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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12. April 2021, W152 2232024-1/8E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (mitbeteiligte Partei: M D, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Mitbeteiligte, eine indonesische Staatsangehörige, heiratete in ihrem Herkunftsstaat im August 2018 einen österreichischen Staatsbürger. Das Ehepaar hat einen am 17. August 2016 geborenen Sohn, der ebenfalls die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Mitbeteiligte war in Indonesien unbestritten wegen Misshandlung dieses Kindes strafgerichtlich verurteilt und deshalb vom 29. Juli 2017 bis zum 25. April 2018 in Strafhaft angehalten worden.
2 Am 19. Dezember 2018 reiste die Mitbeteilige nach Erteilung eines (später bis 1. Juli 2019 verlängerten) Visums C nach Österreich ein, wo sie mit ihrem Ehemann und dem gemeinsamen Kind zusammenlebte. Dabei kam es, wie bereits davor im Herkunftsstaat, wiederholt zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen. Mit einstweiligen Verfügungen des Bezirksgerichtes K vom 1. Februar 2019 und vom 6. November 2019 wurde der Mitbeteiligten aufgetragen, die Wohnung ihres Ehemannes und des Sohnes zu verlassen. Ebenso wurde ihr für die Dauer des Ehescheidungsverfahrens verboten, das Wohnhaus, die von ihrem Sohn besuchte „Kinderstube“ bzw. den Kindergarten und den Arbeitsplatz des Ehemannes zu betreten. Seit Ende Jänner 2019 ist die Mitbeteiligte in einer von einem Frauenberatungszentrum bereitgestellten Wohnung untergebracht und wird von dieser Einrichtung unterstützt. Neben dem Ehescheidungsverfahren ist auch ein Pflegschaftsverfahren betreffend den Sohn anhängig. Kontakte zum Sohn bestanden zuletzt in Form von begleiteten Besuchen im Abstand von zwei Wochen.
3 Am 29. Mai 2019 beantragte die Mitbeteiligte zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens, insbesondere des Kontaktes zu ihrem Kind, die Erteilung eines „Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK“ gemäß § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005.
4 In diesem Verfahren erstatteten sowohl der Rechtsvertreter des Ehemannes der Mitbeteiligten (im Wege der BH K) als auch die Rechtsvertreterin der Mitbeteiligten ausführliche Stellungnahmen zur früheren und derzeit vorliegenden familiären Situation und legten dazu jeweils Urkundenkonvolute als Beweismittel vor.
5 In der Stellungnahme vom 5. Dezember 2019 beantragte die Mitbeteiligte ihre Einvernahme zwecks Verschaffung eines Eindrucks von ihren aktuellen Lebensverhältnissen, insbesondere auch des dringenden Wunsches, die Rolle als Mutter zu ihrem minderjährigen Sohn wahrzunehmen. Durch die Einvernahme werde hervorkommen, dass sie sich in der Vergangenheit „aufgrund akuter Überforderungssituationen sowie äußerster Notlagen nicht korrekt verhalten“, sich jedoch ihre persönliche, wirtschaftliche und gesundheitliche Situation nunmehr gänzlich verändert habe. Aufgrund ihrer Vernehmung werde erwiesen, dass sie sich in stabilen räumlichen, sozialen und finanziellen Verhältnissen befinde, nach der Erteilung eines Aufenthaltstitels umgehend einer Erwerbstätigkeit nachgehen würde und ihre Verantwortung als Mutter, dem Kindeswohl entsprechend, langfristig wahrnehmen wolle. Zu diesen Fragen hatte die Mitbeteiligte in diesem Schriftsatz ein detailliertes Vorbringen erstattet und die familiäre Situation aus ihrer Sicht geschildert.
6 Mit Aktenvermerk vom 14. Jänner 2020 setzte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Verfahren über den in Rn. 3 genannten Antrag bis zur Beendigung des Ehescheidungs- und Pflegschaftsverfahrens aus. Insbesondere verwies das BFA dabei auf die entscheidungswesentlich zu klärenden Fragen, wem das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn zukomme und wie ein künftiges Besuchsrecht festgesetzt werde.
7 In der Folge erhob die Mitbeteiligte, die sich zuvor gegen die ihr mündlich zur Kenntnis gebrachte Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen hatte, am 26. März 2020 Säumnisbeschwerde.
8 Hierauf wies das BFA ohne Durchführung eines weiteren Ermittlungsverfahrens mit Bescheid vom 31. März 2020 den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG erließ das BFA gegen die Mitbeteiligte eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Mitbeteiligten gemäß § 46 FPG nach Indonesien zulässig sei. Gemäß § 55 FPG setzte das BFA eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für ihre freiwillige Ausreise fest.
9 In der Begründung bezog sich das BFA darauf, dass sich das derzeitige Privatleben der Mitbeteiligten in Österreich „während einer bisherigen Aufenthaltsdauer von einem Jahr und drei Monaten entwickelt“ habe. Sie habe keine nennenswerten Kenntnisse der deutschen Sprache und sei zu keiner Zeit ihres Aufenthalts legal beschäftigt gewesen, ihre Unterkunft und sonstigen Lebenshaltungskosten würden seit dem 29. Jänner 2019 von einem Verein finanziert. Im Rahmen ihrer Mitwirkung bei dessen Aktivitäten hätten sich soziale Kontakte insbesondere zu Personen entwickelt, die in diesem Verein tätig seien. Den Beziehungen komme aber kein besonderes Gewicht zu. Negativ zu bewerten sei, dass die Mitbeteiligte nach Ablauf der Geltungsdauer ihres Visums (am 1. Juli 2019) bis dato im Zustand des illegalen Aufenthalts verblieben sei. Ein tatsächliches Familienleben liege derzeit nur in Form eines vierzehntägigen Kontaktrechts zu ihrem Sohn im Ausmaß von zwei Stunden, ausgeübt im Beisein von zwei Mitarbeitern der Kinder- und Jugendhilfe, vor. Ihre Ehe werde „über kurz oder lang“ geschieden werden.
Das BFA stimmte den Ausführungen in der Stellungnahme der Mitbeteiligten (laut Rn. 5) insoweit zu, als der Kontakt zwischen ihr und ihrem Sohn nicht gänzlich verhindert werden dürfe. Dieses Kontaktrecht allein rechtfertige aber nicht die Erteilung eines Aufenthaltstitels iSd Art. 8 EMRK. Mit der Abweisung des gegenständlichen Antrags und der daraus resultierenden Rückkehrentscheidung würden künftige Kontakte nicht verhindert. Es stehe der Mitbeteiligten vielmehr frei, nach der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat jederzeit wieder auf legale Weise nach Österreich einzureisen und das Kontaktrecht zu ihrem Sohn wahrzunehmen. Somit sei das Wohl des Kindes unter Berücksichtigung der aktuellen Umstände der Beziehung nicht gefährdet. Als wesentlichen, zu Ungunsten der Mitbeteiligten zu wertenden Aspekt führte das BFA dazu noch an, dass sie in Indonesien strafrechtlich verurteilt worden und neun Monate wegen der Misshandlung ihres eigenen Kindes inhaftiert gewesen sei.
Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte überwiege im Rahmen einer Gesamtbetrachtung „zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt“ das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens das private Interesse der Mitbeteiligten an einem Verbleib im Bundesgebiet. Ein Eingriff in ihr Recht auf Ausübung des Privat- und Familienlebens in Österreich sei daher als verhältnismäßig iSd Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen.
Ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK sei gemäß § 55 Abs. 1 AsylG auszustellen, wenn dessen Erteilung gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten sei. Dies sei nach den dargestellten Ausführungen aber nicht der Fall.
10 Gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2021 legte sie dem BVwG ein im erwähnten Pflegschaftsverfahren erstattetes, 94 Seiten umfassendes Gutachten eines psychologischen Sachverständigen vor, das zusammenfassend zum Ergebnis kam, der Mitbeteiligten solle derzeit ein begleitetes Besuchsrecht von wöchentlich drei bis vier Stunden, nach - vom Sachverständigen näher erläuterter - Stabilisierung ihrer „sozioökonomischen Bedingungen“ unter Wegfall der Begleitung, eingeräumt werden. Aus der Sicht des Kindes sei einer gemeinsamen Obsorge der Vorzug zu geben, wofür jedoch - was vom Sachverständigen ebenfalls näher erläutert wurde - derzeit die Voraussetzungen noch nicht gegeben seien.
11 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12. April 2021 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Bescheid des BFA vom 31. März 2020 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
12 In seiner Begründung argumentierte das BVwG damit, dass die im Verfahren erstatteten Schriftsätze deutliche Hinweise auf eine volatile bzw. angespannte familiäre Situation zeigten, insbesondere mit Blick darauf, dass beide Elternteile in das laufende Scheidungs- und Obsorgeverfahren involviert seien. Das BFA habe sich, ungeachtet des Antrags auf Einvernahme der Mitbeteiligten, mit ihrer bloßen Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme begnügt, also weder eine Einvernahme der Mitbeteiligten und ihres Ehemannes noch insgesamt ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt. Im Sinne einer Gesamtbetrachtung dränge sich der Eindruck auf, das BFA habe Ermittlungen zum Intensitätsgrad der familiären Beziehungen unterlassen, damit diese dann vom BVwG vorgenommen werden müssten. Ebenso wäre die Rückkehrsituation der Mitbeteiligten (insbesondere ihr Gesundheitszustand und die Frage des Bestehens einer Existenzgrundlage im Herkunftsstaat) miteinzubeziehen gewesen.
Im fortgesetzten Verfahren seien daher sowohl die Mitbeteiligte als auch ihr Ehemann hinsichtlich des konkreten Familienlebens einzuvernehmen und auch zu ermitteln, ob sich die „sozioökonomischen Bedingungen“ der Mitbeteiligten wie vorgebracht geändert hätten. Auch eine eingehende Befragung zu ihrer persönlichen Situation in Indonesien sei erforderlich.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das BVwG könne nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Ebenso sei nicht ersichtlich, dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das BVwG „im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden“ wäre. Abgesehen davon, dass es sich im gegenständlichen Fall ohnedies nicht um eine bloße Ergänzungsbedürftigkeit des Ermittlungsverfahrens handle, erweise sich schon allein die Einvernahme der in Tirol lebenden Mitbeteiligten durch die entsprechende Regionaldirektion des BFA als einfacher, rascher und auch als erheblich kostengünstiger. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 zweiter Satz VwGVG seien somit nicht gegeben.
13 Die dagegen erhobene Amtsrevision des BFA, zu der im Rahmen des Vorverfahrens von der Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erweist sich als unzulässig.
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision nämlich (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist diese Bestimmung gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG sinngemäß anzuwenden.
15 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
16 In der Revision wird zur Zulässigkeit (zusammengefasst) vorgebracht, das BVwG sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 VwGVG (Hinweis insbesondere auf das grundlegende Erkenntnis VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063) abgewichen, wonach eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache zur Durchführung notwendiger Ermittlungen an die Verwaltungsbehörde nur bei krassen oder besonders gravierenden Ermittlungslücken zulässig sei, etwa wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür sprächen, dass die Behörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden. Das BVwG habe im vorliegenden Fall nicht dargelegt, welche konkreten Feststellungen zum Privat- und Familienleben sowie zu den „sozioökonomischen Bedingungen“ vom BFA noch zu treffen wären, sodass sich die Zurückverweisung im Wesentlichen nur darauf stütze, dass das BFA die Ehegatten trotz entsprechenden Antrags nicht einvernommen habe. Dieser Umstand allein rechtfertige eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aber nicht (Hinweis u.a. auf VwGH 25.9.2018, Ra 2017/21/0253). Auch inwiefern die Befragung der Mitbeteiligten zu ihrer „persönlichen Situation in Indonesien“ den maßgeblichen Sachverhalt weiter klären könne, habe das BVwG nicht konkret dargelegt.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die einzelfallbezogene Anwendung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebenen Auslegung dieser Bestimmung dann keine grundsätzliche Rechtsfrage aufwirft, wenn sich das vom Verwaltungsgericht erzielte Ergebnis als vertretbar erweist (siehe dazu etwa VwGH 8.11.2018, Ra 2018/22/0232, Rn. 9; VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0128, Rn. 10, und VwGH 30.6.2021, Ra 2018/16/0033, Rn. 22, jeweils mwN).
18 Eine Unvertretbarkeit des vom BVwG erzielten Ergebnisses vermag die Amtsrevision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen jedoch nicht aufzuzeigen. Wie das BFA (bei der Aussetzung seines Verfahrens am 14. Jänner 2020) selbst angenommen hat, kommt es für die nach § 9 BFA-VG vorzunehmende Interessenabwägung ausgehend von den vorliegend gegebenen komplexen und prekären familiären Verhältnissen vor allem unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls auf die aktuelle Situation in Bezug auf die wechselseitigen Beziehungen der Mitbeteiligten und ihres Sohnes, aber vor allem auch auf die insoweit erwartbare weitere Entwicklung, somit auch auf den Stand und die Ergebnisse des Pflegschaftsverfahrens, entscheidungswesentlich an (vgl. in diesem Sinn schon VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012, Rn. 8).
Dazu hat das BFA, das lediglich berücksichtigte, wie sich die „derzeitige Beziehung“ der Mitbeteiligten zu ihrem Kind darstellt, und demzufolge nur eine Betrachtung „zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt“ vornahm, letztlich nur ansatzweise Ermittlungen vorgenommen und das Vorbringen der Mitbeteiligten zu einer mittlerweile eingetretenen Änderung der Verhältnisse keiner näheren Überprüfung unterzogen, wozu nur als Teil der erforderlichen Ermittlungen eine Befragung der Mitbeteiligten und ihres Ehemannes samt Verschaffung eines persönlichen Eindrucks notwendig gewesen wäre. Darauf lässt sich daher der vom BVwG ins Treffen geführte Aufhebungsgrund nicht reduzieren. Dazu kommt, dass vom BFA auf die mittlerweile vorhandenen - wie erwähnt: vorliegend relevanten - Ergebnisse des Pflegschaftsverfahrens in Form des Gutachtens vom 6. Dezember 2020 (noch) nicht Bedacht genommen werden konnte.
19 Vor diesem Hintergrund war es daher fallbezogen nicht unvertretbar, dass das BVwG von der - ausnahmsweise vorgesehenen - Möglichkeit der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an das BFA Gebrauch machte.
20 Tatsächlich läge sonst eine Verlagerung der wesentlichen Ermittlungen auf das BVwG und damit eine erstmalige Beurteilung des gesamten entscheidungswesentlichen Sachverhalts durch das BVwG vor, was fallbezogen eine neuerliche Befassung des BFA rechtfertigte. Dabei hat das BVwG - entgegen der Meinung in der Amtsrevision - die Themen, zu denen Ermittlungen erforderlich gewesen wären bzw. im weiteren Verfahren vorzunehmen sind, für den vorliegenden Fall ausreichend umschrieben. Das gilt auch für die zu klärenden Verhältnisse der Mitbeteiligten bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, weil diese Frage - wie ohnehin auch in der Amtsrevision erkannt wird - schon für die Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt „Bindungen zum Heimatstaat des Fremden“ im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG relevant ist.
21 Das BVwG hat sich somit in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung vorgenommenen Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gehalten, sodass keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegt. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
22 Der Kostenausspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 11. November 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210174.L00Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
20.12.2021