TE Vfgh Erkenntnis 2021/10/5 E24/2021

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Veröffentlicht am 05.10.2021
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Index

32/01 Finanzverfahren, allgemeines Abgabenrecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gerichtsakt
StGG Art2
BAO §108, §245, §264
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Zurückweisung eines Vorlageantrags als verspätet wegen Verkennung der Rechtslage betreffend das Ende der Rechtsmittelfrist an einem Sonntag

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Beschluss wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Mit Bescheid des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom 18. September 2013 wurde der Beschwerdeführerin für das Jahr 2012 Einkommensteuer in bestimmter Höhe vorgeschrieben. Über eine dagegen erhobene Berufung wurde mit Beschwerdevorentscheidung des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom 15. Juli 2014 entschieden.

2. Entsprechend dem Ansuchen der Beschwerdeführerin vom 18. September 2014 wurde mit Bescheid des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom 23. September 2014 die Rechtsmittelfrist zur Einbringung eines Vorlageantrages gegen die Beschwerdevorentscheidung "letztmalig bis zum 19.10.2014 verlängert".

3. Die Beschwerdeführerin brachte eine – mit 19. Oktober 2014 datierte – "Berufung gem. §240 BAO" gegen die Beschwerdevorentscheidung ein, die vom Finanzamt Hollabrunn Korneuburg Tulln mit Eingangsstempel vom 20. Oktober 2014 ("Briefkasteneinwurf") versehen wurde.

4. Mit Beschluss vom 20. November 2020 wies das Bundesfinanzgericht den Vorlageantrag als verspätet zurück und stellte fest, dass mit der Beschwerdevorentscheidung vom 16. Juli 2014 die Beschwerde als erledigt gilt (Spruchpunkt I.). Ferner erklärte es eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art133 Abs4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt II.).

Begründend führte das Bundesfinanzgericht aus, dass der mit 19. Oktober 2014 datierte Vorlageantrag erst am 20. Oktober 2014 in den Briefkasten des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln eingeworfen worden sei. Mit Schreiben vom 6. November 2020 habe das Bundesfinanzgericht die verspätete Einbringung vorgehalten und zur Äußerung innerhalb einer Frist von zwei Wochen aufgefordert. Darauf habe die Beschwerdeführerin mit der Übermittlung einer Ablichtung des Bescheides vom 23. September 2014, mit dem die Vorlageantragsfrist gegen die Beschwerdevorentscheidung bis 19. Oktober 2014 verlängert worden sei, reagiert. Die verlängerte Vorlageantragsfrist habe daher am 19. Oktober 2014 geendet, weshalb der am 20. Oktober 2014 eingebrachte Vorlageantrag verspätet und gemäß §260 Abs1 litb BAO zurückzuweisen sei.

5. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw Art2 StGG, auf Unversehrtheit des Eigentumes gemäß Art5 StGG bzw Art1 1. ZPEMRK sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird.

Begründend wird darin im Wesentlichen ausgeführt, dass die Verlängerung der Vorlagefrist bis 19. Oktober 2014 gemäß §264 iVm §245 Abs1 2. Satz und Abs2 bis 5 BAO zulässig gewesen sei. Der 19. Oktober 2014 sei allerdings ein Sonntag gewesen, weshalb §108 Abs3 BAO zur Anwendung gelange. Diesem zufolge werde der Beginn und Lauf einer Frist durch Samstage, Sonntage und Feiertage nicht behindert. Falle das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so sei der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage sei, als letzter Tag der Frist anzusehen. Die Vorlagefrist habe daher erst am Montag, 20. Oktober 2014, geendet und es könne dahingestellt bleiben, dass die Beschwerdeführerin den Vorlageantrag am 19. Oktober 2014 in den Briefkasten der Behörde eingeworfen habe. Der Vorlageantrag sei daher zu Unrecht wegen Verspätung zurückgewiesen worden.

6. Das Bundesfinanzgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Begründend führt das Bundesfinanzgericht insbesondere aus, dass sich die Beschwerdeführerin im Fristverlängerungsantrag vom 18. September 2014 mit der Datumsangabe "19.10.2014" auf einen Sonntag als gewolltes Fristende festgelegt habe. Dadurch habe sie sich an eine am Sonntag endende Vorlageantragsfrist (selbst) gebunden. Ein durch die Datumsangabe bezeichneter Kalendertag gehöre allerdings nicht zu den in §108 Abs2 BAO aufgezählten Tatbeständen, weshalb die Berechnungsregeln nach §108 Abs3 BAO nicht anwendbar seien.

II. Rechtslage

Die §§108, 245 und 264 Abs1 und 4 des Bundesgesetzes über allgemeine Bestimmungen und das Verfahren für die von den Abgabenbehörden des Bundes, der Länder und Gemeinden verwalteten Abgaben (Bundesabgabenordnung – BAO), BGBl 194/1961, idF BGBl 99/2020 lauten:

"H. Fristen.

§108. (1) Bei der Berechnung der Fristen, die nach Tagen bestimmt sind, wird der für den Beginn der Frist maßgebende Tag nicht mitgerechnet.

(2) Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monates, der durch seine Benennung oder Zahl dem für den Beginn der Frist maßgebenden Tag entspricht. Fehlt dieser Tag in dem letzten Monat, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monates.

(3) Beginn und Lauf einer Frist werden durch Samstage, Sonntage oder Feiertage nicht behindert. Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag, Karfreitag oder 24. Dezember, so ist der nächste Tag, der nicht einer der vorgenannten Tage ist, als letzter Tag der Frist anzusehen.

(4) Die Tage des Postenlaufes werden in die Frist nicht eingerechnet.

2. Einbringung der Beschwerde

§245. (1) Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat. Enthält ein Bescheid die Ankündigung, dass noch eine Begründung zum Bescheid ergehen wird, so wird die Beschwerdefrist nicht vor Bekanntgabe der fehlenden Begründung oder der Mitteilung, dass die Ankündigung als gegenstandslos zu betrachten ist, in Lauf gesetzt. Dies gilt sinngemäß, wenn ein Bescheid auf einen Bericht (§150) verweist.

(2) Durch einen Antrag auf Mitteilung der einem Bescheid ganz oder teilweise fehlenden Begründung (§93 Abs3 lita) wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.

(3) Die Beschwerdefrist ist auf Antrag von der Abgabenbehörde aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, zu verlängern. Durch einen Antrag auf Fristverlängerung wird der Lauf der Beschwerdefrist gehemmt.

(4) Die Hemmung des Fristenlaufes beginnt mit dem Tag der Einbringung des Antrages (Abs2 oder 3) und endet mit dem Tag, an dem die Mitteilung (Abs2) oder die Entscheidung (Abs3) über den Antrag dem Antragsteller zugestellt wird. In den Fällen des Abs3 kann jedoch die Hemmung nicht dazu führen, dass die Beschwerdefrist erst nach dem Zeitpunkt, bis zu dem letztmals ihre Verlängerung beantragt wurde, abläuft.

(5) Abs3 und 4 gelten sinngemäß für Anträge auf Verlängerung der Frist des §85 Abs2 bei Mängeln von Beschwerden.

10. Vorlageantrag

§264. (1) Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.

(2) […]

(4) Für Vorlageanträge sind sinngemäß anzuwenden:

a) §93 Abs4 und 5 sowie §245 Abs1 zweiter Satz und Abs2 bis 5 (Frist),

b) §93 Abs6 und §249 Abs1 (Einbringung),

c) §255 (Verzicht),

d) §256 (Zurücknahme),

e) §260 Abs1 (Unzulässigkeit, nicht fristgerechte Einbringung),

f) §274 Abs3 Z1 und 2 sowie Abs5 (Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung).

(5) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

3. Solche Fehler sind dem Bundesfinanzgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesfinanzgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass auf dem in den Briefkasten des Finanzamtes eingeworfenen mit 19. Oktober 2014 datierten Vorlageantrag ein Eingangsstempel mit dem Datum "20.10.2014" aufgebracht sei und er daher am 20. Oktober 2014 eingebracht sei. Die mit Bescheid bis 19. Oktober 2014 verlängerte Vorlagefrist habe am 19. Oktober 2014 geendet, weshalb der am 20. Oktober 2014 beim Finanzamt Hollabrunn Korneuburg Tulln eingebrachte Vorlageantrag verspätet sei.

3.2. Damit hat es das Bundesfinanzgericht nicht nur unterlassen, sich mit der Frage, ob der Vorlageantrag am Sonntag, 19. Oktober 2014, – und damit jedenfalls fristwahrend, unabhängig von der Frage, wann eine etwaige verlängerte Frist rechtmäßig geendet hätte – oder am Montag, 20. Oktober 2014, beim Finanzamt Hollabrunn Korneuburg Tulln eingebracht wurde, hinreichend auseinanderzusetzen. Vielmehr verkennt das Bundesfinanzgericht die Rechtslage gröblich, weil es außer Acht lässt, dass gemäß §108 Abs3 BAO auch dann, wenn das – in einem Bescheid zur Verlängerung der Rechtsmittelfrist bezeichnete – Ende einer Frist wie hier auf einen Sonntag fällt, der nächste Tag – sohin der darauffolgende Montag – als letzter Tag der Frist anzusehen ist (vgl Ritz, BAO6, 2017, §245 Rz 2).

3.3. Das Bundesfinanzgericht hat somit durch die Zurückweisung des Vorlageantrages wegen Verspätung den angefochtenen Beschluss mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Beschluss im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 iVm §88a VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Fristen, Rechtsmittel, Abgaben, Finanzverfahren, Entscheidungsbegründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:E24.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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