sie Anspruch auf Kostenersatz im beantragten Umfang hat. Dem BF gebührt in diesem Verfahren als unterlegener Partei kein Kostenersatz.

3.5. Zu Spruchteil B. - Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Anhaltung Beugehaft Festnahme Festnahmeauftrag Kostenersatz Maßnahmenbeschwerde Meldeadresse Rechtswidrigkeit Reisedokument Rückkehrentscheidung Vollstreckungsverfügung Zurückweisung Zwangsstrafe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W250.2248610.1.00

Im RIS seit

09.12.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten