Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** G*****, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei b***** Ltd, *****, Malta, vertreten durch Dr. David Christian Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 249.710,59 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 23. September 2021, GZ 4 R 152/21m-22, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] Das Berufungsgericht bestätigte die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts auf Rückzahlung der Spielverluste des Klägers wegen Unerlaubtheit des von der Beklagten angebotenen, gegen das österreichische Glücksspielmonopol (Konzessionssystem) verstoßenden Online-Glücksspiels und daraus resultierender Nichtigkeit der zugrunde liegenden Glücksspielverträge.
[2] Mit der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:
[3] 1. Die geltend gemachten Verfahrensmängel und die behaupteten sekundären Feststellungsmängel liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
[4] 2. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der Glücksspielkonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (3 Ob 72/21s; 3 Ob 106/21s; 3 Ob 112/21y; 5 Ob 30/21d; 9 Ob 20/21p).
[5] Daran ist auch nach dem Beschluss des EuGH zu C-920/19, Fluctus, festzuhalten. In dieser Entscheidung hat der EuGH seine bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze aufrechterhalten und bestätigt, dass Art 56 AEUV einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts (wie in Österreich) nicht allein deshalb entgegensteht, weil (wenn) die Werbepraktiken der Monopolisten (der Konzessionäre) für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa in dem das Spiel verharmlost wird, ihnen wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegender Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder ihre Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird. Die zugrunde liegenden Rechtsprechungsgrundsätze gelten auch für die Rechtslage in den Jahren 2010 bis 2012 (vgl 3 Ob 106/21s). Die in der außerordentlichen Revision zitierte Entscheidung des EuGH zu C-64/08, Engelmann, bezieht sich auf das damalige Sitzlanderfordernis für Konzessionäre und die Konzessionsvergabe (für den Betrieb von Spielbanken) ohne Ausschreibung. Bei der Beklagten handelte es sich auch nie um eine Konzessionswerberin.
[6] 3.1 Zu der in der außerordentlichen Revision thematisierten Verpflichtung zur Notifikation der Bestimmungen des § 14 GSpG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, nach Maßgabe der Richtlinie 98/34/EG idF der Richtlinien 98/48/EG und 2006/96/EG (im Folgenden: „Transparenz-RL“; nunmehr Richtlinie 2015/1535/EU) ist vorweg festzuhalten, dass unionsrechtliche Fragestellungen grundsätzlich zwar von Amts wegen zu prüfen sind, dabei aber auf den vom EuGH anerkannten Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Bedacht zu nehmen ist. Dies bedeutet, dass nach Maßgabe des „Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens“ die jeweilige unionsrechtliche Fragestellung und die dafür maßgebenden Umstände mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit gegeben werden muss, dazu ein geeignetes Vorbringen zu erstatten. Dies gilt aber nicht absolut, sondern nur insoweit, als sich aus dem schon erstatteten Vorbringen oder sonst aus der Sachlage konkrete Anhaltspunkte für eine bestimmte unionsrechtliche Problematik ergeben (Brenn, EU-Recht in der Praxis 81 f; vgl 8 Ob 54/16y; vgl auch RS0129945).
[7] 3.2 Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Beklagte die Frage einer allenfalls bestehenden Notifikationsverpflichtung nicht angesprochen; auch in der Berufung war dies nicht Thema. Damit bestand für die Vorinstanzen keine Verpflichtung zur Prüfung dieser Fragestellung.
[8] 4.1 Davon abgesehen ist unter Zugrundelegung der einschlägigen Judikatur des EuGH die von der Beklagten argumentierte Notifikationsverpflichtung auch nicht erkennbar:
[9] Nach Art 1 der Transparenz-RL bezieht sich die Notifikationsverpflichtung auf „technische Vorschriften“. Nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst dieser Begriff vier Kategorien von Maßnahmen, nämlich 1. „technische Spezifikationen“ iSv Art 1 Nr 3 der RL, 2. sonstige Vorschriften iSv Art 1 Nr 4 der RL, 3. „Vorschriften betreffend Dienste“ iSv Art 1 Nr 5 der RL und 4. „Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden“ iSv Art 1 Nr 11 zweiter Fall der RL (C-255/16, Falbert, Rn 25; C-275/19, Sportingbet, Rn 46).
[10] 4.2 Im Anlassfall kommen nur die letzten beiden Aufzählungen (Art 1 Nr 5 und Nr 11 zweiter Fall) in Betracht.
[11] Art 1 Nr 5 der Transparenz-RL bezieht sich auf die Erbringung von Diensten der Informationsgesellschaft iSd Art 1 Nr 2 der RL und damit auf kommerzielle Online-Dienste. Glücksspieldienstleistungen, die online erbracht werden, sind damit Dienste der Informationsgesellschaft im Sinn der Transparenz-RL; vom Anwendungsbereich der EC-RL, mit der der Begriff „Dienste der Informationsgesellschaft“ eingeführt wurde, sind sie jedoch ausdrücklich ausgenommen (Art 1 Abs 5 lit d der EC-RL).
[12] Für eine Einstufung als „Vorschrift betreffend Dienste“ nach Art 1 Nr 5 muss die Vorschrift (zB ein Gesetz) „speziell“ auf Dienstleistungen der Informationsgesellschaft abzielen. Diese Anforderung ist nach der Rechtsprechung des EuGH erfüllt, wenn einzelne Bestimmungen dieser Vorschrift (zB des Gesetzes) entweder nach dem Wortlaut oder nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich und gezielt auf solche Dienste abstellen. Dies ist dann der Fall, wenn eine Regelung insbesondere (gerade) für Online-Dienste erlassen wird oder eine bisherige Regelung für Offline-Dienste auf Online-Dienste ausgedehnt wird (C-255/16, Falbert, Rn 32 bis 35; C-275/19, Sportingbet, Rn 48 f).
[13] 4.3 Art 1 Nr 11 zweiter Fall der Transparenz-RL bezieht sich im gegebenen Zusammenhang auf Verbote für die Erbringung eines Online-Dienstes. Dazu ergibt sich aus der Rechtsprechung des EuGH, dass nationale Vorschriften, die lediglich die Ausübung (das Angebot) einer solchen Dienstleistung von einer vorherigen Erlaubnis (zB einer Konzession) abhängig machen, keine technische Vorschrift iSv Art 1 Nr 11 zweiter Fall der Transparenz-RL sind (C-255/16, Falbert, Rn 16; C-336/14, Ince, Rn 76).
[14] Darüber hinausgehende Verbote – hier bezogen auf Online-Glücksspiele ausländischer Veranstalter – sind nur dann erfasst, wenn sie neu eingeführt oder inhaltlich erweitert werden (neue oder ergänzende Verbote); bloß wiederholende, ersetzende oder klarstellende Regelungen fallen nicht darunter (C-255/16, Falbert, Rn 17 bis 23; C-275/19, Sportingbet, Rn 49 und 55).
[15] 4.4 § 14 GSpG ist weder nach dem Wortlaut noch nach den Gesetzesmaterialien (siehe dazu RV 981 BlgNR 24. GP 146 f) eine Norm, die gerade für Online-Glücksspiele (zB Online-Lotterien) erlassen wurde; diese Norm ist daher auch keine Vorschrift iSd Art 1 Nr 5 der Transparenz-RL. Inhaltlich handelt es sich um eine Regelung, mit der die Ausübung bzw das Angebot von Glücksspieldienstleistungen von einer vorherigen Erlaubnis abhängig gemacht wird. Diese Bestimmung normiert kein darüber hinausgehendes Verbot iSd Art 1 Nr 11 zweiter Fall der Transparenz-RL und – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch kein de-facto-Verbot. Dies gilt auch für § 14 Abs 3 GSpG, der für einen Konzessionswerber (Kapitalgesellschaft) mit Sitz in der EU oder im EWR, aber außerhalb von Österreich eine bloße Niederlassung in Österreich ausreichen lässt, wenn er im Sitzstaat einer effektiven staatlichen Glücksspielaufsicht, wie bei Bestehen einer Lotteriekonzession unterliegt. Das Erfordernis einer effektiven Kontrolle und einer diese sicherstellenden vergleichbaren Berechtigung für die Ausübung der Tätigkeit im Sitzstaat ist für die Erbringung von grenzüberschreitenden Dienstleistungen nicht untypisch. Der unbestimmte Begriff „vergleichbar“ ist überdies einer unionsrechtskonformen Interpretation zugänglich.
[16] 5. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des EuGH war nicht aufzugreifen, weil die unionsrechtlichen Rechtsgrundsätze geklärt sind.
[17] 6. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel zurückgefordert werden können, entspricht der ständigen Rechtsprechung (RS0025607 [T1]). Ein von der Beklagten argumentierter Rechtsmissbrauch des Klägers ist nicht erkennbar. Die Höhe der Klagsforderung steht außer Streit (vgl ON 13, 3).
[18] 7. Mangels erheblicher Rechtsfrage war die außerordentliche Revision zurückzuweisen.
Textnummer
E133217European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00200.21I.1125.000Im RIS seit
09.12.2021Zuletzt aktualisiert am
20.01.2022